Nach den Betrachtungen zum Fußverkehr komme ich nun zum zweiten Teil des innerstädtischen Verkehrs, dem „Öffentlichen Personen-Nahverkehr“ (ÖPNV). Dieser muss bei einem Verzicht auf den motorisierten Individualverkehr zukünftig eine dominierende Rolle einnehmen. Darüber sind sich alle Vertreter einer neuen Verkehrspolitik theoretisch einig.
Differenzen gibt es allerdings bei der Frage „Wie bringe ich die Leute dazu Bus und Bahn zu benutzen?“
Ich gehe davon aus, dass dies nicht durch Zwangsmaßnahmen erreicht werden kann. Also eine weitere Verteuerung und/oder Einschränkung wird sich als kontraproduktiv erweisen.
Es stellt sich m.E. nach die Frage „Warum fahren Bürger mit dem Auto? Besonders diejenigen die es sich nicht leisten können, oder die die es eigentlich nicht wollen.“
Es scheint mir zu einfach auf Bequemlichkeit, Statusdenken und ähnliches zu verweisen. Vielmehr ignoriert wohl der ÖPNV erfolgreich die Mobilitätsbedürfnisse der Bürger.
Im Folgenden möchte ich auf einige Probleme hinweisen die von der Nutzung des ÖPNV abhalten. An dieser Stelle noch ein Hinweis. Der neuerdings wieder aufgetauchte Ansatz „Leben, Lernen und Arbeiten im Quartier“ ist für mich ein Rückschritt zu den Zuständen anfangs des 20. Jahrhunderts. Der Bürger soll nach meiner Meinung die Möglichkeit haben innerhalb seiner Stadt jederzeit am öffentlichen Leben teilzunehmen.
Die Frage der Barrierefreiheit habe ich bereits in den vorhergehenden Artikeln behandelt, ich beginne also direkt mit Bus und Bahn.
1. Fahrpläne
Wie in meinem Artikel [3] beschrieben ist die Fahrplangestaltung des ÖPNV in Leipzig noch nach den Erfordernissen der Bevölkerung mit dem Stand Mitte des 20. Jh angelegt. Es wird unterschieden in Stoßzeiten an Werktagen, Abend- und Nachtsunden, Samstags, Sonn- und Feiertagen. Die Veränderung der Arbeits- und Lebenswelt des 21. Jh findet kaum Beachtung.
Besonders absurd ist, dass gerade die Arbeitskräfte im Dienstleistungssektor die mit ihrem Verdienst knapp am oder (weit) unter dem angestrebten Mindestlohn liegen in den Nachtstunden und an Samstagen, Sonn- und Feiertagen auf den ÖPNV angewiesen sind. Diese „Zielgruppe“ fährt zum Teil nur mit dem Auto weil der ÖPNV ihre Bedürfnisse ignoriert.
2, Linienführung
Auch diese ist noch an das alte Verkehrskonzept „Transport von den Wohngebieten zu den Arbeitsstätten“ weitestgehend angelehnt. Diese industriellen Kerne sind aber nicht mehr oder nicht mehr in gleichem Umfang existent. Am Beispiel Leipzig kommen noch einige Besonderheiten dazu. Nach wie vor ist die Haltestelle „Leipzig Hauptbahnhof“ der zentrale Umsteigepunkt. Das bedeutet im Klartext – diese Haltestelle ist permanent voll. Nehmen wir als Beispiel ein Ziel, die „Agentur für Arbeit“, welches leider für einen Großteil der Leipziger mindestens einmal monatlich angesteuert werden muß so bleibt gerade z.B. den Einwohnern von Leipzig-Grünau keine Wahl als an dieser Haltestelle umzusteigen. Mit der Linienführung der Linie 10 oder 11 über Hauptbahnhof-Westseite – Goerdelerring – Thomaskirche – Neues Rathaus auf die weiter unveränderte Linienführung zurück, würde der Goerdelerring als Umsteigepunkt verstärkt genutzt, der Hauptbahnhof wäre unverändert erreichbar, die heutige Zentralhaltestelle entlastet und ein weiterer direkter Zugang zur Westseite der Innenstadt eingerichtet.
3. Fahrzeuge des ÖPNV
Ein Umstieg weiterer Personengruppen auf den ÖPNV bringt nicht nur ein erhöhtes Fahrgastaufkommen mit sich. Ist ein Umstieg auf den ÖPNV ernsthaft gewollt, dann muss auch beachtet werden, dass das „Gepäckaufkommen“ erheblich steigen wird. Ich bezweifle, dass es ein Zurück zum „Einkaufen im Quartier“ geben wird. Geschäfte, Supermärkte und Einkaufszentren sind nun mal nicht in allen Quartieren gleich verteilt und der Bürger wird nicht wie in der DDR jeden Tag etwas einkaufen wollen, er wird weiterhin den Großeinkauf bevorzugen. Daraus folgt, dass die Möglichkeit der verstärkten Nutzung von „Transporthilfen“ und des Transports von größeren Mengen von Gepäck gewährleistet werden muss. Dafür ist aber die derzeitige Ausstattung von Bahnen und Bussen nur bedingt, meist in keiner Weise, geeignet.
4. Informationssystem
Da nicht davon auszugehen ist, dass jeder Nutzer des ÖPNV über ein Smartphone das online-Informationssystem nutzen kann muss das offline-System dringend ausgebaut werden. In Leipzig gibt es die Leuchtanzeigen an vielen Haltestellen und die Aushänge der Fahrpläne an allen. Diese haben aber ein Manko. Sie betreffen nur die konkrete Haltestelle. Zwei Beispiele dazu seien genannt:
– Georg-Schumann-Straße/Lindenthaler Straße, Haltestelle Linie 10/11/90. Sowohl elektronisch als auch Fahrplanaushang zeigen nur diese Linien. Die Haltestelle ist aber auch Umsteigepunkt zu der Linie 4, Haltestelle Lindenthaler Str./Georg-Schumann-Str.. Es fehlt jede Anzeige über die Umsteigemöglichkeit. Weder gibt es einen Richtungsanzeiger zu der jeweiligen Haltestelle, noch eine Information über die nächste Abfahrt in die jeweilige Richtung. Besonders für den Ortsfremden ist dies problematisch.
– Noch absurder ist die Lage beim Umstieg von der Straßenbahn zur S.-Bahn oder anderen Zügen des MDV. Selbst an der Zentralhaltestelle Leipzig-Hauptbahnhof, die immerhin einen direkten Zugang bietet, gibt es weder eine Richtungsanzeige noch eine Fahrplananzeige.
5. Haltestellenlage und -abstand
Auch hier ist Nachdenken gefordert. Wenn eine vermehrte Nutzung des ÖPNV gewollt ist, dann sind die Abstände zwischen den Haltestellen teilweise nicht attraktiv. Aber nicht nur die Abstände, auch die Lage der Haltestellen.
Am Beispiel der Haltestelle G.-Schumann-Str./Lindenthaler Str. möchte ich dies erklären. Geht man vom Ansatz lt. Pkt. 3 „Fahrzeuge des ÖPNV“ aus, dann wird diese Haltestelle durch das „Kaufland“ wichtiger werden. Aber um dieses zu erreichen muß der Kunde aus Richtung Innenstadt kommend die Lindenthaler Str., die G.-Schumann-Str. und die Natonekstr. überqueren, Fußweg geschätzt 500 m. Das wird einige vom Umstieg abhalten, trotz „Barrierefreiheit“, „Gehwegsanierung“ und „Fahrzeugausstattung“. Alternativ wäre also eine zusätzliche Haltestelle „Breitenfelderstr.“ denkbar. Wichtig ist der Haltestellenabstand selbstverständlich für mobilitätseingeschränkte Verkehrsteilnehmer und besonders bei schlechtem Wetter.
6. Fahrpreise
Ich bringe diesen Punkt an letzter Stelle. Persönlich in ich für den kostenlosen ÖPNV. Das habe ich bereits begründet [4]. Noch einmal zusammenfassend: Für die Berechnung verweise ich auf das Konzept der Bremer Piraten [5], diese kommen bei ihrer Berechnung auf eine Summe von 20,- € pro Bürger. Wobei ich noch die Einrechnung der „Kosten für die Fahrscheinerlöse“ vermisst habe. Weiterhin muss man wohl beachten, dass die „Sozialtickets“ auf zwei Wegen bereits von allen Bürgern bezahlt werden. Der erste Weg ist die Subvention für diese aus Steuermitteln, der zweite der Anteil den der Bezieher von Leistungen lt. SGB II (Hartz IV) selbst zahlt. Dieser wird auch aus anderen Mitteln der Gesellschaft finanziert. Auch die Verwaltungskosten für die Bearbeitung der Anträge auf Fahrpreisermäßigungen müssen bei der Berechnung beachtet werden. Es ist also dringend erforderlich diese Berechnung durchzuführen. Dem kostenlosen, besser fahrscheinlosen ÖPNV sollte nichts im Wege stehen. Auch hier der Hinweis auf das „Leben, Lernen und Arbeiten im Quartier“ mit besonderem Hinweis auf den Schülerverkehr. Ein Schülerticket wird nicht nur für den Schulweg benötigt. Es wird auch benötigt um die Teilhabe der Kinder und Jugendlichen am gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Stadt zu gewährleisten.
Hiermit schließe ich die Betrachtungen zum ÖPNV. Es gibt gewiss noch weiter Aufgabenstellungen – ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Ein Hinweis noch, diese Maßnahmen sind nur hilfreich wenn sie gemeinsam mit den Maßnahmen zum Fußverkehr durchgeführt werden.
Sie sind Grundlage für die angedachten Maßnahmen des nächsten Artikels zum motorisierten Individualverkehr.
[3] https://tom-coal.com/fahrscheinloser-opnv-zu-teuer/
[4] https://tom-coal.com/fahrscheinloser-opnv-zu-teuer/
[5] http://taz.de/Ticketloser-Nahverkehr/!131845/
Das Papier der Stadt Leipzig findet man hier: http://www.leipzig.de/umwelt-und-verkehr/verkehrsplanung/