Wenn ich bösartig wäre, dann würde ich vermuten, dass über die Weihnachtstage einige (viele) Menschen die Petition gegen Pegida online unterzeichnet haben, aber bei den familiären Weihnachtstreffen den Weihnachtsfrieden hielten und innerfamiliär Thesen von Pegida-AnhängerInnen kommentarlos überhörten
Ja, ich bin bösartig und stelle das mal so in den Raum.
Die Petition unterzeichnen macht ein gutes Gefühl, mit Vater, Mutter, Onkel oder Tante diskutieren ist anstrengend. Wahrscheinlich haben einige deshalb letzteres unterlassen. Ich meine aber:
Wir können, meiner Meinung nach, nur durch persönliche Gespräche Mensch für Mensch aus den Reihen der Pegida herauslösen.
Dazu komme ich später noch ausführlicher. Wer keine Lust hat den ganzen Text zu lesen, im letzten Drittel ist eine Zusammenfassung.
Erst einmal eine Erklärung in eigener Sache:
Ich schreibe nicht um irgendjemandem einen Gefallen zu tun oder eine festgefahrene politische Meinung im Sinne einer Organisation zu vertreten. Ich schreibe das, worüber ich nachdenke, wie in der Packungsbeilage nachzulesen ist. Meine Artikel sind Gesprächs- und Diskussionsangebote – davon wollen viel zu wenige Menschen etwas wissen. Ich verzichte heute weitestgehend auf Verlinkungen zu Artikeln in Print- oder Online-Medien, da diese polarisieren.
Damit habe ich auch schon den Einstieg, ganz zufällig, gefunden. Es gibt doch tatsächlich Menschen, auch Politiker und Medienvertreter, die meinen man könne mit Pegida & Co. reden.
Vergesst es!
Nicht etwa weil die nicht mit euch reden wollen sondern weil es niemanden gibt der für diese Bewegungen sprechen kann.
Es gibt natürlich die Organisatoren der Demonstrationen, die haben ein Händchen bewiesen mit dem von ihnen veröffentlichten Aufruf. Dieser ist schließlich so formuliert, dass nicht nur AusländerfeindInnen oder RassistInnen sich angesprochen fühlen können. Herzlich willkommen sind auch Menschen die Probleme mit Homosexualität, Feminismus, Bildungs- und Rechtschreibreformen, veganer Lebensart, alternativen Familienentwürfen und anderen „Auswüchsen“ der modernen Gesellschaft haben. Verschwörungstheoretiker und Demokratiekritiker gehören per se zum Inventar.
Somit gibt es die TeilnehmerInnen die fast die gesamte Bandbreite der Bevölkerung, aus den oben genannten Gründen, abdecken. Ich nenne sie hier nicht „Mitläufer“ und werde mich im weiteren Artikel auch weiterhin bemühen Kampfbegriffe zu vermeiden.
Natürlich gibt es auch Parteien wie AfD oder NPD und Organisationen, die auf den Pegida-Zug aufgesprungen sind.
Die Erst- und die Letztgenannten sind für meine Betrachtungen völlig uninteressant, da ihre Antworten auf eventuelle Fragen voraussehbar sind.
Interessant ist allein die größte Gruppe, die der TeilnehmerInnen, in der jede/r persönliche Gründe für die Teilnahme an diesen Demonstrationen hat. Ich beziehe mich in der Folge nicht auf Thesen von PolitologInnen, SoziologInnen oder ähnlichen „SpezialistInnen“, sondern allein auf meine Gespräche (persönlich oder virtuell) mit SympathisantInnen. Es ist mir nicht in jedem Fall bekannt ob diese auch schon TeilnehmerInnen sind. Ich erhebe keinerlei Anspruch darauf, dass die von mir geführten Gespräche einen repräsentativen Querschnitt darstellen. Nachfolgend betrachte ich nur die Migranten- und Flüchtlingsproblematik, auf alle Gründe für eine Teilnahme einzugehen würde den Rahmen sprengen.
Der größere Teil meiner Gesprächspartner ist aus wirtschaftlichen Gründen gegen weitere Zuwanderungen. Die Politiker und die Medien haben seit Jahren erfolgreich die Mär von den Kosten für die Flüchtlinge aufgebaut, heute versuchen einige halbherzig aber wenig glaubhaft dies zu revidieren. Ich schrieb darüber im Artikel „Die ich rief die Geister…“ deshalb führe ich das hier nicht weiter aus.
Ebenfalls hat ein großer Teil Angst vor Parallelgesellschaften und der Ghettobildung, auch hierfür hat die Politik viel getan. Meine Meinung dazu habe ich in „Petitionen unterschreibe ich nicht,“ dargestellt. Vieles davon bestätigte sich in den Gesprächen. Die Angst vor Asylbewerberheimen und der mit ihnen verbundenen spekulativen Gefahr hängt eben mit dem Ausschluss der Asylbewerber von der Gesellschaft zusammen. Ich zitiere mich mal selbst, auch wenn das schlechter Stil ist:
Wir füttern und kleiden sie und wir „bringen sie unter“. Sie sitzen vor dem Schaufenster, können sogar durch unsere Welt gehen – aber bitte nur als Zuschauer, nicht als Teilnehmer. Nach Jahren dieses Zustandes fordern wir dann eventuell gnädigerweise „Jetzt müsst Ihr teilnehmen! Aber dalli!“ Wie soll das funktionieren?
Mit diesem Zustand ist ja die Bildung von Parallelgesellschaften und Ghettos vorprogrammiert, denn wenn wir nichts mit ihnen zu tun haben wollen, dann gehen sie immer dorthin wo sie willkommen sind.
Als letztes noch einige Gedanken zur Islamisierung. Wenn meine GesprächspartnerInnen von dieser sprachen meinten sie meist weniger den rein religiösen (spirituellen) Aspekt. Sie meinten mehr die drohende Scharia mit Verschleierung, Todesstrafe, körperlichen Verstümmelungen und Ähnlichem. Schließlich ist der Koran auch ein Gesetzbuch, wie das Alte Testament übrigens auch. Diese Angst ist ebenfalls durch die Medien geschürt und in Einzelfällen durch Politik und Justiz, mittels Verdrängen der Probleme, geduldet. Die AnhängerInnen von Pegida & Co. vergessen oder verschweigen aber, dass viele Flüchtlinge vor den Auswirkungen der Scharia geflohen sind.
Die eigentliche Religion spielt nur insofern eine Rolle, als die Religiosität des muslimischen Bevölkerungsanteils (gefühlt?) größer ist als die des angeblich christlichen Anteils. Der Islam hat auch hier in Deutschland eine Sogwirkung auf junge Menschen, das liegt aber an unserer Gesellschaft – nicht am Islam an sich. Wie jede Religion gibt er (zu) klare und (zu) einfache Antworten. Die Rolle der christlichen Kirchen darf hier auch nicht vernachlässigt werden. Bei der steigenden Anzahl von Kirchenaustritten muss man die von Pegida proklamierten „christlichen Werte“ hinterfragen.
Dass die Angst in Gebieten mit geringem muslimischen Bevölkerungsanteil so stark ausgeprägt ist, verwundert mich nicht allzu sehr. Das Unbekannte macht mehr Angst als das Erlebte. Nicht zufällig fällt auch oft die Bemerkung „Jetzt kommen die auch hierher.“ Die Informationen wie es in Gebieten mit einem hohem muslimischen Bevölkerungsanteil zugeht kommt aus den Medien. Über deren Rolle schrieb ich schon oben.
Zurück zum Gedanken „Reden mit Pegida“, was bleibt übrig wenn es keine Ansprechpartner gibt?
„Alles Nazis!“ schreien hilft nicht, leuchtende Kreuze in die brennenden Kreuze des Ku-Klux-Clan umzudeuten ist kontraproduktiv und die Pegida-SympathisantInnen in den sozialen Netzwerken blockieren ist Blödsinn. Diese Maßnahmen verhärten die Fronten und geben den Thesen der Organisatoren der Bewegung und denen der rechten Parteien nur noch mehr Bedeutung.
Es bleibt nur eines für jede/n Einzelne/n zu tun: Redet mit den Menschen, sobald in eurem persönlichen Umfeld diese Thesen auftauchen. Im persönlichen Gespräch müssen wir die Vorbehalte und Ängste entkräften.
Es bringt nichts, wenn wir demonstrieren und blockieren aber im eigenen Umfeld den Mund halten.
Wir können, meiner Meinung nach, nur durch persönliche Gespräche Mensch für Mensch aus den Reihen der Pegida herauslösen.
Wir müssen unsere Forderungen nach einer menschenwürdigen Asylpolitik in den Vordergrund stellen. Momentan verteidigen wir eher die restriktive Asylpolitik der Bundesregierung. Das kann nicht unser Ziel sein.
Macht die Flüchtlinge zu Nachbarn in der Gesellschaft! Es fällt leichter anonyme Gruppen als eigene Nachbarn zu hassen.*
Hier bietet sich wirklich der Vergleich mit dem dritten Reich und der Judenverfolgung an. Der „Normalbürger“ akzeptierte die Deportation und Vernichtung der Juden widerspruchslos. Aber moralische Probleme hatte er, wenn zum Beispiel sein jüdischer Zahnarzt abgeholt wurde. Der war ja ein „Nachbar“ und somit anders als die anonymen Juden. Gewehrt hat sich der „Normalbürger“ nicht, er lebte in einer Diktatur und hatte Angst. Das müssen wir aber nicht auf die heutige Zeit übertragen.
P.S. Auch wenn zur Zeit behauptet wird, dass der Ossi (konkret der Sachse) ausländerfeindlicher ist als die Menschen in der alten Bundesrepublik, gebe ich doch, außer den oben genannten Gründen, folgendes zu bedenken. Möglicherweise haben sich die Organisatoren von Pegida & Co. auch den Osten ausgesucht, weil hier die Erinnerung der Bevölkerung noch frisch ist, dass Demonstrationen wirklich etwas bewirken können und nicht nur rituellen Charakter haben. Vielleicht könnten wir das ja auch mal durchdenken.
* Gedanken dazu habe ich mir im Artikel „Brauchen wir den Welttag gegen Rassismus?“ gemacht.