ZEIT MAGAZIN – Harald Martenstein

Also ich oute mich mal als sehr konventioneller Leser. Deshalb habe ich im ZEIT MAGAZIN als erstes das Inhaltsverzeichnis gelesen. Ich habe mich gefreut, Harald Martenstein schreibt über Die gerechte Strafe für Lehrer, die Kindern Gaga-Deutsch beibringen. Ich gebe zu, für die Justierung meiner Geistesverfassung ist Martenstein immer wichtig, am Donnerstag.

Also Seite 9 aufgeschlagen und als Überschrift steht dort Über seinen bissigen und und eine knallharte Therapeutin: “Sie sagt, ich muss Rudelführer sein”. 

Psychologisch ist der Artikel im Zusammenhang mit den Lehrern hochinteressant. Also “Hund lieb” bedeutet Er beißt.

Was sich mir nun allerdings nicht erschließt, ist die Rolle der Therapeutin

Die Therapeutin ist groß und breitschultrig und kurzhaarig, ich glaube sie war im Kaukasuskrieg und hat sowjetische Militärhunde durch ihren Blick getötet.

Braucht nun der Lehrer diese, oder das Kind, oder doch der Vater?

Die Therapeutin sagt, dass Hunde anders funktionieren als wir. Unser “lieb” und ihr “lieb” sehen anders aus.

Das trifft allerdings für Lehrer zu, aber was hat das mit Gaga-Deutsch zu tun?

Leider bin ich kein Psychologe. Mir erschließt sich der Sinnzusammenhang der beiden Überschriften nicht ganz. Auch ob nun ich oder mein Kind den Lehrer regelmäßig füttern und nicht streicheln sollen bleibt eine offene Frage.

Aber eine Verwechslung im Inhaltsverzeichnis halte ich für ausgeschlossen.

Ich frag mal meinen Therapeuten.

Allianz (1904)

Alte Bücher und Zeitschriften haben uns manchmal viel zu sagen. Vor allem darüber, womit sich die Menschen früher beschäftigten. Manchmal ist der Unterschied zu heute nicht allzu groß.

Allianz

von Karl Ewald

Es waren einmal drei rechtschaffene Männer, von denen jeder seine Ansicht von den höchsten Dingen hatte. Jeder von Ihnen wusste, dass die seine die richtige war, und jeder von ihnen kannte der anderen Rechtschaffenheit. Darum beschlossen sie, in die Welt hinaus zu gehen und ein jeder seinen Glauben zu verkünden und um der Menschen Seelen zu kämpfen.

Da, als sie auseinandergehen wollten, nahm der eine die beiden anderen beim Arme und sagte:

„Seht … dort flammen Scheiterhaufen auf, die Menschen verbrennen einander um ihres Glaubens willen … wir wollen unseren Kampf aufschieben, bis wir sie von ihrem furchtbaren Irrthum befreit haben.“

Das schien den anderen wohlgesprochen, und sie thaten es. Aber als sie mit der Arbeit fertig waren und es wieder ans Scheiden ging, wies der zweite vor sich hin und sagte:

Noch ist unsere Zeit nicht gekommen, um die höchsten Dinge zu streiten … seht … dort ermorden die Menschen einander wie wilde Thiere, auf ihrer Fürsten Befehl.“

Wiederum gaben die Drei sich ihr Wort und zogen vereint in den Kampf gegen die Rohheit der Menschen. Kaum aber hatten sie gethan, was in ihren Kräften stand, und dachten von Neuem an das, was sie am Tiefsten bewegte, als der Dritte sich vor die Stirn schlug und rief:

„Brüder … Freunde … wir müssen noch eine Weile zusammenhalten. Seht … dort hungern die Reichen die Armen aus … und dort füllen die Wissenden die Unwissenden mit Lügen … und dort prügeln die Gesunden die Kranken.“

So ging es jedesmal.

Die drei Männer starben und andere kamen an ihrer statt und wieder andere an ihrer, und die Jahrhunderte rollten hin. Aber unerschütterlich bestand die Allianz.

Hans Dumm flüsterte dem einen zu: Deines Freundes Gesellschaft besudelt Dich … er glaubt nicht an Deinen Gott. Hans Schofel raunte dem zweiten zu: Du kannst Dich mit Deinem Kameraden nicht sehen lassen … er ist mit seiner Frau nicht getraut. Hans Roh wisperte zum dritten: Du machst Dich vor allen Leuten lächerlich, wenn Du’s mit den beiden närrischen Idealisten hältst.

Die drei Männer aber blieben zusammen, und sie sind beisammen noch heutigentags.

Ihre Rechtschaffenheit bindet sie. Und der Menschen Dummheit und Schofeligkeit und Rohheit.

(Autorisierte Übersetzung aus dem Dänischen von H.Kiy)

Aus JUGEND 1904 Nr. 9

JUGEND – Münchner illustrirte Wochenschrift für Kunst und Leben, 1904 Bd.1.

Wir haben eine Schlange an unserem Busen genährt.

Das wäre nun noch ein Ausspruch, der in der Diskussion um die Volksabstimmung in Griechenland fehlt. Aber der klassische Bildungsstand unserer Politiker lässt ja auch zu wünschen übrig. Interessant in diesem Zusammenhang erscheint mir aber, was meine Großmutter dazu gelernt hat. Also habe ich mal in ihr Lesebuch von 1909 geschaut. Siehe da, eine „gar treffliche“ Beschreibung von Wohltaten und Dankbarkeit – die Schlange ist auch dabei. Sieht man nun die Ausführungen des Vaters, am Ende der Fabel, dann ist Lessing doch eigentlich ziemlich aktuell.

Der Knabe und die Schlange

Ein Knabe spielte mit einer zahmen Schlange. „Mein liebes Tierchen“ sagte der Knabe, „ich würde mich mit Dir so gemein nicht machen, wenn Dir das Gift nicht benommen wäre. Ihr Schlangen seid die boshaftesten, undankbarsten Geschöpfe. Ich habe es wohl gelesen, wie es einem armen Landmann ging, der eine vielleicht von Deinen Ureltern, die er halb erfroren unter einer Hecke fand, mitleidig aufhob und sie in seinen erwärmenden Busen steckte. Kaum fühlte sich die Böse wieder, als sie ihren Wohltäter biß, und der gute, freundliche Mann musste sterben.“

„Ich erstaune,“ sagte die Schlange “wie parteiisch Eure Geschichtsschreiber sein müssen. Die unsrigen erzählen die Historie ganz anders. Dein freundlicher Mann glaubte, die Schlange sei wirklich erfroren, und weil es eine von den bunten Schlangen war, so steckte er sie zu sich, um ihr zu Hause die schöne Haut abzustreifen. War das recht?“

„Ach, schweig nur,“ erwiderte der Knabe. „Welcher Undankbare hätte sich nicht zu entschuldigen gewußt!“

„Recht, mein Sohn!“ fiel der Vater, der dieser Unterredung zugehört hatte, dem Knaben ins Wort. „Aber gleichwohl, wenn Du einmal von einem außerordentlichen Undanke hören solltest, so untersuche ja alle Umstände genau, bevor Du einen Menschen mit einem so abscheulichen Schandflecke brandmarken lässest. Wahre Wohltäter haben selten Undankbare verpflichtet; ja ich will zur Ehre der Menschheit hoffen – niemals. Aber die Wohltäter mit kleinen eigennützigen Absichten, die sind es wert, mein Sohn, daß sie Undank anstatt Erkenntlichkeit einwuchern.“

Gotthold Ephraim Lessing, sämtliche Schriften, herausg. v. Lachmann. 3.Aufl. Stuttgart 1886, 1.Bd. S. 207