Identität – Identitätskrise

Mann; Europäer; Deutscher, Ex-DDR-Bürger; Leipziger (wohnhaft); Sachse (Geburt); österreichisch-böhmisch (Abstammung väterlich); brandenburgisch-thüringisch (Abstammung mütterlich); Weiß (angeblich wichtig); alt (selbsterklärend); heterosexuell (lebend); bisexuell (veranlagt); Ingenieur; Schlosser; Ex-Soldat; nicht-pazifistischer-Kriegsgegner; Russland Liebender; Bibliophiler; Prokrastinateur; technik-affiner Übertechnisierungs-Gegner; tierliebender Haustier-Gegner; Fleischesser, Blogger, Marx (Karl und Reinhard) Mögender, Kapitalismus-Kritiker; Real-Existierender-Sozialismus-Gegner; Ostalgie-Verweigerer; ex-katholischer Agnostiker; Religions-Interessierter; Call-Center-Agent; selbst Denkender, AufschreibenderMensch!

Soll ich weiter machen?

So viele Identitäten sind mir in 10 Minuten zu mir eingefallen und würde ich weiter nachdenken, kämen wohl noch einige dazu.

Ist das nun alles wichtig?

Ist Identität wichtig?

Ich meine, sie ist wichtig. Nur welche meiner Identitäten ist wirklich von Bedeutung?

Die Identität Mann kann es nicht sein, sie ist biologisch angelegt – geht man vom Vorhandensein der Samenzellen aus -, sie ist gesellschaftlich problematisch, denn sie trennt mich von allen Nicht-Männern – sowohl biologisch als auch gesellschaftlich.

Europäer oder Deutscher, das ist die „Gnade der Geburt“, besser gesagt des Geburts- oder Aufenthalts-Territoriums – sie trennt mich von allen Nicht-Europäern oder Nicht-Deutschen.

Weiß ist ein Rassenkonstrukt aus vergangenen Zeiten, zumal es nicht zutrifft. Es gibt außerhalb des im Rassenkontext beschriebenen „weißen Menschen“ hellhäutige Menschen – diese werden aber ebenfalls als „nicht-weiß“ von den Vertretern der Rassenlehre abgelehnt.

Als Bibliophiler müsste ich mich von Menschen die ungern lesen, oder des Lesens nicht mächtig sind, distanzieren.

Als Ingenieur (Hochschule) trennte ich mich von mir selbst als Schlosser (Lehrberuf) und Call-Center-Agent (angelernt) – das ist selbsterklärend.

Sexuelle, religiöse, ideologische und andere Identitäten haben genau denselben Effekt – sie trennen mich von mehr Menschen, als sie mich verbinden.

Haupt-Identität

Die Haupt-Identität kann also nur „Mensch“ sein, sowohl biologisch als auch soziologisch. Natürlich könnte ich mich auch als „Natur“ verstehen, das ist aber hier nicht von Bedeutung.

Welche Identität verbindet mich außer „Mensch“ noch mit der größt möglichen Anzahl von Mitmenschen?

Sie steht nicht in der obigen Aufzählung, es ist die politisch-soziologische Identität ArbeiterIn.

ArbeiterIn-Identität

ArbeiterIn – hier muss ich mich von der dogmatischen Marx-Auslegung (hier ist natürlich Karl, nicht Reinhard gemeint) lösen. Trotzdem ein Zitat desselben:

„Ein Schauspieler z.B., selbst ein Clown, ist hiernach ein produktiver Arbeiter, wenn er im Dienst eines Kapitalisten arbeitet (des entrepreneur), dem er mehr Arbeit zurueckgibt, als er in der Form des Salairs von ihm erhaelt.“*

Diese Beschreibung, so zutreffend sie auch erscheint, ist eine ökonomische Beschreibung, denn im weiteren Verlauf beschreibt er den „unproduktiven Arbeiter“, z.B. den Flickschneider, der zum Kapitalisten ins Haus kommt und ihm einen bloßen Gebrauchswert schafft.

Ich sehe den politisch-soziologischen Aspekt eher allgemein im Ausbeutungs- und Abhängigkeits-Verhältnis zwischen ArbeiterIn und Entrepreneur, Zumal es heute auch kapitalistische Flickschneidereien gibt, die profitorientiert, also auf der Basis des Ausbeutungsverhältnisses, arbeiten. Diese gab es zu Lebzeiten von Marx noch nicht. Auch die selbständigen Handwerker oder geistig oder kulturell Schaffenden gehören meist zur AbeiterIn-Identität, sie arbeiten zwar frei von einem Anstellungsverhältnis – aber meist letztendlich für jemanden, der mit ihrer Arbeit Profit generiert.

Die ArbeiterIn-Identität verbindet mich also mit allen Menschen, die in einem Ausbeutungsverhältnis arbeiten und mit den von ihnen abhängigen Menschen, also Kindern, Alten, Kranken, Erwerbslosen, Schülern, Studenten usw. – ich denke, hier handelt es sich um 95% der Weltbevölkerung.

Streit um Identitäten

Leider konnte ich das Buch „Identity“ von Francis Fukuyama noch nicht lesen, es liegt noch nicht in Deutsch vor und meine mangelhafte Beherrschung der englischen Sprache hindert mich am Lesen des Originals. Allerdings bemerkte ich bereits in der Diskussion, z.B. im Artikel der taz, dass die Diskussion schon wieder ausufert. So schreibt also Tania Martini dort:

„Man ist nie Nur-Arbeiter, Nur-Frau oder Nur-Lesbe, zwischen Identitätspolitik und der Politik für soziale Gleichheit gibt es Verbindungen.“

Sie hat meiner Meinung nach Recht und Unrecht zugleich.

Die Lösung kann aber nur sein, dass innerhalb der ArbeiterIn-Identität jede/r ArbeiterIn jede/n andere/n als gleichwertig in dieser Identität, unabhängig von anderen Neben-Identitäten akzeptiert.

Ich kann mich als „fleischessender Arbeiter“ mit dem „vegan lebenden Arbeiter“ über Lebensweise und Tierrechte streiten, auf Augenhöhe geht das aber nur wenn kein Zweifel an unserer Hauptidentität besteht. Streiten wir uns nur als Fleischesser und Veganer, dann zersplittern wir uns. In den heutigen Diskussionen wird da oft sogar die Identität als Mensch bezweifelt.

Abgesehen davon: Wenn ich Mitmenschen und Mit-ArbeiterInnen als solche akzeptiere, dann akzeptiere ich sie trotz und mit ihren Neben-Identitäten.

Politische Identität

ArbeiterIn ist eine politische Identität, in dieser Identität fordert der Mensch eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum, der Mensch fordert für seine Mit-ArbeiterInnen (unabhängig von ihren Teil-Identitäten) Menschenrechte, Bildung, politische Teilhabe.

ArbeiterIn ist eine linke Identität, denn sie geht über völkische, biologistische, kulturelle, territoriale und andere Grenzen hinaus. Akzeptiere ich für mich diese Identität, dann verbindet sie mich mit dem schwarzen, muslimischen und schwulen Minenarbeiter genau so wie mit der weißen, heterosexuellen Putzfrau. Es gibt keine rechte Identität als ArbeiterIn – die völkischen oder rassistischen Begrenzungen machen das unmöglich.

Fazit

Es wird Zeit für eine neue verbindende Identität – diese kann für mich nur ArbeiterIn sein.

Es wird Zeit, dass wir mit dieser verbindenden Identität den Klassenkampf 2.0 führen, ohne Dogmatismus und Zersplitterung.

Die Identitätspolitik in ihrer heutigen Zersplitterung hilft nicht den ArbeiterInnen – sie hilft dem Entrepreneuren.

Und jetzt dürft ihr mich steinigen!

*K. Marx, Theorien über den Mehrwert I, MEW 26.1, 127

Bildnachweis: under CCO Creative Commons by johnhain

Kevin und Chantal, wir müssen über Marx reden!

Ich finde es toll, dass ihr langsam erwachsen werdet, studiert (manchmal ein bisschen lange) und euch politisch engagiert. Auch eure politischen Ziele finde ich wirklich super. Leider muss ich einfach einen Einspruch geltend machen, wenn manche von euch den Marxismus glorifizieren, und euch zum Denken auffordern.

Erst mal zur Vorstellung:

Ich bin euer Feindbild, nicht euer Feind. Alt (über 60 Jahre), ein Mann (zumindest letztens noch intakt*) und „weiß“ (also hellhäutig). Weitere Fehler, die ihr mir anhängen könnt: Ich habe studiert und gehe einer Erwerbstätigkeit nach – so richtig mit einem 8-Stunden-Arbeitstag. Außerdem ist Deutsch meine Muttersprache und Leipzig, in Sachsen, meine Heimat. Da ich auch noch eine DDR-Vergangenheit habe, sollten alle Qualifikationen zum Feindbild der linken Jugend erfüllt sein.

Da ich mich jetzt vorgestellt habe, ein paar Worte zu euch: Ihr heißt natürlich nicht Kevin oder Chantal, ihr seid eben nur aus den Jahrgängen, für die diese Namen als Synonyme stehen.

Es stand ja nun dieses Jahr der 200. Geburtstag von Karl Marx an. Auch ich, nach vielen Jahren Zwangsbeglückung durch Marxismus-Leninismus, halte viel vom alten Karl – allerdings mit Einschränkungen.

Marx und Marxismus

Marx war ein Philosoph und beschäftigte sich zu großen Teilen mit der Geschichte des Kapitalismus, der zu seinen Lebzeiten noch in der ersten Blüte stand. Seine Analyse finde ich durchaus zutreffend und auch heute nutzbar.

Der Marxismus ist ein quasi-religiöses Glaubenssystem, in welchem Marx zum Quasi-Propheten erhoben wird und seine Zukunftsvisionen als sakrosant behandelt werden. Historisch gesehen führte die „proletarische Revolution“, über den Leninismus, Stalinismus und Maoismus, zum „real existierenden Sozialismus“ der sich als nicht konkurrenzfähig zum Kapitalismus erwies.

Woran lag das?

Die Arbeiterklasse

Die prognostizierte Entwicklung des Proletariats zur „Arbeiterklasse“ beruht auf der historischen Betrachtung, insbesondere der Entstehung des Bürgertums als Klasse, die das feudalistische System ablöst und somit die kapitalistische Gesellschaft begründet.

Uns wurde diese Geschichtsbetrachtung immer mit dem Marx-Zitat

alle Wissenschaften sind historisch, welche nicht Naturwissenschaften sind**

begründet. Das klingt logisch, wenn die gesellschaftliche Entwicklung nach einfachen Gesetzmäßigkeiten abläuft. Dem ist aber nicht so, das haben wir in der Vergangenheit gesehen.

Abgesehen ist das Zitat, wie in der Propaganda üblich, stark verkürzt. Komplett lautet der Satz:

Es war nicht nur für die Ökonomie, es war für alle historischen Wissenschaften (und alle Wissenschaften sind historisch, welche nicht Naturwissenschaften sind) eine revolutionierende Entdeckung, dieser Satz: „daß die Produktionsweise des materiellen Lebens den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt bedingt“; daß alle gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse, alle religiösen und Rechtssysteme, alle theoretischen Anschauungen, die in der Geschichte auftauchen, nur dann zu begreifen sind, wenn die materiellen Lebensbedingungen der jedesmaligen entsprechenden Epoche begriffen sind und erstere aus diesen materiellen Bedingungen abgeleitet werden. „Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.

Also war die Entwicklung der Arbeiterklasse wohl keine prophetische Aussage: Sie war eine, durchaus begründete, Vermutung.

Der Kapitalismus ist schlau!

Zumindest schlauer, als Marx es absehen konnte. Das Proletariat entwickelte sich nicht wie vorgesehen zur weitgehend homogenen Klasse.

Auch wenn Marx bereits feststellte:

Diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei, wird jeden Augenblick wieder gesprengt durch die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst.***

nahm er doch im weiteren Text an, dass sich dies überwinden ließe.

Er unterschied letztendlich nur noch die Kapitalisten, Überreste der alten feudalen Ordnung (selbständige Handwerker, Bauern u.ä.), das Proletariat und das „Lumpenproletariat“. Heute würden wir letzteres eher Prekariat nennen – es ist gekennzeichnet dadurch, dass es keiner typischen Lohnarbeit nachgeht und somit gesellschaftlich am unteren Ende steht. Fast prophetisch liest sich im „Kommunistischen Manifest“ folgender Passus:

Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen.***

Hierbei denke ich an einen erheblichen Teil der Wähler rechter Parteien, besonders aber an die „angry white men“ aus dem „rust belt“ unter den Trump-Wählern.

Die heutige Spaltung des Proletariats

Diese war von Marx nicht absehbar, was konnte er schon von der Entwicklung der globalisierten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft wissen. Heute von dem „Proletariat“ oder einer „Arbeiterklasse“ zu sprechen ist absurd.

Gehen wir in die Industrie, dort finden wir Industriearbeiter (mit Festanstellung und Tariflohn), wir finden Arbeiter mit Werksverträgen und Leiharbeiter, die alle am selben Arbeitsplatz die gleiche Arbeit ausführen. Schauen wir etwas weiter, dann finden wir Subunternehmer und Outsourcing-Partner – bis hin zu ins Ausland verlagerten Arbeitsplätze.

Alle arbeiten für verschiedene Löhne, teils erheblich unterschiedlich, und jede Gruppe ist um die Wahrung der eigenen Privilegien gegenüber den schlechter Gestellten, bestrebt. Ein Eintreten der „oberen Schicht des Proletariats“ für die unteren könnte ja, statt einer Verbesserung der Lage der unteren, eine Verschlechterung für die oben Stehenden nach sich ziehen.

Verschiedentlich hört man schon den Ausdruck „gewerkschaftlich organisierter Arbeiteradel“ – so weit möchte ich aber nicht gehen.

Die Gewerkschaften

Ich rede ungern über die Gewerkschaften. Sie haben sich für mich in der heutigen Form überlebt, sie existieren noch im Geist des 20. Jahrhunderts – die neue Zeit haben sie verschlafen.

Hatte die Struktur des DGB, gegliedert in Spartengewerkschaften, im „rheinischen Kapitalismus“ der alten Bundesrepublik noch ihren Sinn, so ist das in der jetzigen Zeit anders.

Wir haben den (konstruierten) Fall, dass ein Unternehmen mit seinen fest angestellten Arbeitern zur IG Metall gehört. Die Mitarbeiter der Werkskantine, die outgesourct ist, gehören zur Gewerkschaft „Nahrung-Genuss-Gaststätten“ (NGG) und die Mitarbeiter im outgesourcten Callcenter gehören zu ver.di, allerdings zum Fachbereich 13 – der Resterampe. Die Leiharbeiter haben auch ihren Tarifvertrag, dieser wird durch die DGB-Tarifgemeinschaft Leiharbeit ausgehandelt und hat nichts mit dem eigentlichen Unternehmen zu tun. Die Mitarbeiter mit Werksvertrag sind eine weitere Partei, die am ehesten mit den Leiharbeitern vergleichbar ist.

Ruft nun eine Gewerkschaft, in unserem Falle die IG Metall, zum Streik auf dann haben die anderen Teile der für das Unternehmen arbeitenden Menschen nichts davon.

Das wird sich wohl auch nicht ändern, die Gewerkschaften, besonders ihre Funktionäre, haben viel zu verlieren. Das beginnt mit den Sitzen in den Aufsichtsräten, die ihnen lt. §16 Mitbestimmungsgesetz zustehen.

Die Sinnhaftigkeit dieser Sitze ist deutlich zu sehen. Als die Entfristungskriterien für die Mitarbeiter der Deutschen Post AG bekannt wurden, erhob sich ein Shitstorm gegen die Bundesregierung wegen ihrer Minderheitsbeteiligung am Unternehmen. Nach eventuell möglicher Einflussnahme der von der Gewerkschaft gestellten Aufsichtsräten fragte keiner.

Ein, meiner Meinung nach notwendiger, politischer also Generalstreik – z.B. um Wohnungspolitik, Gesundheitswesen, Mindestlohn u.a. – ist mit dem DGB nicht möglich.

Die so genannte „Arbeiterklasse“, außerhalb der o.g.. privilegierten Schicht, reagiert mit massenhafter Verweigerung der Gewerkschaftszugehörigkeit, was wiederum die Gewerkschaften schwächt.

Der Staat

In den Zeiten des „rheinischen Kapitalismus“, oder auch der sozialen Marktwirtschaft, regulierten der Staat, die Länder und Kommunen viele Teile der Gesellschaft mit Subventionen, u.a. mit dem sozialen Wohnungsbau, über Staatsunternehmen wie Bundesbahn und Bundespost und kommunale Unternehmen wie Stadtwerke und Wohnungsgesellschaften. Viele Auswüchse des Kapitalismus kamen nicht mit voller Härte zum Tragen. Das hatte mit der Liberalisierung der Märkte ein Ende. Durch massenweise Privatisierung und Teilprivatisierung von gesellschaftlichem Eigentum ging der Einfluss von Staat, Ländern und Kommunen immer weiter zurück, was sich nicht zuletzt bei der Wohnraumsituation zeigt. Die Marxsche Aussage über den Vulgärkapitalismus trifft heute zu großen Teilen wieder zu:

Ist die Ausbeutung des Arbeiters durch den Fabrikanten so weit beendigt, daß er seinen Arbeitslohn bar ausgezahlt erhält, so fallen die anderen Teile der Bourgeoisie über ihn her, der Hausbesitzer, der Krämer, der Pfandleiher usw.***

Man müsste diesen Satz natürlich etwas moderner fassen, aber die Grundaussage bleibt richtig.

Fazit

Ich will Marx nicht glorifizieren und auch nicht zu einer blutigen Revolution aufrufen – aber es ist Zeit für einen gesellschaftlichen Wandel. Steht heute das Geld, in Form von Unternehmens– und Spekulationsgewinnen, im Vordergrund und die Arbeit wird nach eben diesen Kriterien bewertet und vergütet, so wird es Zeit die Arbeit nach ihrem gesellschaftlichen Nutzen zu bewerten und den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.

Da seid ihr, Kevin und Chantal, gefragt. Ich bin, wie gesagt, ein alter weißer Mann der sich besser als Feindbild eignet denn als Verbündeter.

Also viel Erfolg!

Solltet ihr mich doch brauchen können – ich bin da.

* nach Merle, Robert; „Die geschützten Männer“

**Friedrich Engels; Karl Marx, „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“; Erstes Heft, Berlin, Franz Duncker, 1859; http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_468.htm

*** Karl Marx; Friedrich Engels, Das Manifest der Kommunistischen Partei“, London 1848; Im Internet unter https://de.wikisource.org/wiki/Manifest_der_Kommunistischen_Partei_(1848)

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Mitte der Gesellschaft, oder „Wie erschafft man Randgruppen?“

Im Gegensatz zu der gefühlten Mehrheit im Twitter-, Facebook- oder sonstigem (a)Sozialen-Medien-Diskurs, betrachte ich die „Mitte der Gesellschaft“ weder als dumm, noch träge oder gar politisch uninteressiert. Die „Mitte der Gesellschaft“ ist nur nicht laut.

Um das mal klar zu stellen, an jedem Arbeitstag begebe ich mich in diese Mitte, das beginnt mit dem Fahrer, oder der Fahrerin meiner Straßenbahn und geht mit meinen Arbeitskollegen und Kolleginnen weiter.

Soll heißen: Die „Mitte der Gesellschaft“ besteht für mich aus den Menschen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten und denen zum großen Teil am Feierabend die Lust, die Zeit oder die Kraft fehlt, lauthals herum zu schreien. Meist fehlt nicht nur eines.

Ergo: Die „Mitte der Gesellschaft“ ist die Mehrheit der Gesellschaft.

Diese Mitte besteht aus den marxschen „produktiven Arbeitern“, gemäß der Definition:

Ein Schauspieler z.B., selbst ein Clown, ist hiernach ein produktiver Arbeiter, wenn er im Dienst eines Kapitalisten arbeitet (des entrepreneur), dem er mehr Arbeit zurueckgibt, als er in der Form des Salairs von ihm erhaelt.*

Ergo: Die Zahl der Proletarier ist größer als die Zahl der „Industriearbeiter“, die z.B. Martin Schulz als „Kernklientel der SPD“ bezeichnet.

Das ist natürlich nicht die gesamte „Mitte der Gesellschaft“, dieser Teil ist aber der, der dafür sorgt, dass eine Gesellschaft existieren kann. Dieser Teil schafft die materiellen Grundlagen der Gesellschaft und sichert ihr Fortbestehen. Nicht zu vergessen der Teil der unsere Kinder betreut, für unsere Gesundheit sorgt, Hilfsbedürftige pflegt und viele andere wichtige gesellschaftliche Aufgaben erledigt.

Ergänzen wir die „Mitte der Gesellschaft“ noch um die Menschen, die diese Arbeit geleistet haben, also Rentner und Pensionäre, um Menschen die sich in der Ausbildung befinden, um Abhängige dieser Mitte, also Kinder, Kranke und in irgendeiner Art Unselbstständige – also Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht für sich selbst sorgen können – und um Menschen, die unverschuldet oder auch verschuldet in Not gekommen sind, dann umfasst die „Mitte der Gesellschaft“ die gesamte Bevölkerung, mit Ausnahme der „Enterpreneure“.

Nach dieser Auflistung gäbe es keine Randgruppen außer diesen.

So weit so gut und leider falsch – hier ist eben der Fehler der Klassentheorie.

Gäbe es eine Arbeiterklasse und die bösen Kapitalisten, dann wäre eine Revolution angebracht. Die Arbeiterklasse würde die Kapitalisten enteignen –> würde das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln gemeinschaftlich verwalten –> die Früchte der gemeinsamen Arbeit würden allen zu Gute kommen –> Friede, Freude und Champagner für alle. Räte würden diesen Prozess lenken und überwachen, alle würden aus Überzeugung ihr Bestes geben und wer nicht überzeugt ist würde überzeugt werden. Wer sich nicht überzeugen lässt…

Hier höre ich mit der schönen(?) Utopie auf, das geht weiter mit selbsternannten Volks-Beglückern, mit Zwang und Ausstoßung von Andersdenkenden – von der Stammesgesellschaft bis zum „Real Existierenden Sozialismus“.

Ich konstatiere also für mich: Es gibt keine Klassenkämpfe, es gibt nur Verteilungskämpfe.

Aus diesen entstehen die heutigen Randgruppen. Es geht aber nicht um den Anteil, den diese erhalten – es geht um das Gefühl „Mir wird etwas vorenthalten!“ oder „Der/Die bekommt etwas was ihm/ihr nicht zusteht!“

Mit diesem Gefühl lässt sich gut Politik machen. Da unterscheiden sich rechts, links, konservativ oder liberal in keiner Weise, außer in dem Gefühl, welches sie bedienen.

Mit diesen Gefühlen wird dann (in bewährter Manier) der Schuldige, oder auch Feind, gesucht und bekämpft. Das kann der Ausländer (in verschiedenen Erscheinungsformen) sein, der Rentner – der ja vom „schwer Erarbeiteten der Jungen lebt“, die Frau – die sich koste es, was es wolle, emanzipieren will, die kinderreichen oder kinderarmen Paare oder wer auch immer. Obwohl, Ausländer geht immer gut. Besser ist nur noch ein Feind von außen, gegen den wir alle zusammenstehen müssen.

Noch besser ist nur ein richtig großes und schönes Polit-Theater – so mit der Bildung einer GroKo, den Rücktritten, Posten-Mauscheleien, Bekundungen und Widerrufen von Bekundungen. Leider ist das nur besser für die politischen Gegner – gut, dass diese sich auch gerade zerfleischen.

  • Die „Mitte der Gesellschaft“ reagiert dann mit Unverständnis – daraus folgt Zorn auf die Akteure und die Suche nach Protestformen.
  • Die „Mitte der Gesellschaft“ geht meist nicht auf die Straße – sie protestiert an den Wahlurnen, besonders beliebt mit Verweigerung.
  • Die „Mitte der Gesellschaft“ lässt damit zu, dass die Randgruppen bei Wahlen immer mehr Stimmen bekommen und somit über die Gesellschaft bestimmen.
  • Die „Mitte der Gesellschaft“ muss endlich aufwachen und für ihre Interessen kämpfen!

Wenn sie nur wüsste, welche das sind.

Sapere aude!

* Karl Marx, Theorien über den Mehrwert (MEW 26.1), zitiert nach: Marx über produktive und unproduktive Arbeit in der kapitalistischen Produktionsweise
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