Klappentext
Der Artikel ist lang und ausschweifend, deshalb eine Zusammenfassung. Wen dann das Thema und meine Auffassung interessieren – dem ist nicht zu helfen, der muss sich durch den Text quälen.
Die Demokratie steht am Scheideweg, es scheint nur zwei Wege zu geben. Der erste führt in die Diktatur der Menschenfeinde, der zweite in die Diktatur der Anständigen. Eine Diktatur wird es auf jeden Fall – wenn wir nicht miteinander reden.
Demokratie und Diskurs
Der Begriff der Demokratie war schon immer mit dem des Diskurses verbunden. War es in der antiken Demokratie noch einfacher diesen zu führen – der Demos war ja frei, besitzend, gebildet und männlich – so wurde mit der Erweiterung des Demos auf „volljähriger Einwohner“, also Wähler, der Prozess komplizierter. Der Wähler, später auch die Wählerin, bildeten ein breites Spektrum des Besitzstandes, der Bildung und der Abhängigkeit vom „alten Demos“ – der später Bürgertum genannt wurde – ab. So gründeten sich Parteien der gesellschaftlichen Schichten, die stellvertretend für ihre Schicht den Diskurs führten. Es entstand eine neue Schicht, die der Berufs-Funktionäre und Politiker, die letztendlich den Diskurs bestimmte und bestimmt. Der neue Demos, vulgo „Das Volk“ oder die „WählerInnen“, wurden aus dem gesamtgesellschaftlichen Diskurs weitgehend ausgeschlossen – sie fühlten das zumindest so – und verlagerte diesen an den Stammtisch, wo er, abgesehen von Wahlergebnissen, einflusslos bleiben musste.
Diktatur und Diskurs
Diktatur schließt den Diskurs aus, ein Beispiel für einen Pseudo-Diskurs, aus meinem eigenen Erleben im Studium, war die Aufgabenstellung „Begründen Sie, warum die sozialistische Planwirtschaft der kapitalistischen Wirtschaftsweise überlegen ist.“ Im Diskurs hätte man beide ergebnisoffen vergleichen könne, – in der Diktatur (des Proletariats) nicht. Aber leider spukt in den Köpfen der Menschen noch immer das Bild des „Guten Diktator“, unter Umständen als „Vater des Vaterlandes“ herum. Weniger in Europa als in den USA wird auch Cincinatus, der sich zwei mal zum Diktator erklären ließ und nach Lösung der Krisen wieder in den zivilen Stand zurücktrat, als Vorbild für republikanische Tugenden betrachtet. Auch das Ausrufen von Militärregierungen zur Lösung einer Staatskrise fällt in diese Kategorie, sie versprechen immer die Krisen zu lösen und danach die Demokratie wieder einzuführen – bereiten aber meist ein neues, ihnen genehmes, Regime vor. Dass auch eine proletarische Diktatur und Diskurs unvereinbar sind, bestätigte mir bereits 1976 ein alter Genosse der KPdSU in Moskau. Er sagte sinngemäß: „Für mich war die Demokratie der Sowjets beendet, als die Bolschewiki auf die Matrosen der „Aurora“ schießen ließen, statt mit ihnen zu reden.“*
Die Diktatur – egal welcher Coleur – duldet keinen echten Diskurs.
Das Streben nach Diktatur
Scheinbar streben Menschen und Gesellschaften nach einfachen Wahrheiten und Sicherheiten. Alexis de Tocqueville schrieb dazu:
Im übrigen bin ich davon überzeugt, dass keine Nationen mehr in Gefahr sind, unter das Joch zentralisierter Verwaltungen zu geraten, als diejenigen, deren Sozialordnung demokratisch ist. Diese Völker sind immerzu geneigt, die gesamte Regierungsgewalt in den Händen der unmittelbaren Volksvertretung zu vereinigen, denn jenseits des Volkes erkennt man bloß noch gleiche, in einer allgemeinen Masse verschwindende Menschen.**
Tocqueville ging es um „zentralisierte Verwaltungen“, aber gleiches gilt auch für die politische Ebene und den gesellschaftlichen Diskurs. Hier geht das Bestreben dahin, zu wichtigen Themen eine einheitliche Meinung zu finden. Das ist schwer möglich, auf Grund der Vielfalt menschlicher Bedürfnisse und Meinungen, also streben viele Menschen – unabhängig von Glauben, Ideologie oder ähnlichem – die subtile Form der Meinungsdiktatur an. Auch wenn sie aus „ehrenwerten Gründen“ angestrebt wird, ist sie doch genau so diskursfeindlich wie die Diktatur als Regierungsform. Sie verzichtet, in ihrer vollen Ausprägung darauf, einen Diskurs mit Menschen verschiedener Meinungen zu führen und ersetzt Überzeugungsarbeit, zumindest dem Anschein nach, durch Themen-Verbote und Sprachregelungen.
Ein weiterer Aspekt, den ich hier sehe, ist der derzeitige Ruf beider Seiten nach „Recht und Gesetz“ und der Macht des Staates. Der Staat wird hier als von den Menschen losgelöste Gewalt – also quasi bereits als Diktator betrachtet. Der Polizeistaat wird gefordert, gleichzeitig aber gefürchtet – wenn er sich gegen die eigene Person wendet.
Diskurs-Unterbrechung
Themen-Verbote und Sprachregelungen werden erst in relativ homogenen gesellschaftlichen Gruppen „erarbeitet“ und verhängt. Allein dadurch unterbricht diese Gruppe den Diskurs mit anderen gesellschaftlichen Gruppen – schlimmer noch den mit Menschen, die sich noch keiner Gruppe zugehörig fühlen. Diese Menschen werden durch die in der Gruppe bestehenden Verbote fast zwangsläufig in die Arme der „Das muss man doch auch sagen können“ Gruppe getrieben. Einfach gesagt: Der Streit, oder auch Nicht-Diskurs, wird auf die Ebene (vermeintliches) Sprechverbot vs (vermeintliche) freie Rede verlagert. Gefährlich daran ist besonders, dass dieser Streit nur darum, nicht um Themen geführt wird. Die so genannte Verbotsseite kann dabei nur verlieren. Das wiederum ist richtig – denn auch eine „Diktatur der Anständigen“ ist eben eine Diktatur, keine Demokratie.
Diskurs und „unverhandelbar“
Das Ergebnis eines Diskurses, zwischen gesellschaftlichen Gruppen, ist meiner Ansicht nach ein Minimalkonsens. So lese ich auch Habermas, wenn er von Wahrheit von Legitimität und Normen schreibt. Der Schluss daraus ist: „Was jeweils als vernünftig gilt, ist die intersubjektive, von allen Teilnehmern einer Gemeinschaft anerkannte Wahrheit.“
Schauen wir uns den derzeitigen Streit über Menschenrechte, Freiheit und Demokratie an, was ist „unverhandelbar“?
Für mich ist nicht verhandelbar: „Ein Mensch ist ein Mensch“ – daraus leite ich ab: „Alle Menschen haben die gleichen Rechte.“
Das ist die minimale Forderung – wer diese nicht akzeptieren kann, der ist für mich nicht diskursfähig.
Die Weltgemeinschaft hat sich, wenn auch mit der Einschränkung auf in Kapitel 1 beschriebene Politiker, Parteien und Regierungen, auf die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ geeinigt, diese werden in unserem Lande von allen Seiten als selbstverständlich in Anspruch genommen. Ich gehe also davon aus, dass auch der rechteste aller Menschen diese für die eigene Person – weltweit – akzeptiert und einfordert. Die Anerkennung dieser Rechte für die anderen Menschen, insbesondere die Fremden, ist der Punkt an dem sich die Gemüter erhitzen – wenn auch verklausuliert als: „Natürlich haben die anderen die gleichen Rechte, aber eben nicht hier!“
Dieses „Hier nicht“ ist allerdings eine Einschränkung, die ohne wenn und aber als menschenfeindlich bezeichnet werden muss. Wenn der Deutsche Nationalist (das ist jetzt schon eine zurückhaltende Bezeichnung), ein rechtsstaatliches Strafverfahren für sich selbst, auch im Ausland, einfordert – dieses im eigenen Land aber dem „Fremden“ verweigert – und lieber Menschen, der gleichen Abstammung wie ein Straftäter, durch die Straßen hetzt, dann ist das nicht nur fremdenfeindlich – es ist menschenfeindlich.
Es ist diese menschenfeindliche Lynchjustiz, die von so genannten Politikern – eigentlich Hetzern – mit Begriffen wie „Messermänner und Kopftuchmädchen“ angefeuert wird. Politikern wie dem armen alten Alexander und seinen Mitstreitern.
Diese Menschen, also die Propagandisten der Menschenfeindlichkeit, sind nicht diskursfähig. Sie verweigern Menschen – egal nach welchen Kriterien – die grundlegenden Menschenrechte.
Zu spät für den Diskurs?
Die gute Nachricht ist, es ist noch nicht zu spät – der Diskurs muss nur mit allen Menschen geführt werden, auch mit denen, die heute den menschenfeindlichen Propagandisten folgen.
Hier gilt es natürlich festzustellen, welche Inhalte der Diskurs haben soll. Es erscheint mir relativ einfach:
Es darf über alles gesprochen werden, was die Menschenrechte nicht verneint.
Die Menschenrechte für alle Menschen und überall sind der Minimalkonsens.
* Es gab damals verschiedene Erzählungen, nach denen Lenin auf die Besatzung der „Aurora“ schießen ließ, als diese nach der Oktoberrevolution weiter revoltierte.
** Alexis de Tocqueville (1805-1859) in „Über die Demokratie in Amerika“
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