Sonn- und Feiertagsarbeit im Callcenter

Bei diesem Thema stehe ich, wie man so sagt, zwischen Baum und Borke.

Was ist geschehen?

Ver.di und zwei evangelische Gemeindeverbände hatten gegen die Sonn- und Feiertagsarbeit in Hessen geklagt und das Bundesverwaltungsgericht gab ihnen mit Urteil vom 26.11.2014 Recht. Ich habe bereits darüber geschrieben. Jetzt kämpft der Branchenverband gegen eine Ausweitung des Verbotes auf ganz Deutschland.

Meine Meinung dazu

Als Arbeitnehmer, in meinem Falle Callcenter-Agent, möchte ich einerseits gern jeden Sonntag und die Feiertage mit der Familie verbringen. Andererseits sind die Ausgleichstage in der Woche angenehm, ich kann ohne den üblichen Zeitdruck durch Öffnungszeiten viele Dinge entspannt erledigen.

Als Betriebsrat sehe ich selbstverständlich die familiären Belastungen der MitarbeiterInnen, besonders derer mit Kindern. Ich sehe natürlich auch die Probleme, die für den Arbeitgeber bei einem Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit entstehen würden.

Überhaupt keine Zweifel habe ich als Kunde. Da bin ich mir sicher, dass diese Callcenter am Sonntag arbeiten sollen. Wenn ich nämlich in einer „normalen“ Firma arbeite habe ich ja am Samstag Zeit einzukaufen und am Sonntag kann ich mich dann telefonisch um Probleme kümmern.

Gesetzliche Grundlage der Sonn- und Feiertagsruhe

Ich möchte hier kurz auf die Grundlage des allgemeinen Verbots der Sonn- und Feiertagsarbeit eingehen. Hilfreich dabei ist, dass der Deutsche Bundestag am 18.02.2016 endlich einen Großteil der rund 4.000 Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes aus den Jahren 2005 bis 2015 ins Netz gestellt hat. In „Der Sonn- und Feiertagsschutz für Beschäftigte“ vom 27.11.2014 (Nr. WD 6-3000-217/14) wird die Regelung im Arbeitszeitgesetz historisch abgeleitet und bis zu den neuesten Urteilen betrachtet. Ich werde mich in der Folge auf diese Ausarbeitung beziehen.

Im Jahre 1919 verabschiedete die Weimarer Nationalversammlung Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) mit dem Wortlaut: “Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt”. Seither genießen die Sonn- und Feiertage ausdrücklich verfassungsrechtlichen Schutz, denn Art. 139 WRV gilt noch heute in unveränderter Fassung über Art. 140 Grundgesetz (GG) fort. [ebenda S.4]

Dieser grundgesetzlich verankerte Schutz wird über das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) in den Paragraphen 9 bis 15 geregelt, verantwortlich für die Durchsetzung und Ausnahmeregelungen sind die Bundesländer.

Soweit zu den gesetzlichen Regelungen, ich möchte das nicht weiter ausführen. Bei Interesse empfehle ich das oben verlinkte Dokument, welches auf nur 18 Seiten eine gute Zusammenfassung enthält.

Ein Hinweis noch: Die Ruhe an Sonn- und Feiertagen diente unter anderem der „seelischen Erhebung“, das war eine Forderung der Amtskirchen. Das ist in einem säkularen Staat, meines Erachtens nach, keine Grundlage für ein Gesetz.

Wer arbeitet an Sonn- und Feiertagen?

Wie viele Arbeitnehmer arbeiten eigentlich an Sonn- und Feiertagen in Deutschland? Auch hierauf hat die Ausarbeitung eine Antwort.

In der Gesamtbetrachtung aller Erwerbstätigen (einschließlich der selbstständig Tätigen und der Auszubildenden) waren 2013 bei insgesamt 39,618 Millionen Erwerbstätigen 11,107 Millionen von Sonn- und/ oder Feiertagsarbeit betroffen, dies entspricht einem Prozentsatz von 28,04%. Hierbei finden jedoch auch diejenigen Erwerbstätigen Berücksichtigung, die lediglich „gelegentlich“ Sonn- und/oder Feiertagsarbeit nachgehen – diese belaufen sich in absoluten Zahlen auf 5,312 Millionen Erwerbstätige. [ebenda S.4]

Rund ein Viertel der Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten also zumindest gelegentlich an Sonn- und Feiertagen und deren Anteil wächst ständig. Geht man davon aus, dass ungefähr drei Viertel der Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor tätig sind, ist das Wachstum wohl auch größtenteils diesem Sektor zuzuweisen.

Aus eigener Erfahrung können wohl alle bestätigen, dass wir die Dienstleistungen gern auch an Sonn- und Feiertagen in Anspruch nehmen wollen, leisten sollen diese Dienste aber möglichst andere.

Bezahlung für Arbeit an Sonn- und Feiertagen

Hier komme ich erstmalig auf die Callcenter zu sprechen. Die Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit sind nicht gesetzlich geregelt, es gibt nur Obergrenzen für die Steuerfreiheit gemäß Einkommenssteuergesetz (EStG) § 3b. Eine generelle Regelung für die Branche wäre in einem Tarifvertrag zu fassen. Diesen gibt es aber nicht, da mangels eines Arbeitgeberverbandes einer der Tarifpartner fehlt. Das hat die Auswirkung, dass Zuschläge in verschiedener Höhe oder auch keine Zuschläge gezahlt werden. Hier beziehe ich mich auf eigene Erfahrungen aus drei Callcentern und auf Erfahrungsberichte anderer AgentInnen.

Wahrscheinlich ist dieser Mangel einer der Gründe, warum AgentInnen die Klage von ver.di unterstützen. In vielen Callcentern haben die Beschäftigten keinen Anreiz für Sonn- und Feiertagsarbeit.

Ausnahmen vom Verbot

Die Ausnahmen sind vom Gesetzgeber eng gefasst und in §§ 10 bis 15 ArbZG festgelegt. Für die Callcenter-Branche kommt wohl nur die Ausnahme gem. § 13.5 in Betracht, so argumentiert auch der Branchenverband.

(5) Die Aufsichtsbehörde hat abweichend von § 9 die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zu bewilligen, wenn bei einer weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten und bei längeren Betriebszeiten im Ausland die Konkurrenzfähigkeit unzumutbar beeinträchtigt ist und durch die Genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit die Beschäftigung gesichert werden kann.

Ist diese Ausnahme zutreffend?

Meiner Meinung nach ist sie zutreffend. Hier nochmals kurz zur Erklärung des Begriffs Callcenter, wie ich in einem früheren Artikel geschrieben habe:

Zusammenfassend gesagt, ist ein Callcenter ein „Telefon-Beratungszentrum“. Der Begriff sagt nichts weiter aus, schon gar nicht, ob es sich um eine Einrichtung eines Anbieters oder um einen externen Dienstleister handelt.

Die meisten großen Anbieter, die also als Auftraggeber der externen Callcenter fungieren und auch viele große externe Dienstleister sind bereits international aufgestellt. Das lässt mich befürchten, dass diese im Falle eines generellen Verbots der Sonn- und Feiertagsarbeit Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Selbst wenn das nur für die Zeiten an Sonn- und Feiertagen gelten würde, hätte es Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation in Deutschland. Für eine 6-Tage Arbeitswoche braucht man eine geringere Anzahl an Arbeitskräften als für eine 7-Tage Woche. Die betriebswirtschaftliche Berechnung des Arbeitskräftebedarfs möchte ich hier nicht ausführen.

Dabei wird es aber nicht bleiben. Wenn sich Callcenter im Ausland für den deutschen Markt etabliert haben, dann werden sie auch weitere Arbeitszeiten abdecken. Lockere Arbeitszeitregelungen, keine oder geringere Arbeitnehmermitbestimmung werden das für die Auftraggeber und die Callcenter-Betreiber attraktiv erscheinen lassen. Nur als Hinweis: Wir reden über eine Branche mit über einer halben Million Arbeitsplätzen.

Fazit

Ich persönlich, als Callcenter-Agent, bin für die Weiterführung der Sonn- und Feiertagsarbeit im Callcenter.

Als Betriebsrat und auch persönlich sehe ich erforderliche Verbesserungen durch die Arbeitgeberseite. Das sind zum Beispiel einheitliche Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit, die sich an der oberen Grenze der Steuerfreiheit orientieren sollten und natürlich eine sozial verträgliche und familienfreundliche Gestaltung der Dienstpläne. Letzteres lässt sich in jedem Callcenter durch die Verantwortlichen gestalten.

Für die erste Forderung ist aber, meiner Meinung nach, die Gründung eines Arbeitgeberverbandes als Tarifpartner der Gewerkschaften und der Abschluss eines Tarifvertrags für Callcenter erforderlich. Das ist aber wohl nicht zu erwarten, wenn ich die Verlautbarungen des Call Center Verbands (CCV) lese.

Vorteilhaft wäre ein guter Tarifvertrag auf jeden Fall. Er würde die Arbeitnehmer ins Boot der Arbeitgeber gegen das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit holen und somit auch den Gewerkschaften den Grund für weitere Klagen nehmen.

P.S. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit bei den benannten erforderlichen Verbesserungen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass ein Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit auch das Bestreben der Branche nach automatisierten Lösungen wachsen lässt. Das wiederum kostet ebenfalls Arbeitsplätze.

Sonntagsarbeit im Callcenter – ich bin enttäuscht!

Einleitend sei gesagt, dass ich nicht unbedingt Sonntags arbeiten will – ich bin schließlich am unteren Ende der Nahrungskette im Callcenter – aber ich sehe die Probleme, die mit einem Verbot der Sonntagsarbeit auf uns zukommen.

Umso mehr enttäuschen mich sowohl die Branchenvertreter als auch die Gewerkschaft ver.di.

Auch wenn der zuständigen ver.di Bundesfachgruppenleiter Ulrich Beiderwieden im Interview mit callcenterprofi.de den arbeitsfreien Sonntag als „soziale Errungenschaft, … Tag der Ruhe und Erholung“ deklarierte und als unverzichtbar bezeichnete, so ist für mich die Klage von ver.di Hessen gemeinsam mit der evangelischen Kirche Hessen-Nassau unverständlich.

Die soziale Errungenschaft der letzten Jahrzehnte war der arbeitsfreie Samstag – also die 40-Stunden-Woche. Die Gewerkschaften forderten ja „Samstags gehört Vati mir“. Der Sonntag ist ein arbeitsfreier Tag mit christlichem Hintergrund, fixiert im Grundgesetz und übernommen aus der Weimarer Reichs Verfassung von 1919. Es geht mir hier um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Kommt nun als nächstes die Forderung die Callcenter Samstags auch zu schließen?

Noch einmal kurz zum Ausgangspunkt: Am 26. November urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zur Sonntagsruhe in Hessen, ich schrieb darüber. Unter anderem für die Callcenter wurde mit diesem Urteil die Sonntagsarbeit verboten.

Im verlinkten Artikel äußerte ich mich noch verhalten optimistisch und schloss aus, dass die Arbeit ins Ausland verlagert wird. Ich gab allerdings zu bedenken:

Einige Mitarbeiter werden ihre Jobs verlieren, weil für eine 6-Tage-Woche ein anderer Personalschlüssel gilt als für eine 7-Tage-Woche.

Zu dem Zeitpunkt rechnete ich noch fest mit juristischen Reaktionen der Branchenvertreter, stellvertretend dem Call-Center-Verband (CCV). Eine kurze Erklärung zum CCV, dieser ist kein tariffähiger Arbeitgeberverband sondern ein Interessenverband und vertritt Unternehmen die ca. 35% der Callcenter-Arbeitsplätze repräsentieren.

Leider beschränkte sich die Reaktion der Verbandsmitglieder auf reine Schadensbegrenzung, die auf Kosten der Beschäftigten geht.

So bietet Gerald Schreiber, Geschäftsführer der davero gruppe, betroffenen Unternehmen „Hilfe vom Bosporus“ an. Er steht da nicht allein mit den Nearshore-Lösungen. Die wenigsten wissen ja, dass in der Türkei viele deutschsprachige Menschen leben. Einige Callcenter haben dort schon Niederlassungen, die außer dem Serviceangebot in türkischer Sprache für Deutschland  auch ganz normale Callcenter-Tätigkeiten für Deutschland anbieten.

Auch der Ausbau von Voice-Self-Services soll in Zukunft verstärkt werden. Es wird also verstärkt auf automatisierte Systeme gesetzt werden.

Die erste Lösung ist kurz- und mittelfristig durchsetzbar, bei Erfolg wird sie sich aber nicht auf die Sonntagsarbeit beschränken sondern komplett Arbeitsplätze aus Deutschland ins Ausland verlagern.

Die zweite Lösung ersetzt einfach Beschäftigte durch Maschinen, Ansätze werden bereits geprüft, das Urteil wird die Einführung der Systeme beschleunigen.

Einige Anmerkungen zur Branche erscheinen mir hier erforderlich.

Die Branche umfasst ca. 500.000 bis 600.000 Beschäftigte* und ist somit wohl die größte Branche in Deutschland ohne Tarifvertrag. Die Branche gliedert sich in inbound- und outbound-Bereiche, das Urteil gilt ausschließlich für den inbound-Bereich da die outbound-Telefonie zeitlich eingeschränkt und Sonntags komplett verboten ist. Als lesbare Zusammenfassung für Einsteiger empfehle ich einen älteren Artikel oder den Artikel Callcenter-Die Branche von Matze.

Wenn wir von dem Verbot der Sonntagsarbeit sprechen, geht es allein um Callcenter die der Kunde aus verschiedenen Gründen anrufen will oder muss. Wir reden von Kundenbedürfnissen und von den Bedürfnissen der Mitarbeiter.

Versteht also bitte meine Enttäuschung.

Die Gewerkschaft ver.di hat Teil an der Initialzündung für den Arbeitsplatzabbau in der Call-Center-Branche, wenn auch aus ehrenhaften Motiven, und die Unternehmervertretung reagiert indem sie genau dies forciert.

Der Kunde wird letztendlich nicht viel oder gar nichts davon bemerken, beide vorgenannten Lösungsansätze der Arbeitgeberseite zielen darauf hin.

Wir, die Beschäftigten der Branche, die ab 01.01.2015 erstmals durch die Einführung des Mindestlohnes aus dem Billiglohnsektor herauskommen, werden die Rechnung bezahlen.

Ein Lösungsansatz im Interesse aller wäre es, wenn die Unternehmer endlich einen tariffähigen Arbeitgeberverband gründen und in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, ob nun ver.di oder DPVKOM, einen Flächentarifvertrag, der auch die Sonntagsarbeit regelt, abschließen.

Damit ist aber eher nicht zu rechnen – ich werde nicht der Einzige sein der enttäuscht ist.

* Die Zahlen sind nicht eindeutig, da die verlinkte Statistik nur für 2013 gilt.