Die unsägliche Dummheit der Diskussion um den Unrechtsstaat

zieht sich zur Zeit quer durch Medien, Parteien und soziale Netzwerke. Zeit für mich, als Bürger der ehemaligen DDR, auch Position zu beziehen. Ich stelle mir die Frage: Warum wird jetzt darüber diskutiert?

Mein Lektor würde mich geißeln für den Einstieg, weil ich als Erstes sage worum es mir nicht geht. Weder bin ich Jurist – meine rechtlichen Feststellungen beruhen auf dem eigenen Rechtsempfinden, noch habe ich eine tief schürfende Analyse des Problems vorgenommen – die Apologeten des Unrechtsstaates haben das aber auch nicht getan. Wichtig ist es mir zu erwähnen, dass ich nicht der Partei „Die Linke“ angehöre.

Was ist ein Unrechtsstaat?

1. Variante: Ein Staat der nicht rechtmäßig gegründet wurde. Das gilt im Falle der DDR nicht. Wäre die Gründung der DDR unrechtmäßig gewesen, dann gälte das auch für die Gründung der alten Bundesrepublik. Beider Gründung beruhte auf dem Recht der Siegermächte des 2. Weltkrieges und dem geltenden Recht in den Besatzungszonen. Ergo – kein Unrechtsstaat!

2. Variante: Ein Staat der kein Rechtssystem hat. Wäre das so gewesen, dann hätte kein Urteil aus DDR-Zeiten, z.B. im Strafrecht, nach der Vereinigung Bestand haben dürfen. Dem ist aber nicht so, viele Anträge auf Wiederaufnahme wurden von den Gerichten der neuen Bundesrepublik abgelehnt – wegen Rechtmäßigkeit des Urteils und des Verfahrens.

3. Variante: Ein Staat in dem von Seiten des Staates Unrecht an den Bürgern verübt wurde. Hier wird es kompliziert – Unrecht hat hier nichts mit der juristischen Kategorie des Rechts zu tun. Es geht um eine moralische Betrachtung. Die Ausreisebeschränkungen waren ja durch Gesetze, also juristisch, legitimiert. Man müsste bei dieser Variante allerdings „überwiegend Unrecht getan wurde“ als Abgrenzung zur alten Bundesrepublik verwenden. Auch in dieser wurde ja Bürgern von Staates Seite Unrecht getan und dieses moralische Unrecht war juristisch legitim.*

Nun soll sich also die Partei „Die Linke“, besonders der Teil der aus der PDS stammt, dazu bekennen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war.

Warum eigentlich und warum jetzt?

Ein Vierteljahrhundert nach dem faktischen Ende der SED-Herrschaft in der DDR hat die Partei „Die Linke“ es geschafft sich als Partei in der neuen Bundesrepublik zu etablieren. Ihr Frontmann Gregor Gysi ist, trotz aller Stasi-Vorwürfe, parteiübergreifend der charismatischste und erfolgreichste Redner im Bundestag, wenn man die Bürger fragt. Die Partei „Die Linke“ hat es sogar geschafft in Thüringen zweitstärkste Partei zu werden, somit ist dort eine Regierung ohne CDU nur unter Dominanz der Partei „Die Linke“ möglich. Ein Thüringer Ministerpräsident, zwar ohne DDR-Vergangenheit, der aus einer Partei stammt die zum Teil Nachfolger der SED ist.

Dem muss man einen Riegel vorschieben – mit einer normalerweise unerfüllbaren Forderung.

Die Partei „Die Linke“ soll bekennen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war.

Wenn sie dies nicht macht, dann ist sie angeblich nicht legitimiert in einer parlamentarischen Demokratie Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Was sagt die Partei „Die Linke“ zur DDR?

In den „Fragen und Antworten zur Auseinandersetzung mit der Geschichte“ klingt das so:

Die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik war der legitime Versuch, nach dem alliierten Sieg über Nazi-Deutschland ein Wiedererstarken sozialer Antriebskräfte des Nationalsozialismus zu verhindern – Stichworte hierfür sind die Bodenreform und die Zerschlagung des Großkapitals – und einen sozialistischen Staat auf deutschem Boden aufzubauen. Dieser Versuch ist gescheitert. Dazu führten nicht nur die äußeren Bedingungen wie Blockkonfrontation und Kalter Krieg. Misslingen musste dieser Versuch vor allem aus inneren Gründen: wegen eines eklatanten Mangels an Demokratie und Missachtung elementarer Bürgerrechte, wegen des grundsätzlichen Misstrauens des Staatsapparates gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und, schließlich, wegen der mangelhaften Fähigkeit des Wirtschaftssystems, den Konsumbedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden.

Zusammenfassend kann ich hier feststellen, wer dem ehemaligen Staat einen eklatanten Mangel an Demokratie und Missachtung elementarer Bürgerrechte bescheinigt, der ist in der Demokratie willkommen.

Nochmal die Frage: Warum die Forderung nach dem Bekenntnis zum Unrechtsstaat?

Mit diesem Bekenntnis würde die Partei „Die Linke“ ihre eigene Existenz in Frage stellen. Als Nachfolger der SED wäre die ehemalige PDS unrechtmäßig entstanden, die Partei „Die Linke“ somit auch.

Die Existenz der DDR wurde von DDR-Bürgern beendet. Diese wollten nicht in erster Linie eine Vereinigung mit der alten Bundesrepublik, sie akzeptierten diese aber als logische Konsequenz. Noch heute ist es für einige Menschen unerträglich, dass diese ehemaligen DDR-BürgerInnen aufrechten Hauptes und mit eigenen Vorstellungen in das vereinigte Deutschland eingetreten sind und an der Gestaltung dieser Gesellschaft aktiv teilnehmen wollen.

Da käme ein Bekenntnis, dass man einen wichtigen Teil seiner politischen und persönlichen Prägung in einem Unrechtsstaat erfahren hat, den politischen Konkurrenten zu gute.

Meiner Meinung nach ist die Diskreditierung der Partei „Die Linke“ und der im linken Spektrum politisch aktiven ehemaligen DDR-BürgerInnen der einzige Grund für die Forderung des Bekenntnisses zum Unrechtsstaat DDR.

Es bleibt ja nicht bei der Partei „Die Linke“. Jeder Mensch der bereits in der DDR politisch, nicht als sogenannter Dissident, tätig war hat sich, nach dieser Meinung, am Unrechtsstaat beteiligt. Ändern kann er sich nicht, das haben wir an der Auswertung der BstU-Anfragen bemerkt. Es sollte aber bedacht werden, dass ein nicht unerheblicher Teil der Montagsdemonstranten vorher durchaus systemkonform gelebt und gehandelt hat, viele waren sogar Mitglieder der SED. Bis zu dem Zeitpunkt als sie erkannten was in dem Staat DDR verändert werden musste, waren sie staatstragend und bejahten die Diktatur des Proletariats unter Führung der SED.

Für viele Menschen sind aber ein paar Vorzeigeexemplare der ehemaligen DDR wie Merkel und Gauck genug.

Die Folgerung, dass die Partei „Die Linke“, zumindest der PDS-Anteil, aufgrund ihrer Vergangenheit, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht würde dann vielleicht sogar einen neuen Radikalenerlass rechtfertigen.

Die Diskussion ob die DDR ein Unrechtsstaat war ist unnötig und die jetzt geführte Diskussion ob sich die Partei „Die Linke“ dazu bekennen soll ist einfach dumm.

Diese Diskussion führt nur zu einer weiteren Zementierung der Spaltung zwischen den Menschen in der neuen Bundesrepublik und zwischen den, westlichen – aus einem Rechtsstaat stammenden und östlichen – Abkömmlinge eines Unrechtsstaats, Mitgliedern der Partei „Die Linke“.

Es wird Zeit damit aufzuhören – Geschichtsaufarbeitung geht anders und besser.

Merke: Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte und des Unrechts in der DDR ist erforderlich und richtig. Die Instrumentalisierung um eine ungewollte Partei loszuwerden ist bestenfalls peinlich.

P.S. Ich bestreite nicht, dass in der DDR gesetzlich legitimiertes Unrecht geschehen ist. Die Rechtsprechung war politisch beeinflusst und das Regierungssystem war diktatorisch. Der Inhalt des Artikels stellt einzig die Frage „Warum jetzt?“

* Auch wenn die Bezeichnung Unrechtsstaat in Bezug auf die DDR oft gebraucht wird, das NS-Regime wurde zuerst als solches bezeichnet. Trotzdem galten nach NS-Recht verurteilte Deserteure auch in der Bundesrepublik als vorbestraft. Z.B. Erhard Stenzel wurde erst im Jahre 2002 offiziell rehabilitiert.

Ein Plädoyer für nachhaltige Vielfalt,

 könnte ich diesen Artikel, in Anlehnung an die Artikel von Dirk und Wilm nennen. 🙂

Ich gestehe, ich bin noch nicht tief genug in die Interna der Piratenpartei eingedrungen und es ist mir bisher, wegen meiner Unbedeutendheit, gelungen den Shitstorms zu entgehen. Allerdings kenne ich die Diskussions(un)kultur der 140-Zeichen-Schreiber auf Twitter. Das berechtigt mich wohl auch zu einer Stellungnahme zu den vorgenannten Themen.

Dirk hat Recht: In der Vielfalt liegt unsere Stärke und Wilm hat Recht: Es ist uns nicht gelungen mit der Vielfalt umzugehen. Die Beiden widersprechen sich in dem Punkt auch nicht.

Was tun? [Lenin :-)]

„Strich im Sand ziehen“, wie im militärischen Sprachgebrauch üblich, kann nicht die Lösung sein, denn die Vielfalt der Meinungen ist unser Hauptmerkmal. Es gibt wohl keine andere Partei in Deutschland die eine solche Meinungsvielfalt und die öffentliche Kommunikation dieser zulässt.

Meine Bitte in einem der letzten Artikel:

„Schaltet mal Twitter ab, redet miteinander – in ganzen Sätzen und respektvoll.“

richtet sich nicht gegen Twitter als Medium an sich, er richtet sich gegen Twitter als Meinungsmaschine. Eine Diskussion ist im 140-Zeichen-Modus nicht möglich, allenfalls eine Zustimmungs- oder Ablehnungs-Proklamation mit gegenseitigen Beschimpfungen gepaart.

Welche Aussagekraft hat aber Twitter wirklich? Die dort stattfindende Nicht-Diskussion zeigt im besten Falle ein verzerrtes Bild, weil einige Lautsprecher (vulgo Meinungsführer) mit ihrer Anhängerschaft und Gegnerschaft (vulgo Peergroups) gegeneinander antreten. Man sollte also meinen, es ist Entertainment – wenn es nicht so ernste Folgen hätte.

Die Tweets erschaffen etwas Besonderes, nicht Neues in der Propaganda, sie formen den Drall einer Meldung, ähnlich einer Überschrift in der Zeitung. Je nachdem unter welchem Tweet ein Blogartikel, ein Zeitungsartikel oder andere Medien verlinkt sind, die Grundaussage des Tweets bestimmt unter welcher Erwartungshaltung der Leser diesen Artikel liest. Mitunter (vielleicht sogar oft) klickt der Twitterer den Link dann nicht mal an, weil sein Meinungsführer, oder seine Gruppe, sich durch den Tweet schon positioniert hat. Das unterbindet eine Diskussion mit Sachargumenten, weil die Argumente nicht zur Kenntnis genommen werden.

Was kann der/die Einzelne tun um das zu ändern?

Ich bin böse :-), deshalb postuliere ich „Twitter ist die BILD im social media“ – gegen die BILD haben wir ja alle etwas, weil sie durch Überschriften die Meinungen formt und die Denkfaulheit fördert.

Also lest Artikel, beschäftigt euch mit Inhalten und diskutiert darüber.

Es gibt Kommentarfunktionen in Blogs, ihr könnt eigene Artikel schreiben und veröffentlichen und es gibt eine offline Kommunikation, die ist auch nicht an 140 Zeichen gebunden.

Die Gefahr der genannten Medien besteht selbstverständlich in der, zumindest teilweisen, Aufgabe eurer Anonymität – für eine echte Diskussion ist das aber erforderlich.

Damit wäre zumindest der erste Schritt zur Forderung von Dirk:

“Stattdessen müssen wir lernen, uns innerhalb der Partei inhaltlich – das ist das mit den Argumenten – auseinanderzusetzen und rasch zu demokratisch legitimierten Bewertungen zu kommen, die die akzeptierten Grenzen der Vielfalt markieren.”

getan. Der erste Schritt, sich inhaltlich auseinanderzusetzen, ist ein Schritt den nicht eine Partei gehen kann – er ist ein Schritt den jede/r Einzelne gehen muss. Dabei kann uns niemand helfen.

Wenn wir diesen Schritt gegangen sind, dann müssen wir wieder mal über eine SMV reden, für diese muss dann wohl wieder eine Diskussion über Anonymität geführt werden. Aber das hat wohl noch Zeit bis der erste Schritt getan ist.

Am Ende noch der Hinweis auf ein Alleinstellungsmerkmal der Piraten: Jede/r hat eine eigene Meinung und artikuliert diese (Kurzfassung von mir) – warum soll ich das aufgeben um mich einer Gruppenmeinung bedingungslos (ohne Prüfung der Sachargumente) anzuschließen? Eine im demokratisch legitimierten Prozess entstandene Parteientscheidung mitzutragen widerspricht dem nicht, ein Anschluss an einen Meinungsführer ist eine andere Sache.

 

Wenn man denkt es geht nicht schlimmer,

dann kommt die Vorbereitung des außerordentlichen Bundesparteitages (aBPT) der Piraten in Halle in die heiße Phase. Bei einigen der „Lautsprecher“ im 140-Zeichen-Modus brennen die Sicherungen durch und sämtliche Beißreflexe brechen sich Bahn.

Erinnern wir uns, warum der aBPT eigentlich notwendig wurde: Am 16. März 2014 trat der halbe Bundesvorstand der Piratenpartei zurück. Was ich von den Gründen des Rücktritts und dieser Art von Protest halte, ist hier uninteressant. Wichtig ist, dass ein kommissarischer Bundes Vorstand (kBuVo) die Arbeit übernahm und die Geschäfte der Piratenpartei in der Zeit der Europawahl und anderer Wahlen auf kommunaler Ebene leitete. Ich denke, dass die Jungs und Mädels des kBuVo lange genug Piraten sind und damals bereits wussten, dass sie für ihre Arbeit keinen Dank und keine Anerkennung erwarten können. In diesem Sinne stimmte der Landesvorstand NRW folgendem Antrag zu:

„Der LaVo NRW möge beschliessen, dass er sich ausdrücklich nicht an den Danksagungen für den scheidenden kBuVo auf dem aBPT in Halle beteiligt.“

Ich erspare es mir, die Begründung hier zu zitieren, nicht nur wegen der Orthographie und Ästhetik.

Ich muss die Mitglieder des kBuVo nicht lieben, aber sie haben meinen Dank verdient, weil sie die Geschäfte und somit auch in wichtigen Teilen die Piratenpartei am Laufen gehalten haben.

Also, dafür meinen Dank und meine Anerkennung!

An die beißwütigen Mitglieder eine Frage: Wer hat nach dem 16.3. seine Hilfe angeboten? Ich erinnere mich da eher an #keinHandschlag.

Ebenfalls in dieser heißen Phase wird selbstverständlich die Nazikeule vorsorglich herausgeholt.

Die Piratenpartei Duisburg hat eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der sie sich gegen die kategorische Ausgrenzung von gewählten Nazis im Stadtrat ausspricht. Der Wählerwille, so die Erklärung, spiegle sich in dem Wahlergebnis wider. Eine gemeinsame Abgrenzung gegen die rechten Parteien sei politisch unsouverän, weil die Grundwerte der übrigen Parteien dadurch nicht infrage stünden. Außerdem verschleiere der Duisburger Konsens die Ursachen für das Wahlergebnis. Als dritten Grund nennen die Piraten eine im Konsens formulierte Aufforderung an die Medien, auf Berichterstattung über die gewählten rechten Parteien zu verzichten, worin sie eine Verletzung des Pressekodexes und eine Absage an die freiheitlich-demokratische Ordnung sehen. Aus diesem Engagement für Demokratie in der Kommunalpolitik wird nun den Duisburger Piraten der Vorwurf gemacht, sie planen eine Zusammenarbeit mit den Nazis, und dieser Vorwurf wird aggressiv über die Medien verbreitet.

Von einer Zusammenarbeit mit den Nazis ist in der Pressemitteilung keine Rede – es ist die Rede von Demokratie. Wie soll man auch den Duisburger Konsens des Stadtrates verstehen, der einerseits mit dem Slogan beginnt „Wir sind alle Duisburg“ und andererseits fordert, einen Teil der Duisburger Bevölkerung, die Wähler der rechten Parteien, vom politischen Geschehen auszuschließen? Zum Ausschluss von uns nicht genehmen Teilen der Bevölkerung habe ich mich ausführlich geäußert. Über das Demokratieverständnis der Duisburger Piraten ist eine Diskussion angebracht, aber sie wird wie immer nicht geführt.

Abschließend wieder einmal meine Bitte: Schaltet mal Twitter ab, redet miteinander – in ganzen Sätzen und respektvoll.