Gebildete Menschen und Volksbildung – ist das miteinander vereinbar?

Für zartbesaitete Leser sei gesagt, dass dies eine Art Provokation sein soll. Also nicht gleich schreien wegen elitärem Denken und Ähnlichem, so ist es nicht gemeint.

Mein „Lieblingsphilosoph“ Alexis de Tocqueville schrieb dazu:

Was man auch tun mag, es ist unmöglich, die Bildung des Volkes über ein gewisses Niveau hinaus zu heben. Umsonst wird man den Zugang zu den allgemeinen Kenntnissen erleichtern, umsonst die Wissenschaft billig feilhalten, man wird niemals erreichen, daß die Menschen sich unterrichten und ihren Verstand entwickeln können, ohne dafür Zeit zu opfern. Die größere oder geringere Möglichkeit des Volkes, zu leben, ohne arbeiten zu müssen, bildet daher die notwendige Grenze für seine geistigen Fortschritte.*

Der letzte Satz ist bedenkenswert. Zu seiner Zeit war nämlich die Masse des Volkes im wahrsten Sinne „ganztägig“ damit beschäftigt, ums Überleben zu kämpfen. Der heutige Stand ist ein anderer, wir müssen zwar arbeiten, haben aber Zeit und Mittel.

Es fragt sich nur, was machen wir daraus?

Hier komme ich nun zur Volksbildung. Ursprünglich war sie wohl lediglich gemeint als „Alphabetisierung“. Aus den verschiedensten Gründen, wobei ich die wirtschaftlichen in den Vordergrund stellen würde, war es erwünscht, dass das Volk lesen, schreiben und rechnen konnte. Ein bisschen mehr schon, aber nicht allzu viel mehr.

Dem gegenüber stand der elitäre Bildungsansatz des Bürgertums. Dieser mag zurückgehen auf antike Vorbilder, wesentlich war aber wahrscheinlich auch folgender Ansatz:

– Vermittlung des Lehrstoffes in ansprechender Form, d. h. durch Disputationen und Theater;

– Angebot eines entwickelten … Programms neben dem schulischen Angebot;

– Betonung des persönlichen Vorbildes.

All diese Regelungen sind von der Erziehungsidee … getragen. Charakteristisch für eine …schule sind:

  • Wertschätzung des einzelnen

  • Fähigkeit zur Reflexion

  • Verpflichtung zur Gerechtigkeit**

Wer kennts? Dort wo die Punkte gesetzt sind, gehört „religiösen“, „der Jesuiten“ und „Jesuiten“ hinein.

Die Volksbildung sollte dies aber nicht erbringen. Sie sollte ein rudimentär gebildetes Arbeitskräftereservoir produzieren. Die Vermittlung grundlegender Fähigkeiten und der Erwerb notwendigen Wissens wurden in den Vordergrund gestellt, gepaart mit einem autoritären Erziehungsstil.

Genug der Historie, wo stehen wir heute?

Wir sind weitergekommen, aber nicht weit genug. Wir haben sogar etwas „bahnbrechend Neues“ erfunden. Wir haben diese Art der (Aus-)Bildung in die Hochschulen und Universitäten geschleppt.

Theater gibt es in den Schulen, aber was ist mit der „echten Disputation“? Diese ist das Infragestellen der gelehrten Meinung und somit des Lehrers oder der Lehrerin. Da sind wir noch weitgehend auf dem alten Stand. Ähnlich ist das mit der „Wertschätzung des Einzelnen“. Der Schüler und seine Meinung werden nicht wertgeschätzt. Alles was zählt, ist die Lehr(er)meinung. Ich will hier in keiner Weise der „antiautoritären Erziehung“ das Wort reden. Diese ist nicht gemeint. Gemeint ist die Bewahrung der kindlichen Neugier und des „Ich will wissen warum das so ist!“ in der Schule.

Der Lehrer oder die Lehrerin soll nicht „FreundIn“ des Schülers sein, das wäre meines Erachtens nach fatal. LehrerInnen sollen durchaus „Autoritäten“ sein aufgrund ihrer Lebenserfahrungen und ihrer Fähigkeiten, eine Disputation zu entfachen und zu moderieren.

Es ist also Zeit für einen Paradigmenwechsel. Ein „quasi universitäres Lernen“ ab der Grundschule ist vielleicht ein übertriebener Ausdruck, aber ich wähle ihn trotzdem. Der Erwerb von Fähigkeiten zu Aneignung und Reflektion von Wissen sollte während der ganzen Schul- und Studienzeit im Vordergrund stehen.

Hier scheiden sich wohl schon die Geister, spätestens aber, wenn es um den Einsatz technischer Mittel geht. Grundsätzlich befürworte ich die Einführung der elektronischen Medien im Unterricht. Sie sind starke Hilfsmittel beim Abruf vorhandener Informationen. Sie können aber die „face to face“ Disputation nicht immer ersetzen.

Nun kommt leider mein größtes Problem, oder besser unsere größte Herausforderung. Wie schaffen wir diesen Paradigmenwechsel mit den unter dem alten Paradigma ausgebildeten Lehrkörper?

Ich bin optimistisch. Einige Lehrer und Lehrerinnen kenne ich persönlich. Die meisten von ihnen sind, unabhängig von ihrem Alter, unzufrieden mit den heutigen Zuständen und würden einem Neuanfang vielleicht aufgeschlossen gegenüber stehen.

Ganz wichtig ist selbstverständlich der freie und kostenlose Zugang zur Bildung. Unseren sogenannten christlichen Politikern sei hier einer der jesuitischen Grundsätze ins Gedächtnis gerufen:

Verzicht auf Schulgeld, um auch für die Armen zugänglich zu sein;**

.

P.S.: Es gibt zu diesem Artikel wahrscheinlich viele offene Fragen. Ich bin kein Pädagoge, habe aber in verschiedenen Bereichen „gelehrt“. Der Artikel drückt meine Meinung zum Bildungsproblem aus. Die jesuitische Bildung habe ich aus zwei Gründen als Beispiel gewählt: Zum ersten beruhen große Teile meiner Erziehung auf dieser, ich wusste es damals nur nicht. Zum zweiten wegen des letzten (Ab)Satzes im Artikel. Die Wahl dieses Bildungsideals hat hier nichts mit Religion zu tun. Den Begriff „Disputation“ habe ich bewusst übernommen. „Diskussion“ wird inflationär gebraucht und beinhaltet für viele auch den „Streit um des Streites willen“.

.

* Alexis de Tocqueville (1805-1859) in Über die Demokratie in Amerika, Reclam Nr. 8077; 1985; Ausgabe 2011; ISBN 978-3-15-008077-1

** [gekürzt] Prinzipien jesuitischer Erziehung aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Jesuitenschule#Prinzipien_jesuitischer_Erziehung

Das einzige Problem – ist die Sprache

„Wenn man sich die fast wöchentlich hochkochenden Diskussionen um politisch korrekte Sprache betrachtet, bekommt man schnell das Gefühl, der Deutschen einziges Problem“ [1] mit dem Rassismus, sei der Verzehr eines Zigeunerschnitzels und eines Negerkusses. Beiläufig auch die Verwendung des Wortes Neger bei Pippi Langstrumpf.

Anatol Stefanowitsch verzeihe mir die (fast) wörtliche Übernahme seiner Worte zur Einleitung meines Beitrages. Aber die Steilvorlage war zu gut.

Man verzeihe dem Ingenieur wenn er sich mit dem Professor anlegt, nur bin ich des Denkens selbst mächtig und habe es satt mir, wenn auch nur durch die Zugehörigkeit zu einem beanstandeten Volk, ständig Rassismus und Konservatismus vorhalten zu lassen.

Die Frage, die ich mir hier stelle ist

„Kann man mit Zigeunerschnitzeln und Negerküssen ein Sommerloch füllen?“

Scheinbar kann man es.

Wer mir nun Rassismus unterstellt, den verweise ich auf meinen Beitrag zu diesem. Allgemein, wie immer, auf die Packungsbeilage.

Aber fangen wir doch mal an. Ich esse kein Zigeunerschnitzel, betrachte dies auch nicht als „Deutsches Kulturgut“, nein ich esse wenn mir danach ist ein Schweinesteak mit Lecsó. So kenne ich es aus Ungarn und Lecsó ist etwas anderes als diese fade undefinierbare Sauce die dem Zigeunerschnitzel eigen ist.

Aber zurück zum Begriff. Reduzieren wir die Betrachtung doch mal nicht auf den beanstandeten Begriff. Der Begriff Zigeuner, im Zusammenhang mit Ernährung, wird zwar für das unsägliche so genannte Schnitzel vielleicht erst seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts benutzt. Schaut man aber in das Grimmsche Wörterbuch, dann findet man Zigeunerfleisch. Dieses ist das Synonym für  „fleisch, das bei ausflügen im freien gebraten wird“ [2], ergo für ein Leibgericht der Deutschen. Seien wir also froh, dass die historische Betrachtung nicht dazu führt, dass jedes Sommerloch in Gartenvereinen, auf Campingplätzen, Balkonen und Parks mit Zigeunerfleisch gefüllt wird.

Aber ich komme vom Thema ab, nur der Ausgangsartikel verleitete mich zur historischen Betrachtung.

Das Grundproblem der rein sprachlichen Betrachtung des Rassismus ist m.E. nach ein Anderes. Nämlich die Augenwischerei, dass durch die Beseitigung anstössiger Worte der Rassismus beseitigt wird.

Beseitigen wir also die beanstandeten Worte, so werden andere Worte und Taten an deren Stelle treten. Oder es bleibt einfach alles so wie es ist, nur ohne die Worte.

Wenn es also in Zukunft heißt, dass Professorin A.S. im Bremer Sprachblog schreibt (wie an der Leipziger Uni – Ihr erinnert Euch), dann ist nicht etwa eine Frau sondern nach wie vor ein Mann gemeint. Wir haben nur ein Wort geändert.

Wenn es ein Schnitzel mit Paprikasauce in den Gaststätten gibt, wird kein Sinti oder Roma, in Deutschland oder anderswo, mehr geachtet und akzeptiert. Wir haben dann ein Wort geändert.

Die geforderte „Sprachgerechtigkeit“ ist nämlich noch lange keine Gerechtigkeit, sie kann durchaus der Verschleierung der Zustände dienen.

Es gibt also viel zu tun. Die Änderung von Begriffen ist dabei vielleicht wichtig, aber längst nicht das Wichtigste.

Ein Hinweis noch zum Mythos des Zigeuners. die Etymologie des Wortes wird häufig so dargestellt, als ob es eine Verballhornung des Begriffes „Ziehender Gauner“ ist. Die oben schon erwähnten Gebr. Grimm schreiben aber dazu:

„1) name und geschichte: als im jahre 1417 ein trupp Zigeuner zum ersten mal deutschen boden betrat und die städte Magdeburg, Hamburg, Lübeck, Wismar, Rostock berührte, nannten sie sich angeblich de Secanen, mit einem namen, welcher dem tschech. cikán und im abstande dem ungar. tzigany, rumän. sigan, poln., russ.cygan entspricht, einer namenreihe, in der sich der weg des östlichen wandervolkes abzeichnet.“ Quelle [2]

Also ein Name, keine diskriminierende Bezeichnung. Diese wurde erst später daraus.

Ein weiterer Hinweis ist, dass ich die Verwendung des Wortes Zigeuner, in Verbindung mit gleichnamigem „Schnitzel“, durchaus diskriminierend finde. Allerdings weil hier einer Volksgruppe schlechter Geschmack unterstellt wird.

Problematisch finde ich auch die Überschrift des Artikels von A.S. – Das konterkarierte Volkslied (19.Jh.)  ist nicht in erster Linie als rassistisch zu betrachten. Hier ist die Sehnsucht nach Ungebundenheit von der Scholle und Repressalien (…brauchen dem Kaiser kein Zins zu geben…) in naiver Weise auf den vermeintlich freien Zigeuner, der natürlich ein Stereotyp ist, reflektiert. Nicht mehr und nicht weniger.

[1] Auszug aus „Lustig ist das Rassistenleben

[2] Das Deutsche Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm http://urts55.uni-trier.de:8080/Projekte/DWB

Warum nur Worte? – Noch mal zur Literatur

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage. Ich kann Ihnen auch nicht helfen.

Irgendwo (ich werde wohl langsam alt) habe ich schon mal geschrieben, dass wiederholte Äußerungen zu einem Thema nicht mein Ding sind. Aber nach den, teils unsäglichen, Diskussionen der letzten Tage gehe ich nochmal in mich und schreibe nochmal etwas zum Thema.

Ich bin immer noch gegen die nachträgliche Veränderung der Literatur.

Lustig am Thema ist allerdings das Eine. Es geht um einzelne Worte. Ich wiederhole diese hier nicht (ab und zu schon), Ihr wisst ja alle welche gemeint sind. Wer die Literatur nicht ändern will, der wird teilweise als ignorant (schlimmeres ist möglich/üblich), wer diese ändern will, der ist Angehöriger der Sprachpolizei.

Aber was ändert sich durch das Ersetzen des Negerkönigs in Südseekönig?

Betrachten wir doch mal das Standardwerk der Diskussion (Pippi Langstrumpf), dann müsste man ja noch vieles ändern. Die Begründung, dass man den Negerkönig-Kontext einem Kind nur schwer vermitteln kann ist etwas zu kurz gegriffen.

Wie vermitteln wir denn dann einem Kind folgende Inhalte des Buches?

1. Pippi liebt und bewundert ihren Vater, obwohl er ein schlechter Vater ist. Er lässt sie allein, treibt sich in der Welt herum und schreibt immer mal, dass er sie holen würde. Würde sie nicht eine Therapie brauchen?

2. Pippi lebt allein mit ihren, evt. nicht artgerecht gehaltenen Tieren, in einem Haus. Die marode Bausubstanz und die mangelnden hygienischen Bedingungen sind geradezu unerträglich.

3. Pippi geht nicht zur Schule und lebt von Geld dessen Herkunft dubios ist.

4. Es wird als heldenhaft dargestellt, dass sie die Vertreter der Staatsmacht vertreibt. Obwohl diese nur ihr Bestes wollen.

5. Sie hält ihre Freunde von einem normalen gesellschaftlichen, altersgerechten, Leben ab.

Erklärt nun mal Euren Kindern, warum sie die Heldin des Buches ist.

Ach ja, das ist ja eine Art Märchen, historisch bedingt ist der Handlungsstrang in dem sich ein Mädchen in einer von Männern dominierten Welt durchsetzt. Warum fällt nun die Erklärung des Begriffes Negerkönig so schwer?

Andere Frage. Warum fällt es leichter ganze Bücher, oder Artikel, über korrekten Sprachgebrauch zu schreiben als ein neues Kinderbuch? Dieses könnte dann in Wortwahl und Handlung korrekt, der heutigen Zeit angepasst, sein.

Nochmals, ich habe es schon öfter betont, ich bestehe nicht darauf die Worte im allgemeinen Sprachgebrauch zu verwenden. Aber muss deshalb die Literatur (Und ja, auch Kinderbücher können dazu gehören) umgeschrieben werden?

Einige Fragen, die sich aus Märchen ergeben könnten:

-Warum haben die Eltern von Hänsel und Gretel nicht Bezüge lt SGB II beantragt?

-Warum hat sich Schneewittchen keinen Anwalt genommen?

-Warum mussten die kleinwüchsigen Männer die Bergwerksarbeit klaglos erdulden? Muss man nun Zwerge auch ersetzen?

-Warum musste Aschenputtel Kinderarbeit leisten, gab es kein Jugendamt?

Aus Huckleberry Finn könnte sich die Frage nach der Gewerkschaft der Landarbeiter erheben.

Sind wir nun wirklich fähig komplexe historische Zusammenhänge zu erklären, Worte aber nicht?

Ergo, es bleibt wohl nur der Vorschlag übrig, diese Bücher den Kindern nicht mehr zuzumuten. Ob mit oder ohne Änderungen.

P.S. Wenn ein Autor, in diesem Falle Otto Preußler, einer nachträglichen Änderung zustimmt, dann ist das seine Sache. Es ist sein Werk.