Das verordnete Vergessen

Wenn das „digitale Vergessen“ einsetzt, werden wir das oft sehen.

Noch ist es nicht so weit, aber wir kommend dem „verordneten digitalen Vergessen“ Schritt für Schritt näher. Man möge mich für paranoid halten – der Versuch der Einführung von Upload-Filtern ist für mich ein Schritt hin zu einer „chinesischen Lösung“. Das hat zumindest im Osten Deutschlands eine ungute Tradition, so schwafelte Egon Krenz im September 1989, zum Höhepunkt der Montagsdemonstrationen, von einer solchen. Er meinte die Zerschlagung der Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens.

Digitales Vergessen

Digitale Medien sind heute ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation, Unterhaltung und der Information. Auch wenn wir sagen „Das Internet vergisst nie“, war es doch nie einfacher als heute Menschen zum Schweigen zu bringen. Man lässt sie den digitalen Tod sterben – so wie die chinesische Regierung die Bloggerin Mimeng (Ma Ling). Dem Spiegel war das einen Beitrag unter Personalien auf Seite 127 (14/2019) wert – die meisten Menschen haben davon nichts mitbekommen. Diese Art ist natürlich „eleganter“ als die saudi-arabische Variante – sie ist leise und unauffällig. In China ist das auf Grund der Möglichkeiten restriktiver Eingriffe in das Internet möglich. In Europa noch nicht.

Vergessen und Uploadfilter

Viele werden sagen „Das hat nichts miteinander zu tun“, ich meine aber doch. Der Staat bzw in diesem Falle die EU versucht mit der EU-Richtlinie zum Urheberrechtsschutz und anderen Gesetzen und Verordnungen, besonders zur Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung, den Einfluss auf Plattformen, Diensteanbieter und somit das Internet als Ganzes zu erlangen. Bisher zu Teilen ohne Sachkenntnis der Protagonisten, aber mit dem Ziel zu reglementieren und im Zweifelsfall zu verbieten. Instrumente wie Uploadfilter, auch Inhaltserkennungstechniken, und gesetzlicher Einfluss auf Diensteanbieter sind dabei hilfreich – also erwünscht.

Digitaler Tod und Vergessen

Für UserInnen ist es fast unmöglich einen selbstbestimmten digitalen Tod zu sterben und das vorherige digitale Leben in Vergessenheit geraten zu lassen. Das Internet vergisst nie, auf den Servern der Diensteanbieter liegt jeder Artikel, jeder Post – „Jeder Furz der im Internet gelassen wird“ ist für die Ewigkeit verfügbar. Bei einer unheiligen Allianz von Staaten und Diensteanbietern sähe das anders aus. Wie die argentinischen Militärs während der Diktatur entschieden welche Menschen „zu verschwinden haben“, so kann dann entschieden werden wen oder was wir „zu vergessen haben“. Bei aller Unmöglichkeit für einen „ selbstbestimmten digitalen Tod“ ist der „verordnete digitale Tod“ möglich.

Wehret den Anfängen

Es ist noch nicht soweit in Deutschland und Europa. Wir haben Demokratie, parlamentarische Kontrolle und wir haben Menschen die sich gegen diese Einschnitte wehren. Wir haben aber auch Menschen die eine Diktatur, egal welcher Coleur, wollen und Menschen denen die Konsequenzen aus ihrem Wahlverhalten nicht klar sind. Ich habe das im Header meines Blogs ausgedrückt, wozu die verschärften Instrumente des Staates letztendlich führen können.

Im 21. Jahrhundert braucht die Diktatur keine Bücherverbrennungen – sie brauchen die Entscheidung über das digitale Vergessen. Momentan schaffen demokratische Politiker dafür die Voraussetzungen.

Hier stehe ich – ich kann nicht anders:

Ich werde wieder die Piratenpartei bei der Europawahl wählen!

Ich kandidiere bei der Stadtratswahl in Leipzig für die Piratenpartei!

Gott helfe mir!*

* Martin Luthers Spruch schien mir passend, obwohl ich nicht gläubig bin.

Bildnachweis: under CCO by mcmurryjulie

„Merkel“ – Gefahr für die Demokratie

Was für eine Schlagzeile – sagt alles und nichts, deshalb nehme ich sie. Ich stelle fest:

„Merkel“ ist eine Gefahr für die Demokratie!

 

Was ist ein „Merkel“?

Natürlich meine ich hier weder Frau Merkel noch Angela Merkel oder die Bundeskanzlerin Merkel – ich meine einfach den Hashtag #Merkel, den Begriff aus Schlagzeilen oder dem Slogan „Merkel muss weg“ – eben „Merkel“.
Dieser Begriff „Merkel“ ist ein Anschlag auf die Demokratie, er suggeriert eine Quasi-Monarchie oder Quasi-Diktatur durch das verbale Konstrukt „Merkel“. Wenn nämlich dieses „Merkel“ an allem schuld hat, dann sind wir ja fein raus – wir können nichts tun, außer wir beseitigen die Person dieses Namens und lassen alles andere so wie es ist.

Merke: Wir können fast alles – außer Demokratie.

Demokratie und „Merkel“

Die Demokratie ist ja die „Herrschaft des Volkes“ in den verschiedensten Spielarten. Eine repräsentative Demokratie, wie in Deutschland, ist für das „Wahl-Volk“ die Möglichkeit in bestimmten zeitlichen Abständen ihre Vertreter zu wählen und den Rest der Zeit über deren Entscheidungen zu meckern. Sie war allerdings so gedacht, dass die „mündigen BürgerInnen“ sich in den Zeiten zwischen Wahlen politisch engagieren – in Parteien, Verbänden oder auch außerhalb dieser – und somit die nächste Wahlperiode vorbereiten. Da der Mensch an sich aber dazu scheinbar keine Lust hat, erfand er das „Merkel“ (oder ein anderes Synonym) als Grund für seine permanente Unzufriedenheit. Das „Merkel“ ist etwas was man lieben oder hassen, überhöhen oder herunterziehen und letztendlich auf einen Sockel stellen oder köpfen kann. Es ist eine Anlehnung an die Monarchie und den Absolutismus.

Merke: Wir können verbal Demokratie in Absolutismus verwandeln.

„Merkel“ muss weg!

Die Piratenpartei hatte den richtigen Slogan: „Themen statt Köpfe“ – gemeint war, dass man sich auf Themen- statt Personendiskussionen beschränken sollte. Allerdings beachteten die Piraten nicht, dass die WählerInnen im Allgemeinen Personen wählen wollen. Sei es wegen ihrer Attraktivität, ihrer Eloquenz, ihrer Attitüde – letztlich aber meist, weil man Themen nicht anspucken und köpfen kann. Dazu eignet sich ein „Merkel“ weitaus besser – es ist nur gefährlich, weil es mit einer realen Person verbunden werden kann.

Merke: Das „Merkel“ ist keine Person – es wird nur mit ihr assoziiert.

Fazit: Das „Merkel“ ist:

  • eine Ausrede, damit man nicht an der Demokratie teilnehmen muss,
  • ein virtuelles Feindbild, welches man undemokratisch bekämpfen kann,
  • die Simulation eines Diktators in einer Demokratie.

Letzteres ist gefährlich für die Demokratie. Es suggeriert, dass man den Diktator „Merkel“ durch einen anderen Diktator ersetzen kann und muss.

Das ist der Anschlag auf die Demokratie!

Die Idee zum Artikel kam mir bei der Lektüre des „Spiegel“ 40/18, dort wurden mehrere Seiten der Bundeskanzlerin und Parteivorsitzenden Angela Merkel gewidmet. Der Tenor: Sie muss ihre Nachfolge ordnen. Es stellte sich mir die Frage: „Leben wir in einer Demokratie?“ Das „Merkel“ ist natürlich nur ein Synonym. Auch das „Spahn“ für verfehlte Gesundheitspolitik oder das „Seehofer“ für die Innenpolitik verwendet verhindern oft die nötige Kritik am System und beschränken die Kritik auf Personen.

Konsens und Selbstverständlichkeit

Persönliche Anmerkung:

Wenn ich im nachfolgenden Artikel Gesellschaftswissenschaftler und Politiker benenne, sollte der Leser wissen, dass ich keiner von beiden bin. Ich bin nach Ausbildung und meiner früheren Berufstätigkeit Ingenieur. Ich liebe Dinge, die funktionieren und habe mich lange Zeit damit beschäftigt Dinge zu reparieren. Ein Konsens – über Möglichkeit und Unmöglichkeit von technischen Lösungen – gehört nicht zum Bild des Ingenieurs, er mag zeitweilig bestehen – kann aber durch technische Entwicklungen jederzeit aufgekündigt werden.

Konsens in der Gesellschaft

Abseits der Naturwissenschaften, besser der Naturbeobachtungen, ist ein gesellschaftlicher Konsens – so gewünscht er auch ist – meist ein Wunschbild von Politikern und Gesellschaftswissenschaftlern. So zu sehen am vermeintlichen Konsens des „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ in Deutschland. Natürlich war 1945 die wahrscheinlich überwiegende Mehrheit der Bevölkerung vom zweiten Teil der Aussage überzeugt, aber der erste Teil bezog sich wohl eher darauf: „Nie wieder einen Nationalsozialismus, der einen Krieg auf deutschem Boden austrägt!“ Der Nationalsozialismus wurde ja auch verschieden definiert. Im Osten war er die Perversion des Kapitalismus – im Westen eine des Sozialismus. Die Mythen, nach welchen der Nationalsozialismus die Wirtschaftskrise beendet hat, das deutsche Volk vereinigt hat und ähnliche andere Erzählungen spukten weiter in den Köpfen herum und wurden auch nie aus ihnen entfernt. Entfernen heißt hier nicht Gewalt, es heißt Bildung und Überzeugungsarbeit – also die politische „Kärrnerarbeit“.

Konsens „Nationalismus“

In beiden deutschen Staaten blühte weiter der Nationalismus, wenn auch im wenig sichtbaren Bereich. Der Westen blühte auf und schon bald schilderten die Medien dem Bürger die Überlegenheit gegenüber dem Osten, aber auch die Rolle des Spitzenreiters im friedlichen Wettbewerb gegenüber den anderen westlichen Staaten. Der DDR-Bürger fühlte seine wirtschaftlichen Nachteile gegenüber dem Westdeutschen, aber die DDR-Medien stellten die Erfolge der DDR gegenüber den anderen RGW-Staaten in subtiler Weise dar und davon konnte sich der DDR- Bürger auch selbst überzeugen*.

Beide Staaten und ihre Bürger fühlten sich als die Elite ihres Wirtschaftssystems – nennen wir das einfach Nationalismus.

Konsens „Demokratie“

Beide deutsche Staaten waren nach ihrer Selbstdarstellung Demokratien. Die DDR war allerdings nach eigener Darstellung eine „Diktatur des Proletariats“ unter der Führung der SED – was den Begriff Demokratie ad absurdum führt – belassen wir es also bei Diktatur und wenden uns dem westdeutschen Staat zu.
Der westdeutsche wie auch der heutige gesamtdeutsche Staat versteht sich als demokratisch und, zumindest in der Gewährleistung der Menschenrechte, als antifaschistisch. Die Demokratieform ist eine parlamentarische (repräsentative), heißt die BürgerInnen (Staatsangehörigen) entscheiden in Wahlen über die Zusammensetzung des Parlaments und somit über die Zusammensetzung der Regierung – das Vehikel dabei sind die Parteien, die verschiedene soziale und/oder ideologische Schichten vertreten.
Gepaart mit der Gliederung der Bundesrepublik in Bundesländer wurde dies mit der Ewigkeitsklausel – Art. 79 (3) Grundgesetz – gewissermaßen in Stein gehauen und wurde in der Folge als gesellschaftlicher Konsens betrachte und behandelt.

Und dieser Konsens wurde für selbstverständlich gehalten.

Nix ist fix – auch kein Konsens

Die Selbstverständlichkeit entpuppte sich mit der Wiedervereinigung als Problem – besser: Das Problem wurde sichtbar.
Ein neuer Konsens hätte entstehen können, z.B.:

Eine freiheitlich demokratische Gesellschaft mit sozialer Marktwirtschaft ist der Diktatur mit zentralistischer Planwirtschaft überlegen.

Das wäre konsensfähig für Ost und West gewesen, jeder hätte es verstanden und die überwiegende Mehrheit hätte sich diesem Konsens angeschlossen.
An dieser Stelle möchte ich Gregor Gysi danken**. Ich hatte überlegt, wie ich den Fortgang beschreiben kann, als ich von ihm hörte: „Der Westen konnte nicht aufhören zu siegen.“ Das trifft es genau und ich werde diese Beschreibung hier verwenden.
„Nicht aufhören zu siegen“, das ist im privaten Bereich die Aussage der Eltern nach der Scheidung einer 25jährigen Ehe mit 23 glücklichen Jahren, „Wir haben es Dir doch gleich gesagt!“ – dieses „immer Recht haben wollen“.
Letztendlich ist es die Übernahme des Narrativs vom „Sieger der Geschichte“, welches der „real existierende Sozialismus“ gern und oft verwendete, durch den Westen.
Wo ein Sieger ist, gibt es Verlierer, diese waren nicht beschränkt auf die Partei-, Staats- und Wirtschaftsführung im Osten – der Osten wurde zum Verlierer erklärt. So verstanden es die Menschen, die dort lebten.
Sozialismus wurde und wird im Geiste des kalten Krieges in „ Diktatur mit zentralistischer Planwirtschaft“ umgedeutet, so dass sich selbst die Sozialdemokraten nicht mehr dieses Begriffs bedienten. Darunter litt und leidet sie SPD noch heute – sie hat ein Problem mit den Linken (also der Partei dieses Namens), weil eben diese Deutung immer wieder proklamiert wird.

Weitab von einem Konsens

Wir sind heute von einem gesellschaftlichen Konsens weit entfernt. Der Grund ist für mich, dass der alte Konsens nie wirklich in der Gesellschaft angekommen war. Erweiterungen, als Konsens zwischen Interessengruppen ohne gesellschaftliche Beteiligung ausgehandelt, wurden durch das desinteressierte Schweigen der Bevölkerungsmehrheit als gesellschaftlicher Konsens betrachtet und als selbstverständlich angesehen.
So wurde die Notwendigkeit und Richtigkeit der europäischen Einigung als „in der Bevölkerung verstanden, akzeptiert und befürwortet“ betrachtet. Das mag für die EWG zugetroffen haben, jeder im Westen merkte die Erfolge schnell am Warenangebot und oft an den eigenen Lebensumständen. Es trifft auf die Europäische Währungsunion mit dem Euro und den Versuch der politischen Union aber nicht zu. Diese EU wurde den BürgerInnen, nicht nur den deutschen, nicht verständlich vermittelt – sie verstehen sie nicht – sie akzeptieren sie nicht (besser – sie akzeptieren sie nur, wenn alles in ihrem Interesse läuft) – sie fühlen sich in ihren demokratischen Rechten eingeschränkt. Ich beschrieb das 2011 so:

Hans Franz und Lieschen Müller aus Klein-Kleckersdorf fühlen sich also nicht als Bürger Europas, sondern als Verwaltete.

Da die Idee der europäischen Einigung, in der oben beschriebenen Form, von EU, Regierung, Parteien und auch von Gesellschaftswissenschaftlern als gesellschaftlicher Konsens – somit als selbstverständlich – betrachtet wurde, gab es ja kaum Interesse an Diskussionen und Erklärungen.

Der Konsens wurde aufgekündigt

Der Konsens wurde nicht aufgekündigt – es gab keinen Konsens. Zumindest keinen, der durch die überwiegende Mehrheit der Menschen getragen wurde. Es gab Akzeptanz, wenn es funktionierte – selbst die Bankenrettung der deutschen Banken wurde, wenn auch widerwillig, als notwendig akzeptiert. Als es um griechische Banken ging, hörte die Akzeptanz auf – weil es keinen gesellschaftlichen Konsens zu Europa gab. Eine fremdenfeindliche Partei gründete sich, bekam Zulauf von Menschen, die der europäischen Idee nicht folgten (oder folgen konnten) und 2015 mit dem Eintreffen der geflüchteten Menschen aus Kriegs- und Krisenländern wurde sie immer stärker.

Fazit

Wir merken heute, dass die Decke der Zivilisation, unter der wir in besseren Zeiten selig geschlummert haben, dünn ist und viele Löcher hat.
Den nicht bestehenden „Schönwetter-Konsens“ verteidigen hilft nicht viel – wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs für einen Konsens – sei es auch nur ein Minimalkonsens.

Auch diesen Minimalkonsens dürfen wir nie als selbstverständlich betrachten.

* Aus eigenem Erleben: Als ich 1980 in Bulgarien war gab es noch Dörfer ohne zentrale Wasserversorgung, auch bei der zahnärztlichen Versorgung (besonders der Prothetik) sah man, besonders im ländlichen Raum der „sozialistischen Bruderstaaten“, Unterschiede die zugunsten der DDR ausfielen. Diese ‚Überlegenheit‘ wurde vom DDR-Bürger auch gern so gesehen.
** Ich war auf einer Veranstaltung mit Gregor Gysi, dort gebrauchte er diesen Satz
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