Anonymität und Pseudonymität

sollen heute mein Thema sein. Allerdings auf meine Art, auf Vollständigkeit lege ich ausdrücklich keinen Wert. Dazu ist das Thema zu vielschichtig.

Bevor ich aber beginne möchte ich auf  Drängen eines anonymen (für die Leserschaft) Lesers eine Anmerkung machen.

Die bisherigen Beiträge zum Thema Privatsphäre beruhen zum größten Teil auf Diskussionen aus dem realen Leben. Dort komme ich mit vielen Menschen zusammen die dazu einfach keine Meinung haben und dieses Thema als nebensächlich betrachten. Deshalb auch einige stilistische Mittel die vielleicht manchem seltsam erscheinen. Ansonsten, wie immer die Packungsbeilage beachten.

Ich weiche hier von großen wissenschaftlichen Definitionen etwas ab wenn ich sage anonym ist für mich eigentlich ganz einfach namenlos im Sinne von unbekannt oder unerkannt.

Diesem Zustand der Anonymität muss nicht einmal eine Absicht zugrunde liegen. Er ist ganz normal wenn ich mich in der Öffentlichkeit bewege. Wenn ich in einer fremden Stadt bin, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass ich für die Passanten auf einer Straße anonym bin. Einfach ein Teil der Menschenmasse – ein anonymer Teil. Vor 40 Jahren, oder auch heute solange ich kein Handy dabei habe und meine EC Karte nicht benutze, war und ist* dieser Zustand normal. Ich wurde erst identifiziert, wenn ich mich vorstellte, Bekannte traf oder in eine Kontrolle kam und mich ausweisen musste. Diese Anonymität – das Recht mich so zu bewegen – ist ein Teil meiner Privatsphäre. Demokratische Gesellschaften schützten dieses Recht unter Anderem dadurch, dass man nicht einfach verdachtsunabhängig Bürger kontrollieren darf.

Das ist die eine Art der Anonymität, die andere ist eng verwandt mit der Pseudonymität.

In Diktaturen war und ist es normal, dass man, bis auf Ausnahmen, seine Kritik am Regime unter Decknamen, da haben wir das Pseudonym, oder ohne Namen also anonym anbringt. Dies geschieht um Verfolgungen zu entgehen. Es ist erforderlich wenn man überleben will.

Pseudonyme in Form eines Künstler- oder Nick-Namens sind eine Spielerei, denn der Träger des Pseudonyms ist nicht wirklich unbekannt.

Eine große Errungenschaft der Demokratien des 20. Jahrhunderts war nun, oder sollte es zumindest sein, dass eine Anonymität oder Pseudonymität im Sinne des vorletzten Absatzes nicht mehr erforderlich sein sollte.

Der Staat hat nun aber das Bestreben zu wissen was seine Bürger wann und wo tun und was sie denken und sagen nie abgelegt. Die technische Entwicklung hat ihm dazu Instrumente in die Hand gegeben, die er auch nutzen will.

Um dies nun zu tun ist ihm jedes Mittel recht. Ein Mittel benutzt er gern und bevorzugt. Dieses Mittel ist die Angst des Bürgers. Angst vor Terroristen, Kinderschändern, Drogen – man könnte eine lange Liste schreiben. Diese Angst muss nun geschürt und am Leben erhalten werden. Selbst die peinlichsten Entgleisungen von Politikern ändern nichts am Konzept.

Was macht nun der Bürger? Er zieht sich in die Anonymität und Pseudonymität seiner Vorfahren ,die in Diktaturen lebten, zurück. Aus Angst vor dem demokratischen Staat.

Mal ehrlich, ist das noch normal?

* Ich habe hier bewußt auf Kameras mit Gesichtserkennung und ähnliches verzichtet. Ich wollte es einfach halten.

Die Zeit (29.09.2011) 5 Wahrheiten über Europa

Am 29.09.2011 machte ich mir bei einer Zigarette und viel Kaffee meine Gedanken über einen Artikel. Am gleichen Tag auf Google+ veröffentlicht.

Donnerstag Morgen – Zeit für DIE ZEIT

Und was ist da zu lesen? Aufmacher auf Seite 1:
5 Wahrheiten über Europa und
Fragt das Volk! (über Europa)

Gut und schön, aber was ist nun mit den Inhalten?
Eine der Wahrheiten über Europa ist dem Aufmacher nach: Europa wird nie bürgernah sein(Seite 3)

Warum eigentlich nicht?
Da haben wir ja schon das Problem, welches mit diesem Fragt das Volk! zusammenhängt.
Demokratiedefizite, oder auch das Fehlen von Demokratie.
Aber mal zu den Grundlagen. Nehmen wir also das große Europa und Hans Franz und Lieschen Müller aus Klein-Kleckersdorf, geschüttelt mit folgendem Zitat von Alexis de Tocqueville (1805-1859) in Über die Demokratie in Amerika :

In Europa kommt es oft vor, dass die Regierenden selber den Mangel an Gemeindegeist bedauern; denn alle stimmen darin überein, dass der Gemeindegeist ein wichtiges Element der Ordnung und der öffentlichen Ruhe bildet; aber sie wissen nicht, wie man ihn hervorbringt. Sie fürchten die Aufteilung der gesellschaftlichen Macht und für den Staat die Gefahren der Anarchie, wenn sie die Gemeinde stark und unabhängig werden lassen. Wo aber der Gemeinde die Stärke und die Unabhängigkeit entzogen wird, kann es immer nur Verwaltete, nie aber Bürger geben.

Setzen wir nun mal probehalber für Gemeinde die Worte GemeindeBundesland und Bundesrepublik einsetzen und für den Staat nehmen wir Europa. Dann ergibt sich folgendes Bild.
Hans Franz und Lieschen Müller aus Klein-Kleckersdorf sind, was ihre Interessenlagen betrifft, natürlich in erster Linie an ihrem eigenen Wohlbefinden interessiert, das ist menschlich normal. Nun kommt aber der Blickwinkel auf die Gesellschaft, dort sehen sie in der Reihenfolge zuerst ihre Gemeinde, dann ihr Bundesland, dann die Bundesrepublik und erst dann Europa. Das ist menschlich und auch richtig.
Das ist die Grundlage für die Demokratie!
Die jetzige Europapolitik ist nicht demokratisch, da Europa (also die EU) ein von der Administration geschaffenes Kunstgebilde ist. Hans Franz und Lieschen Müller können sich also nicht mit Europa identifizieren, weil zwar die Bundesrepublik per Regierungsbeschluss zu Europa gehört, die Beiden und somit Klein-Kleckersdorf sich aber nicht zugehörig fühlen.
Nun aber nochmal der Abschlußsatz des Zitates:

Wo aber der Gemeinde die Stärke und die Unabhängigkeit entzogen wird, kann es immer nur Verwaltete, nie aber Bürger geben.

Hans Franz und Lieschen Müller aus Klein-Kleckersdorf fühlen sich also nicht als Bürger Europas, sondern als Verwaltete.
Somit kann also Europa nie bürgernah sein, weil es den europäischen Bürger nicht gibt.

Das soll nun aber nicht bedeuten, dass ich gegen die europäische Einigung bin.
Es soll eigentlich nur ausdrücken, dass es, meines Erachtens nach, noch keine Grundlagen für diese gibt. Europa kann nicht per Beschluss angewiesen werden, wie bisher. Europa muss wachsen – mit dem Bürger.
Dazu muss der einzelne Bürger einbezogen werden (also Demokratie) und natürlich informiert werden, was bedeutet Europa für ihn/sie, für die Gemeinde, für das Bundesland und für die Bundesrepublik.
Die derzeitigen Schreckensszenarien „Wir müssen Europa stärken – sonst bricht alles zusammen“ sind eher destruktiv, weil sie eine Abwehrhaltung erzeugen. Außerdem bringen sie die Rückbesinnung auf die gute alte Zeit, als alles besser war und zerstören den Gedanken an eine Europäische Union bereits im Ansatz.

Ein Gedanke noch zu dem verwendeten Zitat. Es ist natürlich schon sehr alt und vielleicht auch nicht politisch korrekt. Aber es ist schon etwas dran. Allerdings der Ausdruck Die Regierenden ist eigentlich heute anders belegt. Im Europa der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es Monarchen (vergleichbar mit: Ludwig XIV, „L’État, c’est moi! – Der Staat bin ich!“ ). Heute sollten die Regierenden eigentlich (modernisiert nach Friedrich II „Ich bin der erste Diener des Staates“ ) die Ersten Dienstleister des Volkes sein.

Eine Lösung habe ich natürlich nicht anzubieten, ich habe eben nur mal darüber nachgedacht.