Wenn die Diktatur wiederkommt, dann wird sie sagen: "Danke Demokratie, dass Du für mich die optimalen Voraussetzungen geschaffen hast." [Thomas Köhler]
Geht es zurück in die alte schlechte Arbeitswelt? Wenn man die Meldungen der letzten Wochen sieht, dann könnte man es glauben. Der „KPMG CEO Outlook“ 2023 stellt fest: „68 Prozent der deutschen Top-Entscheider gehen demnach davon aus, dass ihre Angestellten innerhalb der nächsten drei Jahre wieder Vollzeit ins Büro zurückkehren werden.“ Und sie würden die Mitarbeiter zum Teil befördern oder höher bezahlen, wenn sie ins Büro zurückkommen.
Den kompletten Artikel könnt ihr, wie immer kostenlos, in der Leipziger Zeitung lesen.
„Nachschub an notwendiger Ausrüstung kommt nicht an, weil die Produktionsstätten in Billiglohnländer outgesourct wurden und mit der Unterbrechung der Transportketten eine Stockung auftritt. […] Die Globalisierung, im neoliberalen kapitalistischen Sinne, zeigt ihre hässliche Fratze.“ [Auszug aus Der Staat]
Die Akteure im Wirtschaftssystem wurden durch die Corona-Krise darauf aufmerksam gemacht, dass Produktion und Transport die zu großen Teilen auf menschlicher Arbeitskraft beruhen störanfällig sind. Sie werden sich wohl überlegen, ob Digitalisierung und Automatisierung das lösen können. Eine etwas dystopische Betrachtung zu möglichen, aber eher unwahrscheinlichen, Änderungen.
Autarkie vs. Globalisierung
Auch wenn es bestechend erscheint, die Autarkie einer Volkswirtschaft ist keine Lösung für die Probleme die durch eine Pandemie entstehen. So kommen jetzt zwar reflexartig Forderungen nach der Produktion von Schutzkleidung und anderen Produkten im Inland, von Seiten der Politik, aber diese werden nach Corona schnell wieder verschwinden. Sie sind aus mehreren Gründen nicht realisierbar.
Die Errichtung oder Umstellung von Produktionsstätten im Inland für die dauerhafte Produktion würde eine Abnahmegarantie für diese Artikel benötigen, da sonst, also ohne Pandemie-Lage, eine Überproduktion entstünde und somit wieder die Stilllegung drohte.
Neue Unternehmen für diese Produktion würden anderswo dringend benötigte Fachkräfte binden.
Umstellung bestehender Produktionsanlagen führt zu höheren Importen der dann wegfallenden Produkte.
Es gibt noch mehr Probleme dabei, aber die genannten sollten die Herausforderungen ausreichend illustrieren.
Es hilft also nur eine ausreichende Lagerung für Extremfälle und die Sicherung der „Nachschublinien“, man verzeihe mir den militärischen Begriff aber er erschien mir passend. Selbstverständlich ist die Übertragung dieser Aufgaben an ortsansässige Kleinunternehmen vorstellbar, aber in der „Wachstumsgesellschaft“ sollen dies ja wachsen und exportieren, womit sich der Kreis sich wieder schließt.
Produktion
Wenn uns Corona etwas aufgezeigt hat, dann ist es die Anfälligkeit einer Wirtschaft die zu großen Teilen auf der menschlichen Arbeitskraft beruht. Das ist keine wirklich neue Erkenntnis, ob nun durch Streiks, Naturkatastrophen oder andere Ereignisse – die Produktion und der Vertrieb waren schon immer störanfällig wenn Menschen nicht an ihren Arbeitsplätzen waren. Die Ereignisse waren aber bisher nur kurzzeitig und forderten von den Unternehmen somit noch keine radikalen Lösungen. Corona, die erste wirkliche Pandemie im Industriezeitalter, ist anders weil die Zeitdauer und somit die Auswirkungen nicht absehbar sind.
Es wird sich also die Frage stellen:
Wie gewährleistet man die Produktion mit einem Minimum an Arbeitskräften?
Automatisierung und Digitalisierung
Die Frage stellt sich schon lange aber hier stellt sie sich neu. Bisher waren es reine Kostengründe, heute geht es um die Substanz des Wirtschaftssystems.
Ich war vorsichtig pessimistisch was die weitere Automatisierung und Digitalisierung der Volkswirtschaft betrifft, immerhin konnte man ja den Mindestlohnsektor immer weiter ausquetschen und weiter in Billiglohnländer auslagern – das ist aber aus oben genannten Gründen heute problematisch. Für die Büro- und Verwaltungs-MitarbeiterInnen wird sich das Homeoffice durchsetzen, für Entwickler, Konstrukteure und andere geeignete Berufsgruppen wird das voraussichtlich auch möglich sein und für die Produktion und die Lagerhaltung wird die Automatisierung in Form der „menschenarmen Fabrik/Lager“ eventuell Realität.
Wenn die Unternehmen das wollen, dann werden sie diesen Schritt gehen. Bisher wollten sie nicht.
Die daraus entstehenden gesellschaftlichen und sozialen Verwerfungen sind Stoff für spätere Artikel.
Der Transportsektor
Auch hier hat Corona gezeigt, dass der Verzicht auf Lager (Just in time) und die Konzentration auf den Schiffs- und LKW-Transport im Pandemiefall an Grenzen stößt.
Der Produktionsausfall in China machte sich 4 bis 6 Wochen später auf die Warenbestände in Europa bemerkbar und die Wiederaufnahme der Produktion und des Schiffsverkehrs bringt auch erst ca. 6 Wochen später sichtbare Ergebnisse. 4 bis 6 Wochen ist die durchschnittliche Zeit, die ein Containerschiff für die Route braucht.
Der LKW-Verkehr stockte, bzw kam fast zum Erliegen, als in Europa Grenzkontrollen mit Gesundheitsprüfungen durchgeführt wurden. Auch ohne massenhafte Infektion der KraftfahrerInnen war der grenzüberschreitende Warenverkehr in der EU nachhaltig gestört.
Der LKW-Verkehr zeigt hier, durch den hohen menschlichen Aufwand, der bisher durch geringe Löhne ausgeglichen wurde, seine Nachteile gegenüber dem weitgehend zurückgebauten Eisenbahnverkehr.
Ich gehe davon aus, dass auch hier ein Paradigmenwechsel stattfinden wird – hin (oder zurück) zum Schienentransport bis hin zu Langstrecken, wie der Schienenteil der neuen Seidenstraße. Besonders dadurch, dass auch hier ein hoher Automatisierungsgrad möglich ist, der bei Lösungen im Straßenverkehr, wie durch Platooning oder E-Autobahn, nicht erreicht werden kann.
Fazit:
Corona hat gezeigt, dass der Mensch als Arbeitskraft ein störender Faktor für die Wirtschaft im Falle einer Pandemie ist. Rein wirtschaftlich gesehen werden also Automatisierung und Digitalisierung mehr Bedeutung gewinnen um diesen Störfaktor auszuschließen. Mit den gesellschaftlichen und sozialen Konsequenzen – im Klartext heißt das: Das heutige Beschäftigungsmodell wird obsolet – müssen wir dann leben, oder wir finden eine menschliche Lösung. Es gibt natürlich viele Gründe die gegen einen solchen Umbau sprechen, einige davon – allerdings m.E.n. die entscheidenden – sind nicht auf den ersten Blick sichtbar. Dazu im nächsten Artikel mehr.
Die SPD fordert das „Recht auf mobiles Arbeiten und Homeoffice“ und begeht damit, meiner Meinung nach, den nächsten Schritt zum politischen Selbstmord. Das „Recht“ wird wohl bald zum neuen Geschäftsmodell werden und somit die Strukturen der Arbeiterschaft endgültig zerstören.
Homeoffice und das Kernklientel
Das Kernklientel der SPD war immer der klassische gewerkschaftlich organisierte Industriearbeiter – schade nur, dass die Anzahl dieser ArbeiterInnen immer weiter zurück geht. Die ehemalige Arbeiterpartei müsste sich also ein neues „Klientel“ erschließen und hat dabei, gemeinsam mit den Gewerkschaften, wenig Erfolg gehabt. Ich nehme hier meine Branche (die Callcenter-Branche) als Beispiel. Ungefähr eine halbe Millionen Beschäftigte arbeiten in Deutschland in Callcentern, die meisten in outgesourcten Bereichen, also bei Dienstleistungsunternehmen. Es ist den Gewerkschaften nicht oft gelungen in diesen Unternehmen Fuß zu fassen. Hier wäre ein neues Klientel für die SPD, aber weit verfehlt. Der nächste Schritt einer gewerkschaftliche Organisation zu verhindern heißt „mobiles Arbeiten und Homeoffice“.
Homeoffice und Organisation
In den Callcenter-Unternehmen war es schon schwierig Betriebsräte zu gründen (in einigen Unternehmen gibt es bis heute keine), mit der Einführung von Homeoffice würden auch die existierenden Betriebsräte zur Farce verkommen. Wenn die MitarbeiterInnen sich nicht mehr kennen, dann können sie auch keine Arbeitnehmervertretung, die diesen Namen verdient, wählen. Die Betriebsräte, wo vorhanden auch die Gewerkschaftsvertreter, hätten keinen Kontakt mehr zu den MitarbeiterInnen und müssten sich auf virtuelle Kontakte beschränken. Glaubhafter im Streitfall wäre dann die Aussagen des Arbeitgebers, der ja den Überblick hat. Die Homeoffice-ArbeiterInnen wären somit dem Arbeitgeber völlig schutzlos ausgeliefert.
Homeoffice und Kosten
Auf der Kostenseite wird das Homeoffice ein Gewinn für die Unternehmen. Natürlich werden sich viele Unternehmen an den Kosten für Hardware und eventuell auch für die Internetverbindung und Büroausstattung beteiligen. Die Kosten für den Heimarbeitsplatz werden allerdings steuerlich durch den Arbeitnehmer geltend gemacht – im Klartext „sie werden von der Allgemeinheit getragen“ – das Unternehmen kann seine Büroflächen verkleinern und Kosten sparen. Abgesehen davon entfallen auch die Kosten für freiwillige Sozialleistungen wie Jobtickets, Pausenversorgung und ähnliches. Der Krankenstand wird sich auch verringern, da sich die Ansteckungsgefahr verringert und die ArbeitnehmerInnen können ja ein krankes Kind im Homeoffice nebenbei betreuen.
Homeoffice – unversichert?
Wie sind ArbeitnehmerInnen eigentlich bei der Arbeit im Homeoffice versichert? Ich erinnere daran, dass sie bei der normalen Berufstätigkeit den Versicherungsschutz über die Berufsgenossenschaft, einschließlich der Arbeitswege, haben. Es ist noch nicht gelungen, dass ArbeitnehmerInnen auch in den Sanitärräumen der Firma, z.B. beim Toilettengang, versichert sind – wie soll das also im Homeoffice werden, wenn keine Unfallzeugen irgend einer Art da sind? Im Streitfalle wird das wohl zu Ungunsten der ArbeitnehmerInnen ausgehen. Am Ende werden sich die ArbeitnehmerInnen selbst versichern müssen. Wenn es denn eine Versicherung gibt die diese Risiken zu moderaten Beiträgen abdeckt.
Homeoffice und Überwachung
Um Homeoffice und die Forderung nach Datenschutz im Sinne der DSGVO in Übereinstimmung zu bringen wäre es erforderlich ArbeitnehmerInnen und das „Heim-Büro“ engmaschig zu überwachen. Das bedeutet in letzter Konsequenz auch eine Überwachung des privaten Bereiches. Unangekündigte Kontrollen durch den Arbeitgeber werden „erforderlich“ werden und auch durchgeführt. Am Ende werden die ArbeitnehmerInnen nicht mehr nur während der Arbeitszeit, sie werden, einschließlich ihrer Familien, durchgängig vom Arbeitgeber in Beschlag genommen. Es muss auch nicht mehr gefragt werden „Können Sie morgen mal x-Stunden zusätzlich arbeiten?“ – der Arbeitgeber kann ja voraussetzen, dass die ArbeitnehmerInnen zu Hause sind und „eben schnell mal kurz“ etwas erledigen können.
Wem nützt Homeoffice?
Die massenhafte Einführung von Homeoffice nützt nur den Unternehmen. Kostensenkung, flexible Arbeitszeiten der ArbeitnehmerInnen, Senkung von Ausfallzeiten und Überwachung der Beschäftigten sind nur in ihrem Sinne. Ob die Zeiteinsparung, durch Wegfall des Arbeitsweges, für die ArbeitnehmerInnen das rechtfertigt?
Fazit:
Mit der Forderung nach „Recht auf mobiles Arbeiten und Homeoffice“ begeht die ehemalige Arbeiterpartei SPD politischen Selbstmord. Aus dem „Recht“ resultiert am Ende ein neues Geschäftsmodell der Unternehmen, welches weder eine betriebliche noch eine gewerkschaftliche Organisation der ArbeitnehmerInnen zulässt. Somit macht die SPD den nächsten Schritt zur Abschaffung ihres Kernklientels.
Disclaimer: Homeoffice ist per se nichts Verwerfliches. Ich sehe aber in der Forderung nach dem Recht auf dieses eine weitere Möglichkeit der Schwächung der ArbeitnehmerInnen-Rechte. Vielleicht bin ich ja auch paranoid.