Dirk Neubauer und das Demokratiedefizit

Solange Menschen in Deutschland meinen, es genüge, ihr Kreuz bei einer Wahl zu setzen und sich dann wieder zurücklehnen zu können, haben wir ein Demokratiedefizit. Der gestrige Rücktritt von Dirk Neubauer, Landrat im Landkreis Mittelsachsen, zeigt das deutlich, nicht zum ersten Mal. Rekapitulieren wir: Am 3. Juli 2022 wurde Dirk Neubauer mit knapp 56 % der Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von nur knapp 34 %, zum Landrat gewählt.

Den kompletten Artikel könnt ihr, wie immer kostenlos, in der Leipziger Zeitung lesen.

Bayern-Markus, Sachsen-Michael und die Landtagswahlen

Wenn es Geistererscheinungen gäbe, dann hätte Markus Söder wohl schwere Albträume gehabt. Ich stelle mir vor, wie Franz Josef Strauß ihn für die letzten Wahlergebnisse (2018: 10,5 % und jetzt -0,2 %) ohrfeigt und ihm seinen Satz von 1987 ins Ohr brüllt: „Rechts von uns darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben, d.h. wir, die CDU und CSU, müssen diesen Raum und diese politische Landschaft ausfüllen.“

Der komplette Artikel steht, wie immer kostenlos, in der Leipziger Zeitung.

Jammern nach Wahlen

und gegenseitige Schuldzuweisungen mögen ja Wege sein, um Frust abzubauen. Beide sind aber kontraproduktiv.

Es geht mir, wie nicht anders zu erwarten, um die Landtagswahl in Sachsen. Diese endete gestern mit einem desaströsen Ergebnis für uns, die Piraten.

Mancher mag sagen: „Ja, der Tom hat sich nicht am Wahlkampf beteiligt.“ Das stimmt insofern, als ich mich nicht an den Infoständen und ähnlichen Aktionen beteiligt habe. Lieber habe ich mit Menschen verschiedener Altersklassen gesprochen, ganz analog ohne Computer und Internet. Die meisten Gespräche führte ich mit Menschen, die jeden Morgen aufstehen und auf Arbeit gehen und für die am Ende des Geldes noch viel vom Monat übrig ist.

Die gute Nachricht zuerst: Die wissen nichts von unseren innerparteilichen Querelen – Die schlechte Nachricht: Die wissen meist nicht einmal, dass es uns noch gibt.

Jemand, mit dem ich über unserer linke Ausrichtung sprach, kommentierte: „Warum soll ich, wenn ich im linken Spektrum das Original Jule Nagel wählen kann, die Kopie Florian Unterburger wählen? Die Jule kenne ich wenigstens.“ Die Direktkandidatin Kathrin Weiss sei ihm kein Begriff, den Flo kenne er wenigstens von Plakaten. Für ihn sind wir „Linke mit Internetanschluss“. Für diese Sichtweise haben einige von uns viel getan.

Die Magnetschwebebahn und der Weltraumaufzug haben uns eher nicht geschadet. Beide wurden wie der Wombat zur Bundestagswahl 2013 als Würze im Wahlkampf betrachtet – und belächelt.

Mit den Themen Legalisierung von Drogen, Abschaffen des Sitzenbleibens, Kampf gegen TTIP, Kampf gegen Nazis, Asylpolitik, HARTZ-IV-Sanktionen und ähnlichen konnte ich auch niemanden überzeugen, ausgerechnet Piraten zu wählen. Das Angebot ist groß im linken Spektrum und selbst die Grünen haben sich dort nahtlos eingereiht.

Unsere vernachlässigten Kernthemen, etwa der Kampf gegen Überwachung, waren da schon interessanter. Schade, dass für viele aus meiner Altersklasse, aber auch für weitaus jüngere, das Internet entweder Neuland oder einfach ein Werkzeug ist, über welches man nicht weiter nachdenkt. Dort gibt es für uns Potential, dafür muss man diesen Menschen das Internet nahe bringen – nicht nur die Gefahren durch Überwachung und die Notwendigkeit von Verschlüsselung.

Beim Thema anlasslose Totalüberwachung haben wir die Altersklasse 50+ komplett verloren. Die kann sich noch an die Überwachung in der DDR erinnern. Die meisten fanden Überwachung scheiße, als sie jung waren. Heute wählen sie zu großen Teilen Sicherheits-Fanatiker-Parteien – ihre zukünftigen Überwacher. Das haben wir total vergeigt, wir haben nicht mit ihnen geredet.

Nicht unsere Themen sind schlecht. Wir haben es nicht geschafft, unsere Themen auf eine eigene Weise zu kommunizieren. Deshalb ist es uns nicht gelungen, uns in der Parteienlandschaft zu positionieren, in der alle Parteien des linken Spektrums mit diesen Themen Politik machen.

Wir brauchen Alleinstellungsmerkmale für die Bundestagswahl 2017, sozusagen „piratige Antworten“ auf die Fragen der Menschen. Dazu müssen wir erst einmal wieder zu den Menschen gehen und fragen, was ihre Probleme sind. Wäre nicht ein allgemeiner 6-Stunden-Arbeitstag bei vollem Lohn eine „piratige Antwort“ auf die Forderung nach Vollbeschäftigung?*

Anstatt zu sagen, es gebe keine kriminellen Ausländer, die Forderung nach absoluter Gleichbehandlung aller in Deutschland lebenden Menschen stellen – wäre das nicht „piratig“?

„PiratInnen an die Front!“ – natürlich an die Front des Internet. Wer, wenn nicht wir, kann SchülerInnen, ArbeiterInnen und auch RentnerInnen den Umgang mit Computern und dem Internet beibringen? – Den von Anfang an sicheren Umgang?

Es sind Vollis und Kernis** gefordert, um „piratige Antworten“ auf die Fragen von Fiskalpolitik, Bildungspolitik, Verteidigungspolitik, Verkehrspolitik und anderen Politikfeldern zu finden und zu formulieren. Wir brauchen konkrete Antworten. Aussagen wie „Will ich nicht, will ich anders!“ sind für eine ernsthafte politische Arbeit zu wenig.

Sprechen wir doch mal über WählerInnen außerhalb des Piratenkosmos.

Warum sollen die uns wählen – wenn sie uns nicht kennen?

Warum sollen die uns wählen – wenn wir ihre Probleme ignorieren?

Warum sollen die uns wählen – wenn wir Werktätige als konservative Mitte diffamieren?

Warum sollen die uns wählen – wenn wir selber nicht wissen, was wir wollen?

Kurz und knapp: Die Landtagswahl Sachsen 2014 haben wir vergeigt und nicht die WählerInnen. Die Bundestagswahl 2017 steht vor der Tür und der Wahlkampf beginnt jetzt. Wenn wir bis dahin kein piratiges Profil haben, dann wars das.

* Das sind Beispiele.
** „Kernis“: Piraten, die sich für eine Beschränkung auf Internet-Themen (Kernthemen) im Parteiprogramm einsetzen. „Vollis“: Piraten, die ein politisches Vollprogramm für die Piratenpartei wollen.