Ostergedanken über Selbstverständlichkeiten

Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

So lässt Goethe seinen Faust im Osterspaziergang sagen und dieses selbstverständliche „bunte Gewimmel“ versteht sich in Zeiten von Corona plötzlich nicht mehr von selbst. Auch das mit dem:

Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

welches wir über die Jahre als selbstverständlich betrachtet haben, ist für viele in Frage gestellt.

Die Freiheit durch Ausgangs- und Reisebeschränkungen, die soziale Sicherheit durch Sorge um den sicher geglaubten Arbeitsplatz – ist der nach der Pandemie noch sicher? – und viele andere Dinge sind plötzlich nicht mehr selbstverständlich.

Aber auch viele Selbstverständlichkeiten des täglichen Lebens sind plötzlich nicht mehr so wie sie immer waren. Plötzlich sind die Menschen, die bisher selbstverständlich einfach ihren Job machten zu Helden mutiert.

  • Die VerkäuferInnen und KassiererInnen im Supermarkt, die vielen von uns einen „Guten Tag“ oder ein „Danke“ nicht wert waren und die man anschnauzen konnte, wenn es nicht schnell genug ging.
  • Die Reinigungskräfte im Büro, Hotel oder Krankenhaus, die immer im Wege waren, oder die KrankenpflegerInnen bei denen man sich beschwert hat, weil sie nicht 5 Sekunden nach dem Klingeln da waren.
  • Die MüllfahrerInnen die lästig waren, wenn sie die Straße blockierten und natürlich die KindergärtnerInnen und LehrerInnen die zu unfähig waren, um die Besonderheiten unserer tollen Kinder zu erkennen und sie entsprechend zu behandeln.

Sie alle – auch die vielen Ungenannten – sind plötzlich nicht mehr selbstverständlich, sie sind plötzlich Helden.

Leider ist zu vermuten, dass der Heldenstatus sollte die Pandemie zu Ende sein wieder aberkannt wird. Sie alle werden wieder selbstverständlich für uns da sein und wahrscheinlich wieder so missachtet werden wie vorher.

Corona wäre aber auch eine Chance über wichtige Menschen nachzudenken und darüber, ob sie wirklich selbstverständlich für uns da sind.

Frohe Ostern

Bild von Lukas Bieri auf Pixabay

Zeit für Piraten

Dass es Zeit für Piraten ist, ergibt sich aus folgender Ausgangslage:

Zwei Arten von Menschen mit Laptops möchte ich hier gegenüber stellen. Die ökonomisch orientierte ist in klassische Anzüge oder Kostüme gekleidet, hastet jung und dynamisch durch Firmenkorridore und sucht nach Einspar- und Optimierungspotentialen. Die andere Art sind die Piraten. Sie arbeiten zu Hause und in ihrer Freizeit, sie treffen sich in Kneipen und beschäftigen sich mit der Lebens- und Arbeitswelt von morgen. Die erste Art genießt hohes gesellschaftliches Ansehen und wird gut bezahlt.

Zeit für Piraten, warum?

Die erste Art, die fleißigen Arbeiter im McKinsey-Imperium (wobei McKinsey als Synonym für sämtliche Consultingfirmen steht) hat zwei Aufgaben. Zum Ersten die Bewahrung des Status quo und zum Zweiten die Sicherung hoher Renditen für Shareholder. Das wird gern euphemistisch als „freies Spiel der Kräfte“ oder „Freiheit der Märkte“ umschrieben – ist aber schlicht und ergreifend die Freiheit von gesellschaftlicher Verantwortung für Großunternehmen. Ich schrieb schon ausführlich dazu.

Die zweite, die piratige Art hat Visionen. Sie ist innerhalb der Firmenhierarchien meist in mittleren oder unteren Ebenen zu finden, steht finanziell näher an den unteren Schichten, ist meist gut gebildet und ideologisch zwar dem eher linken Lager zuzuordnen, aber ohne die dort üblichen ideologischen Scheuklappen. Letzteres wird ihnen oft von Ideologen vorgehalten. Persönlich bezeichne ich mich, gemäß meiner Identität, gern als „konservativ links“ – was manchmal zu Irritationen führt. Ich passe also nur zu den Piraten.

Zeit für Piraten – also für Streit?

Damit sind die Piraten die einzige Partei, die den politischen Entscheidungsprozess öffentlich macht. Das liegt in der Natur einer Republik – res publica bedeutet ja „öffentliche Angelegenheit“. Dies gibt Interessierten die Möglichkeit sowohl passiv, durch Mitlesen, aber auch aktiv teilzunehmen. Piratenpolitik findet öffentlich statt. Ich meine, das ist gut.

Zeit für Piraten – also für Nerds?

Piraten werden, soweit sie bekannt sind, oft mit Nerds und Hackern in Verbindung gebracht. Es gibt auch von denen welche unter den Piraten, es gibt aber ebenso Menschen hier die das Internet und Computer einfach als Arbeitsmittel nutzen. Manche brauchen sogar Hilfe beim Anlegen eines Email-Accounts. Normale Menschen eben, die sich mit den Piraten-Themen identifizieren. Weder der Chaos-Computer-Club noch Anonymus sind Piraten-Veranstaltungen – viele Piraten stehen diesen aber nahe.

Zeit für Piraten – was wollen die?

Den Piraten geht es um die Freiheit – nicht nur im Internet. Es geht ihnen um die Würde eines jedes Menschen und um die gleichberechtigte Teilhabe dieser Menschen am gesellschaftlichen Leben und den politischen Prozessen.

Damit eng verbunden ist der Kampf für die Wahrung der Privatsphäre, also gegen anlasslose Totalüberwachung. Der Schutz der Meinungsfreiheit, so wie sie im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht, ist auch der Kampf gegen die Einführung von Uploadfiltern und anderen technischen Mitteln im Internet – die dazu geeignet sind die Meinungsfreiheit einzuschränken.

Würde und Teilhabe sind die Eckpunkte für die piratige Sozialpolitik. Wenn die Würde aller Menschen und die gleichberechtigte Teilhabe – „farbenblind“ und geschlechtsunabhängig – das Prinzip sind, dann sollte jede/r damit leben können.

Die neue Arbeitswelt und digitale Bildung, verbunden mit den vorstehenden Prinzipien, sind ein piratiges Thema. Sie sind schon da angekommen, wo andere noch vom Neuland reden. In einem Artikel schrieb ich:

Wie ihre Namensgeber auf den Weltmeeren, so sind die Piraten im Internet unterwegs. Sie organisieren sich dort – tauschen sich aus – teilen Ideen – entwickeln Lösungen – diskutieren diese – verbessern oder verwerfen sie und machen sie öffentlich. Crowdworking, Cloudworking, Crowdfunding und ähnliches sind für Piraten normal. Sie machen, zum großen Teil in ihrer Freizeit das was die Arbeitswelt der Zukunft ausmachen wird.

Zeit für Piraten – auch kommunal?

Die vorstehenden Themen sind oft in der Europa-, Bundes- oder Landespolitik durchsetzbar – was ist mit der Kommunalpolitik? Auch dort werden die Piraten gebraucht. Sie leben und arbeiten in den Kommunen, sie sind dort oft gesellschaftlich engagiert – sie sind „welche von uns“ – mit allen normalen Alltagsproblemen. So entstehen in kontroversen Diskussionen Konzepte für Verkehr, Kultur, Umwelt, Tourismus und andere kommunal drängende Themen. Auch diese Konzepte werden ohne Beeinflussung durch Lobbyisten oder ideologische Restriktionen öffentlich erarbeitet. Sie werden von Menschen für eine menschliche Gesellschaft erarbeitet.

Zeit für Piraten – und nun?

Die Piraten sind eine Mitmach-Partei, es kann sich also jede/r beteiligen, auch ohne gleich Mitglied zu werden. Auf den Webseiten der Kreis-und Ortsverbände sind die öffentlichen Kontakte und Treffen schnell zu finden.

Für die, denen die Zeit bis zur nächsten Wahl dafür zu kurz erscheint, oder die sich nicht aktiv beteiligen wollen bleibt beim Gang zur Wahlurne die Möglichkeit das Kreuz bei den Piraten zu setzen.

Am 26. Mai 2019 Piraten wählen!

Bei der Europawahl und kommunal.

In Leipzig die Liste 7 – PIRATEN

Und bitte denkt daran: „Nichtwählen ist keine Lösung.“

Vorveröffentlichung am 05. Mai 2019 bei Piratenpartei Leipzig

Freiheit ein Euphemismus

Die Freiheit, die ich meine“ schrieb Max von Schenkendorff 1813 und hier beginnt schon mein Zweifel. Schrieb er wirklich „meine“ in der Bedeutung von „Meinung“, oder schrieb er „minne“ in der Bedeutung von „Die Freiheit, die ich liebe“?

Aber das nur nebenbei, es geht mir hier um die Begriffe „Freiheit“, „frei“ und die Ableitungen aus dem französischen Wort „Liberté“ – also Liberalismus und liberal.

In einem Gespräch wurde ich letztens gefragt, was eigentlich mit Neoliberalismus gemeint sei. Als ich sagte der Begriff sei ein Euphemismus musste ich erklären, was das nun wieder ist.

Also schreibe ich es hier mal auf.

Freiheit und frei

Wir gebrauchen die Worte gern um Werte zu beschreiben, so in Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freihandel oder auch für andere Aussagen wie Freibier. Gemeint ist immer „frei von Einschränkungen“, im Falle Freibier natürlich „frei von der Pflicht es zu bezahlen“.

Euphemistisch wird die Verwendung des Begriffes allerdings, wenn wir anfangen den Begriff „Meinungsfreiheit“ so auszulegen, dass jeder Mensch das Recht auf seine Meinung hat (was richtig ist) und das Recht auf „Widerspruchs-Freiheit“ besteht. Schlimmer wird es noch, wenn das „Recht auf Verteidigung der Meinung mit allen Mitteln“ eingefordert wird. Das ist dann das Ende des Diskurses, der Demokratie und auch der Freiheit.

Also gibt es entweder Meinungsfreiheit für alle oder Un-Freiheit. Rosa Luxemburg hat das in ihrem, leider meist verkürzt zitierten, Ausspruch auf den Punkt gebracht.

Freihandel

Dem Thema widme ich einen eigenen kurzen Absatz, ich habe es 2014 bereits ausführlich beschrieben. Das Wort ist ein Euphemismus, da es immer die Freiheit für den ökonomisch und auch militärisch Stärkeren beschreibt. Ob in den Opiumkriegen oder bei TTIP – es werden Interessen von Staaten oder Konzernen mit dem Wort „Frei“ umschrieben. Es geht nicht um den freien gleichberechtigten Handel zwischen Partnern. In diesen Kontext gehört auch die viel beschworene „Freiheit des Marktes“, die in der Endkonsequenz einen brutalen Verdrängungswettbewerb (besser wäre Kampf) fordert.

Liberalismus und liberal

In Deutschland gibt es eine Partei die sich „Freie Demokratische Partei“ (FDP) oder auch „Die Liberalen“ nennt. Laut dem Namen müssten also alle Menschen die die Freiheit wollen dieser angehören oder sie wählen. Da aber der Name nicht dem Programm entspricht, kann man ihn nur als Euphemismus bezeichnen. Diese Partei vertritt den Wirtschafts-Liberalismus, also die oben beschriebene „Freiheit des Marktes“. Dazu gehört die „Liberalisierung des Arbeitsmarktes“, die gleich doppelte Freiheit verspricht. Zum einen die Freiheit des Arbeitnehmers dorthin zu gehen wo er hin will – wenn man ihn dort nimmt – oder zu Grunde zu gehen. Zum anderen umschreibt der Begriff die Freiheit der Arbeitgeber von (fast) jeder Verantwortung für ihre Beschäftigten.

Die Umsetzung dieser „Freiheit“ überließ man aber gern der Arbeiterpartei SPD, die mit den HARTZ IV-Gesetzen die Liberalisierung des Arbeitsmarktes durchführte. Das führte zu einer Verminderung der Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig wuchs der Niedriglohnsektor überproportional.

Die Freiheit, die diese Liberalen meinen, ist „frei von staatlichen Beschränkungen“ und wird gern mit dem Euphemismus „Neoliberalismus“ bezeichnet.

Neoliberalismus

Ist der oben beschriebene Wirtschafts-Liberalismus ein Vertreter des freien Marktes, so steht der Neoliberalismus für die quasi Abschaffung des Staates in der Daseinsvorsorge für die BürgerInnen. Nicht allein die Partei des Namens „Die Liberalen“, auch andere Politiker stimmen in diesen Chor ein, voran der Wirtschaftsminister Peter Altmeier der in einem Spiegel-Interview sagte

„Der Staat ist ein lausiger Unternehmer.“

Wobei ein weiterer Euphemismus ins Spiel kommt, nämlich die Zuschreibung einer Qualifikation namens „Wirtschaftskompetenz“ für Politiker und Parteien. Dieser Begriff bedeutet nicht, dass die als solche bezeichneten ein Unternehmen erfolgreich führen könnten, oder in der Lage wären den von Altmeier geschmähten Staat zu verbessern. Er beschreibt nur die Fähigkeit den verbliebenen staatlichen Sektor meistbietend zu veräußern und somit Unternehmen größtmöglichen Profit, ohne Verantwortung für die Gesellschaft, zu garantieren.

Der Neoliberalismus und seine Vertreter werden gern und oft als konservativ beschrieben, was ebenso euphemistisch ist.

Konservativ

Das schöne Wort konservativ kommt vom lateinischen conservare „erhalten“, – was im Wortsinne mit haltbar machen und aufbewahren in Verbindung gebracht werden kann. Die gesellschaftspolitische Bedeutung ist allerdings „rückwärts gewandt“ – schade eigentlich, das Wort sagt viel mehr aus.

Ich sehe hier immer meine Oma vor mir, wie sie Erdbeeren, Kirschen, Apfelstücke und vieles andere zum Einkochen (das ist eine Form des Konservierens) vorbereitete. Wichtig war, das lernte ich schon als Kind, dass nur die besten Früchte oder Stücke verwendet wurden. Alles was beschädigt oder angefault war wurde sofort verzehrt oder entsorgt. Konservative Politik hätte für sie bedeutet, dass die Politiker den Zustand in dem sie sich am wohlsten gefühlt hatte erhalten oder wiederherstellen .

Die konservativen Politiker behaupten, sie würden „bewahren“ was sich als gut und nützlich für die Gesellschaft erwiesen hat. Sie sind aber nur selektiv konservativ. Sie wollen nicht das Bewahrenswerte für die Gesellschaft erhalten, sie wollen konservativ die Politik des Neoliberalismus fortsetzen. Sie führen eine Politik fort, die zum Ansteigen der Unternehmensgewinne bei gleichzeitigem (teilweise gefühlten) Absinken des Lebensniveaus großer Teile der Bevölkerung geführt hat.

Fazit

Im politischen Diskurs (so dieser geführt wird) ist Worten nicht zu trauen. Begriffe wie Freiheit, Liberalismus und Konservativismus umschreiben oft euphemistisch das Gegenteil.

Es wird Zeit für eine Rückkehr zur richtigen Verwendung der Begriffe.

Eine Anmerkung noch. Der Begriff „Alternative“, zumindest wie er heute von der Partei gleichen Namens gebraucht wird, ist kein Euphemismus. Er drückt präzise aus was er meint. Eine Alternative zum demokratischen Staat, zur freien Gesellschaft und zum Rechtsstaat – in der Ausprägung „Gleiches Recht für alle“ – bzw. einfach zu den Menschenrechten.

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