9. November 1989 – 22 Jahre ist es nun her

Wenn ich so an 1989 denke, dann ist der 9. November ein, wenn auch ungewollter, Schlusspunkt der Ereignisse des Herbstes.

In einem Beitrag beschrieb ich schon die Rückschau, die wir zum endgültigen Ende der DDR am 2. Oktober 1990 hielten. Aber der 9. November, mit der Maueröffnung lag da ja schon fast ein Jahr zurück.

Die ZEIT hat mit „Ist das ein Deutscher Held“ schon den ersten Artikel über die Maueröffnung gebracht, hier also meine ganz persönlichen Erinnerungen.

Einen Monat zuvor hatte die DDR-Regierung vor den Demonstranten in Leipzig kapituliert. Die von Krenz angesprochene „chinesische Lösung“ wurde nicht durchgeführt. Lassen wir die Demonstranten mal außen vor dann sehen wir, dass es zumindest in den regionalen Führungsstäben der bewaffneten Organe und auch der SED durchaus Leute gab, die die Zeichen der Zeit erkannten. Ich will diese hier nicht zu Helden stilisieren, aber ihre Resignation hatte an der Verhinderung einer gewaltsamen Lösung durchaus einen großen Anteil. Auch spektakuläre Aktionen, wie der Aufruf der „Leipziger Sechs“ am 9. Oktober spielte ein zwar große, aber nicht die entscheidende Rolle. Die Gewaltlosigkeit war von Anfang an auf der Seite der Demonstranten ein Muß. Ich erinnere mich an die erste Montagsdemo, an der ich teilnahm, dort wurde im Demonstrationszug ständig durchgesagt „Keine Gewalt!“ und jeder sah auf seinen Nebenmann (oder auch Frau), es war sozusagen selbstregulierend.

Es war ja das Ziel der damaligen Demonstranten, eine neue DDR zu schaffen. Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und andere Forderungen sollten in der DDR gewährleistet werden. Die meisten hatten nicht die Wiedervereinigung im Sinn.

Nach dem 9. Oktober kamen aber dann vermehrt Deutschlandfahnen ins Spiel und Parolen wie „Deutschland einig Vaterland“ oder „Kommt die D-Mark nicht zu mir, dann gehe ich zu ihr!“. Einige von den ersten Teilnehmern nahmen nun nicht mehr teil.

Am 4. November fand nun die erste genehmigte Großdemonstration auf dem Berliner Alexanderplatz statt. Auch als Demonstration der Kulturschaffenden bekannt und als „Meilenstein der friedlichen Revolution“ bezeichnet. Durch diese wurde, wie einige Institutionen ihn inzwischen geadelt haben, der Berliner Alexanderplatz zum „zentralen Ort der friedlichen Revolution“.

Aber die Revolution war ja eigentlich schon vorbei. Die war am 9. Oktober, nicht nur in Leipzig.

Am 9. November 1989 wussten eigentlich schon alle, dass die DDR am Ende angekommen war. Die Frage war nur „Wie lange dauert die Agonie?“

Das löste sich mit der Ankündigung von Schabowski um 18.53 Uhr. Mitgekriegt haben wir es zu dieser Zeit nicht. Erst etwas später sahen wir die Pressekonferenz im Fernsehen und haben uns natürlich gefragt „Und nun?“. Wir beschlossen nicht nach Berlin zu fahren, die Grenzöffnung war vollzogen, die Party konnte auch ohne uns stattfinden.

Ich bin dann erstmalig um den 15. Dezember herum nach Westdeutschland gefahren, Weihnachtseinkäufe machen. Besuche konnte ich nicht machen, da gab es niemanden.

Im Sommer 1990 machte ich dann aber zwei Dinge, die ich immer mal machen wollte. Ich ging zum Brandenburger Tor und zur Glienicker Brücke. Das war wichtig, sozusagen symbolisch.

22 Jahre später, ich bin immer noch ich. 10 Jahre Leben in Bremen und die Rückkehr nach Leipzig haben mich auch nicht groß verändert – nur älter gemacht.

Josef A. Köhler 8

Ich mache, nach längerer Zeit mit der Geschichte von Josef A. Köhler weiter. Der letzte Eintrag beschäftigte sich mit der Untersuchungshaft nach der Festnahme am 07. Juni 1951.

In einem Fragment seiner Lebenserinnerungen schreibt er:

Einundvierzig Tagen Einzelhaft, bei sich täglich wiederholenden Nachtverhören ohne Gewalteinwirkung, mit der ständig wiederkehrenden stereotypen Frage nach meinen Auftraggebern und meinen Verbrechen, die ich gegen die Sowjetvölker begangen hätte, folgten bange Monate in einem Untersuchungsgefängnis in Karlshorst, von wo ich über das Etappengefängnis in der Magdalenenstraße in Lichtenberg zusammen mit anderen Verurteilten nach Moskau und weiter an den Polarkreis in das Arbeitsbesserungslager Wessljana deportiert wurde.

Auch das FSB (Nachfolger des KGB) bestätigt diese Aussage

Köhler wurde über das Gefängnis Nr. 1 in Brest von Deutschland aus in das Lager Ustwymlag [USTWYMITL] in der Autonomen Sowjetrepublik Komi überstellt, wo er bis zum Dezember 1953 interniert war.

und Josef A. Köhler schreibt dies auch 1988 in seinem Brief an Andrej Gromyko. Allerdings ist in den mir vorliegenden Unterlagen keine Lagernummer angegeben. Der Lagerkomplex umfasste über 40 Lager.

Es gibt aber durchaus Unklarheiten, was den Lageraufenthalt betrifft.

Frau

In einem alten Fotoalbum fanden sich zwei Bilder von jungen russischen Frauen mit Widmungen auf der Rückseite. Die eine ist nicht mehr lesbar, die andere (teilweise lesbare) lautet:

… meine traurigen Augen sind zu dir gerichtet […] zur Erinnerung. Seni […]  Stadt Taganrog  […] S. Masterow [evt. Straßenname] Taja  [wahrscheinlich für Taisia]

Taja

Datiert ist diese am 08.03.1952, wobei nicht ganz klar ist, ob es sich bei der Ortsbezeichnung um den Ort der Widmung, oder um den Heimatort der Frau handelt. „Seni“ (Сени) ist nicht eindeutig lesbar, es kann ebenso „Sepi“ (Сепи) heißen, das wäre eventuell die Koseform von „Sepp“ (Josef).

Damit hören aber die Unklarheiten nicht auf.

Widmung

In Dokumenten des MfS der DDR taucht die Behauptung einiger IM auf, dass Josef A. Köhler in dieser Zeit beim Justizministerium der UdSSR arbeitete. Er wäre dort in einer Arbeitsgruppe gewesen, die sich mit der Repatriierung von Nazi- und Kriegsverbrechern beschäftigte. Die Quellen für diese Behauptungen sind allerdings nicht eindeutig.

Sicher ist aber, dass Josef A. Köhler im Mai oder Juni 1953 im Lager Kwardeisk (Tapiau) auftauchte. In diesem Lager wurden die Heimkehrer aus den Kriegs- und Strafgefangenenlagern, vor ihrer Heimkehr, gesammelt.

Nach Aussage von Zeitzeugen war er dort Lagerleiter bzw. Kulturbeauftragter. Er selbst sprach immer von der Kulturarbeit, die er dort gemacht hatte.

Josef A. Köhler wurde am 27.12.1953 den Behörden der DDR übergeben und am 28.12.1953 aus dem Lager Fürstenwalde/Spree nach Leipzig entlassen.

Ausführlicher im Blog Versuch einer Biographie nachzulesen.

Leipzig – Franz Dominic Grassi

Ein Beispiel für den Bürgersinn und den Einfluss Leipziger Bürger für die Entwicklung der Stadt Leipzig.

Am 14. November 1880 verstarb in Leipzig der Kaufmann Franz Dominic Grassi. Wenige Stunden, nachdem er mit

seltener Feierlichkeit auf dem alten Johannisfriedhof im Familienbegräbnis beigesetzt

worden war, ließ Leipzigs Oberbürgermeister Otto Georgi die Stadträte auf das Rathaus bestellen. Er teilte ihnen mit,

dass Herr Grassi die Stadt zur Universalerbin eingesetzt habe. Es seien zwar Legate im Betrag von 1.150.000 Mark im Testament ausgesetzt, den übrigen Nachlass solle aber die Stadt erhalten. Der Umfang des Vermögens lasse sich noch nicht genau übersehen, es werde wahrscheinlich ein Betrag von gegen 1.150.000 Mark sein.

Zehn Tage später hatte man sich Klarheit verschafft: Das Grassische Vermögen umfasste gegen 3,3 Millionen Mark, davon fielen 2,3 Millionen Mark an die Stadt. Bereits eine Woche nach Grassis Tod notierte der Protokollant der Ratssitzung:

Man beschließt die Erbauung eines Museum Grassi zur Aufnahme des Völkermuseums und des Kunstgewerbemuseums mit Majorität.

Franz Dominic Grassi wurde am 7. Mai 1801 in Leipzig geboren. Seine Familie stammte aus Lucca, in der Toskana und wanderte Mitte des 18. Jahrhunderts nach Deutschland ein.

Dem finanziellen Nachlass des Franz Dominic Grassi, und dem Entscheid des Leipziger Rates verdankt Leipzig das Gebäude der Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz (Königsplatz), welches als erstes Grassimuseum gebaut wurde. Der Bau entstand ab 1891, Architekt was Hugo Licht und das Museum wurde am 5. Februar 1896 in Anwesenheit des sächsischen Königspaares König Albert und Königin Carola eröffnet. Nach dem Bau des Neuen Grassimuseumsam Johannisplatz (1925), diente das alte Museum bis 1945 als Textil-Messehaus. Nach dem Wiederaufbau wurde es ab 1951 als Verwaltungsgebäude genutzt und seit 1991 als Leipziger Stadtbibliothek.

Grassi-Museum, Entwurf v. Hugo Licht

Besucher von Leipzig müssen sich aber bis 2012 gedulden, das Gebäude wird saniert.

Ein kleiner Auszug aus den Legaten des Testamentes von Franz Dominic Grassi zeigt, dass er nicht nur die Stadt Leipzig, seine Verwandten und Freunde bedachte.

So bekamen je 5.000 Taler:

– die Leipziger Armenanstalt

– die Heilanstalt für arme Augenkranke zu Leipzig

– die Taubstummenanstalt zu Leipzig

– die Stiftung zur Beköstigung Studierender außerhalb des Convictes

– der Unterstützungsverein der Handlungsgehilfen zu Leipzig

– der Pensionsfonds des Leipziger Stadttheaters

– der Leipziger Kunstverein für Gemäldeankauf für das städtische Museum

– die Gesellschaft Erholung zu Leipzig und

– Max Meyer, Bankhaus Meyer & Co., zur Weiterreichung an das Personal.

Quelle: Die Leipziger Stadtbibliothek, SAX-Verlag, ISBN 3-934544-14-2, Herausgeber: Stadt Leipzig, Der Oberbürgermeister, Amt Leipziger Bibliotheken und der Verein zur Förderung der Leipziger Stadtbibliothek e.V.