Hotline – Callcenter – Bild-Zeitung

Dass die Bild Unsinn schreibt – oder auch Tatsachen in abweichender Form präsentiert, das ist nicht nur mir bekannt. In letzter Zeit hat sie sich auf die Callcenter-Branche, in der ich arbeite, eingeschossen.

Ich will das nicht unkommentiert lassen.

Wie unschwer aus der Überschrift zu sehen, geht es um die Arbeitenden an den Hotlines und somit in den Callcentern.

Die letzten Beiträge in „Deutschlands größter Tageszeitung“ stellten die Lage so dar, als ob dort nur inkompetente, faule, betrügerische und unterbezahlte Menschen arbeiten. Den letzten Punkt kann man vielleicht so stehen lassen – der Rest ist eine „urban Legend“, die eben von solchen „Qualitätsjournalisten“ und „Zeitungen“ willfährig bedient, besser gesagt geschaffen, wird.

Hotline – technische Support

Das ist mein Arbeitsgebiet, ich mache diesen Job schon eine Weile und meist auch gern. Wer Interesse hat, kann dazu einiges hier lesen. Im heutigen Artikel:

Die größte Telefonaktion zu DSL- und Mobilfunk-Ärger

verspricht die Bild nun, dass morgen „Im ersten Anlauf geholfen wird“ – das haben die Anbieter der Bild versprochen.

Unsere tägliche Arbeit

Genau das ist es, im ersten Anlauf helfen – das machen wir täglich. Aber es gibt da Missverständnisse mit den Kunden. Wenn ich selbst Kunde bin, dann muss ich mir das auch immer wieder in Erinnerung rufen.

Der erste Anlauf

Ich weiche mal vom Callcenter ab und gehe auf meine alte Arbeit, also Pannenhilfe und Abschleppdienst im Auftrag des ADAC, zurück. Es war Samstagnacht, kalt und nass, ein Kunde aus Bayern stand mit seinem defekten Auto auf der A1 bei Bremen. Er war ADAC-Mitglied und hatte Anspruch auf Pannenhilfe oder Abschleppen zur nächsten Werkstatt. Das Auto hat einen Motorschaden, also nichts mit Pannenhilfe, ich schleppte es zur nächsten Werkstatt und bot dem Kunden an ihn zu einem Hotel zu fahren oder ihm einen kostenpflichtigen Mietwagen zur Verfügung zu stellen. Das war „im ersten Anlauf geholfen“, auch wenn der Kunde seine Fahrt nicht wie geplant fortsetzen konnte.

An der Hotline

Nochmal, dort sitzen meist gut ausgebildete und kompetente Mitarbeiter, versehen mit modernster Technik zur Behebung von Fehlern, die mit Fernwartung behebbar sind. Oft beschäftigen wir uns auch mit dem „Fehlerbild User“, welches nicht selten auftritt. Trotzdem ist die „Hilfe im ersten Anlauf“ oft, also öfter als uns lieb ist, z.B. der Einsatz eines Außendienst-Technikers vor Ort. Der muss terminiert werden und kann oft nicht so schnell erscheinen wie der Kunde es sich wünscht – wir würden die Kollegen gern sofort schicken, leider ist das oft nicht möglich.

Es wird wohl noch schlechter werden

Grund dafür sind weniger die Tekommunikations-Anbieter, es wollen einfach zu wenige junge Menschen diese Berufe erlernen und ein erheblicher Teil der Service-Techniker ist näher an meinem Alter, als in dem zwischen 25 und 35 Jahren.

Fazit zum Bild-Arikel

Dieser Artikel suggeriert, dass die Bild die Kunden rettet und uns ins Gesäß tritt. In Wirklichkeit machen wir diese Arbeit täglich – an 365 Tagen im Jahr und oft 24 Stunden am Tag (für die Korinthenkacḱer: Hier ist natürlich Schichtarbeit gemeint).

Jetzt Ihr, liebe Kunden und Bild-Joournalisten – Habt ihr schon mal daran gedacht bei uns zu arbeiten?

Bildnachweis: CCO Creative Commos by geralt – Thank you

Die Schmuddelkinder der Hightech-Welt,

oder auch die Beschäftigten im Billiglohnsektor, kommen ja nicht von irgendwo her. Vielmehr sind sie ein geduldetes Phänomen der Geiz ist geil! oder Ich bin doch nicht blöd! (Un)Kultur unserer Gesellschaft.

Wohlgemerkt, ich schreibe hier nicht über Textilarbeiterinnen in Bangladesch oder Kinder in indischen Steinbrüchen. Diese sind allgemein als Opfer unserer Wegwerfkultur bekannt und jede/r schämt sich wenn er/sie darauf angesprochen wird. Die Scham bleibt nur völlig folgenlos, wenn die Beschämten danach zu KIK rennen oder für das neue iPhone fast einen Monatslohn hinlegen.

Ich habe irgendwie gerade so die Kurve vom iPhone zu den Schmuddelkindern genommen, wenn ihr das bemerkt habt.

Ich gehe mal davon aus, dass das die meisten meinen, Technik kann ruhig teuer sein – Service muss aber hochwertig und kostenfrei sein. Also holt man sich den Service dort wo er kostenfrei ist und wo man hohe Qualität erwarten kann. Das technische Gerät dort, wo es am billigsten ist.

Hier setzt nun meine Betrachtung zum Billiglohnsektor an, selbstverständlich (weil ich es schreibe) geht es um die Beschäftigten in den Callcentern der Republik.

Es ist nicht der erste Artikel den ich zu dieser Thematik schreibe, aber heute möchte ich eine andere Betrachtung in den Vordergrund rücken.

Ich erinnere an den letzten Artikel, dort schrieb ich:

Antwortete ich auf die Frage, was ich beruflich mache, mit „Ich mache technischen Support für einen Telekommunikationsanbieter“ war das eine interessante Tätigkeit. Sagte ich aber „Ich arbeite in einem Callcenter“, dann war ich der „arme Depp vom Dienst“.

Das meine ich wenn ich von Schmuddelkindern spreche. Die allgemein akzeptierte Annahme, dass die Arbeit im Callcenter eine minderwertige Arbeit ist, entsprechend sind die dort Beschäftigten. In dem Artikel habe ich auch meine Version der Entstehung dieses Images dargestellt. Was muss ein Callcenter-Agent oder eine Callcenter-Agentin aber wirklich leisten?

Noch einmal mein Coming out. Ich arbeite seit 2011 in Callcentern – auf der untersten Ebene, als Callcenter-Agent oder Kundenberater, zur Zeit im technischen Support.

Einen großen Teil meines Fachwissens über Elektronik, Telekommunikation, Internet, Computer, Hard- und Software und weitere im Zusammenhang mit meiner Arbeit stehende Kenntnisse habe ich mitgebracht. Den anderen Teil, den speziell auf den Telekommunikationsanbieter zugeschnittenen, habe ich in einem wirklich guten, wenn auch kurzen, Lehrgang gelernt.

Damit ist schon die erste Forderung der KundInnen beschrieben, sie erwarten einen Fachmann oder eine Fachfrau am anderen Ende. Ist diese Forderung aber berechtigt? Ja, sie ist berechtigt wenn sie sich auf Probleme beschränkt die mit dem Anbieter, dem Telekommunikationsunternehmen, zusammenhängen. Nein, alles was Peripherie, sprich eigene Hard- und Software, ist – das könnt ihr mal schön selber klären. Das Beispiel, ihr kauft beim Ich bin ja nicht blöd! oder Geiz ist geil! ein Modem oder einen Router, dann seht zu wie ihr damit klar kommt. Ich muss den nicht kennen. Warum kauft ihr ihn denn dort? Ach ja, er ist billig – dafür gibt’s kaum Service. Den Service wollt ihr unbezahlt von mir. Ja, unbezahlt – denn dafür bekomme ich kein Geld von meinem Auftraggeber. Ehrlich gesagt mit Recht, denn ich werde bezahlt um Support für seine Produkte zu leisten. Das darf ich euch aber nicht so sagen und damit kommen wir zu eurer zweiten Erwartung.

Die zweite Erwartung ist, dass am anderen Ende ein Kommunikationstalent sitzt. Ein Mensch der euch auch eine, oben beschriebene, Ablehnung verkauft ohne euch weh zu tun. Ich gehe hier mal von mir aus, meine Kommunikation habe ich in ca. 40 Arbeits- und Studienjahren gelernt. Zum oben beschriebenen Lehrgang gehörte natürlich auch Kommunikation – aber ehrlich, in 6 Wochen (davon 3 Theorie) Technik und Kommunikation lernen? Fragt mal jemanden der sich professionell mit Kommunikation beschäftigt, wie lange man braucht um Gesprächsführung professionell zu beherrschen. Im Zusammenhang mit dem Kommunikationstraining wurde uns auch beigebracht, dass wir auf den Kunden eingehen sollen. Klingt gut, das reicht euch aber meist nicht – ihr erwartet mehr.

Ihr erwartet, dass bestenfalls ein Psychiater gekoppelt mit einem Pfarrer am anderen Ende der Leitung sitzt und euch tröstet und aufrichtet wenn ihr nicht klarkommt mit dem Geiz-ist-geil-Gerät. Wenn ich gut gelaunt bin, also meist, bezeichne ich diesen großen Teil meines Jobs als Telefonseelsorge. Habt ihr euch schon einmal überlegt, wie lange einer von den beiden, von euch erwarteten Spezialisten, studieren muss und was der in der Wirtschaft, in der Medizin oder im Pfarramt verdient? Aber eure Erwartung geht noch weiter.

Ihr erwartet einen Menschen der einstecken kann, so eine Art Sparringspartner eines Profiboxers. Den ihr beschimpfen und niedermachen könnt wenn euch danach ist. Ihr erwartet jemanden mit Nehmerqualitäten, wie man im Boxsport sagt.

Was ihr erwartet ist die eine Sache. Was ich persönlich euch mit Erfolg bieten kann ist die andere.

Ich muss hier natürlich einen Schnitt machen zwischen meinen Kunden.

Etwa 50% derselben rufen bei mir an weil ihre Probleme durch meinen Auftraggeber verursacht wurden – an guten Tagen! An schlechten sind es weniger.

40 % habe Probleme die mich nichts angehen, wenn ich mich an meine Vorschriften halte. Was ich aber nicht immer mache.

Etwa 10% brauchen die oben beschriebene Zielscheibe für virtuelle faule Eier und vergammelte Kohlköpfe. Nur 10% sind es an guten Tagen.

Alle wollen eine/n kommunikationsstarke/n, technisch hochkompetente/n TelefonseelsorgerIn mit Nehmerqualitäten.

Wenn Diese/r dann auch noch EntertainerIn ist, dann sind die KundInnen mit dem Schmuddelkind zufrieden.

Übrigens, nicht nur die KundInnen – auch der Chef und der Auftraggeber sind dann mit uns zufrieden.

Und das Schmuddelkind der Hightech-Welt darf sich über den gesetzlichen Mindestlohn freuen – ab Januar 2015. Übrigens, ich habe gehört, der Mindestlohn gefährdet auch in unserer Branche Arbeitsplätze.

Wenn ihr also mal vergleicht was ihr erwartet und was ihr auch oft (viele werden sagen: zu selten) bekommt, gibt es dann einen Grund für das Schmuddelkind-Image?

Zum Abschluss noch eines:

Lieber Kunde, liebe Kundin, lieber Chef und lieber Auftraggeber,

kommunikationsstarke, technisch hochkompetente, telefonseelsorgerische EntertainerInnen mit Nehmerqualitäten die gibt’s nur selten zum Nulltarif.

P.S. Disclaimer: „Mit Geiz ist geil!“ und „Ich bin doch nicht blöd!“ sind ausdrücklich nicht Media Markt und Saturn als Firmen gemeint, es geht um die Mentalität der KundInnen die sich durch diese Werbeslogans beschreiben lässt.

P.P.S. Die Betrachtung kann für jede im Billiglohnsektor verhaftete Branche gemacht werden. Ich habe das Callcenter gewählt, weil dies meine Branche ist.

Bin ich froh, dass ich nicht wieder nur in einem Callcenter gelandet bin!

Das sagte letztens ein Kunde nachdem sein Internet plötzlich und unverhofft wieder funktionierte. Er war meinen Anweisungen einfach gefolgt – siehe da, alles wieder in Ordnung.

Ich habe darauf verzichtet ihn aufzuklären.

Da er nicht mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden des Unternehmens, sprich seines Telekommunikationsanbieters, gesprochen hatte besteht doch eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass es eben ein Callcenter war.

Warum hielt dieser Kunde also ein Callcenter für etwas von minderer Qualität.

Der Begriff allein kann es nicht sein, der steht ja einfach für Telefon-Beratungszentrum und als customer-care-center, also in Verbindung mit dem Begriff Kunde (customer), für Kundenberatungszentrum. Ob das Callcenter nun beim Unternehmen in dessen Namen es agiert angesiedelt ist oder ob es an einen externen Dienstleister ausgelagert ist darüber sagt der Begriff nichts aus.

Was meinen also die Leute eigentlich wenn sie über Callcenter sprechen?

Sie meinen nicht ein Callcenter, sie meinen eigentlich einen Auftraggeber. Absurd? Nein, ein externer Dienstleister, bevorzugt einer im Bereich Tele Sales Outbound – zu Deutsch, einer der sie anruft um ihnen etwas zu verkaufen, etwas was sie nicht brauchen, verbunden mit einem Knebelvertrag, überteuert, ohne Nennung der Vertragsbedingungen und der Anruf kommt noch ohne Anforderung – tut dies nicht weil er es will. Er tut dies im Auftrag eines Herstellers, Händlers oder Betreibers. Auch das Verstecken von Rufnummern des technischen Service hinter Rufnummern die zum Verkauf führen macht der Auftraggeber.

Gemeint sind also die schwarzen Schafe der Branche.

Wer mich kennt der weiß, dass ich in einem Callcenter arbeite und zwar als Call Center Agent oder auch Kundenberater. Allerdings bezeichne ich mich selbst nicht so, ich mache telefonischen Support für ein Telekommunikationsunternehmen. Ein ziemlich großes übrigens. Mein Arbeitgeber (nein, der weiß nichts von diesem Artikel) ist ein privates Unternehmen welches im Auftrag dieses TK-Unternehmens tätig ist.

Ich habe einen 8 Stunden Vertrag und arbeite im Schichtbetrieb. Das Unternehmen arbeitet 7 Tage die Woche und 365 Tage im Jahr zwischen 06.30 und 24.00 Uhr. Für meine Arbeit bekomme ich den von der SPD angestrebten Mindestlohn.

Entgegen der landläufigen Meinung wurde ich, wie auch meine KollegInnen, im Unternehmen für diese Arbeit ausgebildet. Natürlich ist learning by doing immer der größte Teil der Ausbildung. Das heißt nach der betrieblichen Ausbildung beginnt eine lebenslange Lernphase. Aber ehrlich wo ist das schon anders. Ich arbeite also bei einem Dienstleister, aber ich arbeite für den Auftraggeber.

Es gibt vielleicht einige unter euch die schon mal mit mir gesprochen haben. Ihr habt angerufen weil ihr Probleme mit Telefon, Internet oder Fernsehen habt und ich habe mein Bestes gegeben um euch zu helfen. Zur Anmerkung, meine persönliche Erfolgsquote, das heißt euer Problem wurde im Erstkontakt gelöst, liegt bei über 50%. Viele der  anderen Probleme hätte ich gern auch gelöst, aber es ging einfach nicht sofort. Ich kann ja nicht eine Telefonleitung flicken die 400 km von mir entfernt unter der Erde liegt. Der Mitarbeiter der mit Tarifvertrag beim Auftraggeber fest angestellt ist kann das auch nicht.

Komisch, wenn man den Begriff gebrauchen darf, ist nur Eines. Eben die Kunden, deren Probleme ich nicht lösen kann, fragen an irgendeiner Stelle des Gesprächs ob ich in einem Callcenter arbeite. Die anderen nicht.

Hier kommt nun der oben genannte Irrtum ins Spiel. Wer mich bezahlt ist doch egal. Wichtig sind mein Ausbildungsstand und die technische Ausstattung – für die ist mein Arbeitgeber zuständig und meine Motivation – für die bin ich zuständig.

Hier ärgert mich die oben beschriebene Pauschalisierung der Branche.

Wißt ihr warum?

Sie verhindert, dass mehr gut ausgebildete und motivierte Menschen dort arbeiten.

Sie demotiviert sogar den Mitarbeiter in der Arbeitsagentur. Er pauschalisiert und fragt den Arbeitssuchenden „Callcenter??? Wollen Sie sich das wirklich antun?“

Sie senkt die Qualität unserer Arbeit.

Und das werdet ihr merken, an Warteschleifen und an gestressten Mitarbeitern.

Ein bisschen mehr Respekt vor meiner Arbeit, für die meiner KolegInnen natürlich auch, wäre angebracht.

Wenn ihr uns nicht braucht, warum ruft ihr uns dann kurz vor Mitternacht an?

Vielleicht liest der Kunde den ich eingangs erwähnte diesen Beitrag. Es würde mich freuen wenn er mal darüber nachdenkt.

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P.S. Der Artikel soll nicht die Callcenter Branche in den Himmel heben. Ich weiß um die Probleme. Er soll zum Nachdenken über diese Branche animieren. Das Verhältnis Kunde – Callcenter Agent habe ich hier schon einmal beschrieben.