Wenn man denkt es geht nicht schlimmer,

dann kommt die Vorbereitung des außerordentlichen Bundesparteitages (aBPT) der Piraten in Halle in die heiße Phase. Bei einigen der „Lautsprecher“ im 140-Zeichen-Modus brennen die Sicherungen durch und sämtliche Beißreflexe brechen sich Bahn.

Erinnern wir uns, warum der aBPT eigentlich notwendig wurde: Am 16. März 2014 trat der halbe Bundesvorstand der Piratenpartei zurück. Was ich von den Gründen des Rücktritts und dieser Art von Protest halte, ist hier uninteressant. Wichtig ist, dass ein kommissarischer Bundes Vorstand (kBuVo) die Arbeit übernahm und die Geschäfte der Piratenpartei in der Zeit der Europawahl und anderer Wahlen auf kommunaler Ebene leitete. Ich denke, dass die Jungs und Mädels des kBuVo lange genug Piraten sind und damals bereits wussten, dass sie für ihre Arbeit keinen Dank und keine Anerkennung erwarten können. In diesem Sinne stimmte der Landesvorstand NRW folgendem Antrag zu:

„Der LaVo NRW möge beschliessen, dass er sich ausdrücklich nicht an den Danksagungen für den scheidenden kBuVo auf dem aBPT in Halle beteiligt.“

Ich erspare es mir, die Begründung hier zu zitieren, nicht nur wegen der Orthographie und Ästhetik.

Ich muss die Mitglieder des kBuVo nicht lieben, aber sie haben meinen Dank verdient, weil sie die Geschäfte und somit auch in wichtigen Teilen die Piratenpartei am Laufen gehalten haben.

Also, dafür meinen Dank und meine Anerkennung!

An die beißwütigen Mitglieder eine Frage: Wer hat nach dem 16.3. seine Hilfe angeboten? Ich erinnere mich da eher an #keinHandschlag.

Ebenfalls in dieser heißen Phase wird selbstverständlich die Nazikeule vorsorglich herausgeholt.

Die Piratenpartei Duisburg hat eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der sie sich gegen die kategorische Ausgrenzung von gewählten Nazis im Stadtrat ausspricht. Der Wählerwille, so die Erklärung, spiegle sich in dem Wahlergebnis wider. Eine gemeinsame Abgrenzung gegen die rechten Parteien sei politisch unsouverän, weil die Grundwerte der übrigen Parteien dadurch nicht infrage stünden. Außerdem verschleiere der Duisburger Konsens die Ursachen für das Wahlergebnis. Als dritten Grund nennen die Piraten eine im Konsens formulierte Aufforderung an die Medien, auf Berichterstattung über die gewählten rechten Parteien zu verzichten, worin sie eine Verletzung des Pressekodexes und eine Absage an die freiheitlich-demokratische Ordnung sehen. Aus diesem Engagement für Demokratie in der Kommunalpolitik wird nun den Duisburger Piraten der Vorwurf gemacht, sie planen eine Zusammenarbeit mit den Nazis, und dieser Vorwurf wird aggressiv über die Medien verbreitet.

Von einer Zusammenarbeit mit den Nazis ist in der Pressemitteilung keine Rede – es ist die Rede von Demokratie. Wie soll man auch den Duisburger Konsens des Stadtrates verstehen, der einerseits mit dem Slogan beginnt „Wir sind alle Duisburg“ und andererseits fordert, einen Teil der Duisburger Bevölkerung, die Wähler der rechten Parteien, vom politischen Geschehen auszuschließen? Zum Ausschluss von uns nicht genehmen Teilen der Bevölkerung habe ich mich ausführlich geäußert. Über das Demokratieverständnis der Duisburger Piraten ist eine Diskussion angebracht, aber sie wird wie immer nicht geführt.

Abschließend wieder einmal meine Bitte: Schaltet mal Twitter ab, redet miteinander – in ganzen Sätzen und respektvoll.

Eine unwahrscheinliche Allianz

formiert sich in Nahost. Der große Satan* USA und der Gottesstaat Iran werden eventuell gemeinsam oder zumindest zeitgleich gegen die sunnitischen „Gotteskrieger“ der ISIS kämpfen.

Es scheint, als erfülle sich eine Vermutung, die ich schon länger habe. Mit dem Sturz Sadam Husseins und seiner Baath-Partei durch die USA veränderte sich das Machtgefüge in der Region entscheidend. Mag jeder über die Diktatur der Baath Partei denken, was er will (Ich bin der festen Meinung, dass es ein verbrecherisches Regime war!), aber es darf nicht vergessen werden, dass diese sunnitische Partei ein Volk regierte, welches zu mehr als 60% aus Schiiten besteht. Die schiitische Bevölkerungsmehrheit und die kurdische Minderheit wurden von der regierenden Baath-Partei unterdrückt, wobei die Schiiten schon immer, zumindest moralisch, vom schiitischen Iran unterstützt wurden. Wir Europäer und die US-Amerikaner verkennen oft, dass der Islam, in diesem Falle in der schiitischen Ausprägung, als einigendes Element für seine Gläubigen über den ethnischen Differenzen zwischen Persern und Arabern steht.

George Bush sen. und seine Regierung führten deshalb den ersten Golfkrieg mit dem begrenzten Ziel**, den Irak aus Kuweit zu vertreiben und ihn zu schwächen. Es ging ihnen nicht darum die Baath-Regierung zu stürzen.

Der größenwahnsinnige Junior hingegen war der Meinung, dass er mit der Vertreibung der Baath -Partei aus der Regierung einen pro-amerikanischen Staat aufbauen könne.

Der heutige US-Präsident Barack Obama steht nun vor einem Dilemma. Da die USA, trotz aller Absichtserklärungen und gegenteiligen Beteuerungen, den Irak in einem chaotischen Zustand zurück gelassen haben, kann er den Vormarsch der sunnitischen ISIS Krieger nicht hinnehmen. Als geringeres Übel werden die USA vermutlich die Einmischung des Iran betrachten, der seine Glaubensbrüder schützen wird. Dabei dürfte ausschlaggebend sein, dass der derzeitige iranische Präsident Rohani gegenüber seinem Vorgänger als moderat erscheint.

Wie die Auswirkungen für den Irak sein werden, ist noch nicht absehbar. Allerdings ist es denkbar, dass die Regierungsallianz aus Präsident Talabani (Kurde) und seinen Vize-Präsidenten al-Haschemi (Schiit) und al-Khozaei (Sunnit) durch einen mit Hilfe des Iran errungenen Sieg über die ISIS-Truppen zerbricht. Sieger, wenn man von einem solchen sprechen kann, wäre dann wohl der schiitische Flügel.

Die von Bush sen. befürchtete Allianz von Iran und Irak unter Führung des Iran könnte bevorstehen.

Über die Auswirkungen auf die Region brauchen wir uns keine Illusionen zu machen.

Unser Bundespräsident sollte dies als warnendes Beispiel für sein „Ja zu einer aktiven Teilnahme an Konfliktlösungen im größeren Rahmen“ nehmen.

Militärisch gelöste Konflikte haben die Tendenz, nie aufzuhören.

.

* „Großer Satan“ ist eine auf Chomeini zurückgehende Bezeichnung für die USA.

** „begrenztes Ziel“ oder begrenzte Militäraktion steht im militärischen Sprachgebrauch für einen Militäreinsatz der nicht zur Zerschlagung des Gegners führen soll.

 

Missachtet, verrufen und verkannt – arbeiten im Callcenter

portrait-newxIch arbeite seit fast drei Jahren im Callcenter. Da hingekommen bin ich, wie die meisten der dort beschäftigten in meiner Altersklasse: Gute Ausbildung in Berufen, die nicht mehr gebraucht werden, Krankheit, Langzeitarbeitslosigkeit und Ähnliches waren für viele die Gründe. Ein Traumberuf war es wohl für kaum jemanden.

Woran liegt das?

Mein Selbsttest im erweiterten Bekanntenkreis zeigte die Absurdität der Situation.

Antwortete ich auf die Frage, was ich beruflich mache, mit „Ich mache technischen Support für einen Telekommunikationsanbieter“ war das eine interessante Tätigkeit. Sagte ich aber „Ich arbeite in einem Callcenter“, dann war ich der „arme Depp vom Dienst“. Witzig ist, dass ich in beiden Fällen die Wahrheit sagte.

Woher kommt die Missachtung dieser Tätigkeit?

Es liegt an einem, historisch gewachsenen Missverständnis des Begriffs Callcenter. Zusammenfassend gesagt, ist ein Callcenter ein „Telefon-Beratungszentrum“. Der Begriff sagt nichts weiter aus, schon gar nicht, ob es sich um eine Einrichtung eines Anbieters oder um einen externen Dienstleister handelt. Wie ich schon einmal beschrieben habe*, denkt aber jeder, der das Wort Callcenter hört, an unterbezahlte und schlecht ausgebildete Telefonisten, selbstverständlich bei einem externen Dienstleister.

Solche Callcenter gibt es, das bestreite ich nicht, aber nicht alle Callcenter sind so. In der Folge ist jetzt die Rede ausschließlich von externen Dienstleistern.

Ganz kurz ein historischer Rückblick: Mit dem Siegeszug des Telefons wurde dieses zur Erteilung und Annahme von Bestellungen und Aufträgen vermehrt genutzt. Rief man zuerst noch in der betreffenden Abteilung einer Firma an, so wurde mit wachsender Zahl an Telefonen der Bedarf an geschulten Mitarbeitern für Auftrags- und Bestellannahme und telefonischen Kundendienst immer größer. Es war also zwingend notwendig, dass Abteilungen oder Firmen für diese Dienstleistungen gegründet wurden. Zum Vergleich sei hier das Auto genannt. Als dieses noch ein teures Spielzeug bzw. in Firmen eine Ausnahme war, hatten diese einen angestellten Chauffeur, der gleichzeitig die Wartungs- und Reparaturaufgaben erledigte. Heute wundert sich niemand, dass Firmenfahrzeuge in Fachwerkstätten gebracht werden. Warum ist also das Callcenter als externer Dienstleister etwas anderes in der Sicht des Kunden?

Vielleicht liegt es daran, dass die ersten telefonischen Bestellannahmen mit Mitarbeitern besetzt wurden, die eine angenehme Telefonstimme hatten und nur nach einem bestimmten Schema Bestellungen annehmen konnten. Abweichungen waren nicht möglich – quasi ein McDonald’s Prinzip. Dort kann ich auch nichts anderes bestellen als das, was auf der Tafel abgebildet ist. Erlaubte Abweichungen sind nur „mit oder ohne Käse“. Möglicherweise hat der Kunde aber auch noch einen der ersten externen Dienstleister, das Adressen-Schreibbüro aus Falladas „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“, im Hinterkopf. Dort wurden Briefkuverts im Akkord adressiert. Enge, schlecht beleuchtete und stickige Räume mit Lärm von hunderten Schreibmaschinen bestimmten den Arbeitstag. Die Bezahlung war unter der Armutsgrenze und unterlag dem Ermessen des Chefs. Mit einem Wort ausgedrückt: Sklavenarbeit.

Natürlich gibt es noch den „Telefonisten“, sowohl im Inbound- als auch im Outbound-Bereich. (Für den Neuling hier eine Erklärung: outbound – das Callcenter ruft den Kunden an; inbound – der Kunde ruft das Callcenter an.) Diese „Telefonisten“ sind Callcenter-Agents, die, mit einem „wording“ (also einer Vorlage) ausgestattet, bei Kunden anrufen oder von ihnen angerufen werden, ihren Spruch aufsagen und versuchen etwas zu verkaufen, oder Informationen zu vermitteln und Ähnliches.

Genauso gibt es aber hoch spezialisierte, gut ausgebildete und mit modernsten technischen Mitteln ausgestattete Mitarbeiter, unter anderem im technischen Support, die nicht nur im Inbound-Bereich angesiedelt sind. Diese machen, obwohl bei externen Firmen beschäftigt, die gleiche Arbeit in der gleichen Qualität wie ihre Kollegen beim Auftraggeber.

Warum wird immer mehr ausgelagert und warum werden die Mitarbeiter der externen Dienstleister in der Regel schlechter bezahlt?

Zwei Punkte seien hier angesprochen. Zum Ersten liegt der Fokus bei der Firma, die ein Callcenter beauftragt, meist auf anderen Kompetenzen als auf der Gesprächsführung am Telefon. Diese kann durchaus als Kunst betrachtet werden, man muss sie lernen. In einem guten Callcenter werden Kommunikations-Profis ausgebildet.

Die geringere Bezahlung hat natürlich auch Gründe. Nicht unbedingt in erster Linie den gierigen kapitalistischen Callcenter-Besitzer. Den gibt es natürlich auch, aber die Älteren erinnern sich Anrufe bei Hotlines waren früher fast immer kostenpflichtig. Das heißt ein Callcenter trug sich durch die Einnahmen aus der Telefonie. Heute sind die meisten Service-Hotlines der großen Anbieter kostenlos. Das hat folgenden Effekt: Es wird schneller und öfter angerufen und daraus resultiert ein erhöhter Mitarbeiterbedarf. Die Kosten werden aus anderen Einnahmen des Auftraggebers beglichen. Das Callcenter als solches ist also am Firmenergebnis des Auftraggebers auf der Ausgabenseite angesiedelt. Es produziert Kosten.

Aber das Callcenter ist wichtig und wird weiterhin wichtig bleiben. Auch eine Verlagerung auf social media Kanäle ändert nichts daran. Es werden weiterhin Mitarbeiter benötigt die auf Twitter, Facebook und anderen Kanälen im Web tätig sind.

Was erwartet Mitarbeiter in einem Callcenter?

Als Erstes haben die Mitarbeiter fast unmenschliche Arbeitszeiten zu erwarten. Die Leute rufen an, wenn sie Zeit haben oder wenn ein Problem auftritt. Tag und Nacht, zu jeder Jahreszeit, unabhängig von Sonn- und Feiertagen. Im technischen Support, in der Reklamation und auch im Verkauf erwarten den Mitarbeiter aufgebrachte, genervte und meist hilflose Kunden, die vor einem Problem stehen.

Kann das Spaß machen?

Sehen wir es doch sportlich: Mitarbeiter werden, wenn sie es lange genug aushalten, zu Troubleshootern. Aufgebrachte Kunden beruhigen, ärgerlichen Kunden ein Lachen abringen – das macht Spaß und ist oft befriedigend. Probleme lösen oder die Lösung anstoßen macht auch Spaß. Kommt eine gute betriebliche Ausbildung, eine ausreichende technische Ausstattung und natürlich ein gutes Team dazu, dann ist es fast perfekt.

Wieviel verdient ein Callcenter-Agent?

Reich wird man nicht, aber man kann davon leben. Hier kommt nun aus meiner Erfahrung der für den Arbeitnehmer wichtigste Unterschied zwischen Callcentern zum Vorschein: Ein vernünftiges Grundgehalt mit festen Stundensätzen und einem geringen Anteil an „Sonderleistungen“, etwa Provisionen, Gratis-Kaffee und Ähnliches, kennzeichnet ein gutes Callcenter.

Gefährlich wird es, wenn „üblicherweise 8 Stunden“ Tagesarbeitszeit zugesagt werden, aber nur 6 Stunden im Vertrag stehen. Stundenlöhne, die an Provisionen gebunden sind, oder geringe Stundenlöhne mit dem Versprechen nach dem Motto: „durchschnittlich bekommt jeder Mitarbeiter monatlich xxx € Provision“ – wenn man das hört gibt’s nur eins: rennen, so schnell man kann.

Zurück zur Ausgangsfrage: Es gibt solche und solche Callcenter – findet man das richtige, dann hat man einen richtigen Beruf**.

P.S.: Dieser Artikel ist kein Loblied auf die Arbeit im Callcenter. Ich beabsichtige lediglich, mit einigen Klischees aufzuräumen. Es gibt nicht DAS Callcenter. Wie in jeder Branche gibt es „gute“ und „weniger gute“ Firmen. Der Beruf des Callcenter-Agents wird oft unterschätzt und missachtet, auch von den Mitarbeitern der Agentur für Arbeit. Mein Großvater hätte an deren Stelle gesagt: „Junge, lerne einen ordentlichen Beruf. Im Callcenter arbeiten kannst Du immer noch.“ Diese Meinung hindert Arbeitssuchende daran, sich selbst ein Bild vom Beruf des Callcenter-Agents zu machen.

* https://tom-coal.com/bin-ich-froh-dass-ich-nicht-wieder-nur-in-einem-callcenter-gelandet-bin/

** Zum Beruf Callcenter-Agent lesenswert http://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschafts-und-finanzportal/das-dargebotene-ohr-1.18257245