Callcenter – (k)ein Job wie jeder andere

Ich habe lange nichts über Callcenter geschrieben – seit dem letzten Mal hat sich aber nicht viel geändert was das Ansehen der dort Beschäftigten betrifft. Also heute mal ein kleiner Insider-Einblick. Der ist nicht immer ganz ernst ausgedrückt, dafür aber ehrlich.

Callcenter – mein 8. Jahr

Es ist wirklich schon fast 8 Jahre her, seit mein Bearbeiter beim Arbeitsamt sein Unverständnis äußerte weil ich mich im Callcenter beworben hatte. Na ja er konnte mir ja keinen meiner Ausbildung und Arbeitserfahrung entsprechenden Job vermitteln und ich meinte, dass ich irgendwie aus der Nummer wieder raus käme. Also begann ich im Verkauf (inbound) wechselte noch zweimal den Arbeitgeber und mache nun schon wieder fast 6 Jahre technische Support für einen führenden Telekommunikationsanbieter. 2012 begann ich dann meine Erfahrungen hier im Blog aufzuschreiben und musste mir von einem mir nahe stehenden Akademiker sagen lassen, dass ich mit meine Artikeln meine Arbeit dort aufwerten wolle. Ist eben seine Meinung, nicht meine Intention. Heute mal ein etwas persönlicher Artikel.

Callcenter – Freitag Frühschicht

Es ist gegen 05.15 Uhr als die ersten eintreffen. Ich habe im Radio den Spruch gehört „Früh aufstehen – müde und kaputt. Nach dem Duschen müde, kaputt aber nach Vanille duftend.“ genau so geht es mir, nur mit anderem Duft. Morgenroutine beginnt: Rechner hochfahren,Programme starten, mit den KollegInnen dumme Sprüche austauschen, lachen – das alles bei gedimmter Beleuchtung. Die erste Führungskraft kommt, schaltet die Beleuchtung hell – ein allgemeiner Aufschrei, alles wie immer. Noch schnell auf den Raucherplatz, ein bisschen lästern über die Vorgesetzten und KundInnen und Punkt 06.00 Uhr online gehen – keine KundInnen weit und breit. Es ist verdammt früh, es ist kalt draußen, manche KollegInnen sind seit 03.00 Uhr auf den Beinen, wir arbeiten im „nahe dem Mindestlohn-Sektor“, stehen ganz unten im gesellschaftlichen Ansehen und es herrscht eine gute Stimmung.

Callcenter – KollegInnen

Hier geht es nicht um „Teamspirit“, Schicksalsgemeinschaft oder irgend so einen Unsinn, im Callcenter treffen Menschen aufeinander die es gewöhnt sind zu kommunizieren. Nicht irgendwelchen Unsinn zu erzählen sondern, jeder auf seine Weise, sich präzise auszudrücken. Hier arbeiten Menschen die mit anderen Menschen mit den verschiedensten Hintergründen reden können (müssen). Zumindest die meisten der KollegInnen ticken so, es kommt also vor dass die junge Kollegin die einen neuen Mann sucht sich mit dem Kollegen austauscht dessen Mann gerade Stress macht – beide ziehen über die Männer her „Die Kerle taugen eh nichts!“. Auch Peter, die jetzt Petra heißt (der Name ist natürlich fiktiv), oder der muslimische Kollege gehören einfach so dazu. Das ist normal, zumindest hier. Klar gibt es Diven, eher zurückhaltende KollegInnen aber im Allgemeinen gehören alle zur Meute.

Nachtrag 31.01.2018: Im Callcenter kann es Dir auch passieren, dass Dir der Kollege Hobby-Imker auf die Schulter klopft und Dir den bestellten Honig auf den Tisch stellt. Es gibt schon tolle Menschen dort.

Callcenter – KundInnen

Die Ruhe dauert nicht lange, die ersten KundInnen sind in der Line und die tägliche Arbeit geht los. Telefon-, Internet- und Fernsehstörungen wollen behoben werden, Nachfragen zu Aufträgen müssen beantwortet werden und manche KundInnen müssen auch darauf hingewiesen werden, dass ein Vertrag einen Leistungsinhalt beschreibt und Sonderleistungen nicht vorgesehen sind. Nun mag ich den Begriff „KundIn“ nicht besonders, im Deutschen klingt das immer nach kaufen und verkaufen. Ich würde KlientIn bevorzugen. Als Supporter stehe ich oft zwischen den Bedürfnissen und Forderungen der KlientInnen und denen meines Arbeitgebers. Manchmal muss ich dann den Supportrahmen etwas dehnen, natürlich ohne zu fragen weil: „Es ist einfacher Verzeihung zu erlangen als eine Genehmigung zu erhalten“. Die Abwägung zwischen KlientInnenzufriedenheit und Arbeitgeberzufriedenheit ist manchmal schwer, aber möglich. Das zeigt die von den KlientInnen geäußerte Zufriedenheit mit meiner Arbeit, der Arbeitgeber ist auch nicht ganz unzufrieden.

Callcenter – „Ich liebe meinen Beruf“

Das ist hier natürlich der sarkastische Stoßseufzer bei schwierigen Fällen oder KlientInnen. Wobei beide meist auf „Fehler 30“ auf einer Seite zurück zuführen sind. Das bedeutet, der Fehler sitzt 30 cm vor dem Bildschirm also KlientIn oder SupporterIn. Hier kommt oft beiderseitig ein Missverständnis zum Vorschein. KlientInnen denken, dass SupporterInnen wissen, was sie wo an Geräten haben und wie diese verbunden sind. SupporterInnen denken, dass die KlientInnen irgendwie Ahnung von und Wissen über die Materie „Telekommunikation“ haben müssen. Da muss man sich manchmal zurücknehmen – auf beiden Seiten – um auf Augenhöhe zu bleiben. Dazu schrieb ich schon etwas. Auch das Lachen muss ich mir manchmal verkneifen. Es ist nicht verwunderlich wenn der 76jährigen Rentnerin nicht auffällt, dass das WLAN am Router ausgeschaltet ist. Passiert das dem, der sich mit den Worten „Ich habe IT studiert und weiß Bescheid“ vorstellte, ist es schon schwerer ernst zu bleiben. Diese Fehler passieren auch auf der SupporterInnen-Seite, z.B. wenn man nicht merkt, dass man gerade mit dem einen Klienten spricht – aber im System einen anderen bearbeitet. Das ist, bemerkt man es nicht rechtzeitig, allerdings nicht zum Lachen.

Callcenter – „We love to entertain you“

Das ist auch etwas ironisch gemeint, aber nicht ganz unwahr. Ich schrieb vor längerem welche Anforderungen KlientInnen an uns stellen:

Alle wollen eine/n kommunikationsstarke/n, technisch hochkompetente/n TelefonseelsorgerIn mit Nehmerqualitäten. Wenn Diese/r dann auch noch EntertainerIn ist, dann sind die KundInnen mit dem Schmuddelkind zufrieden.“

Das Entertainment ist hier einfach die Unterhaltung mit KlientInnen – die meisten freuen sich wenn man sich wirklich für sie interessiert. Ob nun die Frage nach dem brabbelnden Säugling oder dem bellenden Hund im Hintergrund oder, besonders bei SeniorInnen, nach den Interessen bei der Internetnutzung. So am oben beschriebenen Freitag, da gab es den über 70jährigen Maschinen-Schlosser der mir gleich den SES empfahl wenn ich in Rente gehe. Für diesen ist er noch ab und zu weltweit unterwegs um Maschinen zu reparieren, die die jungen Kollegen nicht mehr kennen. Auch der Lokalreporter aus Hamburg, mit dem ich über Egon Erwin Kisch und Journalismus sprach war ein Highlight. Aber auch von anderen KlientInnen hört man viel Neues und Interessantes – man muss nur wollen und den Job darüber nicht vernachlässigen.

Callcenter – Pausen

Pausen sind fast wie überall, es wird gequatscht über Privates und auch Politik, gelästert und gemeckert über Firma und Vorgesetzte und es werden Erfahrungen mit technischen Herausforderungen, exotischen Fehlern und KlientInnen ausgetauscht. Der Unterschied ist, wie oben beschrieben, dass die KollegInnen die Kommunikation beherrschen und meist ohne es zu bemerken auf einem höheren Niveau kommunizieren als üblich. Nicht alle können das, aber sehr viele. Das ist durchaus angenehm für einen wie mich.

Fazit

Bei allen Widrigkeiten und Einschränkungen ist die Arbeit im Callcenter nicht so schlecht wie ihr Ruf. Die meisten Menschen auf beiden Seiten der Line sind tolle Menschen.

Das musste ich hier mal sagen!

Bald ist Montag – Spätschicht bis 24.00 Uhr mit graut es davor, aber irgendwie freue ich mich auf euch.

Bildnachweis: under CCO by seografika

Tempolimit – eine Nicht-Diskussion

Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht in deutschen Medien. Die gute ist, die „Mutter aller Probleme“ ist in den Hintergrund des Medienhypes getreten. Die schlechte Nachricht: Über ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen wird genau so bescheuert berichtet.

Tempolimit und ich

Meinen alten Bekannten wird es absurd erscheinen, dass ich ein Tempolimit auf Autobahnen befürworte. Die kennen mich, nicht als Raser, aber als einen der gern schnell von A nach B fuhr und dabei, das in der DDR geltende, Tempolimit gern und oft weit überschritt. Was hat sich geändert?
Ja, ich bin alt geworden, das ist aber nicht der Grund. Schnell fahren wurde mir einfach zu anstrengend. Nicht wegen der Geschwindigkeit sondern wegen der Verkehrsverhältnisse.

Ein Beispiel:
Ich fahre mit 160 km/h auf einer dreispurigen Autobahn und bin permanent am Beschleunigen und Bremsen. Bin ich auf der dritten Spur, kommt von hinten einer der 180 oder schneller fährt und ich muss zusehen, dass ich auf die Mittelspur komme wo der Verkehr mit 130 läuft. Bin ich dort angelangt, muss ich wieder raus weil ein LKW mit 91 km/h auf die Mittelspur zieht, um einen anderen der nur 89 fährt zu überholen. Es strengt nicht nur an, es ist auch gefährlich. Bei einem Tempolimit von 130 km/h wäre es ein entspannteres Fahren. Das ist aber mein subjektives Empfinden und nicht Inhalt der Diskussion.

Tempolimit und Umwelt

Hier beginnt die sinnlose Diskussion. Wenn ein Auto bei 180 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit den auf die Fahrstrecke bezogenen günstigsten Schadstoffausstoß hat – was dann? Also in Gramm NOx oder Gramm Feinstaub auf 100 km als Richtwert gerechnet. Ich habe Kraftfahrzeugtechnik studiert und muss sagen, der ungünstigste Verbrauchswert und Abgaswert entsteht beim Beschleunigen. Also genau beim obigen Beispiel. Umweltschädlich ist dieses Verkehrsverhalten – nicht die pure Höchstgeschwindigkeit die gefahren werden darf. Also befürworte ich ein Tempolimit weil es den Verkehrsfluss verbessern würde,

Tempolimit und Raser

Michail Hengstenberg schreibt bei SPON unter der Überschrift „Mein Name ist Raser, ich kann sonst nix“ einen für diese Diskussion typischen Beitrag, in dem es unter anderem heißt:

„Die Sehnsucht, sich bei Geschwindigkeiten jenseits von 200 km/h als phänomenaler Autofahrer zu profilieren.“

Das ist bei den meisten, mir bekannten, Gegnern des Tempolimits nicht der Grund für (zu) schnelles Fahren. Abgesehen von Urlaubs- und Ausflugsfahrten, die vielleicht durch andere Mobilitätsarten reduziert werden konnten, sitzen die meisten Autofahrer gezwungenermaßen in ihren Autos und stehen unter Druck. Ob es nun der Druck ist den Arbeitsplatz rechtzeitig zu erreichen oder zu einer familienfreundlichen Tageszeit wieder zu Hause zu sein oder der Druck den nächsten Termin pünktlich wahrzunehmen – all das verleitet dazu das Gaspedal, wenn es der Verkehr zulässt, bis zum Anschlag durch zutreten.
Diesen Druck nimmt ein Tempolimit nicht weg – durch den Druck werden diese Menschen verleitet es zu überschreiten. Das erfordert dann flächendeckende Tempokontrollen und Bußgelder – am Besten eine flächendeckende Verkehrsüberwachung mit anlassloser Erfassung aller Verkehrsteilnehmer. Der „feuchte Traum“ der Überwachungsfanatiker.
Die Verminderung des auf den Verkehrsteilnehmern lastenden Zeitdrucks ist eine Aufgabe die mit einem Tempolimit nicht gelöst werden kann. Das Tempolimit kann aber durch die Verbesserung des Verkehrsflusses den Stress beim Autofahren vermindern.
Die Menschen, die unter Druck stehend schnell und riskant fahren als „Raser“ zu diffamieren ist leicht, aber kontraproduktiv für eine, momentan nicht stattfindende, Diskussion über ein Tempolimit.

Das Tempolimit und seine Gegner

Als Gegner eines Tempolimits können die Automobilindustrie, die Kraftstoffproduzenten und alle mit ihnen verbundenen Gewerke und Interessengruppen bezeichnet werden. Wer würde schon ein Auto kaufen welches über 200 km/h bei, hohem Kraftstoffverbrauch und hohem Instandhaltungsaufwand, fahren kann, wenn er/sie nur 130 km/h fahren darf. Welche Bedeutung hätte ein Crashtest bei 180 km/h für die Sicherheit der Insassen bei einem Tempolimit? Aber auch viele Arbeitgeber, nicht nur im Transportgewerbe, sind gegen ein Tempolimit. Sie zwingen heute viele Arbeitnehmer durch Bereitstellung schneller Dienstfahrzeuge und Forderung nach immer kürzeren Reisezeiten zum schnellen und riskanten Fahren. Wenn eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 135 km/h für eine Dienstfahrt (als Reisezeit) angesetzt wird, dann ist der Arbeitnehmer gezwungen schnell und riskant zu fahren.
Es liegt in der Natur der Sache, dass sie den Arbeitnehmern – oder im erst genannten Fall den Kunden – ein Tempolimit als Verbot und Angriff auf die automobile Freiheit kommunizieren.

Tempolimit, Medien und Politik

Werden im oben erwähnten Artikel die Autofahrer, die ein Tempolimit ablehnen, als Raser tituliert und ihnen Motive die auf Potenzprobleme hindeuten angedichtet, so bezeichnen andere Medien und auch Politiker ein Tempolimit wahlweise als „Lösung der Umweltprobleme“ oder als „Ende der Freiheit in Deutschland“ bzw. als „Anschlag auf den Industriestandort“ oder wie Andreas Scheuer als: „gegen den gesunden Menschenverstand“ – was allerdings weniger über Menschen als über seine Auffassung von Verstand aussagt.
Auch in den (a)sozialen Medien äußern sich sowohl Politiker als auch Journalisten zum Tempolimit mit zweifelhaften Thesen.
So schreibt der Journalist der WELT:


Wobei der Journalist wissen sollte, dass „rasen“ eben unverantwortlich ist und er damit genau das Klischee des Rasers erfüllt.
Aber auch die Gegenseite bringt über Umfragen, deren Wert seit Brexit, Trump u.a. strittig ist, Klischees ins Spiel und verhärtet die Fronten.

Wie in der Diskussion über Migration und ihre Folgen wird aus Argumentation, die wichtig wäre, reine Propaganda.

Fazit

Es findet momentan keine wirkliche Diskussion über ein Tempolimit statt. Der mediale Dauerbeschuss nicht etwa mit pro und contra sondern mit „Vernunft und Verbot“ mit „Freiheit gegen Umwelt“ und ähnlichen Auswüchsen steht einer Diskussion und dem Finden einer Lösung im Wege.
Wie oben beschrieben bin ich für ein Tempolimit und kann es für mich begründen – wenn alle Befürworter und Gegner das auch machen würden, dann kämen wir einer Lösung näher.

Anmerkung: Der Autor hat selbstverständlich nur einen begrenzten Einblick in das Thema – so wie jeder. Er ist Ingenieur für Kraftfahrzeugtechnik und hat als Fahrer im Abschlepp- und Bergungsdienst 15 Jahre lang unter anderem die Fahrzeuge von Rasern von den Autobahnen seiner Einsatzgebiete entfernt. Vielleicht gibt es Leser die sich an ihn erinnern.

Bildnachweis: Header under CCO by Schwoaze

Freiheit ein Euphemismus

Die Freiheit, die ich meine“ schrieb Max von Schenkendorff 1813 und hier beginnt schon mein Zweifel. Schrieb er wirklich „meine“ in der Bedeutung von „Meinung“, oder schrieb er „minne“ in der Bedeutung von „Die Freiheit, die ich liebe“?

Aber das nur nebenbei, es geht mir hier um die Begriffe „Freiheit“, „frei“ und die Ableitungen aus dem französischen Wort „Liberté“ – also Liberalismus und liberal.

In einem Gespräch wurde ich letztens gefragt, was eigentlich mit Neoliberalismus gemeint sei. Als ich sagte der Begriff sei ein Euphemismus musste ich erklären, was das nun wieder ist.

Also schreibe ich es hier mal auf.

Freiheit und frei

Wir gebrauchen die Worte gern um Werte zu beschreiben, so in Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freihandel oder auch für andere Aussagen wie Freibier. Gemeint ist immer „frei von Einschränkungen“, im Falle Freibier natürlich „frei von der Pflicht es zu bezahlen“.

Euphemistisch wird die Verwendung des Begriffes allerdings, wenn wir anfangen den Begriff „Meinungsfreiheit“ so auszulegen, dass jeder Mensch das Recht auf seine Meinung hat (was richtig ist) und das Recht auf „Widerspruchs-Freiheit“ besteht. Schlimmer wird es noch, wenn das „Recht auf Verteidigung der Meinung mit allen Mitteln“ eingefordert wird. Das ist dann das Ende des Diskurses, der Demokratie und auch der Freiheit.

Also gibt es entweder Meinungsfreiheit für alle oder Un-Freiheit. Rosa Luxemburg hat das in ihrem, leider meist verkürzt zitierten, Ausspruch auf den Punkt gebracht.

Freihandel

Dem Thema widme ich einen eigenen kurzen Absatz, ich habe es 2014 bereits ausführlich beschrieben. Das Wort ist ein Euphemismus, da es immer die Freiheit für den ökonomisch und auch militärisch Stärkeren beschreibt. Ob in den Opiumkriegen oder bei TTIP – es werden Interessen von Staaten oder Konzernen mit dem Wort „Frei“ umschrieben. Es geht nicht um den freien gleichberechtigten Handel zwischen Partnern. In diesen Kontext gehört auch die viel beschworene „Freiheit des Marktes“, die in der Endkonsequenz einen brutalen Verdrängungswettbewerb (besser wäre Kampf) fordert.

Liberalismus und liberal

In Deutschland gibt es eine Partei die sich „Freie Demokratische Partei“ (FDP) oder auch „Die Liberalen“ nennt. Laut dem Namen müssten also alle Menschen die die Freiheit wollen dieser angehören oder sie wählen. Da aber der Name nicht dem Programm entspricht, kann man ihn nur als Euphemismus bezeichnen. Diese Partei vertritt den Wirtschafts-Liberalismus, also die oben beschriebene „Freiheit des Marktes“. Dazu gehört die „Liberalisierung des Arbeitsmarktes“, die gleich doppelte Freiheit verspricht. Zum einen die Freiheit des Arbeitnehmers dorthin zu gehen wo er hin will – wenn man ihn dort nimmt – oder zu Grunde zu gehen. Zum anderen umschreibt der Begriff die Freiheit der Arbeitgeber von (fast) jeder Verantwortung für ihre Beschäftigten.

Die Umsetzung dieser „Freiheit“ überließ man aber gern der Arbeiterpartei SPD, die mit den HARTZ IV-Gesetzen die Liberalisierung des Arbeitsmarktes durchführte. Das führte zu einer Verminderung der Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig wuchs der Niedriglohnsektor überproportional.

Die Freiheit, die diese Liberalen meinen, ist „frei von staatlichen Beschränkungen“ und wird gern mit dem Euphemismus „Neoliberalismus“ bezeichnet.

Neoliberalismus

Ist der oben beschriebene Wirtschafts-Liberalismus ein Vertreter des freien Marktes, so steht der Neoliberalismus für die quasi Abschaffung des Staates in der Daseinsvorsorge für die BürgerInnen. Nicht allein die Partei des Namens „Die Liberalen“, auch andere Politiker stimmen in diesen Chor ein, voran der Wirtschaftsminister Peter Altmeier der in einem Spiegel-Interview sagte

„Der Staat ist ein lausiger Unternehmer.“

Wobei ein weiterer Euphemismus ins Spiel kommt, nämlich die Zuschreibung einer Qualifikation namens „Wirtschaftskompetenz“ für Politiker und Parteien. Dieser Begriff bedeutet nicht, dass die als solche bezeichneten ein Unternehmen erfolgreich führen könnten, oder in der Lage wären den von Altmeier geschmähten Staat zu verbessern. Er beschreibt nur die Fähigkeit den verbliebenen staatlichen Sektor meistbietend zu veräußern und somit Unternehmen größtmöglichen Profit, ohne Verantwortung für die Gesellschaft, zu garantieren.

Der Neoliberalismus und seine Vertreter werden gern und oft als konservativ beschrieben, was ebenso euphemistisch ist.

Konservativ

Das schöne Wort konservativ kommt vom lateinischen conservare „erhalten“, – was im Wortsinne mit haltbar machen und aufbewahren in Verbindung gebracht werden kann. Die gesellschaftspolitische Bedeutung ist allerdings „rückwärts gewandt“ – schade eigentlich, das Wort sagt viel mehr aus.

Ich sehe hier immer meine Oma vor mir, wie sie Erdbeeren, Kirschen, Apfelstücke und vieles andere zum Einkochen (das ist eine Form des Konservierens) vorbereitete. Wichtig war, das lernte ich schon als Kind, dass nur die besten Früchte oder Stücke verwendet wurden. Alles was beschädigt oder angefault war wurde sofort verzehrt oder entsorgt. Konservative Politik hätte für sie bedeutet, dass die Politiker den Zustand in dem sie sich am wohlsten gefühlt hatte erhalten oder wiederherstellen .

Die konservativen Politiker behaupten, sie würden „bewahren“ was sich als gut und nützlich für die Gesellschaft erwiesen hat. Sie sind aber nur selektiv konservativ. Sie wollen nicht das Bewahrenswerte für die Gesellschaft erhalten, sie wollen konservativ die Politik des Neoliberalismus fortsetzen. Sie führen eine Politik fort, die zum Ansteigen der Unternehmensgewinne bei gleichzeitigem (teilweise gefühlten) Absinken des Lebensniveaus großer Teile der Bevölkerung geführt hat.

Fazit

Im politischen Diskurs (so dieser geführt wird) ist Worten nicht zu trauen. Begriffe wie Freiheit, Liberalismus und Konservativismus umschreiben oft euphemistisch das Gegenteil.

Es wird Zeit für eine Rückkehr zur richtigen Verwendung der Begriffe.

Eine Anmerkung noch. Der Begriff „Alternative“, zumindest wie er heute von der Partei gleichen Namens gebraucht wird, ist kein Euphemismus. Er drückt präzise aus was er meint. Eine Alternative zum demokratischen Staat, zur freien Gesellschaft und zum Rechtsstaat – in der Ausprägung „Gleiches Recht für alle“ – bzw. einfach zu den Menschenrechten.

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