Wenn die Diktatur wiederkommt, dann wird sie sagen: "Danke Demokratie, dass Du für mich die optimalen Voraussetzungen geschaffen hast." [Thomas Köhler]
Die Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum neuen
Ministerpräsidenten von Thüringen ist für mich eine kalkulierte
Erpressung der Grünen und der SPD.
Einen Schritt
zurück, nachdem der „unabhängige“ Kandidat der AfD keine
Mehrheit bekam und für CDU und FDP eine erneute Wahl von Bodo
Ramelow drohte, entschloss sich Thomas Kemmerich in den Ring zu
steigen. Schande über Mike Mohring, er wusste, dass er gewonnen
hätte – die Stimmen von CDU, FDP und AfD wären ihm sicher gewesen
– aber den Shitstorm wollte er nicht in Kauf nehmen. Also kam ein
Stellvertreter, ich weiß nur nicht was ihn dazu bewog. Wie gesagt,
das Ziel von CDU und FDP war, meiner Meinung nach, nicht mit der AfD
zu koalieren – sie wollten „nur“ eine neue r2g-Regierung unter
einem Ministerpräsidenten der Linken verhindern.
Was sie dafür in
Kauf nahmen ist ein politisches Chaos.
Kommen wir nun zur Erpressung. Ich glaube nicht, dass CDU und FDP mit der AfD koalieren werden. Das können beide schon einem großen Teil ihrer Parteimitglieder nicht vermitteln – weder in Thüringen, geschweige denn in Deutschland. Es geht schon los, wenn Christian Lindner jetzt dazu aufruft, dass Linke, Grüne und SPD mit Kemmerich zusammenarbeiten sollen um letztendlich eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern. Das wäre einfacher gegangen – eine Haribo-Koalition mit rot/rot/grün/gelb wäre ja möglich gewesen. Diese wurde aber von der FDP abgelehnt.
Es bleibt also bei
der Aussage von Kemmerich, dass er mit Linken und AfD nicht regieren
will.
Somit erpresst man
jetzt Grüne und SPD dazu mit CDU und FDP (in welcher Konstellation
auch immer) zu koalieren.
Am Ende, denke ich,
wird es auch zu einer solchen Koalition kommen, die jetzt lauten
Stimmen einiger Politiker werden verstummen.
Die Europawahl 2019 ist vorbei und wieder einmal wird die Einführung einer Sperrklausel für die nächste Europawahl gefordert. Diese würde künftig kleine Parteien aus dem Europaparlament ausschließen. Das ist für mich ein Grund über die Sperrklausel, besonders für die Wahlen zum Bundestag und für Landtagswahlen, nachzudenken.
Ein Blick ins Grundgesetz
Die gute Nachricht ist: Über eine Sperrklausel steht nichts im Grundgesetz. Der Artikel 38 sagt für die Wahl zum Bundestag folgendes aus:
(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.
Somit ist für Änderungen im Bundeswahlgesetz, welches die Sperrklausel in § 6 Abs. 3 enthält, nicht einmal eine Grundgesetz-Änderung notwendig. Für Landtagswahlen und Kommunalwahlen gelten Wahlgesetze mit oder ohne Sperrklausel.
Wahlen und Parteien
Die Aussage die das Grundgesetz zu den Parteien trifft, erscheint mir wichtig. Schließlich reden wir hier von den Parteien die Wahlkämpfe führen, als Regierungs- oder Oppositionsparteien agieren, die Koalitionen und Fraktionsgemeinschaften bilden – also von denen die das politische Leben dominieren. Dazu sagt das Grundgesetz im Artikel 21:
(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.
Sie wirken mit – nicht „sie regieren das Land“, das tun sie erst, wenn sie gewählt sind.
Die Sperrklausel
Die Sperrklausel, bekannter als 5%-Hürde (BWG §6 Abs.3), wurde eingeführt um die Zersplitterung des Parlaments zu verhindern. Heute behindert sie neue Parteien mit anderen Organisationskonzepten, und nimmt WählerInnen-Stimmen ihr Gewicht. Bei der Bundestagswahl 2017 wurden durch die Sperrklausel 5% der abgegebenen gültigen Stimmen für die Sitzverteilung im Bundestag nicht berücksichtigt. Es ist ein Zufall, dass die Prozentzahl der nicht berücksichtigten Stimmen mit der 5%-Zahl der Sperrklausel übereinstimmt. Bei einem höheren oder niedrigeren Anteil der WählerInnen-Stimmen für Kleinparteien sieht das anders aus.
Wahlmathematik
5% der abgegebenen gültigen Stimmen, das klingt nach nicht viel. Betrachten wir aber das Ergebnis bei den Zweitstimmen (für die gilt ja die Sperrklausel), dann sieht das anders aus.
2017 haben 75,2% der wahlberechtigten BürgerInnen ihre Stimme abgegeben. Das sind in Zahlen 46.973.799 Stimmen, davon waren 46.506.857 gültige Zweitstimmen, also geht es bei 5% um 2.325.343 WählerInnen deren Stimmen keinen Einfluss hatten.
Die Sperrklausel hatte sogar einen von den WählerInnen nicht gewollten Effekt. Die Anzahl und Verteilung der Sitze im Bundestag wird aus den gültigen Stimmen berechnet, nicht aus den Stimmen für die im Bundestag vertretenen Parteien. Im Klartext bedeutet das, dass unter Umständen z.B. die AfD von den Stimmen der MLPD-WählerInnen profitiert.
Argumente gegen die Sperrklausel
Eine Nichtberücksichtigung von 2,3 Millionen Wählerstimmen ist, meines Erachtens nach, undemokratisch. Wie oben beschrieben könnten es ja auch mehr Stimmen sein, wenn der Stimmenanteil für Parteien die die Sperrklausel nicht überwinden ansteigt.
Der wichtigere Punkt für mich ist: Die Sperrklausel hat in der Geschichte der Bundesrepublik dazu geführt, dass Themen so lange vernachlässigt werden bis eine Partei die diese aufnimmt und vertritt die 5%-Hürde überwindet.
Dazu möchte ich als Beispiel die Genese der Parteien „Die Grünen“ und AfD betrachten – die empfindlichen Seelen unter den LeserInnen scrollen bitte vor dem Lesen zum Disclaimer. Bei der Betrachtung ist mein Schwerpunkt darauf gelegt, dass die Entwicklung der Parteien hauptsächlich auf die „issue ownership“* – bei den Grünen für die Umweltpolitik und bei der AfD für das Migrationsthema** – zurückzuführen ist. Das erfolgreiche Agenda- Setting mit diesen Themen führte bei beiden Parteien zum Aufstieg.
Die Grünen
In den 1970ern bildete sich in Westdeutschland eine aktive Umweltbewegung heraus, die schlussendlich 1980 zur Gründung der Partei „Die Grünen“ führte. Nach der Niederlage 1980 bei der Bundestagswahl, dem Einzug 1983 mit 5,6 % der Zweitstimmen und der Steigerung bei der Wahl 1987 auf 8,3% war die Umweltpolitik im Parlament angekommen, wurde aber mit der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 wieder abgewählt. Die im Bundestag vertretenen Parteien konnten somit die Umweltpolitik weiter ignorieren. 1994 erfolgte der Wiedereinzug in den Bundestag und 1998 die erste Regierungsbeteiligung – erst jetzt nach rund 25 Jahren begannen die bis dato „großen Parteien“ also CDU/CSU, SPD und FDP sich für dieses Thema zu interessieren, zumindest verbal. Mit Beginn der „ewigen Regierung“ unter Kanzlerin Merkel trat das, über Absichtsbekundungen hinausgehende, Interesse an Umweltthemen bei dieser wieder in den Hintergrund. Es wurde erst wieder erweckt als nach „Fridays For Future“ und den rapide ansteigenden Beliebtheitswerten für „Die Grünen“ ein Rückgang der Wählerstimmen für CDU/CSU und SPD zu verzeichnen war.
Die AfD
Westdeutschland, also die Bundesrepublik vor der Vereinigung, war immer stolz darauf, dass es rechts von CDU/CSU und links von der SPD keine Parteien im Bundestag gab. Die Sperrklausel verhinderte das, außerdem betreuten besonders CDU/CSU das „reichsdeutsche“ Klientel wie die Vertriebenenverbände unter dem Label „Brauchtumspflege“. Alle hofften, dass mit den letzten Vertriebenen das Thema von selbst ausstirbt. Rechte Parteien wie NPD, Republikaner usw. konnten mit der Sperrklausel erfolgreich aus dem Bundestag fern gehalten werden. Die einzige Ausnahme war die Wahlperiode 1953-1957, als der „Gesamtdeutsche Block“ die Sperrklausel überwand. Die WählerInnen-Stimmen für Revanchismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und sonstige rechte Tendenzen fielen somit nicht ins Gewicht und die Beschäftigung mit diesen Themen konnten die „großen Parteien“ ignorieren.
Hier ein Hinweis: Von 1957 bis 1983 war das „Biotop Bundestag“ drei Parteien, nämlich CDU/CSU, SPD und FDP, vorbehalten. Mit rechten Tendenzen in der Bevölkerung wollten diese sich nicht beschäftigen – der Feind stand im Osten und hieß Kommunismus.
Das klappte auch nach dem Einzug der Grünen und der PDS in den Bundestag, bis sich 2013 eine neue Partei gründete. Diese bezeichnete sich ursprünglich als Euro-kritisch, wurde aber bald zum Sammelbecken für alle rechten Tendenzen und knackte ab 2014 zuerst die Sperrklausel in Landesparlamenten und 2017 auch die für den Bundestag. Die in diesem Falle Jahrzehnte lange Verweigerung der parlamentarischen Auseinandersetzung mit den Rechten, die ohne Sperrklausel möglich und nötig gewesen wäre, ist einer der Gründe für den Erfolg dieser Partei.
Merke:
Themen werden für die im Parlament vertretenen Parteien erst interessant, wenn eine Partei, die die „issue ownership“* für dieses Thema besitzt, die 5%-Hürde überwunden hat. Das generelle Interesse der BürgerInnen spielt erst eine Rolle, wenn es durch eine Partei im Parlament vertreten wird – sind es mehrere kleine Parteien außerhalb des Parlamentes, dann wird das Thema weitgehend ignoriert.
Fazit:
Sowohl im Bundestag als auch in den Landesparlamenten hat die Sperrklausel dazu geführt, dass Tendenzen in der Bevölkerung so lange „übersehen“ werden, bis sich eine Partei findet die diese aufnimmt und WählerInnen-Stimmen von mehr als 5% generieren kann. Dann reagieren die in den Parlamenten vertretenen Parteien panisch und versuchen diese Themen aufzunehmen. Das hat nur mäßigen Erfolg, da die BürgerInnen dann oft lieber das Original wählen. Eine parlamentarische Auseinandersetzung mit kleinen Parteien – also mit wenigen Sitzen im Parlament – ist hier, meiner Meinung nach, der bessere Weg. Diese Auseinandersetzung verhindert, dass Themen ignoriert werden.
Der völlig falsche Weg ist es die Sperrklausel, wie von vielen Politikern gefordert, auch auf die Europawahl und sogar auf Kommunalwahlen auszuweiten.
Disclaimer:
Der Vergleich von „Die Grünen“ und AfD bezieht sich ausschließlich auf der Entwicklung der Parteien. Ein weiterer Vergleich wäre absurd. Ich will auch keine Rechten im Parlament – es ist aber die einzige Möglichkeit der Auseinandersetzung bevor es zu spät ist. In den Vergleichen habe ich „Die Linke“ nicht erwähnt, weil die Entstehungsgeschichte eine andere, nicht themenabhängige, ist. Die Piratenpartei, die ich selbst im Stadtrat Leipzig vertrete, habe ich ebenfalls nicht erwähnt. Ich habe mich auf die im Bundestag vertretenen Parteien konzentriert. Der Kampf gegen die Sperrklausel betrifft nicht nur die Piraten.
Anmerkungen:
*issue ownership: in der Politologie wird dieser Begriff oft gebraucht. Eine klare Definition dazu habe ich nicht gefunden, aber am besten trifft es wohl: „Der Besitz eines Themas als Problemlöser durch eine Partei oder eine/n PolitikerIn“. Elisabeth Günther, Emese Domahidi & Thorsten Quandt beschreiben es als: „Assoziation zwischen Partei und Thema – die Reputation einer Partei, in einem Themenbereich dominant zu sein, und die daraus abgeleitete, ihr zugeschriebene sachbezogene Kompetenz“ Ich verwende den Begriff, weil ich keinen kurzen und schlüssigen deutschen Begriff dafür gefunden habe.
** Das Migrationsthema ist natürlich nicht das einzige Thema der AfD. Auf diesem Thema beruht aber das Agenda-Setting der AfD. Monothematisch werden auch Sozialpolitik, Rentenpolitik und anderes immer wieder auf die „verfehlte Migrationspolitik“ der GroKo und besonders der Kanzlerin zurückgeführt.
1. Der Westen* konnte nicht aufhören zu siegen. (G.Gysi)
2. Der Westen übernahm das Narrativ vom „Sieger der Geschichte“.
Jetzt stellen wir fest: Der Westen hat sich zu Tode gesiegt und die Gesellschaft destabilisiert.
Eine Betrachtung aus Sicht eines geborenen Ossis, der jetzt ein „Nicht wissend zu welcher Gesellschaft Gehörender“ ist.
Sieger und Verlierer
War es denn ein Sieg des Westens über den Osten – also des Kapitalismus über den „real existierenden Sozialismus“**?
Im klassischen, also kriegerischen, Sinn war es kein Sieg – es wurden keine militärischen Siege errungen und Niederlagen erlitten. Es war ein moralischer und ökonomischer Sieg der Demokratie über die „Diktatur des Proletariats“ und ein Sieg der sozialen Marktwirtschaft über die „zentrale Planwirtschaft“. Errungen wurde der Sieg – sprich der Zerfall der DDR – nicht von der Bundesrepublik, er wurde von fortschrittlichen Kräften in der DDR errungen, die sich dem stagnierenden und rückläufigen System entgegenstellten.
Sieger war aber der Westen – er erklärte sich dazu, aus gutem Grund.
Die Initiatoren des Sieges wollten nämlich nicht den Westen – sie wollten eine bessere DDR. Erst nach dem Zerfall der Staatsmacht kamen die Parolen von der Wiedervereinigung.
Propaganda der Sieger
Der Westen erklärte sich also zum Sieger und begann sofort damit, die Propaganda des kalten Krieges fortzusetzen und den neuen Gegebenheiten anzupassen.
Um das zu verstehen, gehen wir auf den Umgang der Sieger im 2. Weltkrieg mit den Besiegten zurück. Die Sowjetunion propagierte ihren Sieg meist als Sieg über einen übermächtigen Feind, der nur mit äußerster Anstrengung und unter großen Opfern zurückgeschlagen werden konnte – Ein stolzer Sieger über einen starken Feind. Die westlichen Mächte machten sich gern über die Nazis lustig, der Sieg war eigentlich logisch – in vielen Filmen und Büchern fragte man sich, warum es so lange dauerte.
Genau diese Art der Erzählung übernahm nun der Sieger gegenüber der DDR. Es war alles schlecht, alles grau, Ineffektivität der Wirtschaft bedeutete Faulheit des Ossis, Kinderbetreuung war schlecht, weil schon die Kleinsten indoktriniert wurden und so weiter und so fort.
Ergo: Im Osten gab es nichts Bewahrenswertes – Alles musste umgestaltet werden. Die Treuhandgesellschaft und der Zerfall der Wirtschaft im Osten sind Geschichte.
Die gute Nachricht war: Wer arbeiten und gut leben will, der muss in den Westen kommen.
Fazit: Den Besiegten demütigen und klein halten, auch im Umgang mit der GUS (also Russland), verfolgte man von Anfang an diese Strategie.
Der „Sieger der Geschichte“ konzentrierte sich auf alles, was nach Kommunismus roch – also auf links – als Gegner.
Sieger im eigenen Land
Der Sieg erstreckte sich aber nicht auf den Osten – auch im Westen verstummten die Stimmen, die eine Veränderung der Gesellschaft forderten. Der Kapitalismus wurde „alternativlos“ und ließ alle Hemmungen fallen. Die „freigesetzten“ Arbeitskräfte im Osten wurden im Westen zum Druckmittel gegenüber Arbeitnehmern und Gewerkschaften bei Gehaltsrunden. Die Kosten für den Osten, die oft bewusst verursacht waren, wurden als Grund für Einsparungen propagiert – „Wir würden ja gern, aber erst mal müssen wir den Osten wieder aufbauen!“ – wurde zum Totschlag-Argument, für ausgefallene Investitionen und für Einsparungen besonders im Sozialbereich, bis in die Kommunalpolitik hinein. Dem Bürger im Westen (Wessi) wurde Opferbereitschaft, dem Im Osten (Ossi) Dankbarkeit abverlangt. Und alle mussten die „Zähne zusammenbeißen“ – obwohl die Wirtschaft und die Unternehmensgewinne ständig wuchsen. Es wurde als alternativlos propagiert, dass eben jene Unternehmen ständig Vergünstigungen benötigten, um im Osten zu investieren – dort Gewinne zu erzielen – und dann mit der Drohung „Wir müssen weiter nach Osten gehen, um rentabel zu arbeiten“ weitere Vergünstigungen einzufordern und zu erhalten.
Daraus resultiert die noch heute anhaltende Spaltung in Ost und West in unserem Land, die sich auch so schnell nicht auflösen lässt. Aber es fand sich ein neuer Feind.
Der „Sieger der Geschichte“ unterwarf alle Teile der Gesellschaft dem puren Effektivitätswahn und dem Profitstreben.
Sieger in Europa
Die Bundesrepublik, also der Westen, hatte ja nicht nur über die DDR gesiegt – die DDR-Bürger hatten ja das „Gesellschaftssystem: Bundesrepublik“ als überlegen anerkannt, was die neue größere Bundesrepublik auch in Europa an die Spitze katapultierte.
Dieser Sieg bedeutete auch das Ende des Euro-Kommunismus, also der bis dahin starken Kommunistischen Parteien besonders in Frankreich und Italien, und somit wurde der entfesselte Kapitalismus im Gewande des „Wirtschaftsliberalismus“ zur europäischen Doktrin. Selbst die alte Arbeiterpartei SPD nahm das Wort Sozialismus weitgehend aus ihrem Sprachgebrauch. Unter dem „Genossen der Bosse“ schloss sie sich dem Wirtschaftsliberalismus an, was zu Hartz IV, massenhafter Leiharbeit und prekären Arbeitsverhältnissen führte.
Die Währungsunion mit dem EURO wurde, wider besseren Wissens, der Wirtschafts- und Steuerunion vorgezogen – mit allen daraus resultierenden Problemen. Das EU-Parlament wurde weitestgehend entmachtet, besser gesagt fast machtlos gegründet und die EU unter die Herrschaft der Bürokratie und der Konzerne gestellt. Am schlimmsten daran war und ist der Kommunikations-GAU zwischen EU und EU-Bürgern, der dazu führte, dass die Menschen sich mit der EU und selbst mit der Idee der europäischen Einheit nicht identifizieren – zumindest nicht mit dieser Art EU.
Es fanden sich Parteien und Politiker, die dieses Unverständnis ausnutzten und sich „euroskeptizistisch“ nannten. Sie stellten die EU, besonders den EURO, als Feind dar und begannen den Nationalismus als Allheilmittel zu predigen – Sie fanden Anhänger.
Dass sie diese besonders im Osten fanden, verwundert mich nicht. Der „gemeine Ossi“ – kurze Zeit gefühlter Sieger über die DDR-Führung – dann gefühlter Verlierer der Deutschen Einheit wollte mal wieder siegen und hier war eine Chance.
Dieser „Euroskeptizismus“ musste natürlich bekämpft werden. Fazit war, dass sich Deutschland , besonders in der Griechenland-Krise, als „Zuchtmeister Europas“ darstellte – was die „Skeptiker“ im eigenen Land nicht beruhigte aber die EU-Müdigkeit in anderen Ländern beförderte.
Der „Sieger der Geschichte“ verteidigte seine Idee von Europa – als profitables Konglomerat – statt ein Europa für die Menschen zu befördern. Wichtig ist: An dieser Stelle begann der Weg des Siegers in die Defensive.
Der Sieger und die „Flüchtlingskrise“
Es kam das Jahr 2015 – die geflüchteten Menschen und der Terror. Hier sind zwei zeitlich verbundene, aber sachlich getrennte Ereignisse zu sehen. Auf der einen Seite sahen wir geflüchtete Menschen aus Kriegsgebieten im Nahen Osten durch Europa irren – auf der anderen Seite begingen Menschen aus den selben Gebieten Terroranschläge in Europa. Ich erinnere hier nur an den Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris. Ich stelle hier fest: Die geflüchteten Menschen flohen eben vor den Menschen, die diese Anschläge begingen!
Eben das ist die sachliche Trennung: Die geflüchteten Menschen – zumindest der überwiegende Teil – waren und sind keine Terroristen. Die Bundeskanzlerin beschloss, dass die Grenzen der Bundesrepublik nicht geschlossen wurden – sie wurden nicht geöffnet, sie blieben offen – und dass Deutschland den geflüchteten Menschen humanitär gegenüber steht. Gleichzeitig ergab sich die Chance, die anlasslose Überwachung der Bevölkerung – auf Grund der Terrorgefahr – endlich umzusetzen. Bestrebungen gab es ja bereits lange. Der Bevölkerung mussten nur zwei Thesen vermittelt werden:
1. Unter den geflüchteten Menschen könnten sich Terroristen einschleichen.
2. Durch die Unterstützung der geflüchteten Menschen wird Deutschland zum Terrorziel für deren Gegner.
Dass damit alle geflüchteten Menschen unter Generalverdacht gestellt wurden, war ein akzeptabler Kollateralschaden.
Hier sei eingefügt, dass der „Sieger der Geschichte“ – sprich der „marktliberale (entfesselte) Kapitalismus“ – in den geflüchteten Menschen von vornherein eine Chance auf zusätzlichen Profit sah. Entgegen der landläufige Meinung, dass diese nur Kosten verursachen, sah der Sieger: „Der Staat gibt Geld für Unterbringung, Kleidung und Verpflegung aus – das füllt unsere Kassen. Also machen wir Profit.“ Dem Bürger wurde erneut, wider besseres Wissen, Opferbereitschaft abverlangt, die neue Ausrede waren „Die Kosten der Flüchtlingskrise sind enorm“ und die bisherigen „Euroskeptiker“ wandelten sich in Gegner der Flüchtlingspolitik und begannen mit allen Mitteln (bis hin zur Verbrüderung mit Neonazis) diese vermeintlich schlechte Politik – in Wahrheit die geflüchteten Menschen – zu bekämpfen.
Der „Sieger der Geschichte“ wurde endgültig zum „Getriebenen der Ereignisse“, die er nicht mehr beherrschte. Jahrelang auf „dem rechten Auge blind“ musste er sich jetzt gegen diese Seite wenden. Er tat das, indem er auf dem Drahtseil tanzte: Einerseits versprach er so viele geflüchtete Menschen abzuschieben, andererseits wollte er die Integration befördern. Das ist aber weder für rechts noch für links akzeptabel.
Der Sieger in der Klemme
Mein Mitleid mit dem „Sieger der Geschichte“, den ich für mich als den marktliberalen (entfesselten) Kapitalismus identifiziert habe, hielte sich in Grenzen – wenn nicht unsere Gesellschaft darunter zu zerbrechen drohte. Der „Sieger der Geschichte“ und seine Bestrebungen sind längst die Doktrin unseres Staates und unserer Regierung geworden.
Parteipolitik ist zum „Starren auf Umfragewerte vor Wahlen“ verkommen – kurzfristige, meist nicht durchdachte, Reaktionen auf steigende oder fallende Umfragewerte sind die Folge. Besonders die, in den letzten Jahren steigenden, Werte der fremdenfeindlichen Partei werden zu untauglichen Versuchen, wie der Abschiebung von 69 geflüchteten Menschen zum 69, Geburtstag des Innenministers, die Lage zu entschärfen benutzt. Die Thesen dieser Partei erhalten eine Wertigkeit in Medien und Politik die der Zahl ihrer Mitglieder und „festen Anhängerschaft“ in keiner Weise angemessen ist.
Die Politik hat vor dem „Sieger der Geschichte“ kapituliert – Es ist eine Frage der Zeit, wann die Bevölkerung vor der Demokratie kapituliert und sich eine Diktatur wählt.
Die „Sieger der Geschichte“ – die Vertreter des entfesselten Kapitalismus – werden auch dort überleben – andere nicht.
*Mit Westen ist hier der „Sieger der Geschichte“ gemeint, wer das für mich ist erkläre ich im Atikel. **Wenn ich „real existierender Sozialismus“ statt Sozialismus in meinen Texten verwende, dann ist das Absicht. Ich meine: Es gab noch keinen Sozialismus. Bildnachweis: Unter CCO Creativ Commons by succo