Kommentar zum 2. Oktober: Persönliche Gedanken über ein Datum

Klar, im Jahr 2024 gedenken wir wieder mal am 3. Oktober der Wiedervereinigung und am 9. Oktober der sogenannten Wende, aber was ist besonders an diesem 2. Oktober? Am 2. Oktober 1989 fand die vorletzte „richtige“ Montagsdemonstration in Leipzig statt. Zum vorletzten Mal zogen Menschen mit Rufen „Wir sind das Volk“, „Stasi in die Produktion“, „SED das tut weh“ und anderen Slogans um den Ring in Leipzig. Eine Randnotiz war der Einsatz der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ an diesem Tag, der allerdings zu deren Zerfall beitrug.

Den kompletten Artikel könnt ihr, wie immer kostenlos, in der Leipziger Zeitung lesen.

Zivilfahnder oder Agent Provocateur

Es sei mir verziehen, dass ich bei diesem Thema etwas dünnhäutig reagiere, das liegt an meiner Teilnahme an Montagsdemonstrationen 1989 in Leipzig. Daß die Stasi Mitarbeiter (nach heutigem Sprachgebrauch Zivilfahnder) in die Demo einschleust, die dann als Agent Provocateur gewalttätig werden und den „Schutz- und Sicherheitsorganen des Arbeiter- und Bauernstaates“ einen Grund zum Eingreifen geben, war eine der größten Ängste der Demonstranten.

Einleitend sei gesagt: Ich habe nicht die Absicht alle Polizisten oder die Polizeibehörden im Allgemeinen zu diskreditieren. Die meisten machen einen guten und wichtigen Job. Durch Fehlentscheidungen und Fehlverhalten kommt es aber immer wieder zu nicht hinzunehmenden Verstößen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung in unserem Lande.

Zivilfahnder wird Agent Provocateur

Wann passiert das?
Es gibt in Deutschland ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen, über dessen Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit man sich streiten kann. Es ist aber geltendes Recht.
Wenn also Zivilfahnder an einer Demonstration teilnehmen und sich vermummen, dann mögen sie das im Rahmen ihrer Aufgabe tun – Jeder ist aber ein Agent Provocateur, weil die uniformierten Kollegen nur Vermummte sehen und somit einen Grund zur Auflösung der Demonstration haben.
Das ist ein Fakt.

Die Sinnlosigkeit dieser Einsätze

Einen Zivilfahnder in eine Demo, hier die „Welcome to hell“ in Hamburg, zu schicken ist meiner Meinung nach nicht sinnvoll. Was kann er tun? Eingreifen kann er, ob vermummt oder nicht, in keiner Weise – er würde sich als Polizist zu erkennen geben. Beobachten kann er nur Nichtvermummte bei Straftaten, die Vermummten kann er nicht identifizieren. Als Vermummter macht er sich unter Vermummten, im Falle der Eskalation, höchstens verdächtig wenn er nicht selbst an Gewalttaten teilnimmt. Nimmt er aber teil, dann macht er sich strafbar.
Das ist ein Teufelskreis

Der Verdacht

Ob zu Recht oder Unrecht, es wird der Verdacht entstehen, dass der vermummte Zivilfahnder als Agent Provocateur eingesetzt wird um gegen Demonstrationen vorgehen zu können.
Das wiederum diskreditiert die Polizei als wichtige und notwendige Institution.

Also hört auf damit.

Bildnachweis: under creativ commons by OpenClipart-Vectors

Edit 25.05.2018 12:15 Uhr:

Wer selbst schreibt, der kennt das. Ein Artikel ist veröffentlicht und mir fällt noch etwas dazu ein. Hier sind das zwei Fragen:

  1. Wenn der Veranstalter einer Demo einen Vermummten dazu zwingt, evt. mit körperlichem Einsatz, die Vermummung abzulegen oder die Demo zu verlassen und dieser sich dann als Zivilfahnder herausstellt – ist das dann Angriff auf einen Polizeibeamten?
  2. Wenn ein Zivilfahnder auf eine Demo geschickt wird auf der die Teilnehmer überwiegend verfassungsfeindliche Symbole tragen – ist er dann auch dazu berechtigt? Was passiert, wenn die Demo aufgelöst wird und es stellt sich heraus, dass die Zivilfahnder die einzigen waren die diese trugen?

Wie gesagt, besser ist es diese Praxis aufzugeben.

Der 9. Oktober 1989

und seine Darstellung zum heutigen Lichtfest in Leipzig sind zwei Seiten einer Medaille. Am heutigen Tag wird in Leipzig die friedliche Revolution von 1989 gefeiert und es wird wieder mal auf die Botschaftsflüchtlinge in Prag und die Rolle der damaligen tschechoslowakischen Regierung hingewiesen. Das ist auch richtig und wichtig trifft aber den 9. Oktober 1989 nur am Rande.

An diesem Tag gingen nämlich die Initiatoren und Teilnehmer der Montagsdemonstrationen zwar unter Anderem für die Reisefreiheit der DDR-Bürger auf die Straße, aber die meisten wollten eben nicht die DDR verlassen.

Neben Wir sind das Volk! wurde die trotzige Botschaft an die DDR-Regierung und die Schutz- und Sicherheitsorgane Wir bleiben hier! gerufen. Auch weil diese die Demonstranten mit Ausreisewilligen in einen Topf steckten.

Eine Öffnung der Grenzen für den Reiseverkehr war natürlich erwünscht, aber nicht das erste Ziel.

Freiheit der Rede, Pluralismus und das Ende der totalen, anlasslosen Überwachung durch die o.g. Organe waren wichtiger.

Der Staat und natürlich die führende Partei misstrauten ihren Bürgern. Ohne Ausnahme und ohne konkreten Anlass. Sie misstrauten der Arbeiter- und Bauernklasse, die sie eigentlich repräsentieren sollten.

Von vielen wurden die Flüchtlinge geradezu als nebensächlich für das Erreichen der Ziele betrachtet.

Einen Joachim Gauck oder eine Angela Merkel kannte kein Mensch. Wir hatten kaum personalisierte Helden.

Als der Abend vorbei war und keine Schüsse gefallen waren, fragte mich ein junger Wachtmeister der Bereitschaftspolizei „Haben wir jetzt verloren Genosse?“

Er fragte den Falschen, spätestens seit dem 11.09.1989* (meinem persönlichen nine/eleven) war ich für diese Frage der falsche Ansprechpartner.

Ich antwortete damals ziemlich harsch mit der Gegenfrage ob er lieber auf seine Mitbürger geschossen hätte.

Heute kann ich nur sagen „Ja Genosse Wachtmeister, wir haben verloren.“ Zumindest in einem Punkt.

Wir kämpfen weiter (oder wieder) gegen die totale und anlasslose Überwachung durch „Schutz- und Sicherheitsorgane“. Pluralismus ist auch nicht mehr gefragt und bis die Redefreiheit eingeschränkt wird bedarf es nur noch einiger Schritte.

Der Staat und natürlich die Regierung misstrauen ihren Bürgern. Ohne Ausnahme und ohne konkreten Anlass. Dem Bürger, den sie repräsentieren (sollten).

Aber reisen dürfen wir in die ganze Welt.

Wem das genügt …

* Am 11.09.1989 gab ich ein Schreiben (keinen Ausreiseantrag) ab welches weitreichende Konsequenzen für mein Leben in der DDR hatte. Ich erläutere das hier nicht näher. Ich war kein Held – ich hatte nur genug davon.