6. KW 2020 – Alles Thüringen, oder was?

Das Polit-Chaos in Thüringen nimmt auch am Sonntag nach der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten nicht ab und es erreicht die Bundespolitik. War das schon alles in dieser Woche?

Thüringen

Also gut, ich fange mit dem Hauptthema der Woche an, ich hatte ja bereits etwas dazu geschrieben und möchte mich nicht wiederholen. Allerdings ein paar Anmerkungen:

1. Es wurde Deutschlandweit besonders gegen die FDP demonstriert. Soweit, so schlecht – für mich gehört die CDU in den Fokus der Aufmerksamkeit. Wie ich schon schrieb, Mike Mohring hätte sich ja selbst zur Wahl stellen können. Hat er nicht getan, meiner Meinung nach weil er genau das befürchtete (oder ahnte) was Thomas Kemmerich passierte. Also die FDP als Bauernopfer für die CDU, oder so ähnlich. Wer mich kennt, weiß natürlich, dass ich die Angriffe auf FDP-Einrichtungen oder Personen, besser Gewalt als politisches Mittel in einer Demokratie, strikt verurteile. Solche Angriffe sind keine politischen Statements – Das ist apolitische Randale. Ich muss mich davon nicht distanzieren, andere sollten darüber nachdenken.

2. Nach dem Rücktritt von Kemmerich soll nun der Ministerpräsident neu gewählt werden und schon schießen „tolle“ Thesen in den Thüringer, besser Bundesdeutschen, Himmel. Ganz klar: Wenn die AfD für Bodo Ramelow stimmt, kann er die Wahl trotzdem annehmen! Im Gegensatz zu Kemmerich wäre er nämlich, spätestens im dritten Wahlgang, auch ohne diese Stimme gewählt worden. Die Forderung, dass die CDU-Abgeordneten Ramelow wählen müssten ist absurd, das würde den Anschein einer parlamentarischen Mehrheit erwecken. Ganz klar: r2g kann nur eine Minderheitsregierung bilden.

3. Bei allem Aktionismus der Parteien auf Bundesebene müssen wir wohl vieles den Thüringern überlassen. Wenn nämlich die Bundesspitzen jetzt über alle Personalien, auch auf Landesebene, entscheiden werden sich bald WählerInnen fragen, warum sie überhaupt noch in der Region wählen sollen. Hier gehe ich jetzt weg von Thüringen und in die Ebene der Stadtpolitik.

Leipzig – OBM-Wahl

Runde 2 der Wahl des Leipziger Oberbürgermeisters steht an und es sind noch drei KandidatInnen übrig. Die Kandidatinnen der Linken, der Grünen und der Partei „Die Partei“ haben zurückgezogen und eine Wahlempfehlung für Burkhard Jung abgegeben. Der AfD-Kandidat ist ebenso zurückgetreten, allerdings ohne Empfehlung – es versteht sich, dass dessen Anhänger eher Sebastian Gemkow wählen (was man ihm nicht anlasten kann), eine Empfehlung hätte ihn allerdings beschädigt. Die dritte Kandidatin, Ute Elisabeth Gabelmann, wird ihre Gründe haben im Rennen zu bleiben.

Auch hier schießen schon wieder Verschwörungstheorien ins Kraut wie:

„Dürfen Jung oder Gemkow die Wahl annehmen, wenn der Verdacht besteht dass AfD-Wähler ihn gewählt haben?“

„Hat Jung RB, also die Bebauung des Stadionvorplatzes, verkauft um sich die Stimmen der Grünen zu sichern?“

Es werden noch mehr Thesen bis zur Wahl werden.

Zum Ersten kann ich nur sagen: „Ja, sie dürfen!“ – sie wurden nämlich nicht, wie in Thüringen, von Abgeordneten gewählt. Sie wurden direkt von der Bevölkerung gewählt – da ist eine Stimmenzuordnung nicht möglich – und das ist gut so.

Das Zweite ist geradezu lächerlich. Der Oberbürgermeister ist an Beschlüsse des Stadtrats gebunden. Wenn der Stadtrat beschließt was mit dem Stadionvorplatz passiert, dann hat der OBM genau eine Stimme. Das heißt, beim derzeitigen Stadtrat ist es möglich, dass auch unter Gemkow der Stadionvorplatz nicht an RB verkauft wird.

Eine Sache noch, die völlig untergegangen ist im Trubel:

Die Sächsische Landesregierung hat geäußert, dass es 2020 keine Förderung für Straßenbau in den Kommunen gibt. Wir müssen also wohl alle Projekte neu angehen. Das haben viele nicht bemerkt.

Thüringen-Wappen Bild von skeeze auf Pixabay , Leipzig-Wappen Bild von Kaufdex auf Pixabay

Wenn die Antwort Nationalismus ist,

dann war nicht die Frage falsch gestellt, sondern die anderen möglichen Antworten wurden nicht akzeptiert. Das liegt an der Fragmentierung der nicht-nationalistischen Antwortgeber. Es wird Zeit für eine Defragmentierung der Gesellschaft.

Begriffsbestimmungen

Nationalismus: Ich fasse unter dem, hier negativ konnotierten, Begriff Fremdenfeindlichkeit, Abschottung, falsch verstandene Leitkultur und vieles andere mehr zusammen.

Fragmentierung/Defragmentierung: Ihr erinnert euch, als unter MS-DOS und Windows 3-98 die Dateien auf den Festplatten nach längerem Gebrauch so stark fragmentiert waren, dass die langsamen Prozessoren Mühe hatten diese zu finden und zusammen zu führen. Die Festplatte wurde defragmentiert – d.h. die Dateien wurden zusammengeführt und der Rechner lief wieder schneller.

Fragmentierung der Gesellschaft

Eine Gesellschaft ist immer fragmentiert, in Besitzende und Besitzlose, Gebildete und weniger Gebildete, Stadt und Land, Konservative und Progressive, Nationalisten und Internationalisten und ähnliches. Das ist normal, wenn die einzelnen Teile sich nicht immer weiter aufspalten. Heute haben wir aber genau diese Fragmentierung auf der Seite der „gebildeten progressiven internationalistischen Stadtbevölkerung“. Das soll die Landbevölkerung nicht ausschließen, aber die Meinungsführer sitzen in den Städten.

Fragmente

Ich nehme hier mal als Beispiel den korrekten Sprachgebrauch, das heißt diskriminierungsfreie Sprache. Es ist unstrittig, dass im heutigen Sprachgebrauch diskriminierende Bezeichnungen wie „Neger“, „Zigeuner“ und ähnliche nichts mehr zu suchen haben. Bedeutet das aber auch: „Wir müssen die Literatur der Vergangenheit verbieten oder ändern!“ und „Wenn wir diese Worte vermeiden dann ist alles gut!“? Weiter geht es mit gender-gerechter Sprache, hier steht die Frage: „Ist die Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht, wenn wir sie korrekt und umfassend bezeichnen?“ Besonders schön für die LeserInnen ist der Streit um „Binnen-I“ (welches ich bevorzuge) oder den korrekten Einsatz des „Gender*“. Die aggressiven Vertreter einer diskriminierungsfreien Sprache fragmentieren das Thema akademisch weiter, bis zu dem Punkt an dem das berechtigte Anliegen nicht mehr erkennbar ist. Selbst interessierte BürgerInnen steigen dann aus und wenden ihnen den Rücken zu. Diese werden dann als konservativ (im Sinne von rückschrittlich) – im schlimmsten Falle als faschistisch beschimpft.

Identität

Viele kluge Menschen haben über Identität geschrieben, so in letzter Zeit Francis Fukuyama, dessen Identity ich inzwischen gelesen habe, Robert Pfaller in seinem taz-Interview und auch ich habe mich dazu geäußert (ohne das „klug“ für mich in Anspruch nehmen zu wollen). Trotzdem komme ich auf den eigenen Artikel zurück, ich zählte dort einige meiner möglichen Identitäten auf:

Mann; Europäer; Deutscher, Ex-DDR-Bürger; Leipziger (wohnhaft); Sachse (Geburt); österreichisch-böhmisch (Abstammung väterlich); brandenburgisch-thüringisch (Abstammung mütterlich); Weiß (angeblich wichtig); alt (selbsterklärend); heterosexuell (lebend); bisexuell (veranlagt); Ingenieur; Schlosser; Ex-Soldat; nicht-pazifistischer- Kriegsgegner; Russland Liebender; Bibliophiler; Prokrastinateur; technik-affiner Übertechnisierungs-Gegner; tierliebender Haustier-Gegner; Fleischesser, Blogger, Marx (Karl und Reinhard) Mögender, Kapitalismus-Kritiker; Real-Existierender-Sozialismus- Gegner; Ostalgie-Verweigerer; ex-katholischer Agnostiker; Religions-Interessierter; Call- Center-Agent; selbst Denkender, AufschreibenderMensch!

Ich habe für mich, wie in dem Artikel beschrieben, die Identität als Mensch und Arbeiter festgestellt. Leider ist das nicht so einfach zu verallgemeinern.

Linke Fragmentierung

Das nachfolgende Zitat stammt von Robert Merle. Das mag heute schon für manch eine/n ein Affront sein, schließlich war er, wenn auch eher links stehend, ein Macho reinsten Wassers. Kann so einer überhaupt etwas zum Diskurs beitragen?

Bekannter ist wohl der Streit zwischen der „Volksfront von Judäa“ und der „Judäischen Volksfront“ bei Mounty Python. Wenn wir uns also unter unter den angeblich die arbeitenden Menschen vertretenden Gruppen umsehen dann finden wir die „seltsamsten“ Grüppchen. Als Beispiel würde ich jetzt die „Binnen-I bevorzugenden vegan lebenden antikapitalistischen FeministInnen“ vs die „Gender* benutzenden fleischessenden sozialdemokratischen FrauenrechtlerInnen“ konstruieren. Aber egal worin sie sich unterscheiden, diese Gruppen kämpfen nicht in erster Linie um soziale Gerechtigkeit – sie kämpfen oft gegeneinander um die Deutungshoheit über Begriffe.

Nationalistische Defragmentierung

An dieser Schwachstelle der linken Bewegungen setzen Nationalisten an. Sie defragmentieren ihr Klientel mit der Aussage „Wir sind in erster Linie Deutsche“ (oder Briten, US-Amerikaner usw) und schaffen somit eine vermeintlich einigende Identität. Vermeintlich meine ich, weil diese Pseudo-Identität Unterschiede übertüncht. Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den ArbeiterInnen im Mindestlohnsektor und dem Vorstandsvorsitzenden eines DAX-Konzerns mit Millionengehalt? Beide eint, wenn sie per Definition Deutsche sind, nur die „Gnade der Geburt im gleichen Land“ und eine gemeinsame Muttersprache. Es klappt aber, weil die „Wanderprediger der reinen Lehre“ die linken Bewegungen immer weiter fragmentieren und somit die „einfache“ nationale Identität für viele Menschen wieder attraktiv wird.

Fazit

Den Kampf gegen Nationalismus gewinnen wir nicht, indem wir die linke Bewegung weiter aus wahltaktischen, parteipolitischen oder egomanischen Gründen fragmentieren. Wir brauchen einen linken Minimalkonsens und eine linke Identität die für Menschen attraktiv und glaubhaft ist. Wer sich jetzt an meinem Gebrauch des, bewusst eingesetzten, Begriffs Nationalismus stört – die/der bedient genau das was ich meine. Sie/Er will eine Grundsatzdiskussion über Worte.

Wie gehen wir das an?

P.S.: Einer der Gründe warum ich Pirat (also Mitglied der Piratenpartei) bin ist, dass sich dort Menschen treffen die zu vielen Dingen verschiedener Meinung sind, die sich auch mal lauthals streiten – im Großen und Ganzen aber ein gemeinsames (eher linkes) Ziel verfolgen.

Nachdem die „Wanderprediger“ weiter gezogen sind besteht wieder Hoffnung, dass wir es nicht erneut versemmeln.

Titel-Bild von Elivelton Nogueira Veto auf Pixabay

Flugzeug, Auto und Bahn – Dienstreisen

Alle reden davon Kurzstreckenflüge zu vermeiden, weniger mit dem Auto dafür mehr mit der Bahn zu fahren – die wenigsten reden über Vermeidung von Flug- und Fahrkilometern für Dienstreisen. Besonders die Befürworter von Verboten reden ungern davon was staatliche Institutionen und Wirtschaftsunternehmen tun können. Ja, auch die Digitalisierung hat etwas damit zu tun, ob ihr es glaubt oder nicht.

Aus eigenem Erleben

Ich war mehrere Jahre Mitglied eines Gesamtbetriebsrates (GBR) in einem Konzern mit 2 Gesamtbetriebsräten, unser GBR hatte erst 5, später 7 Standorte in Deutschland. Das bedeutete (mindestens) monatliche Sitzungen an einem Standort zu denen erst 8, später 12 Personen anreisen mussten. Zuzüglich monatliche Sitzungen des Wirtschaftsausschusses, gemeinsame Treffen der GBR mit der Geschäftsführung und Sitzungen der Arbeitsgruppen. Für die GBR-Sitzungen auf denen Beschlüsse gefasst werden (also faktisch bei allen) besteht Präsenzpflicht, d.h. die Mitglieder müssen „körperlich anwesend“ sein (BetrVG). Andere Sitzungen hätte man durchaus in Videokonferenzen durchführen können, das scheiterte an der technischen und räumlichen Ausstattung, einige Mitglieder der GBR waren auch „unwillig“. Sicherheitsbedenken spielten ebenso eine Rolle, schließlich musste der Arbeitgeber nicht alles wissen was Betriebsräte zu besprechen haben.

Meine Dienstreisen

Ich musste um die Möglichkeit der Anreise per Bahn zu den Sitzungen geradezu kämpfen, Grund war der Ticketpreis, der über den Kosten für die Dienstwagennutzung liegt. Persönlich war die Bahnfahrt für mich aus mehreren Gründen attraktiv, wobei mein Umweltbewusstsein eine untergeordnete Rolle spielte. Reisezeit ist Arbeitszeit, als Betriebsrat war ich ja nicht Kraftfahrer – bei der Bahnfahrt konnte ich mich auf die Sitzungen vorbereiten und war beim Eintreffen fit. Für Autofahrten traf das nicht zu. Absurderweise hätte ich auch fliegen können, wenn ich einen Flug mit Billigpreis gefunden hätte. Einige GBR- Mitglieder haben das getan, allerdings waren das die die manchmal nicht ankamen – der Flieger war überbucht.

Notwendige Dienstreisen

Mir stellt sich die Frage nach der generellen Notwendigkeit von Dienstreisen im digitalen Zeitalter. Es ist bestimmt erforderlich, dass sich Entscheidungsträger oder andere Mitarbeiter persönlich von Zeit zu Zeit treffen – aber die Zahl der Dienstreisen ließe sich reduzieren. Nehmen wir nur die, in letzter Zeit oft kolportierte, Zahl von 230.000 Inlandsflügen für Mitarbeiter von Ministerien zwischen Bonn und Berlin. Wie viele dieser Flüge würden sich vermeiden lassen, wenn es eine sichere digitale Infrastruktur gäbe und diese auch genutzt würde. Gleiches gilt auch für Unternehmen – aus meiner Erfahrung sind persönliche Treffen oft nicht nötig, sieht man von gesetzlichen Vorschriften (s.o) und persönlichen Vorlieben ab. Erstere kann man ändern und der zweite Grund sollte keine Rolle spielen.

Ansatz zur Lösung

Täglich reisen Menschen „aus dienstlichen/geschäftlichen Gründen“ quer durch Deutschland, manchmal legen sie an einem Tag 1000 km für eine zweistündige Sitzung zurück. Abgesehen von der Umweltbilanz der Dienst- und Geschäftsreisen entsteht natürlich eine massive finanzielle Belastung – im Falle von Dienstreisen der „Staatsdiener“ für die Allgemeinheit.
Um dies zu ändern bedarf es einiger Änderungen. Hier meine ich nicht in erster Linie die Verlegung der in Bonn verbliebenen Ministerien und Einrichtungen nach Berlin. Obwohl man sich die Frage stellen kann ob die Dienstreisen auch stattfinden würden, wenn eine halbstündige S-Bahn-Fahrt innerhalb Berlins für diese erforderlich wäre. Aber das nur nebenbei. Banal ist die Lösung „Flugreisen und Autofahrten müssen teurer sein als Zugfahrten“. Das reicht nicht, Vermeidung muss das Ziel sein.

Hier kommen die Piraten ins Spiel

Forderungen die wir seit Jahren lautstark äußern müssen erfüllt werden um die Digitalisierung in vollem Umfang zu nutzen und Dienst- bzw Geschäftsreisen überflüssig zu machen.

  1. Flächendeckender Ausbau der digitalen Infratruktur
  2. Gewährleistung einer sicheren digitalen Kommunikation – dazu gehört sichere Verschlüsselung, die Abschaffung von Backdoors in den Systemen und der Staatstrojaner.
  3. Digitale Bildung für Alle

Das ist natürlich nur eine grobe Vereinfachung, aber es sind Mindestanforderungen. Wenn Wirtschaftsunternehmen kein Vertrauen zur digitalen Kommunikation haben werden sie weiter auf dem Prinzip der Dienstreisen beharren. Von staatlichen Institutionen, die diese Unsicherheit im System selbst aus „Gründen der Sicherheit“ befördern ganz zu schweigen.

Das war‘s in Kürze für heute. Reden wir darüber.

Bild von mohamed Hassan auf Pixabay