Alternative oder Plan B

Seit einiger Zeit ist es im politischen Diskurs gefährlich das Wort Alternative zu verwenden. Schließlich ist die merkelsche CDU alternativlos und die AfD die Alternative. Daraus schließe ich, dass dieses Wort verbrannt ist und verwende lieber das Synonym Plan B.

Wie kann ein Plan B aussehen?

Dazu mache ich für mich eine Analyse der Alternative AfD.

Die AfD hat Inhalte, das ist wohl unbestritten. Mir passen die von ihr angebotenen Lösungen nicht, aber scheinbar finden über 10% der Menschen die tatsächlich an Wahlen teilnehmen diese interessant. Die anderen Parteien starren auf das Wahlergebnis der AfD, analysieren es zu Tode und werden wohl eine Strategie gegen die AfD entwickeln wollen.

Die wichtigste Frage für mich ist, worin die Inhalte der AfD Propaganda bestehen?

Kurz gesagt, sie sind die Antwort auf ein Sammelsurium von Ängsten und Bedenken der Menschen in Deutschland. Diese Antwort besteht im Großen und Ganzen aus Lösungen durch Reduzierung und Tradition.

Am Beispiel EU und Euro sieht man das deutlich. Die EU erlässt Vorschriften die niemand versteht und der Euro führt zur Finanzkrise. Das ist der reduzierende Faktor. Die Lösung liegt in der Tradition der Nationalstaaten und Nationalwährungen, was ist einfacher.

Warum funktioniert das?

Es funktioniert weil die Vertreter der EU und des Euro ebenso reduziert argumentieren. Als der Euro eingeführt wurde war das schlagendste Argument für die Menschen in der Euro-Zone, dass sie im Urlaub kein Geld mehr umtauschen müssen. Zu den Risiken und Nebenwirkungen des Euro gab es eine Packungsbeilage die so unverständlich war, wie die bei einem Herzmedikament.

In der Frage Zuwanderung und Asyl betreibt die AfD das gleiche Spiel. Das alte Argument „Ausländer nehmen uns Arbeitsplätze weg“ wird ergänzt mit den Kosten für Asylanten, der schleichenden Islamisierung (weiter rechts spricht man von Überfremdung) und der Kriminalitätsrate bei Migranten. Reduziert auf diese Aussagen ergibt sich zwangsläufig die Forderung nach der Rückkehr zu den traditionellen Grenzregimes der Nationalstaaten und einer restriktiven Asyl- und Zuwanderungspolitik.

Warum funktioniert das?

Die Befürworter einer modernen Gesellschaft, einer multikulturellen Gesellschaft, argumentieren genau so flach. Migranten sind nicht anders als Einheimische, ist meine kurze Zusammenfassung der meisten Aussagen und das ist falsch. Schon die Einheimischen sind nicht gleich, die Migranten schon gar nicht. Das merken die meisten Menschen und viele betrachten die Aussage der AfD als richtig.

Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen mit Familienpolitik und vielen anderen Themen,das ist aber nicht nötig. Zusammenfassend ist die Argumentation der AfD ungefähr so: Die Anderen wollen euch etwas wegnehmen – wir erhalten eure Besitzstände.

Was wäre jetzt der Plan B?

Wir müssen nicht gegen die AfD kämpfen, wir müssen die Ängste der Menschen beseitigen.

Wir müssen nicht die Argumente der AfD immer wieder lächerlich machen, sondern bessere Argumente für unsere Meinungen zu den Themen finden und diese verständlich kommunizieren.

Zusammengefasst: Wir müssen aufhören uns mit der AfD zu beschäftigen und anfangen uns mit den Menschen zu beschäftigen.

Ganz kurz gesagt: Keine „Alternative für Deutschland“ sondern ein Plan B für Menschen.

„Dummheit kann tödlich sein“

So überschreibt Reinhard Mohr, ein Altlinker, seinen Artikel* in der WELT, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Artikel von Wilhelm Ahrendt in „der Freitag“ vom 31.08.2014. Sosehr ich die Aussage der Überschrift befürworte, Herr Mohr und ich haben verschiedene Auffassungen davon, wie sich „Dummheit“ manifestiert. Der Mohrsche Artikel strotzt vor haltlosen Verallgemeinerungen, populistischen Tiraden und nationalistischen Sentenzen im bester sarrazinscher Manier. Das wäre nicht so schlimm, wenn nicht ein Print- und Online-Medium mit großer Verbreitung diesen Ausbund an Verstößen gegen journalistische Standards verbreiten würde. Ein Indiz für seine These sind die vielen zustimmenden Kommentare, unter anderem in den sozialen Netzwerken.

Herr Mohr hat erkannt, dass wir auf eine Massenverblödung zusteuern. Ich frage mich allerdings, warum er seine Leser noch auf dem Weg dorthin unterstützt.

Den Artikel beginnt Herr Mohr mit einer Betrachtung zum Geschichtswissen der jungen Deutschen und führte sofort zu seinem Hauptthema – den Migranten, besonders denen aus islamischen Ländern. Hier holt er sich den ‚Forschungsverbund SED-Staat‘, Heinz Buschkowsky und Rüdiger Dammann als Autoritäten ins Boot. Gemeinsam mit diesen beklagt Herr Mohr die mangelnde Sprachkenntnis und das geringe historische Wissen bei Kindern und Jugendlichen.

Wenn man so pauschal den Bildungsstand der deutschen Jugend analysiert, dann können sich natürlich Fehler einschleichen oder sie werden bewusst eingefügt. Zwei Beispiele :

Beispiel 1: Unter der Überschrift „40 Prozent der Migranten bewerten NS-Staat positiv oder neutral“* zitiert Herr Mohr später: „Keinen Zweifel am totalitären Charakter des Nationalsozialismus hat nur gut jeder zweite,…“*, bezogen auf alle Jugendlichen. Hier stellt sich mir die Frage: Sind die 40% der Migranten der Skandal oder sind es die 50% der gesamten Jugendlichen, die Zweifel am totalitären Charakter des NS-Staates haben? Die Überschrift polarisiert und dramatisiert – gegen die Migranten. Er spielt bewusst mit den Zahlen.

Beispiel 2: Auch wenn Herr Mohr biblische Geschichten als Eigentum des „christlichen Abendlandes“ deklariert, spielt er mit Fakten. Unter der Überschrift „Jakob und Esau? Kommt aus dem Koran“* täuscht Mohr den Leser bewusst. Dieser Ausruf eines muslimischen Kindes ist kein Zeichen von Dummheit wie Herr Mohr behauptet, sondern er zeigt, dass es seine Religion kennt. Judentum, Christentum und der Islam kennen die Geschichte von Jakob (im Islam Yaʿqūb), von dessen Bruder und von dem Linsengericht. Auch die Geschichten um David, Goliath und Saul – der gesamte alttestamentarische Kanon – sind Inhalt aller drei Religionen. Es verwundert mich nicht, dass ein muslimisches Kind aufsteht und ruft: „Das steht im Koran!“

Dammanns zitierte Aussage Alles, was wir Allgemeinbildung nennen, ist eine einzige Katastrophe„* teile ich. Ich denke aber, dass wir Allgemeinbildung anders definieren sollten als Herr Mohr, denn ich habe eine andere Auffassung von Allgemeinbildung und von Geschichte.

Wenn Herr Mohr von Geschichte spricht, welche Schüler lernen und verinnerlichen sollen, dann meint er den traditionellen deutschen Geschichtsunterricht. Sicher ist auch das Schuld- und Verantwortungsbewusstsein der deutschen Nation wegen der Verbrechen des Nationalsozialismus gemeint. Kinder von Migranten fragen „Was haben wir mit eurer Geschichte zu tun?„*, weil sie das Schuld- und Verantwortungsbewusstsein nicht teilen können. Es ist nicht Bestandteil ihrer Geschichte.

Herr Mohr zitiert in diesem Abschnitt Heinz Buschkowsky:

„Da steht doch ein Lehrer auf verlorenem Posten, wenn er von den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis erzählt, in denen Millionen Juden umgebracht wurden. Die harmloseste Reaktion von zumeist muslimischen Migrantenkindern ist demonstratives Desinteresse. Manchmal wird’s auch heftig und nicht zitierfähig.“*

Entsteht die geschilderte Situation vielleicht aus der Art der Erzählung oder daraus, dass sich die Schilderung auf die Massenmorde an den Juden beschränkt? Oder entsteht sie weil diese Schilderung darauf zugeschnitten ist bei deutschen Kindern ein Schuld- und Verantwortungsbewusstsein zu wecken? Diese Art der Geschichtsaufbereitung ist für Kinder mit Migrationshintergrund schwer zu begreifen.

Es ist durchaus möglich, dass ein muslimisches palästinensisches Kind Mitgefühl mit jüdischen Kindern in deutschen Konzentrationslagern empfindet. Gerade weil es Geschichten von Kindern in Flüchtlingslagern aus seiner Familien-Geschichte kennt, kann es das Leid nachvollziehen. Wenn die altersgerechte Schilderung der Massenmorde in den Konzentrationslagern** nicht dazu führt, dass diese Verbrechen von allen Schülern als solche erkannt werden, dann läuft in der Schule vieles verkehrt. Das ist allerdings nicht die Schuld der Kinder oder ihrer Eltern.

Neben der Geschichte betrachtet Herr Mohr die Sprachkenntnisse der Schüler. Wenn Kinder und Jugendliche schlecht sprechen, ist für ihn die Ursache klar: Die Migranten sind schuld. Es gibt aber Kiezdeutsch, Dialekte und Jugendsprache auch ohne Migranten. Diese Sprachformen existieren auch in Gebieten mit geringem Anteil von Migranten an der Gesamtbevölkerung. Wichtig ist doch, dass außer der Kiezsprache auch die Hochsprache gesprochen wird. Viele Jugendliche, ob Migranten oder nicht, die mit ihren Freunden Kiezdeutsch sprechen, beherrschen auch mindestens die deutsche Umgangssprache.

Herr Mohr verwendet in diesem Zusammenhang die Zwischenüberschrift „Hartz-IV-Karrieren durch mangelhaftes Deutsch“*. Diese Formulierung lässt den Schluss zu, dass gutes Deutsch eine Hartz-IV-Karriere vermeidet. Es gibt aber hochgebildete und sprachgewandte Menschen mit Hartz-IV-Karrieren. Ebenso gibt es Menschen, die trotz mangelhaftem Deutsch eine Anstellung haben und teils gut verdienen. Wo ist also der Sinn in diesem Abschnitt? Wahrscheinlich ist „Geh isch Aldi, du Ramadan„* die Kernaussage, also ein weiteres Vorurteil gegen Migranten.

Was läuft falsch in den Schulen, wenn Schüler die Deutsche Sprache und Geschichte nicht lernen?

Ich denke, es wird Zeit, im Unterricht neue Wege zu gehen. Die steigende Anzahl von Kindern mit Migrationshintergrund und von Kindern, die das Sprechen durch Medienkonsum lernen, stellt uns vor neue Herausforderungen. Schließlich beklagen LehrerInnen nicht nur bei Kindern mit Migrationshintergund die „Sprachlosigkeit“*** im Unterricht. Sie meinen mit Sprachlosigkeit nicht nur die mangelnde Sprachkenntnis, sondern dass die Kinder einfach nichts sagen. Warum sagen sie nichts?

Vielleicht fehlt ihnen Vertrauen zu den LehrerInnen, zu den MitschülerInnen und zur Schule. Um eigene Gedanken in mündlicher und schriftlicher Form gegenüber anderen Menschen zu artikulieren, braucht ein Kind Vertrauen zu diesen Menschen. Gerade dann, wenn es seine Geschichten erzählen soll, muss es sich sicher sein, dass die anderen Kinder es nicht auslachen und die Lehrer diese Geschichten nicht als Unsinn abtun. Letzteres ist oft der Fall, wenn Geschichten die das Kind kennt nicht mit dem Lehrstoff des Geschichtsunterrichts übereinstimmen.

Unsere Kinder, ob nun deutsche oder mit Migrationshintergrund, wachsen meist mit Geschichten auf, die in ihrem Umfeld erzählt werden. Diese Geschichten werden abhängig vom kulturellen Hintergrund und Bildungsstand der Erzähler unterschiedlich vorgetragen. Wichtig für das Kind ist, sie werden von Menschen erzählt denen es vertraut. Die hochgebildeten deutschen Eltern, die ungebildeten Eltern und die Eltern aus anderen Kulturkreisen unabhängig vom Bildungsstand erzählen Geschichten teilweise grundlegend unterschiedlich. Die Eltern der ersten Gruppe erzählen bereits dem Kleinkind gesellschaftlich konforme Geschichten, unter anderem sprachlich entschärfte Märchen, um ihm das spätere schulische Leben zu erleichtern. Kinder, die aus anderen Kulturkreisen stammen, besonders die in traditionellen muslimischen Familien aufgewachsenen, hören dagegen viele Geschichten aus der Geschichte. Ganz gleich, ob es um Familien-Geschichte, die Geschichte des Islam oder um Geschichten von Flucht, Vertreibung und Bürgerkrieg geht, diese Geschichten prägen ihr Geschichtsbild. Den Kindern fehlt nicht das Geschichtsbewusstsein. Es unterscheidet sich von unserem.

Wir müssen also weg von einer deutschen Interpretation der Geschichte im Unterricht.

In der Schule wird das Kind zum Schüler und lernt Geschichte, die anders ist als die Geschichten der Vertrauenspersonen. Was passiert dort wirklich? Wird ihnen eine Begründung gegeben warum das so ist?

Das Dilemma beginnt in der Grundschule. Dort lernen Schüler die grundlegenden Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Sie lernen auch das „Lernen“. Das schulische Lernen ist als Wissenserwerb ausgelegt, ich nenne es „Auswendig-Lernen“. Sie lernen, dass Buchstaben, Zahlen, Sprache und auch Geschichte Fakten sind, die nicht diskutiert werden. Auf dieser Grundlage wird der weitere Unterricht aufgebaut. Lernen sie aber auch das Denken in den Formen des Durchdenkens, des Nachdenkens und des kritischen Denkens?

Ein Ansatz zum kritischen Denkens wäre, wenn mit den Schülern spielerisch Antworten auf die Frage „Warum soll ich das lernen?“ erarbeitet werden. Wenn Lehrer und Schüler gemeinsam spielerisch die Themen Sprache, Schrift und Geschichte durchdenken. Was wäre passiert, wenn die Menschen keine gemeinsame Sprache für ihre Gruppe entwickelt hätten und wenn sie keine Schrift erfunden hätten um ihre Geschichten und ihr Wissen festzuhalten? Dieses Spiel wird dem Lernwillen förderlicher sein als eine schlechte Zensur.

Schüler sollten im Unterricht ihre gehörten und erlebten Geschichten austauschen, gemeinsam durchdenken und diskutieren. Es geht dabei nicht um ein festgelegtes Ziel, sondern darum, denken und kommunizieren zu lernen. Lehrer und Lehrerinnen sollen das Erzählen und Diskutieren nicht in erster Linie auf ein Ergebnis zu führen, sie sollen den Prozess begleiten. Wir könnten damit eines der wichtigsten Probleme, die Sprachlosigkeit der Schüler im Unterricht, zumindest teilweise lösen. Schüler die erzählen und diskutieren lernen besser sprechen. Wer erzählt – der versucht sich verständlich auszudrücken. Wer erzählt – der will verstanden werden. Wer auf Deutsch erzählt – der bemüht sich um ein verständliches Deutsch.

Schüler die ihre Geschichten im Unterricht erzählen und diskutieren, das wird wahrscheinlich Gegner finden. Diese Erzählungen zerstören den „Schutzraum Grundschule“**** in dem die Schüler, behütet vor allem Bösen, grundlegende Fertigkeiten lernen sollen. Böse Geschichten werden vor allem Schüler mit Migrationshintergrund erzählen. Deren Geschichten handeln von Krieg, Vertreibung, Flucht, Hunger, Tod und sie haben einen anderen kulturellen Hintergrund. Sie beschreiben die Realität eines großen Teils der Welt. In unserem behüteten Teil wollen viele Eltern, Lehrer und Lehrerinnen diese Geschichten ihren Kindern nicht zumuten.

Wer führt uns in die in dem Artikel postulierte „Massenverblödung“ wenn nicht das Bildungssystem?

Im heutigen Geschichtsunterricht sollen Schüler Daten und Fakten, die niemanden interessieren und die von teils unmotivierten Lehrkräften vorgetragen werden, auswendig lernen. Das erworbene Wissen wird für Prüfungen und Klausuren benötigt, danach interessiert dieses Wissen niemanden mehr. Gerade in Deutschland hat Geschichte, wie alle Geisteswissenschaften, kaum Bedeutung für die Schule.

Gelebte, diskutierte und kommunizierte Geschichte in der Schule kann mehr als das heutige Bildungssystem erreicht. Geschichte lebt durch das Erzählen von Erlebtem und Gehörtem im historischen Kontext. Erzählen und diskutieren fördern die Sprachentwicklung, das systematische, logische und kritische Denken, die Kommunikationsfähigkeit und besonders das Verständnis für die Anderen.

Die Fähigkeit systematisch, logisch und kritisch zu denken, die Fähigkeit zu kommunizieren und die Fähigkeit Verständnis für Andere aufzubringen und zu äußern, das sind wichtige Fähigkeiten für das spätere Berufsleben.

Wenn in der Schule Unterrichtsinhalte erarbeitet, durchdacht und diskutiert werden, dann lernen die Schüler dort auch Demokratie. Sie lernen Demokratie nicht als abstrakten Begriff, sie lernen Demokratie leben.

Warum wird Schul-Geschichts-Unterricht nicht in einer quasi-demokratischen Form durchgeführt?

Wahrscheinlich befürchten viele, dass in einem solchen Unterricht auch Fragen und Thesen auftauchen, die auf eine Relativierung des Nationalsozialismus hinzielen. In einer offenen Diskussion können die Lehrer und Schüler Argumente gegen diese Thesen erarbeiten. Besonders dann, wenn wie schon beschrieben die Verbrechen des NS-Regimes als solche durch alle Schüler erkannt werden.

Was passiert wenn die Diskussion weiter unterbleibt oder unterbunden wird?

Es bilden sich Randgruppen, zum Beispiel im rechten Spektrum. Diese Gruppen werden von gebildeten kommunikationsfähigen Menschen geführt, die aus verschiedenen Gründen rechte, teils nationalsozialistische, Thesen verbreiten. Ihre Anhängerschaft besteht zu Teilen aus geschichtsinteressierten Menschen deren Fragen in der Schule nicht beantwortet wurden, die sich in der Schule nicht wagten Fragen zu stellen oder die zu einfache Antworten suchten. Gleiches gilt für andere Strömungen und Randgruppen, ob diese nun politisch oder religiös radikalisiert sind. Das passiert heute und führt zu einer Spaltung der Gesellschaft.

Diese Spaltung der Gesellschaft ist gefährlicher als die offene Diskussion und Kommunikation von Geschichte. Die Gesellschaft und das Bildungssystem lassen nicht nur zu, dass diese Menschen an die Ränder abdriften, sie fördern es durch Verweigerung der offenen und kritischen Diskussion.

Verweigerung und die Akzeptanz der Diskussion führen zur „Massenverblödung“, Herr Mohr, nicht angebliches Desinteresse an Sprache, Geschichte und Bildung.

* Die Zitate stammen aus dem verlinkten Artikel

** Hier meine ich Unterricht der auf emotionale Faktoren setzt. Ich denke an Gedichte wie „Kinderschuhe aus Lublin“ von Johannes R. Becher

*** Die Sprachlosigkeit wird z.B. hier beschrieben

**** Das Argument „Die Grundschule ist ein Schutzraum“ stammt aus eigenem Erleben. Nach dem 11.9.2001, als ich in der Grundschule meines Kindes fragte warum die Kinder nicht mit dem Thema der Terroranschläge, entsprechend der Altersklasse, konfrontiert werden bekam ich diese Antwort.

Jammern nach Wahlen

und gegenseitige Schuldzuweisungen mögen ja Wege sein, um Frust abzubauen. Beide sind aber kontraproduktiv.

Es geht mir, wie nicht anders zu erwarten, um die Landtagswahl in Sachsen. Diese endete gestern mit einem desaströsen Ergebnis für uns, die Piraten.

Mancher mag sagen: „Ja, der Tom hat sich nicht am Wahlkampf beteiligt.“ Das stimmt insofern, als ich mich nicht an den Infoständen und ähnlichen Aktionen beteiligt habe. Lieber habe ich mit Menschen verschiedener Altersklassen gesprochen, ganz analog ohne Computer und Internet. Die meisten Gespräche führte ich mit Menschen, die jeden Morgen aufstehen und auf Arbeit gehen und für die am Ende des Geldes noch viel vom Monat übrig ist.

Die gute Nachricht zuerst: Die wissen nichts von unseren innerparteilichen Querelen – Die schlechte Nachricht: Die wissen meist nicht einmal, dass es uns noch gibt.

Jemand, mit dem ich über unserer linke Ausrichtung sprach, kommentierte: „Warum soll ich, wenn ich im linken Spektrum das Original Jule Nagel wählen kann, die Kopie Florian Unterburger wählen? Die Jule kenne ich wenigstens.“ Die Direktkandidatin Kathrin Weiss sei ihm kein Begriff, den Flo kenne er wenigstens von Plakaten. Für ihn sind wir „Linke mit Internetanschluss“. Für diese Sichtweise haben einige von uns viel getan.

Die Magnetschwebebahn und der Weltraumaufzug haben uns eher nicht geschadet. Beide wurden wie der Wombat zur Bundestagswahl 2013 als Würze im Wahlkampf betrachtet – und belächelt.

Mit den Themen Legalisierung von Drogen, Abschaffen des Sitzenbleibens, Kampf gegen TTIP, Kampf gegen Nazis, Asylpolitik, HARTZ-IV-Sanktionen und ähnlichen konnte ich auch niemanden überzeugen, ausgerechnet Piraten zu wählen. Das Angebot ist groß im linken Spektrum und selbst die Grünen haben sich dort nahtlos eingereiht.

Unsere vernachlässigten Kernthemen, etwa der Kampf gegen Überwachung, waren da schon interessanter. Schade, dass für viele aus meiner Altersklasse, aber auch für weitaus jüngere, das Internet entweder Neuland oder einfach ein Werkzeug ist, über welches man nicht weiter nachdenkt. Dort gibt es für uns Potential, dafür muss man diesen Menschen das Internet nahe bringen – nicht nur die Gefahren durch Überwachung und die Notwendigkeit von Verschlüsselung.

Beim Thema anlasslose Totalüberwachung haben wir die Altersklasse 50+ komplett verloren. Die kann sich noch an die Überwachung in der DDR erinnern. Die meisten fanden Überwachung scheiße, als sie jung waren. Heute wählen sie zu großen Teilen Sicherheits-Fanatiker-Parteien – ihre zukünftigen Überwacher. Das haben wir total vergeigt, wir haben nicht mit ihnen geredet.

Nicht unsere Themen sind schlecht. Wir haben es nicht geschafft, unsere Themen auf eine eigene Weise zu kommunizieren. Deshalb ist es uns nicht gelungen, uns in der Parteienlandschaft zu positionieren, in der alle Parteien des linken Spektrums mit diesen Themen Politik machen.

Wir brauchen Alleinstellungsmerkmale für die Bundestagswahl 2017, sozusagen „piratige Antworten“ auf die Fragen der Menschen. Dazu müssen wir erst einmal wieder zu den Menschen gehen und fragen, was ihre Probleme sind. Wäre nicht ein allgemeiner 6-Stunden-Arbeitstag bei vollem Lohn eine „piratige Antwort“ auf die Forderung nach Vollbeschäftigung?*

Anstatt zu sagen, es gebe keine kriminellen Ausländer, die Forderung nach absoluter Gleichbehandlung aller in Deutschland lebenden Menschen stellen – wäre das nicht „piratig“?

„PiratInnen an die Front!“ – natürlich an die Front des Internet. Wer, wenn nicht wir, kann SchülerInnen, ArbeiterInnen und auch RentnerInnen den Umgang mit Computern und dem Internet beibringen? – Den von Anfang an sicheren Umgang?

Es sind Vollis und Kernis** gefordert, um „piratige Antworten“ auf die Fragen von Fiskalpolitik, Bildungspolitik, Verteidigungspolitik, Verkehrspolitik und anderen Politikfeldern zu finden und zu formulieren. Wir brauchen konkrete Antworten. Aussagen wie „Will ich nicht, will ich anders!“ sind für eine ernsthafte politische Arbeit zu wenig.

Sprechen wir doch mal über WählerInnen außerhalb des Piratenkosmos.

Warum sollen die uns wählen – wenn sie uns nicht kennen?

Warum sollen die uns wählen – wenn wir ihre Probleme ignorieren?

Warum sollen die uns wählen – wenn wir Werktätige als konservative Mitte diffamieren?

Warum sollen die uns wählen – wenn wir selber nicht wissen, was wir wollen?

Kurz und knapp: Die Landtagswahl Sachsen 2014 haben wir vergeigt und nicht die WählerInnen. Die Bundestagswahl 2017 steht vor der Tür und der Wahlkampf beginnt jetzt. Wenn wir bis dahin kein piratiges Profil haben, dann wars das.

* Das sind Beispiele.
** „Kernis“: Piraten, die sich für eine Beschränkung auf Internet-Themen (Kernthemen) im Parteiprogramm einsetzen. „Vollis“: Piraten, die ein politisches Vollprogramm für die Piratenpartei wollen.