Sonntagsarbeit, Videotelefonie und das Ende der Telefonie im Callcenter

Vielleicht haben es noch nicht einmal alle meine KollegInnen mitbekommen, aber in den Callcentern der Republik tut sich was. Ob das allerdings immer gut ist?

Zuerst zum Dauerthema Sonntagsarbeit, ich schrieb schon zwei mal darüber. An diesem Wochenende endet eine Befragung der Unternehmen durch den Call Center Verband Deutschland e.V.* (CCV) zu diesem Thema. Ich habe mir am letzten Sonntag den Spaß gemacht (Sorry Chef!) meine KundInnen unverbindlich zu fragen wie sie es finden, dass wir Sonntags erreichbar sind. Großes Erstaunen, die Empathie für uns hielt sich in Grenzen – sie fanden es alle gut.

Wer hat nicht gern am Wochenende frei? Ich natürlich auch, aber „Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust“ ich möchte am Sonntag auch Service, besonders bei Ausfällen von Technik, in Anspruch nehmen. Genau so gern habe ich in der Woche, wenn Behörden, Ärzte und Geschäfte geöffnet haben, einen oder zwei Tage arbeitsfrei. Das ging mir auch schon so, als mein Kind noch klein und in Kindergarten oder Schule war. Wir haben uns als Familie damit arrangiert – hat geklappt.

Ob nun alle Callcenter in allen Geschäftsbereichen geöffnet haben müssen und mit welchem Personalbesatz, das ist eine Frage die sich nicht mit einem Verbot der Sonntagsarbeit klären lassen kann.

Meinen Freunden von Ver.di, die in Hessen am Verbotsantrag beteiligt waren, schreibe ich ins Stammbuch: Durch das Verbot der Sonntagsarbeit gehen Arbeitsplätze verloren! Erstes Semester BWL, Erarbeitung eines Personalschlüssels für eine Firma mit 6 der 7 Arbeitstagen. Einfach mal drüber nachdenken wäre hilfreich.

Die Einführung der Videotelefonie im Callcenter wird von einigen Protagonisten der Hard- und Softwarefirmen angestrebt. Ich gebe zu, das wäre ein riesiges Geschäft für diese, ist dies aber auch wirklich erstrebenswert?

Fragen wir wieder mal die KundInnen, viele wollen das nicht. Wenn diese sich vor dem Anruf beim Callcenter ordentlich anziehen, evt. Schminken und zumindest den mit aufgenommenen Hintergrund aufräumen müssen (man will ja einen guten Eindruck machen) dann werden die meisten streiken.

cca3xDie AgentInnen haben ein anderes Problem, sie müssten die Arbeit mit der Stimme in eine quasi schauspielerische Tätigkeit wandeln. Gestik, Mimik und diese natürlich 8 Stunden lang perfekt beherrschen, diese Leistung bringen selbst Berufsschauspieler nur in Ausnahmefällen. Die Gefahr von Eskalationen steigt, wenn die KundInnen die AgentInnen sehen. Heute ein falscher Tonfall – morgen ein Zwinkern an der falschen Stelle, das sehe ich kritisch. Für die Unternehmen würden auch große Investitionen erforderlich werden. Umgestaltung der Call-Floors – die KundInnen wollen ja ein schönes Bild sehen – und Arbeitskleidung für die Mitarbeiter schlagen hier schnell mit erheblichen Summen zu Buche. Dazu kommen natürlich die Ausgaben für Hard- und Software.

Mein Fazit: Nicht alles was technisch möglich ist muss eingeführt werden.

Letzter Punkt ist der Umstieg von der Telefonie auf online-Medien. Diese Diskussion läuft ja schon seit Jahren und sie hört einfach nicht auf.

Hier muss ich kurz auf meine Arbeit eingehen, ich mache technischen Support für ein großes Telekommunikationsunternehmen. Daraus resultiert das erste Problem: Was machen KundInnen wenn das Internet ausfällt? Da sind die online Hilfen nur über den Bildschirm des Smartphones erreichbar, vorausgesetzt das Datenvolumen reicht noch. Das ist aber nur ein Problem.

Warum rufen bei mir eigentlich auch Nerds an wenn Fehler auftreten? Vorausgesetzt der Internetzugang funktioniert noch, haben sie schon alles versucht und sie verstehen etwas von der Materie. Sie rufen an, weil sie Probleme damit haben den Fehler zu beschreiben. Das ließe sich natürlich mit einer intelligenten Abfrage steuern, der Zeitaufwand für KundInnen wäre aber erheblich. Wie das, werden sich einige fragen. Die erfahrenen AgentInnen haben dafür ein Mittel welches Software noch nicht richtig simulieren kann – die Intuition, die aus der Erfahrung resultiert.

Wenn also selbst KundInnen die Erfahrung mit PC und Internet haben an der Fehlerbeschreibung scheitern, was wollen wir dann von „Oma Erna“ oder „Opa Fritz“ erwarten?

Ein großer Teil unserer Arbeit besteht ja darin die KundInnen zu beruhigen, damit sie überhaupt in der Lage sind Fehler zu schildern. Das kann eine Software eher nicht.

Eines sehe ich an EDV gestützten Systemen zusätzlich als problematisch – die Eskalationsgefahr. Wer sich in den sozialen Netzwerken bewegt weiß wie schnell eine online Diskussion „aus dem Ruder läuft“. Das geschieht weil der Gegenüber nicht sichtbar und hörbar ist, wenn also der Support über Twitter, Facebook & Co. Läuft, dann wird die Eskalationsschwelle niedriger.

Ich gestehe der online Kommunikation ein großes Potential zu, aber ersetzen wird sie die Callcenter-AgentInnen in nächster Zeit eher nicht.

Mein Fazit:

Das Geld, welches für Videotelefonie und/oder online-Lösungen aufgewendet werden müsste, sollte besser zu großen Teilen in die Aus- und Weiterbildung der AgentInnen investiert werden. Das wäre in unserem Sinne und im Sinne der Kunden.

* Der Link ist nicht falsch, ich habe bewusst auf den Artikel von Walter Benedikt zur Sonntagsarbeit verlinkt. Wer den Call Center Verband sucht, der wird hier fündig.

Sonntagsarbeit im Callcenter – ich bin enttäuscht!

Einleitend sei gesagt, dass ich nicht unbedingt Sonntags arbeiten will – ich bin schließlich am unteren Ende der Nahrungskette im Callcenter – aber ich sehe die Probleme, die mit einem Verbot der Sonntagsarbeit auf uns zukommen.

Umso mehr enttäuschen mich sowohl die Branchenvertreter als auch die Gewerkschaft ver.di.

Auch wenn der zuständigen ver.di Bundesfachgruppenleiter Ulrich Beiderwieden im Interview mit callcenterprofi.de den arbeitsfreien Sonntag als „soziale Errungenschaft, … Tag der Ruhe und Erholung“ deklarierte und als unverzichtbar bezeichnete, so ist für mich die Klage von ver.di Hessen gemeinsam mit der evangelischen Kirche Hessen-Nassau unverständlich.

Die soziale Errungenschaft der letzten Jahrzehnte war der arbeitsfreie Samstag – also die 40-Stunden-Woche. Die Gewerkschaften forderten ja „Samstags gehört Vati mir“. Der Sonntag ist ein arbeitsfreier Tag mit christlichem Hintergrund, fixiert im Grundgesetz und übernommen aus der Weimarer Reichs Verfassung von 1919. Es geht mir hier um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Kommt nun als nächstes die Forderung die Callcenter Samstags auch zu schließen?

Noch einmal kurz zum Ausgangspunkt: Am 26. November urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zur Sonntagsruhe in Hessen, ich schrieb darüber. Unter anderem für die Callcenter wurde mit diesem Urteil die Sonntagsarbeit verboten.

Im verlinkten Artikel äußerte ich mich noch verhalten optimistisch und schloss aus, dass die Arbeit ins Ausland verlagert wird. Ich gab allerdings zu bedenken:

Einige Mitarbeiter werden ihre Jobs verlieren, weil für eine 6-Tage-Woche ein anderer Personalschlüssel gilt als für eine 7-Tage-Woche.

Zu dem Zeitpunkt rechnete ich noch fest mit juristischen Reaktionen der Branchenvertreter, stellvertretend dem Call-Center-Verband (CCV). Eine kurze Erklärung zum CCV, dieser ist kein tariffähiger Arbeitgeberverband sondern ein Interessenverband und vertritt Unternehmen die ca. 35% der Callcenter-Arbeitsplätze repräsentieren.

Leider beschränkte sich die Reaktion der Verbandsmitglieder auf reine Schadensbegrenzung, die auf Kosten der Beschäftigten geht.

So bietet Gerald Schreiber, Geschäftsführer der davero gruppe, betroffenen Unternehmen „Hilfe vom Bosporus“ an. Er steht da nicht allein mit den Nearshore-Lösungen. Die wenigsten wissen ja, dass in der Türkei viele deutschsprachige Menschen leben. Einige Callcenter haben dort schon Niederlassungen, die außer dem Serviceangebot in türkischer Sprache für Deutschland  auch ganz normale Callcenter-Tätigkeiten für Deutschland anbieten.

Auch der Ausbau von Voice-Self-Services soll in Zukunft verstärkt werden. Es wird also verstärkt auf automatisierte Systeme gesetzt werden.

Die erste Lösung ist kurz- und mittelfristig durchsetzbar, bei Erfolg wird sie sich aber nicht auf die Sonntagsarbeit beschränken sondern komplett Arbeitsplätze aus Deutschland ins Ausland verlagern.

Die zweite Lösung ersetzt einfach Beschäftigte durch Maschinen, Ansätze werden bereits geprüft, das Urteil wird die Einführung der Systeme beschleunigen.

Einige Anmerkungen zur Branche erscheinen mir hier erforderlich.

Die Branche umfasst ca. 500.000 bis 600.000 Beschäftigte* und ist somit wohl die größte Branche in Deutschland ohne Tarifvertrag. Die Branche gliedert sich in inbound- und outbound-Bereiche, das Urteil gilt ausschließlich für den inbound-Bereich da die outbound-Telefonie zeitlich eingeschränkt und Sonntags komplett verboten ist. Als lesbare Zusammenfassung für Einsteiger empfehle ich einen älteren Artikel oder den Artikel Callcenter-Die Branche von Matze.

Wenn wir von dem Verbot der Sonntagsarbeit sprechen, geht es allein um Callcenter die der Kunde aus verschiedenen Gründen anrufen will oder muss. Wir reden von Kundenbedürfnissen und von den Bedürfnissen der Mitarbeiter.

Versteht also bitte meine Enttäuschung.

Die Gewerkschaft ver.di hat Teil an der Initialzündung für den Arbeitsplatzabbau in der Call-Center-Branche, wenn auch aus ehrenhaften Motiven, und die Unternehmervertretung reagiert indem sie genau dies forciert.

Der Kunde wird letztendlich nicht viel oder gar nichts davon bemerken, beide vorgenannten Lösungsansätze der Arbeitgeberseite zielen darauf hin.

Wir, die Beschäftigten der Branche, die ab 01.01.2015 erstmals durch die Einführung des Mindestlohnes aus dem Billiglohnsektor herauskommen, werden die Rechnung bezahlen.

Ein Lösungsansatz im Interesse aller wäre es, wenn die Unternehmer endlich einen tariffähigen Arbeitgeberverband gründen und in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, ob nun ver.di oder DPVKOM, einen Flächentarifvertrag, der auch die Sonntagsarbeit regelt, abschließen.

Damit ist aber eher nicht zu rechnen – ich werde nicht der Einzige sein der enttäuscht ist.

* Die Zahlen sind nicht eindeutig, da die verlinkte Statistik nur für 2013 gilt.

Sonntags ist das Callcenter zu.

Zumindest soll das laut den Presseberichten zum gestrigen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Hessen ab sofort gelten. Die anderen Bundesländer sollen dann wohl nachziehen.

Die evangelischen Verbände und ver.di jubeln über ihren Erfolg und die evangelische Kirche in Hessen und Nassau äußert sich wie folgt:

„Das Urteil ist hilfreich für die weitere Diskussion rund um die Zukunft unserer Sonn- und Feiertage“, sagte Ulrike Scherf, Stellvertreterin des Kirchenpräsidenten. Wichtig sei das Verbot der Sonntagsarbeit in Call-Centern.

Ich könnte jetzt in die Argumentation des Call Center Verbands einsteigen. Nach dieser leidet ja ausschließlich der Verbraucher unter diesem Verbot. Das stimmt auch, die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland sehe ich allerdings nicht als Gefahr.

Ich würde aber gern die Kläger und die Richter fragen, ob sie überhaupt wissen worum es bei der Klage und dem Urteil geht.

Leider liegt das Urteil noch nicht in Textform vor, somit muss ich mich an die Pressestimmen halten und einfach den Terminus Callcenter verwenden.

Lieber Herr Pfarrer, wenn dieser Terminus so im Urteil steht, dann gibt es am Sonntag keine Telefonseelsorge mehr. Zumindest nicht wenn jemand diese hauptberuflich und ausschließlich macht.

In einem früheren Artikel habe ich das schon mal beschrieben:

Zusammenfassend gesagt, ist ein Callcenter ein „Telefon-Beratungszentrum“. Der Begriff sagt nichts weiter aus, schon gar nicht, ob es sich um eine Einrichtung eines Anbieters oder um einen externen Dienstleister handelt.

Sollte also im Urteil der Begriff Callcenter stehen, dann handelt es sich um alle professionellen Telefon-Dienstleister, egal wo sie angestellt sind. Weder die Telefonseelsorge der Kirchen, die Heilsarmee noch die Schadenannahme der Versicherung dürfen am Sonntag telefonieren. Es sei denn, diese werden als Notdienste deklariert.

Andererseits, nimmt man den Begriff Notdienste als Kriterium, dann bleiben viele externe Callcenter auch Sonntags geöffnet. Störungsannahme, technischer Support, Versicherungen und viele mehr kann man ja mit Recht als solche deklarieren.

Was passiert aber dann, wenn der Hilfesuchende plötzlich noch seinen Vertrag ändern will? Darf der Kundenberater, zu dessen werktäglichen Aufgaben diese Änderung gehört, das dann veranlassen? Oder muss er den Kunden auf den nächsten Werktag vertrösten?

Ich hoffe, dass im Urteil auch die Ausnahmen geregelt sind. Externe Callcenter arbeiten ja nicht für sich selbst, sie arbeiten für Auftraggeber. In vielen Fällen machen sie eben Notdienste für diese.

Die evangelische Kirche in Hessen und Nassau und ver.di freuen sich über das Urteil. Wer fragt die Mitarbeiter in Callcentern? Ver.di ist da nicht gerade stark vertreten und über die Zugehörigkeit der Mitarbeiter zu Kirchen möchte ich nicht spekulieren.

Für mich ist das Urteil, wie es in der Presse beschrieben ist, Unsinn.

Die Kunden werden sich nicht freuen, wenn sie erst am Montag telefonisch bestellen, reklamieren oder was auch sonst können.

Einige Mitarbeiter werden ihre Jobs verlieren, weil für eine 6-Tage-Woche ein anderer Personalschlüssel gilt als für eine 7-Tage-Woche.

Als Dank für den freien Sonntag werden wohl weder ver.di noch die Kirchen Mitgliederzuwächse verzeichnen können.

Es ist eine lose-lose-Situation, für alle.

Besser wäre es, wenn der Gesetzgeber sich mit dem Arbeitszeitgesetz für das 21. Jahrhundert beschäftigen würde.

Aber das ist wohl eher Neuland.

P.S. Eine Anmerkung sei gestattet, die Callcenter dürfen am Sonntag bereits jetzt keine outbound Telefonie betreiben. Alle Mitarbeiter in Callcentern werden am Sonntag von den Kunden angerufen.

P.P.S. Ver.di könnte sich für einen Tarifvertrag für Callcenter stark machen. Das wäre sinnvoller.