Piraten und Bildung

Das Thema „digitale Bildung“ scheint gerade in das Klein-klein des deutschen Bildungssystems abzugleiten. Es ist Zeit für einen piratigen Blick und Ausblick, meine ich.

Bildung und Ziele

Das Ziel der schulischen Bildung ist:

  • Der sozial kompatible und glückliche Mensch, der nebenbei etwas Allgemeinwissen erworben hat?
  • Der zukünftige Facharbeiter oder Akademiker mit hoher spezialisierter Fachkompetenz?
  • Der mit breiten Allgemeinwissen und hoher sozialer Kompetenz ausgestattete Mensch, der lebenslang lernfähig und wissbegierig nach Neuem bleibt?

Persönlich tendiere ich zur Nr. 3 – ich weiß natürlich nicht, wie LeserInnen entscheiden. Ich wollte die Auswahl, bei aller Komplexität der Frage, einfach halten. Dass nicht jede/r in dieser Auswahl die persönliche Antwort findet ist mir bewusst.

Bildung separiert

Wir haben uns glücklicherweise von der autoritären Schule verabschiedet, ihr wisst schon der mit Rohrstock, in der Ecke stehen und ähnlichem. Haben wir bereits die neue Schule erfunden? Ich meine: „Nein, wir haben ein Sammelsurium von pädagogischen Methoden zugelassen“ – mit dem großen Manko, dass nach wie vor Eltern nach ihren Vorlieben das „passende“ Modell für ihre Kinder aussuchen. Natürlich nur in Großstädten wo es das Angebot gibt, wenn es sie wirklich interessiert und sie sich damit beschäftigen. Kinder werden also von vornherein separiert – durch ihre Eltern. Ob nun nach religiösen, ideologischen oder sonstigen Gesichtspunkten, die Kinder bleiben im Dunstkreis ihrer Eltern verhaftet.

Bildung ist Ländersache

Hier liegt für mich das größte Problem. Die Menschen, in dem Falle Eltern und SchülerInnen sollen oder wollen, lebenslang mobil bleiben. Das bringt mit sich, dass ein Wohnortwechsel über die Grenzen eines Bundeslandes hinaus für SchülerInnen den Wechsel in ein anderes Bildungssystem mit sich bringt. Bereits gelerntes ist wahlweise den neuen Anforderungen voraus oder nicht ausreichend, Themen werden anders behandelt und so weiter. Am Besten schult man sein Kind an einem Jesuiten-Gymnasium oder ähnlichen Lehreinrichtungen ein – die arbeiten Deutschland weit mit den gleichen Lehrplänen. Manko bei dieser Variante ist eine religiöse oder sonstige Orientierung und es gibt diese Einrichtungen nicht überall.

Bildung ist Sache der Schulen

Das Klein-klein geht aber noch weiter, Die Länder geben einen Rahmen-Lehrplan vor und es bleibt den Schulen überlassen, diesen umzusetzen. Wer also denkt, ein Umzug innerhalb eines Bundeslandes wäre problemlos – der irrt gewaltig. Der Wechsel innerhalb eines Schuljahres bedeutet unter Umständen, dass die aktuellen Schulbücher ausgetauscht werden müssen, da die neue Schule Bücher eines anderen Schulbuchverlags benutzt. Ja, es kann sogar der Weltatlas betroffen sein – scheinbar stimmen die Karten nicht überein. Auch innerhalb der einzelnen Schule kann es Differenzen zwischen Lehrern und Schule geben. Es kann passieren, dass der Lehrer Kopiergeld von den Eltern fordert, weil er das durch die Schule vorgegebene Schulbuch nicht verwenden will. Er kopiert lieber die entsprechenden Seiten aus einem anderen Buch. Dieses eigene Erlebnis soll nur zur Illustration dienen, ich will nicht generalisieren.

Bildung digital

Der so genannte Digitalpakt wäre nun eine Gelegenheit gewesen, wenigstens die neuen Bildungsinhalte und Lehrmittel bundesweit zu synchronisieren (das soll keine absolute Gleichschaltung bedeuten). Das Klein-klein geht aber weiter. Das Geld, wir reden hier von 5 Milliarden Euro, wird auf 40.000 Schulen verteilt.

Die Bildungsministerin äußert sich lt. MDR:

Der CDU-Politikerin zufolge stehen für die rund 40.000 Schulen in Deutschland rechnerisch je rund 120.000 Euro zur Verfügung. Das seien 500 Euro pro Schüler. Karliczek sprach von einer stolzen Summe, mit der sich einiges bewegen ließe.

Rechnerisch 120.000 Euro pro Schule sind das allerdings nur, wenn man die Elementarmathematik der Grundschule anwendet. Es bleibt die Frage, wie man das Geld wirklich aufteilt. 500 € pro SchülerIn ergibt auf die Schulen bezogen einen anderen Wert. Am Beispiel der Schulen in Leipzig (Zahlen von 2018) bekäme das große Reclam-Gymnasium mit 948 SchülerInnen 474.000€ und das kleine Goethe-Gymnasium mit 336 SchülerInnen 168.000€. Die kleinste Grundschule in Gundorf bekäme mit 83 SchülerInnen 41.500€.

Nach dem Ansatz: „Wir stellen pro Schüler eine Summe zur Verfügung“ mag das sinnvoll erscheinen, jedoch folgt die digitale Welt nicht strikt dieser Regel. Internetzugang, Vernetzung, Hard- und Software richten sich nicht allein nach der Schülerzahl, d.h. sie sie steigen oder fallen nicht proportional mit dieser. Im Falle von Softwarelizenzen ist eine höhere Nutzerzahl günstig für Preis pro Lizenz – was hier die kleinere Schule benachteiligt. Im Falle Vernetzung, egal ob LAN oder WLAN spielen bauliche Voraussetzungen eine große Rolle usw. Die Finanzierung der Lehrerfortbildung folgt auch nicht strikt der Schülerzahl. Beim Einkauf von Hardware spielen nach wie vor Mengenrabatte eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Es mag natürlich sein, dass die nachfolgend zitierte Aussage von Frau Karliczek einfach falsch ist.

Die Ministerin betonte, bei der Förderung gebe es eine klare Reihenfolge. Die Schulen müssten ein pädagogisches Konzept entwickeln und die Lehrer müssten entsprechend fortgebildet werden.

Der Digitalpakt gibt aber eindeutige Vorgaben für die Freigabe der Gelder vor. Dazu heißt es:

Die Länder entwickeln pädagogische Konzepte, kümmern sich um die Qualifizierung von Lehrkräften…

Davon ist in der Meldung keine Rede, hier wird das auf die Schulen übertragen. Was stimmt nun?

Was tun?

Wenn ich davon ausgehe, dass die Aussage der Bildungsministerin stimmt, dann entstehen grundlegende Probleme. Ich weiß, es ist schlechter Stil aber ich zitiere mich selbst. In „Es ist schön Pirat zu sein“ schrieb ich:

Die piratige oder auch Ingenieur-mäßige Herangehensweise wäre nun gewesen erst einmal zu klären was „digitale Bildung“ ist. Auf jeden Fall ist es nicht das Scannen einer Fibel von 1980 und deren Bereitstellung als PDF, wie es unter dem Primat des Ökonomen möglich ist. Zuerst eine Befragung von LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern – nicht von Bildungspolitikern. Dann die Hinzuziehung von Wissenschaftlern der entsprechenden Fachgebiete. Die technische Umsetzung, bevorzugt mit Open Source Software, als nächster Schritt. Erst dann steht die Frage der Finanzierung. Das wäre, meiner Meinung nach, die richtige Herangehensweise gewesen

Es ist, meines Erachtens nach, nicht zu spät das Thema erneut aufzunehmen. Das fängt mit der Hardware an. Eine Entscheidung PC, Laptop oder Tablet und über die Verwendung von Betriebssystemen und Programmen sollte gemeinsam von den Schulen und Schulträgern getroffen werden. Am wichtigsten ist aber die Frage des Aufbaus der digitalen Bildung von der Grundschule bis zum Gymnasium. Es darf nicht sein, dass erneut mit Wechsel auf eine weiterführende Schule oder an eine andere Schule das Gelernte obsolet wird.

Die Entscheidung muss aber schnell fallen, sonst ist es zu spät und das Klein-klein geht in die nächste Runde.

Dazu können wir Piraten unseren Beitrag leisten.

Dafür stehen wir zur Wahl.

P.S. Mir ist bewusst, dass Bildung zur Landespolitik gehört. Wenn aber Frau Karliczek die Verantwortung für die Digitalisierung wirklich auf die Schulträger und Schulen verlagert, dann sind die Stadt -und Gemeindeparlamente gefragt.

Es ist schön Pirat zu sein!

Schön Pirat zu sein – ich weiß das hat geradezu das Potential zum Gassenhauer, aber für mich ist der Sinn ein anderer. Als Ingenieur muss ich in der heutigen politischen Landschaft der Piratenpartei nahe stehen oder angehören. In den anderen Parteien regieren Buchhalter – die natürlichen Feinde des Ingenieurs.

Pirat und Ingenieur

Ich denke es ist allen LeserInnen klar, dass mit Pirat nicht der Typ mit Holzbein, Augenklappe und Papagei auf der Schulter sondern „politischer Pirat“ also AnhängerIn oder Mitglied der Piratenpartei gemeint ist. Wie passt der Ingenieur dazu? Per Definition ist der Ingenieur ein Visionär, er will sich mit Entwicklungen von Dingen befassen und nicht in erster Linie mit Finanzen. Da passt er nicht in „normale Parteien“ – in einem Artikel beschrieb ich das so:

„Einleitend sei gesagt, dass die deutsche Politik, nicht nur beim Thema Verkehr, scheinbar norddeutsch-protestantisch-nüchtern dominiert ist. Sie hat den Spruch, den Helmut Schmidt 1980 von sich gab, verinnerlicht:

Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“

Kurz gesagt: Wir leben in einer Krämer-Republik. Statt ein Ziel zu formulieren, die Lösung zu erarbeiten und dann die Finanzierung zu prüfen wird fanatisch auf das Geldsäckel geschaut und aus diesem heraus entschieden.“

Der Ingenieur hat aber ein Ziel, ob selbst entwickelt oder vorgegeben, etwas funktionierendes zu bauen. Erst dann braucht er Geld um das zu tun.

Einfügung

Der Ingenieur ist selbstverständlich als Synonym zu sehen, es geht um Menschen die visionär und zielorientiert denken und arbeiten. Ich habe zweimal im Fernstudium studiert, das erste Studium schloss ich als „Ingenieur für Maschinenbau / Kraftfahrzeugtechnik“ ab – das ist meine Passion. Das zweite (ungeliebte) Studium „Ökonomie des sozialistischen Binnenhandels“ habe ich vor der Diplomarbeit abgebrochen. Es sollte mich zur Verwaltung des Mangels befähigen – somit wäre es geradezu der ideale Einstieg in die oben beschriebene Politik. Wenn ich hier von Pirat und piratig schreibe, so entspricht das meinem Verständnis von Piraten-Politik und es sind nicht nur Mitglieder der Piratenpartei gemeint.

Pirat vs. Ökonom

Der Pirat, oder auch Ingenieur/Visionär, und der Ökonom sind nicht etwa Feinde – entscheidend für das „piratige Herangehen“ in der Politik ist eben die Reihenfolge. Am Beispiel „digitale Bildung“, einem typischen Piraten-Thema, zeigt sich das.

Digitale Bildung – „ökonomisch“

Die jetzige, vorgeblich ökonomische, Vorgehensweise sieht wie folgt aus: Auf Grund des Drucks aus der Bevölkerung und der Industrie wird der Finanzminister (der mit dem Geldsäckel) aufgefordert mal in die Kasse zu schauen was an Geld für dieses Thema da ist. Er sagt 5 Milliarden Euro kann er bereitstellen, es folgt das Gerangel im Bundesrat zu der Frage ob die Länder es nehmen dürfen oder wollen, dann wird es aufgeteilt. Es wird auf die Länder aufgeteilt und von dort auf die Kommunen und Schulen – was wirklich damit geschehen soll ist unklar – Hauptsache es ist digital. Hier hat der Ökonom, irgendwie der der ich werden sollte – also der Mangelverwalter, das Primat.

Digitale Bildung – piratig

Die piratige oder auch Ingenieur-mäßige Herangehensweise wäre nun gewesen erst einmal zu klären was „digitale Bildung“ ist. Auf jeden Fall ist es nicht das Scannen einer Fibel von 1980 und deren Bereitstellung als PDF, wie es unter dem Primat des Ökonomen möglich ist. Zuerst eine Befragung von LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern – nicht von Bildungspolitikern. Dann die Hinzuziehung von Wissenschaftlern der entsprechenden Fachgebiete. Die technische Umsetzung, bevorzugt mit Open Source Software, als nächster Schritt. Erst dann steht die Frage der Finanzierung. Das wäre, meiner Meinung nach, die richtige Herangehensweise gewesen. Wenn Schulen, SchülerInnen, Eltern und WissenschaftlerInnen das Konzept mehrheitlich vertreten, dann wäre dem Bundesrat nichts anderes als Zustimmung übrig geblieben. Und es wäre etwas dabei heraus gekommen.

Digitale Bildung – Einfügung

Während ich am Artikel schreibe, kommt die gute Nachricht „Sachsen bekommt 250 Millionen Euro für Digitale Bildung!“ Die zu erwartende schlechte Nachricht, aus Sicht des „Ingenieur-Piraten“ folgt auf dem Fuße. Sie lautet „Wir haben jetzt Geld – nun müssen wir uns Gedanken machen wie wir es ausgeben.“ So die, immerhin regierende, CDU, die sagt:

„Wir stehen in den Startlöchern und haben bereits eine Landesförderrichtlinie in Arbeit. Auch die Gespräche mit den Kommunen und den freien Schulträgern laufen derzeit, um den Einsatz der Mittel zu regeln“

Die Linken dagegen wollen einen „Laptop für jeden Schüler“ was in Zeiten von Smartphone und Tablet durchaus antiquiert klingt. Immerhin fordern sie unisono mit der CDU:

„Wir brauchen jetzt dringend eine Strategie zur Digitalisierung der Dresdner Schulen“

Vergleicht bitte den vorstehenden Absatz, ich sehe genau hier das Problem des vorhandenen Geldes und des Mangels an Plan.

Pirat vs. McKinsey

Hier besteht tatsächlich eine Unverträglichkeit, fast könnte man von Feindschaft sprechen. McKinsey steht hier natürlich nicht als Firma sondern als Synonym für das ausufernde Berater-Unwesen in der politischen Landschaft. Bevor ein Projekt nach den oben angeführten falschen Kriterien durchgeführt wird, werden erst einmal Berater ins Haus geholt die einen Teil der vorgegebenen Investitionssumme verbrauchen um die Wirtschaftlichkeit – nicht die Sinnhaftigkeit – zu prüfen.

Pirat und Politik

Ich habe hier Pirat und Ingenieur als synonyme Begriffe gesetzt, weil ich den Begriff der „Ökonomisierung der Politik“ ad absurdum führen will. Die oben beschriebene „piratige Herangehensweise“ ist gleich der, die erfolgreiche Unternehmen auszeichnet. Man sagt dort seltener „visionär“ – eher „zukunftsorientiert“ – der Entwicklungsweg ist aber der gleiche. Nur die angeblich ökonomisierte Politik arbeitet anders. So kommt es zu Verwerfungen, wenn z.B. bei Hartz IV die Ausgaben für die Durchsetzung von Sanktionen höher sind als die „Einsparungen“. Vom moralisch verwerflichen Ansatz der Sanktionen will ich hier nicht reden – das würde das Thema sprengen. Der piratige Politikansatz wäre also:

  1. Was wollen wir tun?
  2. Wie machen wir das?
  3. Wie bezahlen wir das?

Das ist schlicht und ergreifend vernünftiger und menschlicher als die Frage „Wie viel Geld haben wir? – Wie verteilen wir das? – Was machen wir damit?“ Wobei die letzte Frage dem Empfänger überlassen bleibt, wenn der Geldgeber dann nicht einverstanden ist kann er Widerspruch einlegen und bestenfalls die Ausführung verzögern bis das Geld nicht mehr zur Verfügung steht.

Pirat und Internet

„Piraten haben doch nur das Internet im Sinn“ wird oft gesagt – es wird dabei beabsichtigt oder unbewusst übersehen, dass genau das die Stärke der Piraten ausmacht. Wie ihre Namensgeber auf den Weltmeeren, so sind die Piraten im Internet unterwegs. Sie organisieren sich dort – tauschen sich aus – teilen Ideen – entwickeln Lösungen – diskutieren diese – verbessern oder verwerfen sie und machen sie öffentlich. Crowdworking, Cloudworking, Crowdfunding und ähnliches sind für Piraten normal. Sie machen, zum großen Teil in ihrer Freizeit, das was die Arbeitswelt der Zukunft ausmachen wird.

Fazit

Es ist schön Pirat zu sein – es ist nicht nur schön, es ist für den Ingenieur und andere Visionäre die ziel- und ergebnisorientiert arbeiten geradezu unabdingbar.

Es wird Zeit, dass die Profis des modernen Arbeitens in die Politik einziehen um frischen Wind hinein zubringen – nicht nur heiße Luft.

Um den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner zu erwähnen: Er warf den Klimaschutz-Aktivisten um Greta Thunberg mangelndes Wissen vor und forderte sie auf Profis ihre Arbeit machen zu lassen:

Wir brauchen Profis mit Visionen in der Politik!

Ich stelle mich dem als Ingenieur und Pirat.

Hier stehe ich – ich kann nicht anders:

Ich werde wieder die Piratenpartei bei der Europawahl wählen!

Ich kandidiere bei der Stadtratswahl in Leipzig für die Piratenpartei!

* Martin Luthers Spruch schien mir passend, obwohl ich nicht gläubig bin.

Gott helfe mir!*

Disclaimer: Ich hasse das, jedoch ich denke es ist notwendig weil in den (a)sozialen Medien Menschen über den Ingenieur herziehen werden. Ingenieure entwickeln und bauen Waffen, Ingenieure haben Vernichtungslager gebaut und so weiter und so fort. Normal denkende LeserInnen werden verstanden haben, dass es hier um den Ingenieur als Synonym für eine Arbeitsweise geht. Es ist wichtig, für wen und mit welchem Ziel der Ingenieur arbeitet – bei mir ist das klar.

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