Gespräch mit Johannes Wobus, 2. Teil: Unsere fetten Spuren im Internet und die KI

Johannes Wobus ist Mitinhaber der Firma Wobus & Wächter, einem Service-Unternehmen für Datenanalysen. Er hat als Kenner der Materie auch an einem interaktiven Projekt mit dem Namen Made to Measure teilgenommen, bei dem es darum ging, Nutzern von Google und Facebook zu zeigen, wie viele Daten diese Unternehmen über sie sammeln und wie man daraus ihre komplette Persönlichkeit rekonstuieren kann.

Den kompletten Artikel könnt ihr, wie immer kostenfrei, in der Leipziger Zeitung lesen.

Die freiheitliche Zensur

Freiheit-luxemburgIm Internet, besonders in den sozialen Medien, herrscht absolute Meinungsfreiheit – so zumindest der allgemeine Wunsch der Nutzer. Menschen aller Coleur können sich frei äußern und müssen höchstens den Widerspruch der Andersdenkenden ertragen. Es findet keine Zensur statt!

Schön, wenn es so wäre.

Das freie Internet ist tot: Es herrscht eine Gruppenzensur, die letztendlich zur Selbstzensur führt. Wer in den sozialen Medien postet, bloggt oder online kommentiert, muss sich dieser Zensur beugen oder wird mit dem berüchtigten Shitstorm abgestraft. Aber das ist noch nicht alles.

Ein wenig Historie

Ich habe bis zu meinem 32. Lebensjahr in einem Staat gelebt, in dem alle Publikationen zensiert wurden. Das Credo dieser Zensur ist in einem Lied zu finden, welches ich allerdings nicht mehr singen musste. Die Kernpunkte lauteten:

1. Die Partei hat immer Recht!

2. Denn wer kämpft für das Recht, der hat immer recht!

Diese beiden Teile rechtfertigten die Zensur und alle Maßnahmen gegen Andersdenkende. Widerspruch oder gar Widerstand waren gefährlich und führten unter anderem zur sozialen Ausgrenzung. Abgesehen vom berühmten Rosa Luxemburg-Zitat zur Freiheit möchte ich hier Milan Kundera zitieren.

„Jede Unterdrückung von Meinungen, auch die gewaltsame Unterdrückung unrichtiger Meinungen, richtet sich im Endeffekt gegen die Wahrheit, weil die Wahrheit nur durch den Dialog der Anschauungen zu erlangen ist, die gleichberechtigt und frei sind. Jedweder Eingriff in die Freiheit des Gedanken und des Wortes, mag die Technologie und die Bezeichnung einer solchen Zensur noch so diskret sein, ist im zwanzigsten Jahrhundert ein Skandal und für unsere Anlauf nehmende Literatur eine Fessel.“ [1]

So sagte der Schriftsteller 1967 in Prag , auf dem IV. Kongress des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes. Wenn ich den Literaturbezug vernachlässige, dann ist Kunderas Meinung heute im einundzwanzigsten Jahrhundert so aktuell wie 1967.

Richtige und unrichtige Meinungen

Ob es den Menschen im Internet um Politik, Feminismus, Flüchtlinge, Terror, Veganismus, Religion, Ökologie oder andere Themen geht, es gibt immer mindestens zwei gegensätzliche Meinungen. Nach Kunderas Forderung wäre nun ein Dialog erforderlich um – was eigentlich zu erreichen?

Hier kommt meines Erachtens nach der erste Fehler, das Ziel des Dialogs, zu Tage:

Eine Meinung soll von allen als Wahrheit akzeptiert werden!

Da aber die eigene Meinung richtig ist, kann nur diese die Wahrheit sein. Daraus entsteht aber kein Dialog – es kommt zu Bekehrungsversuchen. Diese Stufe ist erreicht, wenn die eigene Meinung nicht einmal in Teilen zur Disposition steht, wobei diese oft nur ein Repetieren der Aussagen der gruppenspezifischen Meinungsführer ist. Die Form des Wahrheitsanspruchs ist dann ein Dogma, wie wir es aus der Religion kennen. Problematisch bei Dogmen ist, dass sie nicht nur wahr sind – sie sind auch immerwährend gültig. Die für mich beste Erklärung des Dogmas gibt der Mönch Jorge in „Der Name der Rose“.

“Es gibt keinen Fortschritt, es gibt keine epochale Revolution in der Geschichte des Wissens, es gibt nur fortdauernde und erhabene Rekapitulation.“[2]

Dogmen verhindern den Dialog und somit jeglichen Fortschritt.

Gewaltsame Unterdrückung von Meinungen

Gewalt definieren wir ja nicht mehr nur als körperliche Gewalt, sie hat viele Facetten. Der Shitstorm, das Mobbing und die neudeutsche „hatespeech“ haben eines gemeinsam: Sie sind Instrumente der Gewalt zur Diffamierung von Menschen. Ihre Anwendung soll zur sozialen Ausgrenzung führen. Dabei ist es egal, wer sie warum anwendet. Mit diesen Instrumenten wird ein Dialog verhindert und sie sagen mehr über den Anwender als über das Ziel aus. Ob nun körperliche Gewalt die Folge von diesen Instrumenten ist, darüber kann man sich streiten – es ist aber für diese Betrachtung unwichtig. Mir geht es allein um unsere Dialogunfähigkeit.

Freiwillig zensiert

So absurd es auch klingt, der Ruf nach Überwachung und Zensur wird lauter. Menschen, die für Meinungsfreiheit kämpfen und das Internet als den letzten Hort dieser sehen, fordern plötzlich Überwachung und Zensur. Natürlich unter anderem Namen und vielleicht ohne es zu bemerken (ich denke ja immer positiv).

Zur Erklärung sei gesagt, dass gerade betreffs Flüchtlingen und Terror die so genannte „hatespeech“ (deutsch Hassrede) in den sozialen Medien in einem unerträglichen Maß zunimmt. Als Beispiel, ohne Bezug zur Forderung nach Zensur, sei hier die „Hassparade“ von Enno Lenze aufgeführt. Es ist noch nicht einmal das Schlimmste was in den (a)sozialen Medien zu lesen ist.

Da niemandem einfällt, wie diese Unkultur beseitigt werden kann, wendet sich also ein Teil des Social-Media-Kindergartens an Erziehungsberechtigte wie Heiko Maas (Justizminister) und Manuela Schwesig (Familie und Soziales). Diese werden beauftragt, doch mal mit Mark Zuckerberg & Co. gemeinsam das Internet von diesen Auswüchsen zu befreien.

Es gibt jetzt Papiere, z.B. von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die Aufmerksamkeit aber auch Ablehnung finden – ein Beispiel ist die Bezeichnung „Social-Media-Stasi“ durch Don Alphonso. Bemerkenswert ist, dass hier letztgenannter als Hüter der Meinungsfreiheit auftritt. Auch daraus entwickelt sich kein Dialog, sondern nur gegenseitige Beschimpfungen am Rande der „hatespeech“ bzw. völlig sinnbefreite Nicht-Diskussionen.

Fazit

Das freie Internet ist tot, es ist wie Nietzsches Gott gestorben – die freiheitsliebenden User haben es mit dem Ruf nach Überwachung und Zensur getötet, weil sie nicht in der Lage waren, miteinander zu reden.

Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?[3]

Obwohl unnötig, eine Anmerkung zum Text. Ich meine: Wenn der Geist der Überwachung und Zensur einmal aus der Flasche ist und die Verantwortung für den Kampf gegen „hatespeech“ in die Hände des Staates gelegt wurde, dann gibt es keine Meinungsfreiheit mehr. Wie bei der Vorratsdatenspeicherung und anderen Instrumenten werden sich diese gegen jeden einsetzen lassen – und sie werden eingesetzt werden.

Bildquelle: https://twitter.com/Linksfraktion/status/554233656316006401

[1] Reden zum IV. Kongress des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes Prag, Juni 1967; Übers. Franz P. Künzel; Suhrkamp 1968

[2] Umberto Eco; Der Name der Rose; ISBN 3-353-00480-7; Verlag Vollk und Welt 1989; S 571

[3] Friedrich Nietzsche; Die fröhliche Wissenschaft; Aph. 125 – Der tolle Mensch

Sonntagsarbeit, Videotelefonie und das Ende der Telefonie im Callcenter

Vielleicht haben es noch nicht einmal alle meine KollegInnen mitbekommen, aber in den Callcentern der Republik tut sich was. Ob das allerdings immer gut ist?

Zuerst zum Dauerthema Sonntagsarbeit, ich schrieb schon zwei mal darüber. An diesem Wochenende endet eine Befragung der Unternehmen durch den Call Center Verband Deutschland e.V.* (CCV) zu diesem Thema. Ich habe mir am letzten Sonntag den Spaß gemacht (Sorry Chef!) meine KundInnen unverbindlich zu fragen wie sie es finden, dass wir Sonntags erreichbar sind. Großes Erstaunen, die Empathie für uns hielt sich in Grenzen – sie fanden es alle gut.

Wer hat nicht gern am Wochenende frei? Ich natürlich auch, aber „Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust“ ich möchte am Sonntag auch Service, besonders bei Ausfällen von Technik, in Anspruch nehmen. Genau so gern habe ich in der Woche, wenn Behörden, Ärzte und Geschäfte geöffnet haben, einen oder zwei Tage arbeitsfrei. Das ging mir auch schon so, als mein Kind noch klein und in Kindergarten oder Schule war. Wir haben uns als Familie damit arrangiert – hat geklappt.

Ob nun alle Callcenter in allen Geschäftsbereichen geöffnet haben müssen und mit welchem Personalbesatz, das ist eine Frage die sich nicht mit einem Verbot der Sonntagsarbeit klären lassen kann.

Meinen Freunden von Ver.di, die in Hessen am Verbotsantrag beteiligt waren, schreibe ich ins Stammbuch: Durch das Verbot der Sonntagsarbeit gehen Arbeitsplätze verloren! Erstes Semester BWL, Erarbeitung eines Personalschlüssels für eine Firma mit 6 der 7 Arbeitstagen. Einfach mal drüber nachdenken wäre hilfreich.

Die Einführung der Videotelefonie im Callcenter wird von einigen Protagonisten der Hard- und Softwarefirmen angestrebt. Ich gebe zu, das wäre ein riesiges Geschäft für diese, ist dies aber auch wirklich erstrebenswert?

Fragen wir wieder mal die KundInnen, viele wollen das nicht. Wenn diese sich vor dem Anruf beim Callcenter ordentlich anziehen, evt. Schminken und zumindest den mit aufgenommenen Hintergrund aufräumen müssen (man will ja einen guten Eindruck machen) dann werden die meisten streiken.

cca3xDie AgentInnen haben ein anderes Problem, sie müssten die Arbeit mit der Stimme in eine quasi schauspielerische Tätigkeit wandeln. Gestik, Mimik und diese natürlich 8 Stunden lang perfekt beherrschen, diese Leistung bringen selbst Berufsschauspieler nur in Ausnahmefällen. Die Gefahr von Eskalationen steigt, wenn die KundInnen die AgentInnen sehen. Heute ein falscher Tonfall – morgen ein Zwinkern an der falschen Stelle, das sehe ich kritisch. Für die Unternehmen würden auch große Investitionen erforderlich werden. Umgestaltung der Call-Floors – die KundInnen wollen ja ein schönes Bild sehen – und Arbeitskleidung für die Mitarbeiter schlagen hier schnell mit erheblichen Summen zu Buche. Dazu kommen natürlich die Ausgaben für Hard- und Software.

Mein Fazit: Nicht alles was technisch möglich ist muss eingeführt werden.

Letzter Punkt ist der Umstieg von der Telefonie auf online-Medien. Diese Diskussion läuft ja schon seit Jahren und sie hört einfach nicht auf.

Hier muss ich kurz auf meine Arbeit eingehen, ich mache technischen Support für ein großes Telekommunikationsunternehmen. Daraus resultiert das erste Problem: Was machen KundInnen wenn das Internet ausfällt? Da sind die online Hilfen nur über den Bildschirm des Smartphones erreichbar, vorausgesetzt das Datenvolumen reicht noch. Das ist aber nur ein Problem.

Warum rufen bei mir eigentlich auch Nerds an wenn Fehler auftreten? Vorausgesetzt der Internetzugang funktioniert noch, haben sie schon alles versucht und sie verstehen etwas von der Materie. Sie rufen an, weil sie Probleme damit haben den Fehler zu beschreiben. Das ließe sich natürlich mit einer intelligenten Abfrage steuern, der Zeitaufwand für KundInnen wäre aber erheblich. Wie das, werden sich einige fragen. Die erfahrenen AgentInnen haben dafür ein Mittel welches Software noch nicht richtig simulieren kann – die Intuition, die aus der Erfahrung resultiert.

Wenn also selbst KundInnen die Erfahrung mit PC und Internet haben an der Fehlerbeschreibung scheitern, was wollen wir dann von „Oma Erna“ oder „Opa Fritz“ erwarten?

Ein großer Teil unserer Arbeit besteht ja darin die KundInnen zu beruhigen, damit sie überhaupt in der Lage sind Fehler zu schildern. Das kann eine Software eher nicht.

Eines sehe ich an EDV gestützten Systemen zusätzlich als problematisch – die Eskalationsgefahr. Wer sich in den sozialen Netzwerken bewegt weiß wie schnell eine online Diskussion „aus dem Ruder läuft“. Das geschieht weil der Gegenüber nicht sichtbar und hörbar ist, wenn also der Support über Twitter, Facebook & Co. Läuft, dann wird die Eskalationsschwelle niedriger.

Ich gestehe der online Kommunikation ein großes Potential zu, aber ersetzen wird sie die Callcenter-AgentInnen in nächster Zeit eher nicht.

Mein Fazit:

Das Geld, welches für Videotelefonie und/oder online-Lösungen aufgewendet werden müsste, sollte besser zu großen Teilen in die Aus- und Weiterbildung der AgentInnen investiert werden. Das wäre in unserem Sinne und im Sinne der Kunden.

* Der Link ist nicht falsch, ich habe bewusst auf den Artikel von Walter Benedikt zur Sonntagsarbeit verlinkt. Wer den Call Center Verband sucht, der wird hier fündig.