Konsens und Selbstverständlichkeit

Persönliche Anmerkung:

Wenn ich im nachfolgenden Artikel Gesellschaftswissenschaftler und Politiker benenne, sollte der Leser wissen, dass ich keiner von beiden bin. Ich bin nach Ausbildung und meiner früheren Berufstätigkeit Ingenieur. Ich liebe Dinge, die funktionieren und habe mich lange Zeit damit beschäftigt Dinge zu reparieren. Ein Konsens – über Möglichkeit und Unmöglichkeit von technischen Lösungen – gehört nicht zum Bild des Ingenieurs, er mag zeitweilig bestehen – kann aber durch technische Entwicklungen jederzeit aufgekündigt werden.

Konsens in der Gesellschaft

Abseits der Naturwissenschaften, besser der Naturbeobachtungen, ist ein gesellschaftlicher Konsens – so gewünscht er auch ist – meist ein Wunschbild von Politikern und Gesellschaftswissenschaftlern. So zu sehen am vermeintlichen Konsens des „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ in Deutschland. Natürlich war 1945 die wahrscheinlich überwiegende Mehrheit der Bevölkerung vom zweiten Teil der Aussage überzeugt, aber der erste Teil bezog sich wohl eher darauf: „Nie wieder einen Nationalsozialismus, der einen Krieg auf deutschem Boden austrägt!“ Der Nationalsozialismus wurde ja auch verschieden definiert. Im Osten war er die Perversion des Kapitalismus – im Westen eine des Sozialismus. Die Mythen, nach welchen der Nationalsozialismus die Wirtschaftskrise beendet hat, das deutsche Volk vereinigt hat und ähnliche andere Erzählungen spukten weiter in den Köpfen herum und wurden auch nie aus ihnen entfernt. Entfernen heißt hier nicht Gewalt, es heißt Bildung und Überzeugungsarbeit – also die politische „Kärrnerarbeit“.

Konsens „Nationalismus“

In beiden deutschen Staaten blühte weiter der Nationalismus, wenn auch im wenig sichtbaren Bereich. Der Westen blühte auf und schon bald schilderten die Medien dem Bürger die Überlegenheit gegenüber dem Osten, aber auch die Rolle des Spitzenreiters im friedlichen Wettbewerb gegenüber den anderen westlichen Staaten. Der DDR-Bürger fühlte seine wirtschaftlichen Nachteile gegenüber dem Westdeutschen, aber die DDR-Medien stellten die Erfolge der DDR gegenüber den anderen RGW-Staaten in subtiler Weise dar und davon konnte sich der DDR- Bürger auch selbst überzeugen*.

Beide Staaten und ihre Bürger fühlten sich als die Elite ihres Wirtschaftssystems – nennen wir das einfach Nationalismus.

Konsens „Demokratie“

Beide deutsche Staaten waren nach ihrer Selbstdarstellung Demokratien. Die DDR war allerdings nach eigener Darstellung eine „Diktatur des Proletariats“ unter der Führung der SED – was den Begriff Demokratie ad absurdum führt – belassen wir es also bei Diktatur und wenden uns dem westdeutschen Staat zu.
Der westdeutsche wie auch der heutige gesamtdeutsche Staat versteht sich als demokratisch und, zumindest in der Gewährleistung der Menschenrechte, als antifaschistisch. Die Demokratieform ist eine parlamentarische (repräsentative), heißt die BürgerInnen (Staatsangehörigen) entscheiden in Wahlen über die Zusammensetzung des Parlaments und somit über die Zusammensetzung der Regierung – das Vehikel dabei sind die Parteien, die verschiedene soziale und/oder ideologische Schichten vertreten.
Gepaart mit der Gliederung der Bundesrepublik in Bundesländer wurde dies mit der Ewigkeitsklausel – Art. 79 (3) Grundgesetz – gewissermaßen in Stein gehauen und wurde in der Folge als gesellschaftlicher Konsens betrachte und behandelt.

Und dieser Konsens wurde für selbstverständlich gehalten.

Nix ist fix – auch kein Konsens

Die Selbstverständlichkeit entpuppte sich mit der Wiedervereinigung als Problem – besser: Das Problem wurde sichtbar.
Ein neuer Konsens hätte entstehen können, z.B.:

Eine freiheitlich demokratische Gesellschaft mit sozialer Marktwirtschaft ist der Diktatur mit zentralistischer Planwirtschaft überlegen.

Das wäre konsensfähig für Ost und West gewesen, jeder hätte es verstanden und die überwiegende Mehrheit hätte sich diesem Konsens angeschlossen.
An dieser Stelle möchte ich Gregor Gysi danken**. Ich hatte überlegt, wie ich den Fortgang beschreiben kann, als ich von ihm hörte: „Der Westen konnte nicht aufhören zu siegen.“ Das trifft es genau und ich werde diese Beschreibung hier verwenden.
„Nicht aufhören zu siegen“, das ist im privaten Bereich die Aussage der Eltern nach der Scheidung einer 25jährigen Ehe mit 23 glücklichen Jahren, „Wir haben es Dir doch gleich gesagt!“ – dieses „immer Recht haben wollen“.
Letztendlich ist es die Übernahme des Narrativs vom „Sieger der Geschichte“, welches der „real existierende Sozialismus“ gern und oft verwendete, durch den Westen.
Wo ein Sieger ist, gibt es Verlierer, diese waren nicht beschränkt auf die Partei-, Staats- und Wirtschaftsführung im Osten – der Osten wurde zum Verlierer erklärt. So verstanden es die Menschen, die dort lebten.
Sozialismus wurde und wird im Geiste des kalten Krieges in „ Diktatur mit zentralistischer Planwirtschaft“ umgedeutet, so dass sich selbst die Sozialdemokraten nicht mehr dieses Begriffs bedienten. Darunter litt und leidet sie SPD noch heute – sie hat ein Problem mit den Linken (also der Partei dieses Namens), weil eben diese Deutung immer wieder proklamiert wird.

Weitab von einem Konsens

Wir sind heute von einem gesellschaftlichen Konsens weit entfernt. Der Grund ist für mich, dass der alte Konsens nie wirklich in der Gesellschaft angekommen war. Erweiterungen, als Konsens zwischen Interessengruppen ohne gesellschaftliche Beteiligung ausgehandelt, wurden durch das desinteressierte Schweigen der Bevölkerungsmehrheit als gesellschaftlicher Konsens betrachtet und als selbstverständlich angesehen.
So wurde die Notwendigkeit und Richtigkeit der europäischen Einigung als „in der Bevölkerung verstanden, akzeptiert und befürwortet“ betrachtet. Das mag für die EWG zugetroffen haben, jeder im Westen merkte die Erfolge schnell am Warenangebot und oft an den eigenen Lebensumständen. Es trifft auf die Europäische Währungsunion mit dem Euro und den Versuch der politischen Union aber nicht zu. Diese EU wurde den BürgerInnen, nicht nur den deutschen, nicht verständlich vermittelt – sie verstehen sie nicht – sie akzeptieren sie nicht (besser – sie akzeptieren sie nur, wenn alles in ihrem Interesse läuft) – sie fühlen sich in ihren demokratischen Rechten eingeschränkt. Ich beschrieb das 2011 so:

Hans Franz und Lieschen Müller aus Klein-Kleckersdorf fühlen sich also nicht als Bürger Europas, sondern als Verwaltete.

Da die Idee der europäischen Einigung, in der oben beschriebenen Form, von EU, Regierung, Parteien und auch von Gesellschaftswissenschaftlern als gesellschaftlicher Konsens – somit als selbstverständlich – betrachtet wurde, gab es ja kaum Interesse an Diskussionen und Erklärungen.

Der Konsens wurde aufgekündigt

Der Konsens wurde nicht aufgekündigt – es gab keinen Konsens. Zumindest keinen, der durch die überwiegende Mehrheit der Menschen getragen wurde. Es gab Akzeptanz, wenn es funktionierte – selbst die Bankenrettung der deutschen Banken wurde, wenn auch widerwillig, als notwendig akzeptiert. Als es um griechische Banken ging, hörte die Akzeptanz auf – weil es keinen gesellschaftlichen Konsens zu Europa gab. Eine fremdenfeindliche Partei gründete sich, bekam Zulauf von Menschen, die der europäischen Idee nicht folgten (oder folgen konnten) und 2015 mit dem Eintreffen der geflüchteten Menschen aus Kriegs- und Krisenländern wurde sie immer stärker.

Fazit

Wir merken heute, dass die Decke der Zivilisation, unter der wir in besseren Zeiten selig geschlummert haben, dünn ist und viele Löcher hat.
Den nicht bestehenden „Schönwetter-Konsens“ verteidigen hilft nicht viel – wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs für einen Konsens – sei es auch nur ein Minimalkonsens.

Auch diesen Minimalkonsens dürfen wir nie als selbstverständlich betrachten.

* Aus eigenem Erleben: Als ich 1980 in Bulgarien war gab es noch Dörfer ohne zentrale Wasserversorgung, auch bei der zahnärztlichen Versorgung (besonders der Prothetik) sah man, besonders im ländlichen Raum der „sozialistischen Bruderstaaten“, Unterschiede die zugunsten der DDR ausfielen. Diese ‚Überlegenheit‘ wurde vom DDR-Bürger auch gern so gesehen.
** Ich war auf einer Veranstaltung mit Gregor Gysi, dort gebrauchte er diesen Satz
Bildnachweis: unter CCO Creativ Commons by Das Wortgewand

Griechenland und die EU – Zeitungsschau

bild-griechenland

Auch wenn das Titelbild* aus der BILD ist, um diese geht es heute nicht – das Bild dient nur der Illustration des Problems.

Was war heute zu lesen?

Die WELT schrieb „Schäuble lässt die Griechen abblitzen“ und Focus-Online bedankt sich mit „Danke für die harte Linie, Herr Schäuble!“. Die deutschen Mainstream-Medien scheinen glücklich zu sein.

Ja, diese Griechen sollen doch erst einmal ihre Milliardäre besteuern und mit diesem Geld und dem eingesparten Geld aus dem Sparprogramm der Troika die Schulden zahlen und gleichzeitig ihr Land wirtschaftlich nach oben bringen.

Das klingt ja so logisch und vernünftig.

Aber es gibt noch eine andere Meldung betreffs der EU:

Das EU-Parlament und „Luxleaks“: Untersuchung light schreibt die Deutsche Welle (DW).

Worum geht es dort?

Grüne und Linke im EU-Parlament verlangten einen echten Untersuchungsausschuss zu Luxemburgs Steuergeschenken für große Konzerne. Doch die großen Fraktionen witterten zu große Gefahr für Kommissionspräsident Juncker.

Im Klartext: Der heutige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der ca. 20 Jahre als Finanzminister und Regierungschef der Luxemburger Regierung die Voraussetzungen für massenhafte Steuerflucht der Milliardäre, auch aus Griechenland, geschaffen hat, darf nicht „beschädigt werden“. Deshalb gibt es nur einen Sonderausschuss, keinen Untersuchungsausschuss.

Ich bestreite nicht, dass die ehemaligen griechischen Regierungen die aktuelle Krise zum größten Teil verursacht haben.

Durch die geduldete Schaffung von Steuerparadiesen auf EU-Gebiet hat aber die EU auch ein Versagen einzugestehen. Die Konservativen in der EU, zufällig sind Juncker und Schäuble beide Christdemokraten, halten aber lieber an dem untauglichen Konzept des Sparens um jeden Preis fest.

Ich befürchte nur, dass uns, die Bürger der EU, diese Form der „Rettung“ teurer zu stehen kommt als Hilfen für die neue griechische Regierung, vor allem aber für das griechische Volk.

Ich wiederhole mich:

Wenn die EU Griechenland erpresst, zu Boden spart und dann fallen lässt, dann hat sie den Namen Union nicht verdient.

Dieser Vertrauensverlust würde teurer als eine gerechte Hilfe.

* Bildquelle: https://twitter.com/KaiDiekmann/status/559817002303627264

Der Herr Öttinger,

will also eine Google-Abgabe für geistiges Eigentum. So berichten heute zumindest einige Zeitungen. Leider finde ich den Artikel im Handelsblatt noch nicht online, also nehme ich den Artikel im Kurier.

Mal sehen, die deutsche Politik hat ja gegen Google bereits ein scharfes Schwert geschmiedet, nicht Excalibur sondern Leistungsschutzrecht (LSR). Mit diesem bewaffnet zogen die Verlage der VG Media in den Kampf gegen Google und gewannen einen glorreichen Pyrrhussieg.

Google erklärte den Verzicht auf Snippets in den Suchanzeigen, so wollten es die Verlage der VG Media schließlich. Was diese Verlage aber nicht bedacht hatten war, dass Google bezahlen muss wenn es die Snippets verwenden will. Das LSR beinhaltet nicht, dass Google die Snippets verwenden und dafür zahlen muss. Jetzt gibt es eine widerrufliche Gratiseinwilligung, für die Verwendung der Snippets. Nicht weil Google diese verwenden will, sondern weil die Verlage diese in den Suchanzeigen sehen wollen.

Nach diesem glorreichen Sieg über Google folgt nun Schritt 2, eine Google-Abgabe für geistiges Eigentum, diesmal auf europäischer Ebene.

Günther Öttinger, der designierte EU-Kommissar für digitale Wirtschaft, will jetzt, dass:

„wenn Google ihre intellektuellen Werte aus der EU beziehe und mit diesen arbeite.“*

Google auch dafür bezahlen muss.

Allerdings, tröstlich für uns, bestätigt er auch:

„Wir müssen erst mal definieren, was geistiges Eigentum überhaupt ist.“*

Allerdings beschränkt er geistiges Eigentum auf „…Erzeuger, also der Künstler, Wissenschaftler und Autoren…“*, was die Vermutung zuließe, dass die Verlage aus dem Spiel sind. Sind sie natürlich nicht, schließlich sind sie Rechteinhaber im Sinne des LSR, somit ist für mich die Initiative ein Leistungsschutzrecht auf europäischer Ebene.

Die Forderung nach einer Definition von geistigem Eigentum beruhigt mich allerdings etwas. Damit dürfte vieles was die VG Media an Rechten besitzt wertlos sein – weil geistlos. Ich hoffe, die EU schließt sich meiner Unterscheidung bei geistigem Eigentum an. 🙂

Wenn Google sich zukünftig verweigert für geistiges Eigentum zu zahlen, dann können wir also weiterhin auch im USA-Urlaub sehen, welcher Fußballer sich von seiner Freundin getrennt hat und was BILD davon hält. Das fällt ja wohl nicht unter geistig.

Es wird also nicht so schlimm.

Es wird viel Geld kosten – das ist schlimm.

Es wird den freien Austausch in Wissenschaft, Kunst und Kultur behindern – das ist schlimmer.

P.S. Der Artikel ist „aus der Hüfte geschossen“, kleine Unebenheiten bitte ich zu entschuldigen. Ansonsten gibt es, wie immer, den Verweis auf die Packungsbeilage.

* Die Zitate stammen aus dem Artikel im Kurier