Identität – Identitätskrise

Mann; Europäer; Deutscher, Ex-DDR-Bürger; Leipziger (wohnhaft); Sachse (Geburt); österreichisch-böhmisch (Abstammung väterlich); brandenburgisch-thüringisch (Abstammung mütterlich); Weiß (angeblich wichtig); alt (selbsterklärend); heterosexuell (lebend); bisexuell (veranlagt); Ingenieur; Schlosser; Ex-Soldat; nicht-pazifistischer-Kriegsgegner; Russland Liebender; Bibliophiler; Prokrastinateur; technik-affiner Übertechnisierungs-Gegner; tierliebender Haustier-Gegner; Fleischesser, Blogger, Marx (Karl und Reinhard) Mögender, Kapitalismus-Kritiker; Real-Existierender-Sozialismus-Gegner; Ostalgie-Verweigerer; ex-katholischer Agnostiker; Religions-Interessierter; Call-Center-Agent; selbst Denkender, AufschreibenderMensch!

Soll ich weiter machen?

So viele Identitäten sind mir in 10 Minuten zu mir eingefallen und würde ich weiter nachdenken, kämen wohl noch einige dazu.

Ist das nun alles wichtig?

Ist Identität wichtig?

Ich meine, sie ist wichtig. Nur welche meiner Identitäten ist wirklich von Bedeutung?

Die Identität Mann kann es nicht sein, sie ist biologisch angelegt – geht man vom Vorhandensein der Samenzellen aus -, sie ist gesellschaftlich problematisch, denn sie trennt mich von allen Nicht-Männern – sowohl biologisch als auch gesellschaftlich.

Europäer oder Deutscher, das ist die „Gnade der Geburt“, besser gesagt des Geburts- oder Aufenthalts-Territoriums – sie trennt mich von allen Nicht-Europäern oder Nicht-Deutschen.

Weiß ist ein Rassenkonstrukt aus vergangenen Zeiten, zumal es nicht zutrifft. Es gibt außerhalb des im Rassenkontext beschriebenen „weißen Menschen“ hellhäutige Menschen – diese werden aber ebenfalls als „nicht-weiß“ von den Vertretern der Rassenlehre abgelehnt.

Als Bibliophiler müsste ich mich von Menschen die ungern lesen, oder des Lesens nicht mächtig sind, distanzieren.

Als Ingenieur (Hochschule) trennte ich mich von mir selbst als Schlosser (Lehrberuf) und Call-Center-Agent (angelernt) – das ist selbsterklärend.

Sexuelle, religiöse, ideologische und andere Identitäten haben genau denselben Effekt – sie trennen mich von mehr Menschen, als sie mich verbinden.

Haupt-Identität

Die Haupt-Identität kann also nur „Mensch“ sein, sowohl biologisch als auch soziologisch. Natürlich könnte ich mich auch als „Natur“ verstehen, das ist aber hier nicht von Bedeutung.

Welche Identität verbindet mich außer „Mensch“ noch mit der größt möglichen Anzahl von Mitmenschen?

Sie steht nicht in der obigen Aufzählung, es ist die politisch-soziologische Identität ArbeiterIn.

ArbeiterIn-Identität

ArbeiterIn – hier muss ich mich von der dogmatischen Marx-Auslegung (hier ist natürlich Karl, nicht Reinhard gemeint) lösen. Trotzdem ein Zitat desselben:

„Ein Schauspieler z.B., selbst ein Clown, ist hiernach ein produktiver Arbeiter, wenn er im Dienst eines Kapitalisten arbeitet (des entrepreneur), dem er mehr Arbeit zurueckgibt, als er in der Form des Salairs von ihm erhaelt.“*

Diese Beschreibung, so zutreffend sie auch erscheint, ist eine ökonomische Beschreibung, denn im weiteren Verlauf beschreibt er den „unproduktiven Arbeiter“, z.B. den Flickschneider, der zum Kapitalisten ins Haus kommt und ihm einen bloßen Gebrauchswert schafft.

Ich sehe den politisch-soziologischen Aspekt eher allgemein im Ausbeutungs- und Abhängigkeits-Verhältnis zwischen ArbeiterIn und Entrepreneur, Zumal es heute auch kapitalistische Flickschneidereien gibt, die profitorientiert, also auf der Basis des Ausbeutungsverhältnisses, arbeiten. Diese gab es zu Lebzeiten von Marx noch nicht. Auch die selbständigen Handwerker oder geistig oder kulturell Schaffenden gehören meist zur AbeiterIn-Identität, sie arbeiten zwar frei von einem Anstellungsverhältnis – aber meist letztendlich für jemanden, der mit ihrer Arbeit Profit generiert.

Die ArbeiterIn-Identität verbindet mich also mit allen Menschen, die in einem Ausbeutungsverhältnis arbeiten und mit den von ihnen abhängigen Menschen, also Kindern, Alten, Kranken, Erwerbslosen, Schülern, Studenten usw. – ich denke, hier handelt es sich um 95% der Weltbevölkerung.

Streit um Identitäten

Leider konnte ich das Buch „Identity“ von Francis Fukuyama noch nicht lesen, es liegt noch nicht in Deutsch vor und meine mangelhafte Beherrschung der englischen Sprache hindert mich am Lesen des Originals. Allerdings bemerkte ich bereits in der Diskussion, z.B. im Artikel der taz, dass die Diskussion schon wieder ausufert. So schreibt also Tania Martini dort:

„Man ist nie Nur-Arbeiter, Nur-Frau oder Nur-Lesbe, zwischen Identitätspolitik und der Politik für soziale Gleichheit gibt es Verbindungen.“

Sie hat meiner Meinung nach Recht und Unrecht zugleich.

Die Lösung kann aber nur sein, dass innerhalb der ArbeiterIn-Identität jede/r ArbeiterIn jede/n andere/n als gleichwertig in dieser Identität, unabhängig von anderen Neben-Identitäten akzeptiert.

Ich kann mich als „fleischessender Arbeiter“ mit dem „vegan lebenden Arbeiter“ über Lebensweise und Tierrechte streiten, auf Augenhöhe geht das aber nur wenn kein Zweifel an unserer Hauptidentität besteht. Streiten wir uns nur als Fleischesser und Veganer, dann zersplittern wir uns. In den heutigen Diskussionen wird da oft sogar die Identität als Mensch bezweifelt.

Abgesehen davon: Wenn ich Mitmenschen und Mit-ArbeiterInnen als solche akzeptiere, dann akzeptiere ich sie trotz und mit ihren Neben-Identitäten.

Politische Identität

ArbeiterIn ist eine politische Identität, in dieser Identität fordert der Mensch eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum, der Mensch fordert für seine Mit-ArbeiterInnen (unabhängig von ihren Teil-Identitäten) Menschenrechte, Bildung, politische Teilhabe.

ArbeiterIn ist eine linke Identität, denn sie geht über völkische, biologistische, kulturelle, territoriale und andere Grenzen hinaus. Akzeptiere ich für mich diese Identität, dann verbindet sie mich mit dem schwarzen, muslimischen und schwulen Minenarbeiter genau so wie mit der weißen, heterosexuellen Putzfrau. Es gibt keine rechte Identität als ArbeiterIn – die völkischen oder rassistischen Begrenzungen machen das unmöglich.

Fazit

Es wird Zeit für eine neue verbindende Identität – diese kann für mich nur ArbeiterIn sein.

Es wird Zeit, dass wir mit dieser verbindenden Identität den Klassenkampf 2.0 führen, ohne Dogmatismus und Zersplitterung.

Die Identitätspolitik in ihrer heutigen Zersplitterung hilft nicht den ArbeiterInnen – sie hilft dem Entrepreneuren.

Und jetzt dürft ihr mich steinigen!

*K. Marx, Theorien über den Mehrwert I, MEW 26.1, 127

Bildnachweis: under CCO Creative Commons by johnhain

Bayernwahl – und nun?

Was hat sich nach der Bayernwahl geändert? Entgegen allen Berichten möchte ich sagen: Es hat sich nichts geändert in der Bundesrepublik. Der Bundesregierung möchte ich zurufen: „Fangt endlich an zu regieren!“

Bayernwahl und Zahlenspiele

Nicht erst mit dem bayerischen Wahlergebnis begannen die Zahlenspiele, sie begannen lange vorher. Die Politik in Deutschland ist verkommen zum Starren auf Zahlen – kaum dass eine Wahl beendet ist. Nach der Bundestagswahl 2017, die die „Volksparteien“ grandios vergeigten, begann das Starren auf Umfragewerte für die nächsten Wahlen in den Bundesländern und sogar auf die fiktive Frage „Wenn heute Bundestagswahl wäre“. Die Reaktion auf Umfragewerte ist längst wichtiger geworden als langfristige politische Projekte. Nur so lässt sich erklären, dass eine bayerische Regionalpartei die gesamte Bundesregierung am Nasenring durch die politische Arena ziehen konnte.

Bayernwahl und Bundespolitik

Ich habe eingangs geschrieben, dass sich nichts ändert. Bayern bleibt konservativ regiert – jetzt eben voraussichtlich durch die CSU und die FW. Im Bundesrat ändert sich also nicht viel, in die Länderkammer werden also höchstens ein oder zwei Vertreter der FW einziehen – bei Entscheidungen wird durch Bayern nicht anders abstimmen als vorher. Wenn nicht Bundes- und Landespolitik ständig vermischt würden, wobei die Sonderrolle der CSU natürlich beachtet werden muss, würde sich an Personalien der Bundesregierung nichts ändern müssen. Wenn doch, dann höchstens bei der SPD, die ja in Bayern zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft ist. Die CSU regiert weiter – was geht das den Bund an?

Bayernwahl – Sieger

Die unbestrittenen Sieger der Bayernwahl, geht man von Simmenzuwächsen aus, sind die Grünen. Für den Bund ist das aber unerheblich, sieht man von der moralischen Komponente ab. Die Grünen sind in Zukunft die stärkste Oppositionspartei und sie stehen mit der SPD auf verlorenem Posten. In der Frage der Zuwanderung und der geflüchteten Menschen hat sich die CSU so weit an die fremdenfeindliche Partei angenähert, dass sich eine Oppositionsarbeit in dieser Frage mit den Stimmen dieser Parteien kaum beeinflussen lässt. Gleiches gilt für die Fragen der Netzpolitik – insbesondere der Überwachung. Trotz des grandiosen Ergebnisses wird der Einfluss der Grünen überschaubar bleiben.

Bayernwahl – Verlierer

Nicht die SPD ist Verlierer der Bayernwahl, sie hat diese vergeigt – das interessiert letztlich soviel wie das Spiel Holland gegen Deutschland. Wir alle haben verloren.

Wir haben verloren:

  • Weil diese Wahl als irgendwie wichtig für die Bundespolitik, somit für alle Bundesländer und alle Menschen, die hier leben betrachtet wird.
  • Weil der nächsten – also der Hessenwahl – die gleiche Bedeutung zugesprochen wird. Obwohl, durch diese könnte sich das Stimmenverhältnis im Bundesrat ändern.
  • Weil danach die nächste Wahl in einem Bundesland kommt – die ebenso wichtig sein wird.
  • Weil unserer Regierung nicht regiert – Sie starrt auf Umfragewerte und reagiert kurzfristig.

Wir alle haben verloren, weil nicht nur Regierung, Parteien und Politiker sondern auch WählerInnen schwarmdumm (wie Gunter Dueck das bezeichnet) auf Zahlen – hier Umfragewerte – starren.

Wir und mit uns die Demokratie, sind verloren, wenn sich das nicht ändert.

P.S. Wenn ich Änderungen sage, dann habe ich auch zwei Vorschläge:

  1. Wenn im 4-Jahres-Turnus der Bundestag gewählt wird, dann muss der Bundesrat zur Hälfte der Legislaturperiode gewählt werden. Das bedeutet: Einheitlicher Termin für alle Wahlen der Landesregierungen wäre also, nach der Bundestagswahl 2021, im Herbst 2023. Das würde den Druck zum kurzfristigen Reagieren vermindern.
  2. Abschaffung der elenden 5%-Hürde (Sperrklausel). Wer als Person oder Partei die Stimmen für einen Sitz im Parlament (egal welche Ebene) erhält, bekommt diesen Sitz. Das würde die Demokratie stärken. Ich verweise hier darauf dass bei der Bundestagswahl 2017 5% (die Übereinstimmung der Prozentzahl ist zufällig) der abgegebenen gültigen Stimmen, auf Grund der Sperrklausel, nicht berücksichtigt wurden. In Wählerstimmen sind das 2.325.343.

Bildnachweis: Unter CCO Creativ Commons by 089photoshootings

„Merkel“ – Gefahr für die Demokratie

Was für eine Schlagzeile – sagt alles und nichts, deshalb nehme ich sie. Ich stelle fest:

„Merkel“ ist eine Gefahr für die Demokratie!

 

Was ist ein „Merkel“?

Natürlich meine ich hier weder Frau Merkel noch Angela Merkel oder die Bundeskanzlerin Merkel – ich meine einfach den Hashtag #Merkel, den Begriff aus Schlagzeilen oder dem Slogan „Merkel muss weg“ – eben „Merkel“.
Dieser Begriff „Merkel“ ist ein Anschlag auf die Demokratie, er suggeriert eine Quasi-Monarchie oder Quasi-Diktatur durch das verbale Konstrukt „Merkel“. Wenn nämlich dieses „Merkel“ an allem schuld hat, dann sind wir ja fein raus – wir können nichts tun, außer wir beseitigen die Person dieses Namens und lassen alles andere so wie es ist.

Merke: Wir können fast alles – außer Demokratie.

Demokratie und „Merkel“

Die Demokratie ist ja die „Herrschaft des Volkes“ in den verschiedensten Spielarten. Eine repräsentative Demokratie, wie in Deutschland, ist für das „Wahl-Volk“ die Möglichkeit in bestimmten zeitlichen Abständen ihre Vertreter zu wählen und den Rest der Zeit über deren Entscheidungen zu meckern. Sie war allerdings so gedacht, dass die „mündigen BürgerInnen“ sich in den Zeiten zwischen Wahlen politisch engagieren – in Parteien, Verbänden oder auch außerhalb dieser – und somit die nächste Wahlperiode vorbereiten. Da der Mensch an sich aber dazu scheinbar keine Lust hat, erfand er das „Merkel“ (oder ein anderes Synonym) als Grund für seine permanente Unzufriedenheit. Das „Merkel“ ist etwas was man lieben oder hassen, überhöhen oder herunterziehen und letztendlich auf einen Sockel stellen oder köpfen kann. Es ist eine Anlehnung an die Monarchie und den Absolutismus.

Merke: Wir können verbal Demokratie in Absolutismus verwandeln.

„Merkel“ muss weg!

Die Piratenpartei hatte den richtigen Slogan: „Themen statt Köpfe“ – gemeint war, dass man sich auf Themen- statt Personendiskussionen beschränken sollte. Allerdings beachteten die Piraten nicht, dass die WählerInnen im Allgemeinen Personen wählen wollen. Sei es wegen ihrer Attraktivität, ihrer Eloquenz, ihrer Attitüde – letztlich aber meist, weil man Themen nicht anspucken und köpfen kann. Dazu eignet sich ein „Merkel“ weitaus besser – es ist nur gefährlich, weil es mit einer realen Person verbunden werden kann.

Merke: Das „Merkel“ ist keine Person – es wird nur mit ihr assoziiert.

Fazit: Das „Merkel“ ist:

  • eine Ausrede, damit man nicht an der Demokratie teilnehmen muss,
  • ein virtuelles Feindbild, welches man undemokratisch bekämpfen kann,
  • die Simulation eines Diktators in einer Demokratie.

Letzteres ist gefährlich für die Demokratie. Es suggeriert, dass man den Diktator „Merkel“ durch einen anderen Diktator ersetzen kann und muss.

Das ist der Anschlag auf die Demokratie!

Die Idee zum Artikel kam mir bei der Lektüre des „Spiegel“ 40/18, dort wurden mehrere Seiten der Bundeskanzlerin und Parteivorsitzenden Angela Merkel gewidmet. Der Tenor: Sie muss ihre Nachfolge ordnen. Es stellte sich mir die Frage: „Leben wir in einer Demokratie?“ Das „Merkel“ ist natürlich nur ein Synonym. Auch das „Spahn“ für verfehlte Gesundheitspolitik oder das „Seehofer“ für die Innenpolitik verwendet verhindern oft die nötige Kritik am System und beschränken die Kritik auf Personen.