Eine closed room story,

portrait ruegen xoder auch locked room story, ist das hier nicht ganz, sondern eher eine Betrachtung über ein Mikrobiotop von Menschen in einer nicht gewöhnlichen Situation. Der Raum ist natürlich nicht wirklich verschlossen in einer Reha-Klinik. Wenn ich will, kann ich rausgehen und mich den Mit-Rehabilitanden entziehen. Das geht aber nur zu bestimmten Zeiten. Die meiste Zeit des Tages bin ich mit ihnen zusammen. Das ist schön, denn ich kann endlich mal wieder Menschen beobachten.

Wer mich kennt, weiß, dass dies eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist.

Zur Beschreibung des Biotops nur so viel: Ich befinde mich in der Reha-Klinik Göhren/Rügen zusammen mit 191 Mit-Rehabilitanden und ca. 150 Mitarbeitern der Klinik. Schwerpunkte der Rehabilitation sind Orthopädie und Psychosomatik – in meinem Falle ist es ersteres. Die Mit-Rehabilitanden sind geschätzt zwischen 30 und 70 Jahren alt, es sind etwa 50% von jedem biologischen Geschlecht vertreten und aus den Gesprächen lässt sich bisher schließen, dass die soziale Struktur sämtliche Schichten umfasst.

Disclaimer: Ich bin kein Psychologe oder Statistiker, auch habe ich hier keine Forschung betrieben. Ich schildere ausschließlich meine Eindrücke aus Gesprächen und dem Verhalten der Insassen des Biotops. (Das musste hier gesagt werden.)

Hier möchte ich kurz einige Bemerkungen zur medizinischen Rehabilitation machen. Die Ziele dieser kann man auf verschiedenen Webseiten nachlesen – mir geht es hier mehr um die Missverständnisse. Für mich ist es wichtig, dass andere Ärzte als die mich seit Jahren behandelnden ihre Meinung abgeben und auch mal andere Therapien als die seit Jahren nutzlosen versucht werden. Deshalb bin ich hier.

Erste Betrachtung zum Biotop:

Dieser Meinung sind weniger als 50% der Rehabilitanden. Wenn sie auch noch so sehr über ihre Hausärzte meckern, sich anders behandeln lassen geht gar nicht! Auch wenn die bisherige Behandlung nichts gebracht hat. Der Grund ist, dass die Ärzte zu Hause einschließlich der Fachärzte ihre Patienten ja kennen. Also unsere beliebte Aussage: Das haben wir immer so gemacht!

Dazu eine kleine Geschichte:

Die Frau macht einen Braten. Bevor sie das Fleisch in den Bräter legt schneidet sie am Anfang und am Ende des Fleischstückes ungefähr einen Zentimeter ab. Als der Mann fragt: „Warum machst Du das?“, bekommt er die Antwort: „Das haben wir immer so gemacht! Das ist ein Familienrezept.“ Als die Frau später darüber nachdenkt, fällt ihr ein, sie könne ja ihre Mutter fragen, warum das so sei. Sie bekommt als Antwort „Da musst Du Oma fragen. Das haben wir immer so gemacht! Das ist ein Familienrezept.“ Sie geht also zu Oma und fragt: „Warum schneiden wir bei dem Fleisch immer das Anfangs- und das Endstück ab?“ Oma sagt: „Da musst Du meine Mutter fragen. Das haben wir immer so gemacht! Das ist ein Familienrezept.“ Glücklicherweise lebt Uroma noch. Als die Frau sie fragt bekommt sie ein homerisches Gelächter zur Antwort. Nachdem dieses verklungen ist sagt Uroma: „Macht ihr das immer noch? Wir haben früher immer ein 3 Kilo-Stück Fleisch geholt, dafür war aber unser Bräter zu klein. Deshalb habe ich das Fleisch an beiden Enden zurecht geschnitten.“*

Das ist der Stoff, aus dem Gewohnheiten sind.

Zurück zur Reha, die zweite Betrachtung zum Biotop:

Für mich besteht das Ziel der Reha darin, dass es mir besser geht und ich weiter selbständig leben kann. Dazu gehört auch meine Arbeitsfähigkeit. Ein großer Teil, erschreckenderweise dem jüngeren Altersbereich zugehörig, möchte aber ich nenne es mal „schmerzfrei arbeitsunfähig“ die Reha verlassen. Dass diese Vorstellung mit dem Träger der Reha-Maßnahme, der ist meist die Rentenversicherung, kollidiert, versteht sich.

Die letzte Betrachtung zum Biotop:

Eine Reha ist weder ein Krankenhausaufenthalt, bei dem man behandelt wird, noch ein Urlaub, in dem man macht, was einem gefällt. Reha ist eine aktive Angelegenheit. Allerdings sind die Aktivitäten zum größten Teil nicht selbstbestimmt gewählt. Wie sollte das auch funktionieren, wenn etwa 30% der Teilnehmer nicht einmal die teils knappe Freizeit organisieren können? Hier kommt nämlich zum Tragen, dass die Klinik einsam am Strand 20 Minuten Fußweg entfernt vom Ort Göhren liegt und der Bus nur stündlich fährt. Es gibt hier auch niemanden, der erwachsenen Menschen ihre Freizeit organisiert. Welch schreckliche Verfehlung: eine Reha-Klinik ohne Animateure für Menschen, die selbst bestimmen wollen, wie sie medizinisch behandelt werden. (Ich hoffe, alle haben die Ironie verstanden.)

Was nun passiert, ist völlig klar: Es bilden sich Meckergruppen heraus. Es wird über allgemeine und spezielle Missstände in der Klinik gemeckert. Beliebtestes Objekt der Meckerei ist das Essen. Da kann man sich ja schön drüber auslassen. Was ich zu Hause esse, ist ja nicht überprüfbar. In der heutigen digitalen Zeit wird natürlich auch angedroht welch vernichtende Kritik man über die Klinik ins Netz stellen wird. Erschütternd ist, dass viele das auch tun werden im Gegensatz zu den Zufriedenen.

Mit „zufrieden“ meine ich hier nicht diejenigen, die kritiklos alles über sich ergehen lassen und schweigend dem Ende der Reha entgegen leiden. Die gibt es selbstverständlich auch. Ich meine eher die aktiven und auch konstruktiv kritischen Teilnehmer, die ein Ziel für sich haben.

Um den Meckerern zuvorzukommen ,schreibe ich nicht einen kurzen Kommentar auf die Website der Klinik sondern einen längeren Artikel in meinem Blog.

Der Kurzkommentar hätte so gelautet:

Liebes Klinikteam, ihr seid zwar nicht perfekt aber ihr seid Spitze. Danke für euren Einsatz.

Was sollte man mehr sagen?

P.S. Menschen in einer Gemeinschaft, auch in einer politischen Partei, neigen zu Meckerei, wenn nicht alles nach ihren persönlichen Vorstellungen läuft. Beharren auf festgelegten Meinungen (erste Betrachtung), Streit über generelle Ziele (zweite Betrachtung) und Unselbständigkeit trotz ständiger Forderung nach Selbstbestimmung (dritte Betrachtung) sind rein menschliche Ursachen. Aus Meckerei wird Grüppchenbildung und Sektierertum – danach kommt meist der Zerfall. Das kann nicht der Gegenentwurf zu den klassischen hierarchisch geführten Parteien sein, oder?

* Die Geschichte ist nicht von mir, ich habe sie mal gehört und hier in eigenen Worten wiedergegeben. Sollte sich der Autor finden: Ich beanspruche nicht die Urheberschaft.

Pfingsten, der (heilige) Geist und die Aufklärung

 

pfingsten1Eine der zentralen Geschichten des Christentums ist die Pfingstgeschichte. In dieser lässt Gott den heiligen Geist über die Apostel kommen und schickt sie auf die Mission.

Was geht das eigentlich Atheisten und Agnostiker (wie mich) an?

Nehmen wir den heiligen Geist einmal nicht im Wortsinne der Trinität (Dreifaltigkeit), sondern sehen in ihm die, für Christen gottgegebene, Fähigkeit des Menschen zum selbständigen und freien Denken. Dann geht es uns sehr wohl etwas an.

Ebenso wie die Bibelstelle aus Matthäus 12.31:

„Darum sage ich euch: Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben; aber die Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht vergeben.“

Johannes Tralow lässt dazu in „Der Eunuch“ den Eunuchen Beschir sagen, er verstehe diesen Auspruch so, dass die Sünde des Nicht-Denkens die einzige Sünde sei, die Gott nicht verzeihe.

Da sind wir ja nun ganz atheistisch und modern.

„Sapere aude“ – wage es zu denken!

Das war der Leitspruch der Aufklärung, oder wie Immanuel Kant schrieb:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Vielleicht sollten wir, die Nicht-Gott-Gläubigen, Pfingsten zum Fest des Denkens oder des Verstandes im Sinne der Aufklärung machen.

Das wäre doch des Nach-Denkens wert?

Ein schönes Pfingstfest euch allen.

Bildquelle: http://www.hansgruener.de/pictures/glaube/bb_326_02.jpg

STREIK!

Die Lokführer der GDL streiken und es stellt sich die Frage nach der Legitimität und der Sinnhaftigkeit des Streiks – wenn man (Alt/Leit)Medien und Politikern glauben mag.

Falsch, die Frage stellt sich nicht. Der Streik ist nach deutschem Gesetz legitim und der Sinn des Streiks ist eindeutig. Die in der GDL organisierten Lokführer (nicht nur die) wollen für ihre Arbeit mehr Geld, sie wollen mehr Freizeit und weniger Überstunden.

Ich lasse das so im Raum stehen, weder bin ich Lokführer noch habe ich mich mit Löhnen und Arbeitsbedingungen derselben näher beschäftigt.

Warum also das Geschrei der (Alt/Leit)Medien und der Aktionismus der Politiker, der letztendlich in einem Gesetz gegen Streiks enden wird?

Ich unterstelle hier diesen Medien nicht eine Handlangerschaft für die Politik. Nein, das Thema ist eben einfach zu verlockend. Erregte Fahrgäste die nicht an ihren Zielort kommen, Unternehmen die Umsatzeinbußen prognostizieren und Solidarität mit dem Unternehmen Deutsche Bahn, welches ja schließlich auch ein gewinnorientiertes Unternehmen mit allem Drum und Dran ist. Streiks könnten ja auch das eigene Unternehmen treffen.

Die Motivationen unserer Politiker sind andere.

Als Erstes müssen wir uns wohl von der lieb gewordenen Vorstellung lösen, dass Politiker einer Partei auch Grundwerte dieser vertreten wenn sie in einem Amt sind.

spd1920Am Beispiel des Sigmar Gabriel (SPD) wird das besonders deutlich. Ich behaupte nicht, dass er die Wurzeln der Sozialdemokratie völlig vergessen hat. Mit der Übernahme der Ämter als Vizekanzler und Minister für Wirtschaft und Energie der Bundesrepublik Deutschland fungiert er aber in erster Linie wie ein Unternehmenschef, besonders im Fall der Bahn.

Schließlich wurde die Bahn unter Mitwirkung der SPD privatisiert und gewinnorientiert ausgerichtet. Ein Streik bei der Bahn ist also auch ein Statement gegen die verfehlte Politik der Bundesregierung und der SPD. Dieser Streik ist auch ein politischer Streik.

Da muss der zuständige Minister doch ganz anders reagieren als z. B. Bei einem Streik gegen Amazon. Dort kann er die Streikenden verstehen und verbal unterstützen, bei der Bahn geht das nicht.

Wenn Sigmar Gabriel den Bahnstreik mit den Worten „Er wird die gesamte deutsche Wirtschaft schwer treffen“ kritisiert, dann spricht der Wirtschaftsminister und der SPD-Vorsitzende hat die Klappe zu halten. Dieser wüsste nämlich, dass genau diese Aussage den Sinn des Streiks erklärt.

Ein Streik soll weh tun!

Ein Streik soll die Wirtschaft treffen!

Ein Streik soll Aufmerksamkeit erzeugen!

Sonst ist er kein Streik.

Es erübrigt sich über Kampfbegriffe wie „Geiselhaft“ für Bahnkunden zu sprechen. Ja, die Bahnkunden leiden unter dem Streik, aber hat sich jemand Gedanken gemacht über den Amazon-Kunden der etwas bestellt hatte was er wirklich braucht und nur dort bekommt? Das Beispiel hinkt, das ist mir bewusst, aber rechtfertigt ein Streik der Millionen von Menschen trifft ein Gesetz gegen Streiks?

Wenn das Streikrecht einmal eingeschränkt wird, dann ist das erst der Anfang. Weitere Einschränkungen werden folgen. Erst wird es fast unmöglich werden in den wichtigsten Bereichen der Volkswirtschaft zu streiken – später wird jeder Streik unmöglich.

Natürlich wird dies nur zum Wohl der Bevölkerung sein. Das hatten wir (knapp ein Fünftel der Bevölkerung) schon mal: „Streiks sind in der DDR nicht notwendig, da die Produktionsmittel bereits den Werktätigen gehören.“ So lernten wir das im Staatsbürgerkunde-Unterricht. Auch das war zum „Wohle des Volkes“.

Wer die Forderungen der Lokführer für maßlos hält der bedenke bitte, dass das fahrende Personal und die anderen Beschäftigten der Bahn unsere Mobilität garantieren. Im Gegensatz zu den Vorständen die zwar die Unternehmensziele formulieren aber diese ständig „verfehlen“.

Erstere müssen streiken um angemessene Entlohnung zu erhalten.

Letztere genehmigen sich ständig steigende „Erfolgsprämien“.

Schade, früher hätte eine Arbeiterpartei den Streik unterstützt.

Wenn beim nächsten Parteitag der SPD die Internationale angestimmt wird, bekommen dann Sigmar Gabriel und andere einen roten Kopf?

P.S. Das „Gesetz zur Tarifeinheit“ stärkt die großen Gewerkschaften. Das sind eben jene, die mit der Regierung und der Wirtschaft konform gehen. Warum gehen Mitarbeiter in Spartengewerkschaften? Vielleicht weil sie sich von den „Großen“ nicht vertreten fühlen.

Bildquelle: Friedrich-Ebert-Stiftung, Archiv der sozialen Demokratie, Zur Reichstagswahl 1920