Es ist schön Pirat zu sein!

Schön Pirat zu sein – ich weiß das hat geradezu das Potential zum Gassenhauer, aber für mich ist der Sinn ein anderer. Als Ingenieur muss ich in der heutigen politischen Landschaft der Piratenpartei nahe stehen oder angehören. In den anderen Parteien regieren Buchhalter – die natürlichen Feinde des Ingenieurs.

Pirat und Ingenieur

Ich denke es ist allen LeserInnen klar, dass mit Pirat nicht der Typ mit Holzbein, Augenklappe und Papagei auf der Schulter sondern „politischer Pirat“ also AnhängerIn oder Mitglied der Piratenpartei gemeint ist. Wie passt der Ingenieur dazu? Per Definition ist der Ingenieur ein Visionär, er will sich mit Entwicklungen von Dingen befassen und nicht in erster Linie mit Finanzen. Da passt er nicht in „normale Parteien“ – in einem Artikel beschrieb ich das so:

„Einleitend sei gesagt, dass die deutsche Politik, nicht nur beim Thema Verkehr, scheinbar norddeutsch-protestantisch-nüchtern dominiert ist. Sie hat den Spruch, den Helmut Schmidt 1980 von sich gab, verinnerlicht:

Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“

Kurz gesagt: Wir leben in einer Krämer-Republik. Statt ein Ziel zu formulieren, die Lösung zu erarbeiten und dann die Finanzierung zu prüfen wird fanatisch auf das Geldsäckel geschaut und aus diesem heraus entschieden.“

Der Ingenieur hat aber ein Ziel, ob selbst entwickelt oder vorgegeben, etwas funktionierendes zu bauen. Erst dann braucht er Geld um das zu tun.

Einfügung

Der Ingenieur ist selbstverständlich als Synonym zu sehen, es geht um Menschen die visionär und zielorientiert denken und arbeiten. Ich habe zweimal im Fernstudium studiert, das erste Studium schloss ich als „Ingenieur für Maschinenbau / Kraftfahrzeugtechnik“ ab – das ist meine Passion. Das zweite (ungeliebte) Studium „Ökonomie des sozialistischen Binnenhandels“ habe ich vor der Diplomarbeit abgebrochen. Es sollte mich zur Verwaltung des Mangels befähigen – somit wäre es geradezu der ideale Einstieg in die oben beschriebene Politik. Wenn ich hier von Pirat und piratig schreibe, so entspricht das meinem Verständnis von Piraten-Politik und es sind nicht nur Mitglieder der Piratenpartei gemeint.

Pirat vs. Ökonom

Der Pirat, oder auch Ingenieur/Visionär, und der Ökonom sind nicht etwa Feinde – entscheidend für das „piratige Herangehen“ in der Politik ist eben die Reihenfolge. Am Beispiel „digitale Bildung“, einem typischen Piraten-Thema, zeigt sich das.

Digitale Bildung – „ökonomisch“

Die jetzige, vorgeblich ökonomische, Vorgehensweise sieht wie folgt aus: Auf Grund des Drucks aus der Bevölkerung und der Industrie wird der Finanzminister (der mit dem Geldsäckel) aufgefordert mal in die Kasse zu schauen was an Geld für dieses Thema da ist. Er sagt 5 Milliarden Euro kann er bereitstellen, es folgt das Gerangel im Bundesrat zu der Frage ob die Länder es nehmen dürfen oder wollen, dann wird es aufgeteilt. Es wird auf die Länder aufgeteilt und von dort auf die Kommunen und Schulen – was wirklich damit geschehen soll ist unklar – Hauptsache es ist digital. Hier hat der Ökonom, irgendwie der der ich werden sollte – also der Mangelverwalter, das Primat.

Digitale Bildung – piratig

Die piratige oder auch Ingenieur-mäßige Herangehensweise wäre nun gewesen erst einmal zu klären was „digitale Bildung“ ist. Auf jeden Fall ist es nicht das Scannen einer Fibel von 1980 und deren Bereitstellung als PDF, wie es unter dem Primat des Ökonomen möglich ist. Zuerst eine Befragung von LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern – nicht von Bildungspolitikern. Dann die Hinzuziehung von Wissenschaftlern der entsprechenden Fachgebiete. Die technische Umsetzung, bevorzugt mit Open Source Software, als nächster Schritt. Erst dann steht die Frage der Finanzierung. Das wäre, meiner Meinung nach, die richtige Herangehensweise gewesen. Wenn Schulen, SchülerInnen, Eltern und WissenschaftlerInnen das Konzept mehrheitlich vertreten, dann wäre dem Bundesrat nichts anderes als Zustimmung übrig geblieben. Und es wäre etwas dabei heraus gekommen.

Digitale Bildung – Einfügung

Während ich am Artikel schreibe, kommt die gute Nachricht „Sachsen bekommt 250 Millionen Euro für Digitale Bildung!“ Die zu erwartende schlechte Nachricht, aus Sicht des „Ingenieur-Piraten“ folgt auf dem Fuße. Sie lautet „Wir haben jetzt Geld – nun müssen wir uns Gedanken machen wie wir es ausgeben.“ So die, immerhin regierende, CDU, die sagt:

„Wir stehen in den Startlöchern und haben bereits eine Landesförderrichtlinie in Arbeit. Auch die Gespräche mit den Kommunen und den freien Schulträgern laufen derzeit, um den Einsatz der Mittel zu regeln“

Die Linken dagegen wollen einen „Laptop für jeden Schüler“ was in Zeiten von Smartphone und Tablet durchaus antiquiert klingt. Immerhin fordern sie unisono mit der CDU:

„Wir brauchen jetzt dringend eine Strategie zur Digitalisierung der Dresdner Schulen“

Vergleicht bitte den vorstehenden Absatz, ich sehe genau hier das Problem des vorhandenen Geldes und des Mangels an Plan.

Pirat vs. McKinsey

Hier besteht tatsächlich eine Unverträglichkeit, fast könnte man von Feindschaft sprechen. McKinsey steht hier natürlich nicht als Firma sondern als Synonym für das ausufernde Berater-Unwesen in der politischen Landschaft. Bevor ein Projekt nach den oben angeführten falschen Kriterien durchgeführt wird, werden erst einmal Berater ins Haus geholt die einen Teil der vorgegebenen Investitionssumme verbrauchen um die Wirtschaftlichkeit – nicht die Sinnhaftigkeit – zu prüfen.

Pirat und Politik

Ich habe hier Pirat und Ingenieur als synonyme Begriffe gesetzt, weil ich den Begriff der „Ökonomisierung der Politik“ ad absurdum führen will. Die oben beschriebene „piratige Herangehensweise“ ist gleich der, die erfolgreiche Unternehmen auszeichnet. Man sagt dort seltener „visionär“ – eher „zukunftsorientiert“ – der Entwicklungsweg ist aber der gleiche. Nur die angeblich ökonomisierte Politik arbeitet anders. So kommt es zu Verwerfungen, wenn z.B. bei Hartz IV die Ausgaben für die Durchsetzung von Sanktionen höher sind als die „Einsparungen“. Vom moralisch verwerflichen Ansatz der Sanktionen will ich hier nicht reden – das würde das Thema sprengen. Der piratige Politikansatz wäre also:

  1. Was wollen wir tun?
  2. Wie machen wir das?
  3. Wie bezahlen wir das?

Das ist schlicht und ergreifend vernünftiger und menschlicher als die Frage „Wie viel Geld haben wir? – Wie verteilen wir das? – Was machen wir damit?“ Wobei die letzte Frage dem Empfänger überlassen bleibt, wenn der Geldgeber dann nicht einverstanden ist kann er Widerspruch einlegen und bestenfalls die Ausführung verzögern bis das Geld nicht mehr zur Verfügung steht.

Pirat und Internet

„Piraten haben doch nur das Internet im Sinn“ wird oft gesagt – es wird dabei beabsichtigt oder unbewusst übersehen, dass genau das die Stärke der Piraten ausmacht. Wie ihre Namensgeber auf den Weltmeeren, so sind die Piraten im Internet unterwegs. Sie organisieren sich dort – tauschen sich aus – teilen Ideen – entwickeln Lösungen – diskutieren diese – verbessern oder verwerfen sie und machen sie öffentlich. Crowdworking, Cloudworking, Crowdfunding und ähnliches sind für Piraten normal. Sie machen, zum großen Teil in ihrer Freizeit, das was die Arbeitswelt der Zukunft ausmachen wird.

Fazit

Es ist schön Pirat zu sein – es ist nicht nur schön, es ist für den Ingenieur und andere Visionäre die ziel- und ergebnisorientiert arbeiten geradezu unabdingbar.

Es wird Zeit, dass die Profis des modernen Arbeitens in die Politik einziehen um frischen Wind hinein zubringen – nicht nur heiße Luft.

Um den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner zu erwähnen: Er warf den Klimaschutz-Aktivisten um Greta Thunberg mangelndes Wissen vor und forderte sie auf Profis ihre Arbeit machen zu lassen:

Wir brauchen Profis mit Visionen in der Politik!

Ich stelle mich dem als Ingenieur und Pirat.

Hier stehe ich – ich kann nicht anders:

Ich werde wieder die Piratenpartei bei der Europawahl wählen!

Ich kandidiere bei der Stadtratswahl in Leipzig für die Piratenpartei!

* Martin Luthers Spruch schien mir passend, obwohl ich nicht gläubig bin.

Gott helfe mir!*

Disclaimer: Ich hasse das, jedoch ich denke es ist notwendig weil in den (a)sozialen Medien Menschen über den Ingenieur herziehen werden. Ingenieure entwickeln und bauen Waffen, Ingenieure haben Vernichtungslager gebaut und so weiter und so fort. Normal denkende LeserInnen werden verstanden haben, dass es hier um den Ingenieur als Synonym für eine Arbeitsweise geht. Es ist wichtig, für wen und mit welchem Ziel der Ingenieur arbeitet – bei mir ist das klar.

Bildnachweis: under CCO by OpenClipart-Vectors

Customer service – what else?

George Clooney und ich sind sozusagen Kollegen – als Markenbotschafter für große Unternehmen.

Was uns verbindet? Wir müssen das Produkt der Unternehmen nicht wirklich mögen und nutzen.

Was uns unterscheidet? George ist bekannt und bekommt für die Verbreitung der Botschaft ein (nicht weiter definiertes) Vielfaches an Geld.

Ich bin für den Kunden eine Stimme am Telefon – George ist ein Gesicht auf dem Bildschirm.

Wer ist im täglichen Leben wichtiger für die entsprechende Marke?

Glücklicherweise sitze ich nicht an der „What else“-Hotline, sonst müsste ich mir eventuell Klagen darüber anhören, dass man auch mit dem George-Produkt nicht erfolgreich bei Frauen wird und ähnlichen Unsinn.

Ich denke da immer an Manfred Krug und seine Werbung für die Telekom-Aktie. Seine Antwort:

Die Börse ist mal hoch, mal niedrig – wie der Arsch von Kaiser Friedrich!“,

auf Beschwerden bei Börsenverlusten ist legendär und zeigt die Stellung des (zu) hoch bezahlten Markenbotschafters zur Marke.

Die (zu) niedrig bezahlten Markenbotschafter, also meine KollegInnen und ich, können natürlich nicht so handeln. Im täglichen Kundenkontakt gilt „Unsere Marke ist hervorragend, es gibt natürlich vereinzelt Herausforderungen.“ Von Problemen zu sprechen ist schließlich destruktiv und könnte die KundInnen verunsichern.

Als Markenbotschafter im täglichen Umgang mit enttäuschten und genervten KundInnen geben wir unser Bestes – doch weder wird es von der Marke, sprich dem Unternehmen, anerkannt noch von den Kunden gewürdigt.

Warum machen wir das?

Wir sind eben Profis – das verbindet uns nun wieder mit George.

What else?

Ich habe keine Ahnung von Ihrem Job

Wie ihr wisst arbeite ich im Callcenter. Letztens saß ein Coach neben mir und konnte sich vor Lachen kaum halten. Der Grund war folgender Dialog mit einer älteren Frau:

Kundin: „Ich habe keine Ahnung von diesem ganzen Internetzeug, ich nutze es nur“

Ich: „Was haben Sie beruflich gemacht? Ich nehme an, Sie sind schon in Pension.“

Kundin: „Ich war Steuerberaterin, warum fragen Sie?“

Ich: „Von Steuern habe ich keine Ahnung. Wenn ich Hilfe brauche hole ich mir einen Profi. So wie Sie jetzt.

Kundin lacht, Coach fällt fast vom Stuhl.

Ein Problem im Callcenter ist für mich eben dieses Missverständnis: Die MitarbeiterInnen erwarten vom Kunden ein Grundverständnis der Materie und die KundInnen fordern Service und nicht Hilfe. Meiner Meinung nach führt das zu vermeidbaren Eskalationen im Kundengespräch.

Lasst mich ein wenig ausholen.

Vor meiner Tätigkeit im Callcenter, hier mache ich technischen Support für einen Telekommunikationsanbieter, arbeitete ich jahrelang beim Straßendienst des ADAC. Bei der Pannenhilfe erwarteten meine Kollegen und ich von den KundInnen, dass sie vielleicht über Motorleistung, technische Besonderheiten seines Fahrzeuges und Ausstattungsmerkmale seines Autos Bescheid wussten (also über alles womit man angeben kann), wir erwarteten aber keine wirklichen technischen Kenntnisse und Fertigkeiten. Das war schließlich unser Job. Die KundInnen erwarteten von uns Hilfe in einer Notlage.

Warum erwarten also MitarbeiterInnen im Callcenter tiefer gehende Hardware Kenntnisse von ihren KundInnen und diese ihrerseits einfach Service statt Hilfe?

Ich wiederhole mich: „Ich habe keine Ahnung!

Darüber spekulieren mag ich nicht, Gründe finden sich immer – ob sie nun zutreffen oder nicht.

Allerdings meine ich, dass es nicht allzu schwierig ist das zu ändern.

Im Kundengespräch ist es oft hilfreich folgendes herauszustellen:

In Ihrem Job sind Sie der Profi! (Das gilt auch für Hausfrauen)

Hier bin ich der Profi, der Ihnen hilft!

Damit sind KundInnen und AgentInnen auf Augenhöhe – das hilft im Gespräch.

Immer klappt das nicht, aber nach meiner Erfahrung oft. Ausprobieren kann nicht schaden, meine ich.

Übrigens, das mit dem Profi müssen wir auch unseren Chefs manchmal 🙂 (oder immer) erklären. Zum Beispiel, dass wir für professionelles Arbeiten auch die Ausbildung zum Profi brauchen. Dazu aber später.