Politische Arbeit, Piraten und Überwachung

Bei meiner politischen Arbeit geht es mir nicht darum, eine Ideologie zu transferieren. Vielmehr will ich Menschen für bestimmte Themen sensibilisieren. Ich kommuniziere meine Sicht auf diese Themen, um Gedankenanstöße für Diskussionen einzubringen. Mein Ziel ist es, Menschen dazu anzuregen sich mit den Themen auseinanderzusetzen, über diese nachzudenken und ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.

Politische Arbeit mache ich nicht für eine festgelegte Zielgruppe. Deshalb bemühe ich mich, die von mir vorgestellten Themen nicht ideologisch zu überfrachten, sondern ich versuche Geschichten zu erzählen, die allgemeinverständlich sind. Themen ideologisch zu überfrachten und Expertenwissen zum besprochenen Thema vorauszusetzen hieße, meine Zielgruppe auf einen Personenkreis mit fester Ideologie, eine Randgruppe, einzuschränken.

Ein Thema, welches meist ideologisch überfrachtet behandelt wird, ist die Überwachung – ein Kernthema der Piraten.

Meiner Meinung nach sollte der Aspekt der Langzeitwirkung von Überwachung umfassender kommuniziert werden.

Zur Illustration eine Geschichte aus der Sowjetunion der 1920er Jahre, die in Form eines Witzes in der DDR kursierte:

Die Brüder Iwan und Boris hatten unterschiedliche Lebensläufe. Iwan kämpfte nach der Revolution an der Seite der weißen Konterrevolutionäre und Boris war Kommissar bei den Bolschewiken. Mitte der 20er trafen sie sich in Moskau, Iwan als Genosse der KPdSU und angesehener Kolchos-Vorsitzender und Boris als Hilfsarbeiter in einer Fabrik, der in der Partei gerade noch geduldet wurde. Boris fragte: „Du hast bei den Weißen gekämpft, warst bei denen Offizier und jetzt bist Du Genosse und Chef. Wie kommt das?“ Iwan antwortete: „Ich habe einen Bruder der Kommissar bei den Roten war, das macht sich gut in meinem Lebenslauf.“ Boris seufzte: „Und ich komme nicht weiter, weil mein Bruder ein Konterrevolutionär war.“

Was hat das mit Überwachung zu tun?

In der Geschichte geht es um „Sippenhaftung“, ein Begriff aus dem dritten Reich, der aber viel mit Überwachung und Datensammlung zu tun hat.

Egal wie wir die Überwachung beschreiben, es geht in erster Linie um das anlasslose Sammeln von personenbezogenen Daten zur späteren Verwendung. Ob jemand heute Nachteile von diesen Überwachungsmaßnahmen hat, ist völlig egal. Die Daten werden gespeichert und liegen für ewige Zeiten abrufbereit vor. Datensätze über meinen Gesundheitszustand, über meine politischen Äußerungen, über meine sozialen Kontakte, über meinen finanziellen Status in den verschiedenen Lebensabschnitten, über meine Gewohnheiten aller Art und viele andere mehr werden gesammelt und katalogisiert.

Was damit gemacht werden kann, habe ich satirisch im „Brief an die Oma“ beschrieben.

Es bestehen aber auch andere Möglichkeiten der Verwertung. Diese Möglichkeiten sind eng mit einer neuen Qualität der „Sippenhaftung“ verbunden, die nicht auf die Familie beschränkt ist.

Wenn eines Tages mein heute 18-jähriger Sohn in meinem Alter ist, dann wird sein ganzes Leben erfasst sein. Das kann abhängig von der dann bestehenden Herrschaftsform fatale Folgen für ihn haben. Bis dahin wird er wohl tausende persönliche und virtuelle Kontakte gehabt haben, einige aus Kinder- und Jugendzeiten wird er vielleicht immer noch pflegen, und sei es nur mit gegenseitigen Geburtstagswünschen und sporadischen Kommentaren in sozialen Netzwerken. Hat er Pech, dann sind darunter Regierungskritiker, Kriminelle, Sexualstraftäter und andere, die von der dann aktuellen Gesellschaftsordnung als Problemfälle betrachtet werden. Bei der anlasslosen Überwachung und der damit verbundenen Datensammlung ist es unerheblich, ob er von den Lebensumständen seiner Kontakte Kenntnis hat. Dazu kommen noch jene Daten die andere über ihn ins Netz gestellt haben und die mit seinen Daten in Verbindung gebracht werden.

Automatisiert verarbeitet nach Stichwortabfragen liefern diese Daten dann ein „wahres“ Bild über ihn als Menschen, welches aber mit dem Menschen, der er dann ist, nichts zu tun haben muss. Durch die Auswertung der Massendaten mit statistischen Modellen werden sogar Informationen erschlossen, die in den gespeicherten Daten nicht explizit vorhanden sind. Ein Beispiel für die statistische Auswertung, ist wohl allen durch amazon geläufig, die Analyse „Wer diesen Artikel bestellte, bestellte auch…“ führt mitunter zu absurden Ergebnissen.

Werden diese Daten herangezogen, z. B. um zu prüfen ob er sich für ein öffentliches Amt eignet, um zu ermitteln,ob er als Bewerber für einen Job infrage kommt, oder um seine Kreditwürdigkeit sicherzustellen, dann zeigt sich die Gefahr der Datensammlung.

Bei einer heutigen Überprüfung mit Abfrage beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU), bedarf es einer IM-Akte und einer unterschriebenen Verpflichtungserklärung, damit sich der Verdacht auf Stasi-Mitarbeit erhärtet. Für die automatisierte Auswertung der Daten aus der anlasslosen Überwachung werden keine solchen Dokumente benötigt. Ein Beispiel für eine solche Analyse ist das Geoscoring, bei dem die Bonität eines Menschen ohne Beachtung der persönlichen Kreditwürdigkeit ausschließlich nach dem Wohnort bewertet wird.

Die anlasslose Überwachung der Menschen und deren Auswertung nach statistischen Modellen, die bereits alle Menschen unter Generalverdacht stellt, birgt eine selbsterfüllende Prophezeiung in sich:

Alle (überprüften) Menschen sind Terroristen, Kriminelle oder andere Täter.

Aus der Geschichte kennen wir auch schon die Antwort auf diese zu erwartende Feststellung. Die katholische Kirche hat sie während der Albigenser-Kreuzzüge gegeben:

„Tötet sie alle, Gott wird die Seinen schon erkennen!“

Mir drängt sich die Frage auf:

Wer die anlasslose Überwachung unter diesem Aspekt betrachtet, kann der noch sagen „Ich habe nichts zu verbergen.“?

100 Tage – 1000 Köpfe

 Ja, ich habe 1000 Köpfe, nicht 1000 Hände geschrieben, liebe Mit-PiratInnen.

Die 100 Tage sind ja bekanntlich die Schonfrist, von Stefan Körner wurden sie ja auch als Nachdenkfrist  für den neuen Bundesvorstand gefordert.

Hände könne applaudieren oder zuschlagen, sie können aber nicht denken. Das Nach-Denken ist aber nötig wenn es wieder vorwärts gehen soll.

Für mich persönlich habe ich einen Fragenkatalog zusammengestellt, mit dem ich mich in den nächsten 93 Tagen beschäftigen werde.

1. Überwachung – hier steht nicht die Frage wer – wen – wann überwacht im Raum, das ist wohl geklärt. Ich werde darüber nachdenken wie ich Menschen für dieses Thema sensibilisieren kann. Einen Versuch, der bei meinen Freunden und Kollegen gut ankam, habe ich schon vor der Bundestagswahl 2013 veröffentlicht.

2. Bildung – die Forderung nach kostenlosem und ungehindertem Zugang steht für mich außer Frage. Ich werde mich also mit dem Thema „Bildung die zum selbständigen Denken führt“ befassen. Was ich meine könnt ihr in der Packungsbeilage lesen.

3. Anti-Diskriminierung – das ist ein Wahnsinnsthema, weil dort die Fragen zu Gender, Rassismus, Deutschtümelei, Anti-Deutschtümelei und noch zu vielen anderen Formen der Diskriminierung hineingehören. Auch hier verweise ich auf mehrere meiner alten Artikel.

4. Arbeitswelt – ein besserer Begriff fiel mir nicht ein. Viele Fragen die über plakative Forderungen nach einem BGE hinausgehen stellen sich dort. Ist Vollbeschäftigung erwünscht, wenn ja – wie wärs mit Verkürzung der Arbeitszeiten für die Vollbeschäftigten? Den Mindestlohn werden wir bekommen, aber er ist nur eine Brückentechnologie. Steht als Ziel ein BGE, wie sieht das aus, was ist dafür erforderlich und wie kommunizieren wir dieses Ziel? Zitat Einstein (sinngemäß): Wenn Du es nicht mit einfachen Worten erklären kannst, dann hast Du es nicht verstanden

5. Verkehrspolitik – hier habe ich die Frage um die es geht bereits gestellt. „Wie ernst ist den Politikern die Forderung nach einer neuen Verkehrspolitik?“ Der Hintergrund für diese Frage ist einfach zu beschreiben. Wenn ein Umstieg auf den ÖPNV und andere Verkehrsmittel – eine Abkehr vom motorisierten Individualverkehr – das Ziel ist, dann hat das für Deutschland weitreichende wirtschaftliche Konsequenzen. Das habe ich aber alles schon beschrieben.

Mehr Themen will ich in diesen 93 Tagen nicht behandeln, das sind schon zu viele. Ich will mich in dieser Zeit nicht mit innerparteilichen Querelen in meinem Blog beschäftigen.

Was mir fehlt, ist der Kontakt zu den restlichen 999 Köpfen die sich, abseits von progressiven und regressiven (konservativen) Fremd- und Selbsteinordnungen, lieber mit Themen beschäftigen.

Ich hoffe, dass ich noch einige Menschen finde denen das wichtig ist.

Paralleluniversen und Zwillingsparadox

Ich bin ein Anhänger der Theorie, dass es unendlich viele Paralleluniversen gibt. Die sehen aus wie mein Universum,  sie existieren aber auf der Basis, dass andere Möglichkeiten genutzt und dadurch andere Wahrheiten geschaffen werden. Somit gibt es leichte Abwandlungen zu meinem Universum.

Den Beweis sehe ich vor mir, wenn ich den aBPT in Halle/Saale und den aBPT in Halle/Twitter* vergleiche.

Mehrere Beispiele seien hier genannt. Als Quelle dient mir mein Live-Blog (die vorhergehenden vier Artikel), die von dem aBPT in meinem Universum berichten.

In meinem Universum gab es Wahlen mit eindeutigen Mehrheitsentscheidungen. So wurde Stefan Körner mit 62,05% der Stimmen zum Vorsitzenden der Piratenpartei gewählt und diesem Wahlergebnis wurde applaudiert. Eine komfortable Mehrheit mit nur 37,95% Gegenstimmen, sollte man meinen. In einigen Paralleluniversen sieht das anders aus. In diesen wählte ihn nur eine Minderheit – das offizielle Wahlergebnis war wohl eine intergalaktische Verschwörung über die Grenzen der Universen hinaus.

In denselben Paralleluniversen hielt Christopher Lauer   eine bahnbrechende oder wichtige oder geile Rede. In meinem Universum hielt er die von mir beschriebene Rede.

In meinen Universum herrschte eine gute und konstruktive Stimmung, in Paralleluniversen wurde bedroht und gedroht. Für mein Universum kann ich allerdings nur für den Samstag sprechen, den Sonntag musste ich leider ausfallen lassen.

Die digitalen Zwillinge, ich spreche hier ausdrücklich nicht von den bekannten Zwillingsbrüdern, haben in diesen Universen verschiedene Wahrscheinlichkeiten, Wahrheiten und Möglichkeiten – und sie nutzen diese.

Da ich oben von Mehrheiten geredet habe, fällt mir doch ein passendes Zitat von Florian Bokor (das ist einer der realen Zwillinge die ich oben nicht meinte 🙂 ) ein:

Der Teil unserer Partei, der sich konsequent weigert ein Geschichtsbuch zu lesen, eine politische Theorie zu reflektieren, die er sich nicht selbst gemalt hat oder nur den Arsch in der Hose hat, einen GO Antrag zu stellen mit dem ihm deutlich vorgeführt würde, dass er eben nicht die Mehrheit ist.

Diese bemerkenswerten Worte schrieb er nach dem Bundesparteitag im Dezember 2013 in Bremen (Flaggengate). Damit hatte er Recht; Man sollte diese Worte in Stein meißeln.

Ob nun in diesem oder jenem Universum, es bleibt eine Frage der innerparteilichen Demokratie, dass man Mehrheitsentscheidungen akzeptieren muss. Oder man stellt eben einen GO Antrag (s.o.).

Ich gestehe, ich habe Stefan Körner nicht gewählt. Ich werde aber mit ihm als Bundesvorsitzendem weiter machen. In meinem Universum gibt es Piraten und andere. Da halte ich es mit den Worten von Kristos Thingilouthis, unserem neu gewählten politischen Geschäftsführer:

Wenn wir etwas können, dann ist es bashen. Darin sind wir Weltmeister. Wenn wir das mal gegen die anderen richten…“**

kackeAbschließend noch eine Bemerkung. Ein Paralleluniversum war auch der Raucherplatz, dort fielen die Worte: „Ich bin diesmal nicht hier um zu arbeiten, sondern um zu saufen und zu pöbeln.“ Da fällt mir nur ein T-Shirt ein welches, natürlich mit menschlichem Inhalt gefüllt :-), gerade vorbeilief.

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* Halle/Twitter steht hier stellvertretend für die verschiedensten digitalen Medien.

**Anmerkung: Das „Zitat“ ist evt. nicht ganz wörtlich wiedergegeben – ich habe versucht live mitzuschreiben, da kann es Abweichungen geben.