Krieg der Geschlechter

Dieser Krieg wird angeheizt von denen, die gegen Geschlechterdiskriminierung sind und das mit fragwürdigen Mitteln. Das musste ich heute feststellen, als ich auf einen Artikel von Fabian Goldmann stieß, der da überschrieben war mit

„Alle Heteros sind homophob!“

Danke für nichts, lieber Fabian, auch der Nachsatz „Eine kleine Erklärungshilfe“ macht da nichts besser.

Ein bisschen feige bist Du auch, denke ich, weil Du schreibst:

Den Anfang machte die katholische Kirche

Wenn Du schreibst: „Um das zu verstehen hilft ein Blick in die Geschichte“, dann muss dieser aber bis zu den Wurzeln der katholischen Kirche zurück gehen. Vielleicht hast Du Dich ja auch nicht getraut, auf diese Wurzeln einzugehen, weil auch die jüdische Religion zu den abrahamitischen Religionen gehört. Diese Religionen propagieren eine patriarchalische heterosexuelle Gesellschaft als das Normal. Also jenes Gesellschaftsbild, welches auch die Katholiken und Muslime vertreten. Die Frage der widernatürlichen Sexualität wurde für diese Religionen mit Sodom (Homosexualität) und Onan (coitus interruptus) weit vor der Entstehung einer katholischen Kirche geklärt. So weit zur Geschichte, zwei kleine Bemerkungen seien mir noch gestattet.

Geschichtliche Bezüge?

Über 1.000 Jahre lang überlieferten Dichter von Andalusien bis Persien eine homoerotische und homosexuelle Selbstverständlichkeit, die Europa völlig fremd ist und war.“

Die Dichtung ist ein zweifelhafter Beweis. So lobte ja auch einer der beliebtesten muslimischen Dichter, der Perser Hafis, den Weinkonsum, der im Islam streng verboten war. Das bedeutet nicht automatisch eine Aufgeschlossenheit des Islam zum Alkohol.

Von China bis Äthiopien konnten Männer bis ins 19. Jahrhundert andere Männer lieben, ohne von einer gesellschaftlichen Norm abzuweichen.“

Das betrachte ich als eine fragliche Aussage. Nicht nur weil sie nur auf Männer bezogen ist (warum eigentlich nicht auf alle „anders als heterosexuell lebenden“?) sondern wegen der erwähnten „gesellschaftlichen Norm“. Es mag sein, dass Homosexuelle nicht verfolgt wurden – waren sie aber vollwertige gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft? Ich denke hier besonders an die patriarchalischen Stammesgesellschaften in Asien, Arabien und Afrika aber auch an die chinesische Gesellschaft.

Sex und/oder Lebensweise

Es tut weh, wenn ich den Text unter „Eintrittskarte in den Club der Normalen“ lese. Geht es Dir bei dem Thema nur um die Möglichkeit, gleichgeschlechtlichen Sex zu haben oder geht es um die im letzten Absatz, meines Erachtens nach überhöht dargestellte, Toleranz und Akzeptanz von Frauen und Homosexuellen* beim Thema Sexualität. Warum geht es in dem Artikel eigentlich nicht um die Gleichberechtigung von „anders als heterosexuellen Menschen“ mit allen Formen von Beziehungen und Lebensgemeinschaften?

Die Antwort liegt leider darin:

Es geht gegen Männer,

wenn auch nur gegen nicht homosexuelle Männer.

Mit Thesen, wie wir sie sonst von homophoben Menschen kennen, wie:

„Stattdessen generiert sich die eigene sexuelle Identität zum großen Teil aus einem gesellschaftlichen Zwang zum Bekenntnis.“

Das propagandistische Gegenstück homophober Menschen ist die „sexuelle Umerziehung“ die zur Homosexualität führt; ich schrieb darüber.

Das letzte was wir brauchen, ist ein Krieg der Geschlechter, meine ich.

* Ein guter Freund sagte mir „Es war schwer meiner Frau zu erklären, dass ich schwul bin. Mein Partner konnte nicht akzeptieren, dass ich bi bin.“ Akzeptanz und Toleranz hören oft auf wenn es persönliche Beziehungen betrifft, geschlechterübergreifend.

Fragt sie solange sie leben!

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Josef Köhler als Strafgefangener 1952

Ich habe es nicht getan. Ich habe meinen Vater und meine Mutter nicht über ihre Rolle im 3. Reich und der DDR gefragt. Mein Vater starb 1994, meine Mutter 2006, erst 2008 begann ich damit die Spuren meines Vaters zu suchen.

Diesen Artikel schreibe ich aus zwei Gründen. Zum ersten, es gibt die Diskussion um den Unrechtsstaat DDR und auch um den persönlichen Umgang der Nachgeborenen mit der eventuellen Stasi-Vergangenheit ihrer Eltern. Zweitens möchte ich mit der Arbeit an der Biographie meines Vaters fortfahren. Dazu fehlen mir noch immer Informationen.

Ich gehöre zu der Generation 50+, also zu denen die eine DDR-Karriere und eine bundesrepublikanische Karriere haben. Mein Vater war ebenfalls ein Zwitter, Jahrgang 1923, er war alt genug um im 2. Weltkrieg zu kämpfen, alt genug für die sowjetische Kriegsgefangenschaft und jung genug um von Anfang an in der DDR dabei zu sein. Meine Mutter, Jahrgang 1934, war für das Erste zu jung aber für die DDR genau im richtigen Alter.

Warum habe ich nicht genauer nachgefragt?

Die Erzählungen waren ja so einleuchtend und bestechend einfach, da musste ich nicht fragen.

Mein Vater wurde, als Kind katholischer Handwerker, in einem kleinen erzgebirgischen Dorf geboren, besuchte nach der Grundschule ein Jesuitenseminar und wurde 1942 zur Wehrmacht einberufen. In Stalingrad lief er zur Roten Armee über, kämpfte mit dieser gegen die Nazis und wurde anschließend von den Sowjets bis 1953 in Kriegsgefangenschaft gehalten. Danach kam er nach Leipzig, wo seine inzwischen aus ihrer Heimat vertriebenen Eltern lebten, lernte meine Mutter kennen und machte sich, mit den in der Gefangenschaft erworbenen russischen Sprachkenntnissen, als Übersetzer und Dolmetscher selbständig. Er gründete mit anderen Kollegen einen Betrieb, dieser wurde 1960/61 verstaatlicht. Danach arbeitete er weiter als Freiberufler, schlug sich mit der DDR-Bürokratie und der Staatssicherheit herum, lehrte Russisch an der Volkshochschule und war langjährig in der Vereinigung der Sprachmittler (VdS) der DDR ehrenamtlich tätig. Er war der DDR gegenüber kritisch eingestellt, die Sowjetunion mochte er trotz der Gefangenschaft, er begrüßte die Perestroika und freute sich als die Wende kam.

Wenn sie mit diesen Erzählungen aufgewachsen wären, hätten Sie dann genauer nachgefragt?

Ich habe es nicht getan, nach der Kindheit und Jugend rückten ja Beruf und eigene Familie in den Vordergrund. In den 70ern und 80ern schien das ja alles nicht so wichtig zu sein und nach der Wende begann das Ringen um den Neuanfang in der Bundesrepublik.

2008, einige Operationen standen bevor und eine längere Phase der Rekonvaleszenz war absehbar, fasste ich den Entschluss für meine Kinder aufzuschreiben was sie für einen tollen Großvater hatten. Ich meinte mich auf sicherem Terrain zu bewegen – es war ja die Geschichte eines Widerständlers, wenn nicht Helden.

Zu diesem Zeitpunkt waren meine Eltern verstorben, mit dem einen Teil der Familie gab es Stress, mit dem anderen Teil besteht kaum Kontakt, also suchte ich alles aus dem Nachlass zusammen und begann zu recherchieren.

Warum habe ich nicht gefragt, als sie noch lebten? Das frage ich mich heute, nach tausenden Seiten aus Akten bei der BStU, dem Staatsarchiv, den Archiven der Universität Leipzig und der Polizei Sachsen, nach Kontakten mit dem Jesuitenorden, dem FSB, dem BND und nicht genug Zeitzeugen. Viele der Zeitzeugen sind verstorben, viele nicht auffindbar und andere reden nicht.

Wenn man die Geschichte meines Vaters sieht, wie ich sie bisher herausgefunden habe, wird das auch verständlich.

Die Geschichte ist ganz anders als die Erzählung. In der jetzigen Version gibt es eine HJ-Karriere, eine NSDAP-Mitgliedschaft, Arbeit für den NKWD und die Kriegsgefangenschaft dauerte nur bis 1948. Von 1948 bis 1951 war mein Vater in Leipzig, arbeitete bei der Polizei, studierte an der Universität Leipzig, holte seine Eltern von Thüringen nach Leipzig und war hauptsächlich für das KGB tätig. Dann verschwand er wieder, vom KGB verhaftet, in die Sowjetunion und kehrte 1953, nach einer Lesart als Resident des KGB, zurück.

Auch die nachfolgende Geschichte unterscheidet sich von den Erzählungen, darauf will ich hier nicht eingehen.

Ich möchte den jungen Menschen, die sich für Geschichte interessieren, nur einen Rat geben.

Fragt eure Eltern, solange sie leben!

Fragt sie nicht um ihr Leben zu werten, fragt nach ihren damaligen Motiven um ihre früheren Entscheidungen zu verstehen. Ohne diese Fragen, oder schlimmer noch mit einer Vorverurteilung, werdet ihr weder die Geschichte der DDR, noch die Geschichte der alten Bundesrepublik verstehen.

Vielleicht werden eure Eltern zuerst ausweichen, wenn sie aber merken, dass nicht Verurteilung sondern das Verstehen euer Motiv ist, dann werden sie euch auch Antworten geben.

Ich wünschte, dass ich es noch könnte.

P.S. Sollte sich jemand für die Geschichte des Josef Anton Köhler interessieren, oder weitere Hinweise geben können, ich bin für jeden Hinweis dankbar.

Erstveröffentlichung in Der Freitag 15.10.2014

„Dummheit kann tödlich sein“

So überschreibt Reinhard Mohr, ein Altlinker, seinen Artikel* in der WELT, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Artikel von Wilhelm Ahrendt in „der Freitag“ vom 31.08.2014. Sosehr ich die Aussage der Überschrift befürworte, Herr Mohr und ich haben verschiedene Auffassungen davon, wie sich „Dummheit“ manifestiert. Der Mohrsche Artikel strotzt vor haltlosen Verallgemeinerungen, populistischen Tiraden und nationalistischen Sentenzen im bester sarrazinscher Manier. Das wäre nicht so schlimm, wenn nicht ein Print- und Online-Medium mit großer Verbreitung diesen Ausbund an Verstößen gegen journalistische Standards verbreiten würde. Ein Indiz für seine These sind die vielen zustimmenden Kommentare, unter anderem in den sozialen Netzwerken.

Herr Mohr hat erkannt, dass wir auf eine Massenverblödung zusteuern. Ich frage mich allerdings, warum er seine Leser noch auf dem Weg dorthin unterstützt.

Den Artikel beginnt Herr Mohr mit einer Betrachtung zum Geschichtswissen der jungen Deutschen und führte sofort zu seinem Hauptthema – den Migranten, besonders denen aus islamischen Ländern. Hier holt er sich den ‚Forschungsverbund SED-Staat‘, Heinz Buschkowsky und Rüdiger Dammann als Autoritäten ins Boot. Gemeinsam mit diesen beklagt Herr Mohr die mangelnde Sprachkenntnis und das geringe historische Wissen bei Kindern und Jugendlichen.

Wenn man so pauschal den Bildungsstand der deutschen Jugend analysiert, dann können sich natürlich Fehler einschleichen oder sie werden bewusst eingefügt. Zwei Beispiele :

Beispiel 1: Unter der Überschrift „40 Prozent der Migranten bewerten NS-Staat positiv oder neutral“* zitiert Herr Mohr später: „Keinen Zweifel am totalitären Charakter des Nationalsozialismus hat nur gut jeder zweite,…“*, bezogen auf alle Jugendlichen. Hier stellt sich mir die Frage: Sind die 40% der Migranten der Skandal oder sind es die 50% der gesamten Jugendlichen, die Zweifel am totalitären Charakter des NS-Staates haben? Die Überschrift polarisiert und dramatisiert – gegen die Migranten. Er spielt bewusst mit den Zahlen.

Beispiel 2: Auch wenn Herr Mohr biblische Geschichten als Eigentum des „christlichen Abendlandes“ deklariert, spielt er mit Fakten. Unter der Überschrift „Jakob und Esau? Kommt aus dem Koran“* täuscht Mohr den Leser bewusst. Dieser Ausruf eines muslimischen Kindes ist kein Zeichen von Dummheit wie Herr Mohr behauptet, sondern er zeigt, dass es seine Religion kennt. Judentum, Christentum und der Islam kennen die Geschichte von Jakob (im Islam Yaʿqūb), von dessen Bruder und von dem Linsengericht. Auch die Geschichten um David, Goliath und Saul – der gesamte alttestamentarische Kanon – sind Inhalt aller drei Religionen. Es verwundert mich nicht, dass ein muslimisches Kind aufsteht und ruft: „Das steht im Koran!“

Dammanns zitierte Aussage Alles, was wir Allgemeinbildung nennen, ist eine einzige Katastrophe„* teile ich. Ich denke aber, dass wir Allgemeinbildung anders definieren sollten als Herr Mohr, denn ich habe eine andere Auffassung von Allgemeinbildung und von Geschichte.

Wenn Herr Mohr von Geschichte spricht, welche Schüler lernen und verinnerlichen sollen, dann meint er den traditionellen deutschen Geschichtsunterricht. Sicher ist auch das Schuld- und Verantwortungsbewusstsein der deutschen Nation wegen der Verbrechen des Nationalsozialismus gemeint. Kinder von Migranten fragen „Was haben wir mit eurer Geschichte zu tun?„*, weil sie das Schuld- und Verantwortungsbewusstsein nicht teilen können. Es ist nicht Bestandteil ihrer Geschichte.

Herr Mohr zitiert in diesem Abschnitt Heinz Buschkowsky:

„Da steht doch ein Lehrer auf verlorenem Posten, wenn er von den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis erzählt, in denen Millionen Juden umgebracht wurden. Die harmloseste Reaktion von zumeist muslimischen Migrantenkindern ist demonstratives Desinteresse. Manchmal wird’s auch heftig und nicht zitierfähig.“*

Entsteht die geschilderte Situation vielleicht aus der Art der Erzählung oder daraus, dass sich die Schilderung auf die Massenmorde an den Juden beschränkt? Oder entsteht sie weil diese Schilderung darauf zugeschnitten ist bei deutschen Kindern ein Schuld- und Verantwortungsbewusstsein zu wecken? Diese Art der Geschichtsaufbereitung ist für Kinder mit Migrationshintergrund schwer zu begreifen.

Es ist durchaus möglich, dass ein muslimisches palästinensisches Kind Mitgefühl mit jüdischen Kindern in deutschen Konzentrationslagern empfindet. Gerade weil es Geschichten von Kindern in Flüchtlingslagern aus seiner Familien-Geschichte kennt, kann es das Leid nachvollziehen. Wenn die altersgerechte Schilderung der Massenmorde in den Konzentrationslagern** nicht dazu führt, dass diese Verbrechen von allen Schülern als solche erkannt werden, dann läuft in der Schule vieles verkehrt. Das ist allerdings nicht die Schuld der Kinder oder ihrer Eltern.

Neben der Geschichte betrachtet Herr Mohr die Sprachkenntnisse der Schüler. Wenn Kinder und Jugendliche schlecht sprechen, ist für ihn die Ursache klar: Die Migranten sind schuld. Es gibt aber Kiezdeutsch, Dialekte und Jugendsprache auch ohne Migranten. Diese Sprachformen existieren auch in Gebieten mit geringem Anteil von Migranten an der Gesamtbevölkerung. Wichtig ist doch, dass außer der Kiezsprache auch die Hochsprache gesprochen wird. Viele Jugendliche, ob Migranten oder nicht, die mit ihren Freunden Kiezdeutsch sprechen, beherrschen auch mindestens die deutsche Umgangssprache.

Herr Mohr verwendet in diesem Zusammenhang die Zwischenüberschrift „Hartz-IV-Karrieren durch mangelhaftes Deutsch“*. Diese Formulierung lässt den Schluss zu, dass gutes Deutsch eine Hartz-IV-Karriere vermeidet. Es gibt aber hochgebildete und sprachgewandte Menschen mit Hartz-IV-Karrieren. Ebenso gibt es Menschen, die trotz mangelhaftem Deutsch eine Anstellung haben und teils gut verdienen. Wo ist also der Sinn in diesem Abschnitt? Wahrscheinlich ist „Geh isch Aldi, du Ramadan„* die Kernaussage, also ein weiteres Vorurteil gegen Migranten.

Was läuft falsch in den Schulen, wenn Schüler die Deutsche Sprache und Geschichte nicht lernen?

Ich denke, es wird Zeit, im Unterricht neue Wege zu gehen. Die steigende Anzahl von Kindern mit Migrationshintergrund und von Kindern, die das Sprechen durch Medienkonsum lernen, stellt uns vor neue Herausforderungen. Schließlich beklagen LehrerInnen nicht nur bei Kindern mit Migrationshintergund die „Sprachlosigkeit“*** im Unterricht. Sie meinen mit Sprachlosigkeit nicht nur die mangelnde Sprachkenntnis, sondern dass die Kinder einfach nichts sagen. Warum sagen sie nichts?

Vielleicht fehlt ihnen Vertrauen zu den LehrerInnen, zu den MitschülerInnen und zur Schule. Um eigene Gedanken in mündlicher und schriftlicher Form gegenüber anderen Menschen zu artikulieren, braucht ein Kind Vertrauen zu diesen Menschen. Gerade dann, wenn es seine Geschichten erzählen soll, muss es sich sicher sein, dass die anderen Kinder es nicht auslachen und die Lehrer diese Geschichten nicht als Unsinn abtun. Letzteres ist oft der Fall, wenn Geschichten die das Kind kennt nicht mit dem Lehrstoff des Geschichtsunterrichts übereinstimmen.

Unsere Kinder, ob nun deutsche oder mit Migrationshintergrund, wachsen meist mit Geschichten auf, die in ihrem Umfeld erzählt werden. Diese Geschichten werden abhängig vom kulturellen Hintergrund und Bildungsstand der Erzähler unterschiedlich vorgetragen. Wichtig für das Kind ist, sie werden von Menschen erzählt denen es vertraut. Die hochgebildeten deutschen Eltern, die ungebildeten Eltern und die Eltern aus anderen Kulturkreisen unabhängig vom Bildungsstand erzählen Geschichten teilweise grundlegend unterschiedlich. Die Eltern der ersten Gruppe erzählen bereits dem Kleinkind gesellschaftlich konforme Geschichten, unter anderem sprachlich entschärfte Märchen, um ihm das spätere schulische Leben zu erleichtern. Kinder, die aus anderen Kulturkreisen stammen, besonders die in traditionellen muslimischen Familien aufgewachsenen, hören dagegen viele Geschichten aus der Geschichte. Ganz gleich, ob es um Familien-Geschichte, die Geschichte des Islam oder um Geschichten von Flucht, Vertreibung und Bürgerkrieg geht, diese Geschichten prägen ihr Geschichtsbild. Den Kindern fehlt nicht das Geschichtsbewusstsein. Es unterscheidet sich von unserem.

Wir müssen also weg von einer deutschen Interpretation der Geschichte im Unterricht.

In der Schule wird das Kind zum Schüler und lernt Geschichte, die anders ist als die Geschichten der Vertrauenspersonen. Was passiert dort wirklich? Wird ihnen eine Begründung gegeben warum das so ist?

Das Dilemma beginnt in der Grundschule. Dort lernen Schüler die grundlegenden Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Sie lernen auch das „Lernen“. Das schulische Lernen ist als Wissenserwerb ausgelegt, ich nenne es „Auswendig-Lernen“. Sie lernen, dass Buchstaben, Zahlen, Sprache und auch Geschichte Fakten sind, die nicht diskutiert werden. Auf dieser Grundlage wird der weitere Unterricht aufgebaut. Lernen sie aber auch das Denken in den Formen des Durchdenkens, des Nachdenkens und des kritischen Denkens?

Ein Ansatz zum kritischen Denkens wäre, wenn mit den Schülern spielerisch Antworten auf die Frage „Warum soll ich das lernen?“ erarbeitet werden. Wenn Lehrer und Schüler gemeinsam spielerisch die Themen Sprache, Schrift und Geschichte durchdenken. Was wäre passiert, wenn die Menschen keine gemeinsame Sprache für ihre Gruppe entwickelt hätten und wenn sie keine Schrift erfunden hätten um ihre Geschichten und ihr Wissen festzuhalten? Dieses Spiel wird dem Lernwillen förderlicher sein als eine schlechte Zensur.

Schüler sollten im Unterricht ihre gehörten und erlebten Geschichten austauschen, gemeinsam durchdenken und diskutieren. Es geht dabei nicht um ein festgelegtes Ziel, sondern darum, denken und kommunizieren zu lernen. Lehrer und Lehrerinnen sollen das Erzählen und Diskutieren nicht in erster Linie auf ein Ergebnis zu führen, sie sollen den Prozess begleiten. Wir könnten damit eines der wichtigsten Probleme, die Sprachlosigkeit der Schüler im Unterricht, zumindest teilweise lösen. Schüler die erzählen und diskutieren lernen besser sprechen. Wer erzählt – der versucht sich verständlich auszudrücken. Wer erzählt – der will verstanden werden. Wer auf Deutsch erzählt – der bemüht sich um ein verständliches Deutsch.

Schüler die ihre Geschichten im Unterricht erzählen und diskutieren, das wird wahrscheinlich Gegner finden. Diese Erzählungen zerstören den „Schutzraum Grundschule“**** in dem die Schüler, behütet vor allem Bösen, grundlegende Fertigkeiten lernen sollen. Böse Geschichten werden vor allem Schüler mit Migrationshintergrund erzählen. Deren Geschichten handeln von Krieg, Vertreibung, Flucht, Hunger, Tod und sie haben einen anderen kulturellen Hintergrund. Sie beschreiben die Realität eines großen Teils der Welt. In unserem behüteten Teil wollen viele Eltern, Lehrer und Lehrerinnen diese Geschichten ihren Kindern nicht zumuten.

Wer führt uns in die in dem Artikel postulierte „Massenverblödung“ wenn nicht das Bildungssystem?

Im heutigen Geschichtsunterricht sollen Schüler Daten und Fakten, die niemanden interessieren und die von teils unmotivierten Lehrkräften vorgetragen werden, auswendig lernen. Das erworbene Wissen wird für Prüfungen und Klausuren benötigt, danach interessiert dieses Wissen niemanden mehr. Gerade in Deutschland hat Geschichte, wie alle Geisteswissenschaften, kaum Bedeutung für die Schule.

Gelebte, diskutierte und kommunizierte Geschichte in der Schule kann mehr als das heutige Bildungssystem erreicht. Geschichte lebt durch das Erzählen von Erlebtem und Gehörtem im historischen Kontext. Erzählen und diskutieren fördern die Sprachentwicklung, das systematische, logische und kritische Denken, die Kommunikationsfähigkeit und besonders das Verständnis für die Anderen.

Die Fähigkeit systematisch, logisch und kritisch zu denken, die Fähigkeit zu kommunizieren und die Fähigkeit Verständnis für Andere aufzubringen und zu äußern, das sind wichtige Fähigkeiten für das spätere Berufsleben.

Wenn in der Schule Unterrichtsinhalte erarbeitet, durchdacht und diskutiert werden, dann lernen die Schüler dort auch Demokratie. Sie lernen Demokratie nicht als abstrakten Begriff, sie lernen Demokratie leben.

Warum wird Schul-Geschichts-Unterricht nicht in einer quasi-demokratischen Form durchgeführt?

Wahrscheinlich befürchten viele, dass in einem solchen Unterricht auch Fragen und Thesen auftauchen, die auf eine Relativierung des Nationalsozialismus hinzielen. In einer offenen Diskussion können die Lehrer und Schüler Argumente gegen diese Thesen erarbeiten. Besonders dann, wenn wie schon beschrieben die Verbrechen des NS-Regimes als solche durch alle Schüler erkannt werden.

Was passiert wenn die Diskussion weiter unterbleibt oder unterbunden wird?

Es bilden sich Randgruppen, zum Beispiel im rechten Spektrum. Diese Gruppen werden von gebildeten kommunikationsfähigen Menschen geführt, die aus verschiedenen Gründen rechte, teils nationalsozialistische, Thesen verbreiten. Ihre Anhängerschaft besteht zu Teilen aus geschichtsinteressierten Menschen deren Fragen in der Schule nicht beantwortet wurden, die sich in der Schule nicht wagten Fragen zu stellen oder die zu einfache Antworten suchten. Gleiches gilt für andere Strömungen und Randgruppen, ob diese nun politisch oder religiös radikalisiert sind. Das passiert heute und führt zu einer Spaltung der Gesellschaft.

Diese Spaltung der Gesellschaft ist gefährlicher als die offene Diskussion und Kommunikation von Geschichte. Die Gesellschaft und das Bildungssystem lassen nicht nur zu, dass diese Menschen an die Ränder abdriften, sie fördern es durch Verweigerung der offenen und kritischen Diskussion.

Verweigerung und die Akzeptanz der Diskussion führen zur „Massenverblödung“, Herr Mohr, nicht angebliches Desinteresse an Sprache, Geschichte und Bildung.

* Die Zitate stammen aus dem verlinkten Artikel

** Hier meine ich Unterricht der auf emotionale Faktoren setzt. Ich denke an Gedichte wie „Kinderschuhe aus Lublin“ von Johannes R. Becher

*** Die Sprachlosigkeit wird z.B. hier beschrieben

**** Das Argument „Die Grundschule ist ein Schutzraum“ stammt aus eigenem Erleben. Nach dem 11.9.2001, als ich in der Grundschule meines Kindes fragte warum die Kinder nicht mit dem Thema der Terroranschläge, entsprechend der Altersklasse, konfrontiert werden bekam ich diese Antwort.