Privatsphäre, muss das sein?

Ich war am Mittwochabend beim Treffen der Initiatoren des Bündnis Privatsphäre Leipzig. Dort kam natürlich auch das Thema post privacy auf, oder wie Michael Seemann (@mspro) es postuliert: „Die Privatsphäre ist tot“. Die Mitglieder des Bündnisses beschlossen den Namen beizubehalten.

Das ist auch richtig. Die „post privacy“ ist ja schließlich ein akademisches Konstrukt einiger Intellektueller, die einen wichtigen Punkt übersehen haben: Privat ist das, was ich nicht öffentlich machen will, nicht das, was man nicht öffentlich machen kann.

Eine Einfügung sei mir gestattet. Ich werde in nachfolgenden Ausführungen den Begriff „Privatheit“ verwenden. Nicht weil die Anwendung des Begriffs „Privatsphäre“ falsch wäre. Die Verwendung von „Privatheit“ soll das Persönliche, das Intime verstärken.

Sagen wir mal ganz einfach: Was privat ist oder was ich  als privat betrachte, ist einem ständigen Wandel unterworfen.

Da komme ich Seemann sehr nahe, denn die Privatheit, die wir bis vor einigen Jahren kannten, ist Geschichte – nicht weil NSA & Co. oder auch Firmen ein neues Instrumentarium in der Hand haben, um mich zu überwachen, sondern weil ich freiwillig mehr von mir an einen größeren Personenkreis preisgebe.

Hier ist wieder mal ein historischer Exkurs erforderlich. Wenn wir schon beim Privaten sind, dann können wir auch gleich über Stuhlgang und Sex sprechen. Ob nun die französischen Könige im Thronsaal oder der einfache Mensch auf dem „Donnerbalken“: Das Kacken war öffentlich und nicht privat. Auch Sex wurde gewollt oder ungewollt öffentlich zelebriert oder einfach „betrieben“, ob nun die fürstliche Hochzeitsnacht oder der proletarische Sex in der Mietskaserne.

Soweit mir bekannt, war das zuletzt in größerem Rahmen in den Kommunen der 68er der Fall, dort allerdings im „privaten Rahmen“ der Kommune.

Das ist nun aber nicht die Form von Öffentlichkeit, die ich mir für mich wünsche. Meine Erfahrungen mit dem öffentlichen Kacken beschränken sich auf Aufenthalte in sowjetischen Kasernen in den 70ern, wo es einfach keine abgeschlossenen Abteile gab. Ehrlich, ich litt an Verstopfung.

Hier kommt nun die Privatheit ins Spiel. Entgegen den Thesen Seemanns sehe ich meine Privatheit und die der anderen als schützenswert an. Die Ansichten mögen sich unterscheiden. Wenn also jemand meint, er oder sie will Stuhlgang und Sex öffentlich machen, so mögen sie es tun. Gleiches gilt für Freude und Trauer und vieles andere.

Nichtsdestoweniger hat jeder Anspruch auf den Schutz seiner Privatheit und jeder soll die der anderen für schützenswert halten. Es kann und darf nicht sein, dass allein das Vorhandensein technischer Mittel über meinen Begriff und Inhalt von Privatheit bestimmt.

Eine Anmerkung noch zu den Seemann’schen Thesen. Er schreibt: „Im Neuen Spiel ist Datenschutz das Monopolrecht auf Datenauswertung für diejenigen, die sich eh nicht an Gesetze halten.“

Das ist nur bedingt richtig. Wie auch in der Ausgangsthese geht es um das Verständnis des Begriffes. „Datenschutz“ muss sein, ohne Wenn und Aber. Was wir brauchen, ist ein neuer, weiter entwickelter Datenschutz. Auch dieser unterliegt der Wandlung durch die Entwicklung von Gesellschaft und Technologie. Das Post- und Fernmeldegeheimnis ist eben nicht mehr zeitgemäß. Den User vor Veröffentlichung von „peinlichen Details“ zu warnen erscheint mir auch nicht ausreichend zu sein.

Beim „Datenschutz“, besser gesagt beim „Schutz meiner Privatheit“ geht es mir nicht darum, was ich veröffentliche. Es wäre auch paradox. Der Begriff „Veröffentlichung“ beinhaltet ja „öffentlich“. Eine Veröffentlichung ist also naturgemäß für die „Öffentlichkeit“ bestimmt. Es geht mir darum, das zu schützen, was ich schützen will: den Inhalt meiner Festplatte oder meiner Mail, genau wie den meines Aktenschrankes oder eines verschlossenen Briefumschlages. Die Kamera und das Mikrophon meines Smartphones sollen eingeschaltet werden, wenn ich dies tue, und nicht, „weil es möglich ist“, wenn jemand meint, mich überwachen zu wollen.

Natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass es den alten Begriff der Privatheit in den sozialen Netzwerken nicht gibt. Da werden diese auch nicht durch „privacy-Einstellungen“ oder geschlossene Leserkreise geschützt. Das soziale Netzwerk ist eher vergleichbar mit einer Postkarte oder einem schwarzen Brett, als mit einem verschlossenen Briefumschlag oder einem Aktenschrank.

Es ließen sich weitere Problemen aufzählen, aber was ich hier meine, ist „informationelle Selbstbestimmung“ und Schutz meiner Privatheit.

Ich will entscheiden, was ihr über mich erfahrt – das soll so bleiben.

In einem stimme ich aber Seemann zu: Wir brauchen „Transparenz der Mächtigen“, und wenn diese nicht freiwillig transparent werden, dann müssen wir sie transparent machen.

Bündnis für Privatsphäre Leipzig

Das Bündnis Privatsphäre Leipzig ist eine überparteiliche Bürgerinitiative mit dem Ziel, Überwachung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in einem breiten öffentlichen Diskurs zu thematisieren. mehr auf der Website


Und der Engel sprach zu den Hirten

„Fürchtet Euch nicht. Sehet ich bringe Euch eine frohe Botschaft!“

Geradezu so kommen die Apologeten des Staates als unser aller Beschützer mit dem „Supergrundrecht“ Sicherheit daher wenn sie uns, ihrer Herde, mitteilen die Überwachung richte sich ja nicht gegen uns – sie diene ja schließlich unserem Schutz.

Unterschwellig wird uns da immer wieder gesagt, wir seien ja selbst mit unserer exzessiven Internetnutzung schuld. Schuld an der Verfügbarkeit der Daten im Internet. Schuld an den “peinlichen Bildern und Texten“ die man später wiederfinden und gegen uns verwenden könne.

Ergo, „Lasst die Finger vom Internet und Ihr seid sicher vor der Überwachung!“ Das wäre natürlich in ihrem Sinne, sie wären endlich diese unkontrollierte freie Meinungsäußerung los.

Ich habe ja schon im Nachsatz zum letzten Artikel angekündigt, dass ich mich mit dem Thema des Nicht-Internet-Nutzers beschäftigen werde. Die Drohung mache ich jetzt wahr.

Der von jedem Bürger hinterlassenen Datenspur zu entgehen ist ja nicht einfach.

Big Data für Oma Erna

Selbst wenn ich als Startbedingung „Oma Erna“ mit einem Festnetztelefon-Anschluss, einer EC-Karte der Sparkasse, ihrer Krankenversicherung, der Monatskarte für die Straßenbahn und einer Bonuskarte ihres Supermarktes nehme, dann ist die Datenspur da.

Sie ruft ihren Enkel an, durch diesen Anruf wird sie mit dessen Kontakten im realen Leben und seinen online Kontakten verbunden. Die elektronische Kontrolle in der Straßenbahn stellt eventuell eine Verbindung zu den Mitfahrern her und jeder Arztbesuch verbindet sie mit den anderen Patienten des Arztes. Somit ist „Oma Erna“ online ohne es zu wissen. Die Bonuskarte ihres Supermarktes und die EC-Karte identifizieren ihre Einkaufsgewohnheiten. Wenn sie also netterweise für ihren Nachbarn ab und an eine Flasche Schnaps mitbringt kommt sie schon in den Verdacht des Alkoholismus.

Sie kann diese Datenspur nicht verhindern, es sei denn sie verzichtet. Auf so ziemlich alles. Aber genug mit „Oma Erna“.

Sage ich „Ja“ zum Verzicht auf das Internet um der Überwachung zu entgehen, dann muss ich auch auf Mobiltelefon, Festnetztelefon, Kreditkarte, Bankkarte, Kreditaufnahme, Inanspruchnahme staatlicher Leistungen, Kranken- und Rentenversicherung, Rabattkarten, Hotelaufenthalte, Auto, Monatskarte für den ÖPNV und Vieles mehr verzichten. Alle diese Dinge erzeugen eindeutige Daten die zu mir führen.

Das wäre nun nicht eine Rückkehr zum „alten analogen Leben“, es wäre schlimmer. In diesem alten Leben war nämlich nicht die Datenerzeugung das Problem. Nein, die Sammlung, Speicherung und Verarbeitung der Daten war es.

Warum wohl gab es in der DDR einen im Verhältnis zur Einwohnerzahl überdimensionierten Geheimdienst? Weil die entstandenen Daten erst mal gesammelt werden mussten. Dazu brauchte man eben die IM und wie sie alle hießen. Und diese gesammelten Daten blieben oft genug unbearbeitet liegen, weil es zu viele waren.

Heute ist das anders, einfacher.

Wie es geht habe ich schon mehrfach beschrieben.

Also gleich zurück in die Steinzeit. Im Walde leben ohne Strom, Telefon; Fernsehen und alle Erfindungen der Neuzeit? Das kann wohl nicht das Ziel sein.

Was aber nun tun, wenn man die Entstehung einer Datenspur nicht verhindern kann? Wenn man auch die Speicherung und Verarbeitung nur schwer kontrollieren kann?

Man kann und muss die Verwendung der Ergebnisse kontrollieren und beschränken.

Das ist nicht einfach, aber man kann etwas tun von staatlicher Seite.

Da wäre also schon mal das Verbot von privaten Firmen die diese Daten verarbeiten und weitergeben. Gibt es diese? Die gibt es schon lange, man nehme die Schufa, Creditreform und wie sie alle heißen. Diese haben schon lange Zugriff auf Daten von Banken, Versicherungen und anderen Kreditinstituten. Meint Ihr die werden sich scheuen auch andere Daten, zumal wenn sie ihnen von Firmen überlassen werden oder frei verfügbar sind, zu verarbeiten? Es ist nicht hilfreich, wenn man dem Personaler verbietet Facebook-Profile für die Einstellungsauswahl zu verwenden – gleichzeitig aber Firmen erlaubt mit den o.g. Service-Anbietern zusammenzuarbeiten.

Wenn ich meinem neuen Vermieter eine Bescheinigung des alten Vermieters bringe in der steht, dass ich meine Miete immer bezahlt habe, muss das reichen. Er darf nicht verlangen, dass ich mein Leben offenlege indem ich ihm die Berechtigung gebe bei einer Auskunftei nachzufragen. Wenn mein alter Vermieter diese Bescheinigung falsch ausstellt um mich endlich loszuwerden, dann ist dies zivilrechtlich zu klären.

Also als Erstes:

Verbot von privaten Firmen die Daten speichern, verarbeiten und mit Daten handeln!

Die Daten müssen dort bleiben wo sie entstehen!

Empfindliche (!) Strafen für die Verwendung von widerrechtlich erworbenen Daten!

Bleibt also der Staat, das wird komplizierter.

Aber es ist nicht unmöglich, hier ist Transparenz gefragt. Der Bürger muss ein Anrecht darauf haben zu erfahren und zu kontrollieren wer – wann – wo – welche Daten erhebt und verarbeitet. Das Ergebnis muss ihm mitgeteilt werden.

Das ist nicht perfekt, aber es wäre ein Anfang.

P.S. Ich weiß natürlich, dass sich die Probleme nicht einfach lösen lassen. Aber man muss darüber nachdenken was realistisch ist. Realistisch bedeutet hier, was ist in Kürze erreichbar und was muss das langfristige Ziel sein. In diesem Kontext bitte ich diesen Beitrag zu verstehen.

Im persönlichen Leben bin ich eher zurückhaltend,

aber gestern musste ich mich doch wieder mal in ein „Fremdgespräch“ einschalten. Nicht weil der Eine, der Ältere, sagte „Ist mir doch egal wenn Geheimdienste meine Mails lesen.“ Eher wegen der verqueren Argumentation des Jüngeren, der die Wichtigkeit des Schutzes der  Privatsphäre erklären wollte.

Er erklärte ausschließlich die Auswertung der Daten durch Geheimdienste als Problem. Da musste ich mich einfach einschalten.

Dass diese ein großes Problem ist habe ich schon mehrmals beschrieben, nicht nur ich. Aber ich habe auch schon darauf hingewiesen, dass eine Argumentation nur mit NSA & Co. wenig hilfreich beim Umgang mit dem unpolitischen Mitbürger ist. Sascha Lobo* hat dies auf den Punkt gebracht mit seiner Aussage

„Es ist nicht so schlimm, wenn der Staat online mitliest – solange die Nachbarn nichts erfahren.“

Den o.g. unpolitischen Mitbürger interessieren die Geheimdienste einen Dreck. Er meint „Aus der Nummer komme ich immer wieder raus!“ und meint damit den eventuellen Verdacht der Teilnahme an kriminellen oder terroristischen Aktivitäten.

Er hat Recht, da kommt er wieder raus, aber zu welchem Preis?

Eine kleine historische Parallele sei mir hier erlaubt. Die heilige Inquisition stellte ja nicht nur Ketzern nach, sie verfolgte  auch mit Vehemenz Andersgläubige, z.B. Juden, auch nach dem Übertritt zum Christentum.

Hätte nun dieser Einrichtung das Instrumentarium „Big Data“ zur Verfügung gestanden, dann wären die sozialen Netzwerke eine wahre Fundgrube gewesen.

Ein Beispiel gefällig? Mein Kollege L. ist Veganer, er isst also kein Fleisch und keine tierischen Produkte. Über religiöse Vorlieben weiß ich nichts, ist mir auch egal. Nun postet also auf facebook einer seiner Freunde, dass er gerade einen schönen leckeren Schweinebraten gegessen hat und L. äußert einfach „Finde ich eklig.“ Ein halbes Jahr später postet L. an einem Freitagabend, dass er nach getaner Hausarbeit, er schreibt vom Wäschewaschen und Wohnung putzen, einen entspannten Abend im Kreise seiner Familie bei Kerzenschein verbringt. Völlig banal das Ganze.

Die Auswertung von Big Data durch die Inquisition ergibt aber, dass L. Jude ist. Er verweigert Schweinefleisch, am Freitag wäscht er seine Wäsche, räumt seine Wohnung auf  und er zündet den Kerzenleuchter am Vorabend des Sabbat an**.

Vielleicht wäre er aus dieser Nummer wieder rausgekommen, aber ein dokumentierter Verdacht wäre geblieben. Dieser hätte ihm später durchaus das Leben schwer machen können.

Nun mag ja der /die Eine oder Andere einwenden, dass die Auswertung ja automatisch das Ergebnis „Veganer“ und „hatte an dem Tag Geburtstag“ ergeben hätte. Dem ist aber nicht so. Big Data und die Auswertung von Datenspuren suchen nach Stichworten, nicht nach Gründen. Eine gute Beschreibung findet man bei E. Morozov*.

Das Beispiel diente natürlich nur zur Illustration wie Big Data funktioniert. Nun zu den Geheimdiensten die für den unpolitischen Mitbürger kein Problem sind. Sie tun genau dies, sie sammeln Daten und suchen nach Stichworten, Orten und Verbindungen. Das mag mir egal sein, aber sind die Geheimdienste die einzigen die dies tun?

Das Instrument wird auch von meiner Bank, meinen Versicherungen, meinem Arbeitgeber, meinem Vermieter, dem Arbeitsamt und Anderen benutzt. Sei es auch „nur“ über Unternehmen wie Creditreform, Infoscore und anderen. Nicht meine wirklichen Lebensumstände, meine wirklichen Interessen und Aktivitäten und weitere Daten werden damit geprüft, es werden Stichworte gesammelt und ausgewertet.

Ich poste mehrfach über Extrembergsteigen, Paragliding – schon bin ich in einer Risikogruppe für Versicherer.

Ich schreibe über Luxusautos, Fernreisen und teure Zigarren – das Jobcenter prüft meine Unterlagen für den Bezug von Hartz IV.

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, ich glaube aber das ist nicht nötig.

Gestern war es nicht nötig der Ältere, der unpolitische, verstand worum es mir ging.

Seine einzige Äußerung war „Mir wird übel!“ – er meinte nicht mich und meine Argumentation.

Er denkt darüber nach.

Das ist doch schon etwas, oder?

P.S. Der Artikel bezieht sich natürlich auf den Nutzer von sozialen Netzwerken und dem Internet im Allgemeinen. Über die Nichtnutzer dieser Dienste sei gesagt, dass sie Big Data auch nicht entgehen. Dazu später

* Das Verlinken der Artikel bedeutet nicht automatisch Zustimmung zum gesamten Artikel. 

** Die Beschreibung des Sabbatfestes und des Vortages ist an mehreren Stellen zu finden. Wer es einfach will findet diese auf Wikipedia.