Sperrklausel – eine Betrachtung

Die Europawahl 2019 ist vorbei und wieder einmal wird die Einführung einer Sperrklausel für die nächste Europawahl gefordert. Diese würde künftig kleine Parteien aus dem Europaparlament ausschließen. Das ist für mich ein Grund über die Sperrklausel, besonders für die Wahlen zum Bundestag und für Landtagswahlen, nachzudenken.

Ein Blick ins Grundgesetz

Die gute Nachricht ist: Über eine Sperrklausel steht nichts im Grundgesetz. Der Artikel 38 sagt für die Wahl zum Bundestag folgendes aus:

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

Somit ist für Änderungen im Bundeswahlgesetz, welches die Sperrklausel in § 6 Abs. 3 enthält, nicht einmal eine Grundgesetz-Änderung notwendig. Für Landtagswahlen und Kommunalwahlen gelten Wahlgesetze mit oder ohne Sperrklausel.

Wahlen und Parteien

Die Aussage die das Grundgesetz zu den Parteien trifft, erscheint mir wichtig. Schließlich reden wir hier von den Parteien die Wahlkämpfe führen, als Regierungs- oder Oppositionsparteien agieren, die Koalitionen und Fraktionsgemeinschaften bilden – also von denen die das politische Leben dominieren. Dazu sagt das Grundgesetz im Artikel 21:

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.

Sie wirken mit – nicht „sie regieren das Land“, das tun sie erst, wenn sie gewählt sind.

Die Sperrklausel

Die Sperrklausel, bekannter als 5%-Hürde (BWG §6 Abs.3), wurde eingeführt um die Zersplitterung des Parlaments zu verhindern. Heute behindert sie neue Parteien mit anderen Organisationskonzepten, und nimmt WählerInnen-Stimmen ihr Gewicht. Bei der Bundestagswahl 2017 wurden durch die Sperrklausel 5% der abgegebenen gültigen Stimmen für die Sitzverteilung im Bundestag nicht berücksichtigt. Es ist ein Zufall, dass die Prozentzahl der nicht berücksichtigten Stimmen mit der 5%-Zahl der Sperrklausel übereinstimmt. Bei einem höheren oder niedrigeren Anteil der WählerInnen-Stimmen für Kleinparteien sieht das anders aus.

Wahlmathematik

5% der abgegebenen gültigen Stimmen, das klingt nach nicht viel. Betrachten wir aber das Ergebnis bei den Zweitstimmen (für die gilt ja die Sperrklausel), dann sieht das anders aus.

2017 haben 75,2% der wahlberechtigten BürgerInnen ihre Stimme abgegeben.
Das sind in Zahlen 46.973.799 Stimmen, davon waren 46.506.857 gültige Zweitstimmen, also geht es bei 5% um 2.325.343 WählerInnen deren Stimmen keinen Einfluss hatten.

Die Sperrklausel hatte sogar einen von den WählerInnen nicht gewollten Effekt. Die Anzahl und Verteilung der Sitze im Bundestag wird aus den gültigen Stimmen berechnet, nicht aus den Stimmen für die im Bundestag vertretenen Parteien. Im Klartext bedeutet das, dass unter Umständen z.B. die AfD von den Stimmen der MLPD-WählerInnen profitiert.

Argumente gegen die Sperrklausel

  1. Eine Nichtberücksichtigung von 2,3 Millionen Wählerstimmen ist, meines Erachtens nach, undemokratisch. Wie oben beschrieben könnten es ja auch mehr Stimmen sein, wenn der Stimmenanteil für Parteien die die Sperrklausel nicht überwinden ansteigt.
  2. Der wichtigere Punkt für mich ist: Die Sperrklausel hat in der Geschichte der Bundesrepublik dazu geführt, dass Themen so lange vernachlässigt werden bis eine Partei die diese aufnimmt und vertritt die 5%-Hürde überwindet.

Dazu möchte ich als Beispiel die Genese der Parteien „Die Grünen“ und AfD betrachten – die empfindlichen Seelen unter den LeserInnen scrollen bitte vor dem Lesen zum Disclaimer. Bei der Betrachtung ist mein Schwerpunkt darauf gelegt, dass die Entwicklung der Parteien hauptsächlich auf die „issue ownership“* – bei den Grünen für die Umweltpolitik und bei der AfD für das Migrationsthema** – zurückzuführen ist. Das erfolgreiche Agenda- Setting mit diesen Themen führte bei beiden Parteien zum Aufstieg.

Die Grünen

In den 1970ern bildete sich in Westdeutschland eine aktive Umweltbewegung heraus, die schlussendlich 1980 zur Gründung der Partei „Die Grünen“ führte. Nach der Niederlage 1980 bei der Bundestagswahl, dem Einzug 1983 mit 5,6 % der Zweitstimmen und der Steigerung bei der Wahl 1987 auf 8,3% war die Umweltpolitik im Parlament angekommen, wurde aber mit der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 wieder abgewählt. Die im Bundestag vertretenen Parteien konnten somit die Umweltpolitik weiter ignorieren. 1994 erfolgte der Wiedereinzug in den Bundestag und 1998 die erste Regierungsbeteiligung – erst jetzt nach rund 25 Jahren begannen die bis dato „großen Parteien“ also CDU/CSU, SPD und FDP sich für dieses Thema zu interessieren, zumindest verbal. Mit Beginn der „ewigen Regierung“ unter Kanzlerin Merkel trat das, über Absichtsbekundungen hinausgehende, Interesse an Umweltthemen bei dieser wieder in den Hintergrund. Es wurde erst wieder erweckt als nach „Fridays For Future“ und den rapide ansteigenden Beliebtheitswerten für „Die Grünen“ ein Rückgang der Wählerstimmen für CDU/CSU und SPD zu verzeichnen war.

Die AfD

Westdeutschland, also die Bundesrepublik vor der Vereinigung, war immer stolz darauf, dass es rechts von CDU/CSU und links von der SPD keine Parteien im Bundestag gab. Die Sperrklausel verhinderte das, außerdem betreuten besonders CDU/CSU das „reichsdeutsche“ Klientel wie die Vertriebenenverbände unter dem Label „Brauchtumspflege“. Alle hofften, dass mit den letzten Vertriebenen das Thema von selbst ausstirbt.
Rechte Parteien wie NPD, Republikaner usw. konnten mit der Sperrklausel erfolgreich aus dem Bundestag fern gehalten werden. Die einzige Ausnahme war die Wahlperiode 1953-1957, als der „Gesamtdeutsche Block“ die Sperrklausel überwand. Die WählerInnen-Stimmen für Revanchismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und sonstige rechte Tendenzen fielen somit nicht ins Gewicht und die Beschäftigung mit diesen Themen konnten die „großen Parteien“ ignorieren.

Hier ein Hinweis: Von 1957 bis 1983 war das „Biotop Bundestag“ drei Parteien, nämlich CDU/CSU, SPD und FDP, vorbehalten. Mit rechten Tendenzen in der Bevölkerung wollten diese sich nicht beschäftigen – der Feind stand im Osten und hieß Kommunismus.

Das klappte auch nach dem Einzug der Grünen und der PDS in den Bundestag, bis sich 2013 eine neue Partei gründete. Diese bezeichnete sich ursprünglich als Euro-kritisch, wurde aber bald zum Sammelbecken für alle rechten Tendenzen und knackte ab 2014 zuerst die Sperrklausel in Landesparlamenten und 2017 auch die für den Bundestag. Die in diesem Falle Jahrzehnte lange Verweigerung der parlamentarischen Auseinandersetzung mit den Rechten, die ohne Sperrklausel möglich und nötig gewesen wäre, ist einer der Gründe für den Erfolg dieser Partei.

Merke:

Themen werden für die im Parlament vertretenen Parteien erst interessant, wenn eine Partei, die die „issue ownership“* für dieses Thema besitzt, die 5%-Hürde überwunden hat. Das generelle Interesse der BürgerInnen spielt erst eine Rolle, wenn es durch eine Partei im Parlament vertreten wird – sind es mehrere kleine Parteien außerhalb des Parlamentes, dann wird das Thema weitgehend ignoriert.

Fazit:

Sowohl im Bundestag als auch in den Landesparlamenten hat die Sperrklausel dazu geführt, dass Tendenzen in der Bevölkerung so lange „übersehen“ werden, bis sich eine Partei findet die diese aufnimmt und WählerInnen-Stimmen von mehr als 5% generieren kann. Dann reagieren die in den Parlamenten vertretenen Parteien panisch und versuchen diese Themen aufzunehmen. Das hat nur mäßigen Erfolg, da die BürgerInnen dann oft lieber das Original wählen. Eine parlamentarische Auseinandersetzung mit kleinen Parteien – also mit wenigen Sitzen im Parlament – ist hier, meiner Meinung nach, der bessere Weg. Diese Auseinandersetzung verhindert, dass Themen ignoriert werden.

Der völlig falsche Weg ist es die Sperrklausel, wie von vielen Politikern gefordert, auch auf die Europawahl und sogar auf Kommunalwahlen auszuweiten.

Disclaimer:

Der Vergleich von „Die Grünen“ und AfD bezieht sich ausschließlich auf der Entwicklung der Parteien. Ein weiterer Vergleich wäre absurd. Ich will auch keine Rechten im Parlament – es ist aber die einzige Möglichkeit der Auseinandersetzung bevor es zu spät ist. In den Vergleichen habe ich „Die Linke“ nicht erwähnt, weil die Entstehungsgeschichte eine andere, nicht themenabhängige, ist. Die Piratenpartei, die ich selbst im Stadtrat Leipzig vertrete, habe ich ebenfalls nicht erwähnt. Ich habe mich auf die im Bundestag vertretenen Parteien konzentriert. Der Kampf gegen die Sperrklausel betrifft nicht nur die Piraten.

Anmerkungen:

*issue ownership: in der Politologie wird dieser Begriff oft gebraucht. Eine klare Definition dazu habe ich nicht gefunden, aber am besten trifft es wohl: „Der Besitz eines Themas als Problemlöser durch eine Partei oder eine/n PolitikerIn“. Elisabeth Günther, Emese Domahidi & Thorsten Quandt beschreiben es als: „Assoziation zwischen Partei und Thema – die Reputation einer Partei, in einem Themenbereich dominant zu sein, und die daraus abgeleitete, ihr zugeschriebene sachbezogene Kompetenz“ Ich verwende den Begriff, weil ich keinen kurzen und schlüssigen deutschen Begriff dafür gefunden habe.

** Das Migrationsthema ist natürlich nicht das einzige Thema der AfD. Auf diesem Thema beruht aber das Agenda-Setting der AfD. Monothematisch werden auch Sozialpolitik, Rentenpolitik und anderes immer wieder auf die „verfehlte Migrationspolitik“ der GroKo und besonders der Kanzlerin zurückgeführt.

Bildnachweis: unter CCO von succo auf Pixabay

Das verordnete Vergessen

Wenn das „digitale Vergessen“ einsetzt, werden wir das oft sehen.

Noch ist es nicht so weit, aber wir kommend dem „verordneten digitalen Vergessen“ Schritt für Schritt näher. Man möge mich für paranoid halten – der Versuch der Einführung von Upload-Filtern ist für mich ein Schritt hin zu einer „chinesischen Lösung“. Das hat zumindest im Osten Deutschlands eine ungute Tradition, so schwafelte Egon Krenz im September 1989, zum Höhepunkt der Montagsdemonstrationen, von einer solchen. Er meinte die Zerschlagung der Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens.

Digitales Vergessen

Digitale Medien sind heute ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation, Unterhaltung und der Information. Auch wenn wir sagen „Das Internet vergisst nie“, war es doch nie einfacher als heute Menschen zum Schweigen zu bringen. Man lässt sie den digitalen Tod sterben – so wie die chinesische Regierung die Bloggerin Mimeng (Ma Ling). Dem Spiegel war das einen Beitrag unter Personalien auf Seite 127 (14/2019) wert – die meisten Menschen haben davon nichts mitbekommen. Diese Art ist natürlich „eleganter“ als die saudi-arabische Variante – sie ist leise und unauffällig. In China ist das auf Grund der Möglichkeiten restriktiver Eingriffe in das Internet möglich. In Europa noch nicht.

Vergessen und Uploadfilter

Viele werden sagen „Das hat nichts miteinander zu tun“, ich meine aber doch. Der Staat bzw in diesem Falle die EU versucht mit der EU-Richtlinie zum Urheberrechtsschutz und anderen Gesetzen und Verordnungen, besonders zur Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung, den Einfluss auf Plattformen, Diensteanbieter und somit das Internet als Ganzes zu erlangen. Bisher zu Teilen ohne Sachkenntnis der Protagonisten, aber mit dem Ziel zu reglementieren und im Zweifelsfall zu verbieten. Instrumente wie Uploadfilter, auch Inhaltserkennungstechniken, und gesetzlicher Einfluss auf Diensteanbieter sind dabei hilfreich – also erwünscht.

Digitaler Tod und Vergessen

Für UserInnen ist es fast unmöglich einen selbstbestimmten digitalen Tod zu sterben und das vorherige digitale Leben in Vergessenheit geraten zu lassen. Das Internet vergisst nie, auf den Servern der Diensteanbieter liegt jeder Artikel, jeder Post – „Jeder Furz der im Internet gelassen wird“ ist für die Ewigkeit verfügbar. Bei einer unheiligen Allianz von Staaten und Diensteanbietern sähe das anders aus. Wie die argentinischen Militärs während der Diktatur entschieden welche Menschen „zu verschwinden haben“, so kann dann entschieden werden wen oder was wir „zu vergessen haben“. Bei aller Unmöglichkeit für einen „ selbstbestimmten digitalen Tod“ ist der „verordnete digitale Tod“ möglich.

Wehret den Anfängen

Es ist noch nicht soweit in Deutschland und Europa. Wir haben Demokratie, parlamentarische Kontrolle und wir haben Menschen die sich gegen diese Einschnitte wehren. Wir haben aber auch Menschen die eine Diktatur, egal welcher Coleur, wollen und Menschen denen die Konsequenzen aus ihrem Wahlverhalten nicht klar sind. Ich habe das im Header meines Blogs ausgedrückt, wozu die verschärften Instrumente des Staates letztendlich führen können.

Im 21. Jahrhundert braucht die Diktatur keine Bücherverbrennungen – sie brauchen die Entscheidung über das digitale Vergessen. Momentan schaffen demokratische Politiker dafür die Voraussetzungen.

Hier stehe ich – ich kann nicht anders:

Ich werde wieder die Piratenpartei bei der Europawahl wählen!

Ich kandidiere bei der Stadtratswahl in Leipzig für die Piratenpartei!

Gott helfe mir!*

* Martin Luthers Spruch schien mir passend, obwohl ich nicht gläubig bin.

Bildnachweis: under CCO by mcmurryjulie

Freiheit ein Euphemismus

Die Freiheit, die ich meine“ schrieb Max von Schenkendorff 1813 und hier beginnt schon mein Zweifel. Schrieb er wirklich „meine“ in der Bedeutung von „Meinung“, oder schrieb er „minne“ in der Bedeutung von „Die Freiheit, die ich liebe“?

Aber das nur nebenbei, es geht mir hier um die Begriffe „Freiheit“, „frei“ und die Ableitungen aus dem französischen Wort „Liberté“ – also Liberalismus und liberal.

In einem Gespräch wurde ich letztens gefragt, was eigentlich mit Neoliberalismus gemeint sei. Als ich sagte der Begriff sei ein Euphemismus musste ich erklären, was das nun wieder ist.

Also schreibe ich es hier mal auf.

Freiheit und frei

Wir gebrauchen die Worte gern um Werte zu beschreiben, so in Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freihandel oder auch für andere Aussagen wie Freibier. Gemeint ist immer „frei von Einschränkungen“, im Falle Freibier natürlich „frei von der Pflicht es zu bezahlen“.

Euphemistisch wird die Verwendung des Begriffes allerdings, wenn wir anfangen den Begriff „Meinungsfreiheit“ so auszulegen, dass jeder Mensch das Recht auf seine Meinung hat (was richtig ist) und das Recht auf „Widerspruchs-Freiheit“ besteht. Schlimmer wird es noch, wenn das „Recht auf Verteidigung der Meinung mit allen Mitteln“ eingefordert wird. Das ist dann das Ende des Diskurses, der Demokratie und auch der Freiheit.

Also gibt es entweder Meinungsfreiheit für alle oder Un-Freiheit. Rosa Luxemburg hat das in ihrem, leider meist verkürzt zitierten, Ausspruch auf den Punkt gebracht.

Freihandel

Dem Thema widme ich einen eigenen kurzen Absatz, ich habe es 2014 bereits ausführlich beschrieben. Das Wort ist ein Euphemismus, da es immer die Freiheit für den ökonomisch und auch militärisch Stärkeren beschreibt. Ob in den Opiumkriegen oder bei TTIP – es werden Interessen von Staaten oder Konzernen mit dem Wort „Frei“ umschrieben. Es geht nicht um den freien gleichberechtigten Handel zwischen Partnern. In diesen Kontext gehört auch die viel beschworene „Freiheit des Marktes“, die in der Endkonsequenz einen brutalen Verdrängungswettbewerb (besser wäre Kampf) fordert.

Liberalismus und liberal

In Deutschland gibt es eine Partei die sich „Freie Demokratische Partei“ (FDP) oder auch „Die Liberalen“ nennt. Laut dem Namen müssten also alle Menschen die die Freiheit wollen dieser angehören oder sie wählen. Da aber der Name nicht dem Programm entspricht, kann man ihn nur als Euphemismus bezeichnen. Diese Partei vertritt den Wirtschafts-Liberalismus, also die oben beschriebene „Freiheit des Marktes“. Dazu gehört die „Liberalisierung des Arbeitsmarktes“, die gleich doppelte Freiheit verspricht. Zum einen die Freiheit des Arbeitnehmers dorthin zu gehen wo er hin will – wenn man ihn dort nimmt – oder zu Grunde zu gehen. Zum anderen umschreibt der Begriff die Freiheit der Arbeitgeber von (fast) jeder Verantwortung für ihre Beschäftigten.

Die Umsetzung dieser „Freiheit“ überließ man aber gern der Arbeiterpartei SPD, die mit den HARTZ IV-Gesetzen die Liberalisierung des Arbeitsmarktes durchführte. Das führte zu einer Verminderung der Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig wuchs der Niedriglohnsektor überproportional.

Die Freiheit, die diese Liberalen meinen, ist „frei von staatlichen Beschränkungen“ und wird gern mit dem Euphemismus „Neoliberalismus“ bezeichnet.

Neoliberalismus

Ist der oben beschriebene Wirtschafts-Liberalismus ein Vertreter des freien Marktes, so steht der Neoliberalismus für die quasi Abschaffung des Staates in der Daseinsvorsorge für die BürgerInnen. Nicht allein die Partei des Namens „Die Liberalen“, auch andere Politiker stimmen in diesen Chor ein, voran der Wirtschaftsminister Peter Altmeier der in einem Spiegel-Interview sagte

„Der Staat ist ein lausiger Unternehmer.“

Wobei ein weiterer Euphemismus ins Spiel kommt, nämlich die Zuschreibung einer Qualifikation namens „Wirtschaftskompetenz“ für Politiker und Parteien. Dieser Begriff bedeutet nicht, dass die als solche bezeichneten ein Unternehmen erfolgreich führen könnten, oder in der Lage wären den von Altmeier geschmähten Staat zu verbessern. Er beschreibt nur die Fähigkeit den verbliebenen staatlichen Sektor meistbietend zu veräußern und somit Unternehmen größtmöglichen Profit, ohne Verantwortung für die Gesellschaft, zu garantieren.

Der Neoliberalismus und seine Vertreter werden gern und oft als konservativ beschrieben, was ebenso euphemistisch ist.

Konservativ

Das schöne Wort konservativ kommt vom lateinischen conservare „erhalten“, – was im Wortsinne mit haltbar machen und aufbewahren in Verbindung gebracht werden kann. Die gesellschaftspolitische Bedeutung ist allerdings „rückwärts gewandt“ – schade eigentlich, das Wort sagt viel mehr aus.

Ich sehe hier immer meine Oma vor mir, wie sie Erdbeeren, Kirschen, Apfelstücke und vieles andere zum Einkochen (das ist eine Form des Konservierens) vorbereitete. Wichtig war, das lernte ich schon als Kind, dass nur die besten Früchte oder Stücke verwendet wurden. Alles was beschädigt oder angefault war wurde sofort verzehrt oder entsorgt. Konservative Politik hätte für sie bedeutet, dass die Politiker den Zustand in dem sie sich am wohlsten gefühlt hatte erhalten oder wiederherstellen .

Die konservativen Politiker behaupten, sie würden „bewahren“ was sich als gut und nützlich für die Gesellschaft erwiesen hat. Sie sind aber nur selektiv konservativ. Sie wollen nicht das Bewahrenswerte für die Gesellschaft erhalten, sie wollen konservativ die Politik des Neoliberalismus fortsetzen. Sie führen eine Politik fort, die zum Ansteigen der Unternehmensgewinne bei gleichzeitigem (teilweise gefühlten) Absinken des Lebensniveaus großer Teile der Bevölkerung geführt hat.

Fazit

Im politischen Diskurs (so dieser geführt wird) ist Worten nicht zu trauen. Begriffe wie Freiheit, Liberalismus und Konservativismus umschreiben oft euphemistisch das Gegenteil.

Es wird Zeit für eine Rückkehr zur richtigen Verwendung der Begriffe.

Eine Anmerkung noch. Der Begriff „Alternative“, zumindest wie er heute von der Partei gleichen Namens gebraucht wird, ist kein Euphemismus. Er drückt präzise aus was er meint. Eine Alternative zum demokratischen Staat, zur freien Gesellschaft und zum Rechtsstaat – in der Ausprägung „Gleiches Recht für alle“ – bzw. einfach zu den Menschenrechten.

Bildnachweis:

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