FakeNews und Postfaktizismus

So schreibt Fabian Reinbold im „Spiegel“.  Für mich sind das keine neuen Probleme, sondern nur neu erfundene Begriffe – also Wortschöpfungen, um vorzutäuschen, dass diese Instrumente der Propaganda neu sind.

Falschmeldungen (heute FakeNews) wurden schon immer gern verwendet um dem politischen oder staatlichen Gegner zu schaden.

Um die eigene Anhängerschaft oder Bevölkerung davon zu überzeugen, dass das eigene System das bessere ist, wurden schon immer Nachrichten aus dem und über das andere System verfälscht bzw. Informationen frei erfunden.

Paradebeispiele dafür waren der „Schwarze Kanal“ des DDR-Fernsehens und die Sendung „Kennzeichen D“des ZDF. Beide behaupteten von sich ein „realistisches Bild“ des jeweils anderen Staates zu zeigen. Ab dem 9. November 1989 konnten sich die Menschen beider Seiten ein eigenes Bild von der anderen Seite machen und stellten fest, dass das „realistische Bild“ ein Fake nach heutigem Sprachgebrauch war. Allerdings glauben auch 28 Jahre nach der Maueröffnung viele Menschen noch an Stereotype der damaligen Propaganda beider Seiten.

Ein wichtiges Instrument der Propaganda beider Seiten war auch immer der Verzicht auf Fakten, bzw. die Falschdarstellung oder Übertreibung.

Der Postfaktizismus, auch wenn Keyes sein Buch „The Post-Truth-Era“ erst 2004 schrieb, ist ebenfalls alt. Wobei der Begriff post-truth politics, den Sascha Lobo 2012 verwendete und der als postfaktische Politik übersetzt wurde, irreführend ist. Wann in der Geschichte hat sich die politische Propaganda je um Fakten bzw. die Wahrheit gekümmert?

So wurde, vorbei an Tatsachen, in der DDR der leninsche Spruch vom „sterbenden faulenden Kapitalismus“ bis 1989 propagiert und alle Fakten, die dieser These widersprachen, ignoriert. Auch die Friedensbewegung in der Bundesrepublik wurde zum Pseudo-Aufstand der werktätigen Bevölkerung gegen das verkommene militaristische System umgedeutet.

Heute ist das genau so – eine Demonstration von 10.000 Menschen in Moskau wird als Volksaufstand gegen Putin und seine Politik beschrieben (seit Jahren) und das Schweigen der Restbevölkerung kann natürlich nur aus der Angst resultieren. Den Fakt, dass Putins Politik eine starke Anhängerschaft in der Bevölkerung hat, erwähnt man ungern – weil das nicht ins Weltbild passt. Gleiches gilt für die Berichterstattung über China, Iran und andere Staaten.

Was unterscheidet nun die früher üblichen propagandistischen Falschmeldungen und Wahrheitsverdrehungen von FakeNews und Postfaktizismus?

Der Unterschied liegt im Medium für die Verbreitung und somit in der Beteiligung einer großen Anzahl von Menschen an der Erstellung von „Nachrichten“.

Waren in Vor-Internet-Zeiten noch Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsender erforderlich, so reicht heute ein Laptop mit Internetzugang (wie ich ihn hier nutze), um Meinungen und Meldungen zu verbreiten.

Dazu kommt die Blasenbildung in den sozialen Medien. Diese ist nicht vergleichbar mit der früheren Entscheidung, einen Sender zu sehen oder zu hören oder die eine oder andere Zeitung zu lesen. In seiner Blase findet der Mensch seine Meinung gespiegelt und verstärkt. Wer dieser Meinung widerspricht wird meist geblockt oder entfreundet.

Nun sieht sich also der Staat herausgefordert gegen FakeNews vorzugehen. Er will das natürlich an die Betreiber der sozialen Medien weitergeben und droht diesen mit Geldstrafen, wenn FakeNews verbreitet werden – ein absolut untaugliches Konzept.

Wie soll der Betreiber feststellen, was eine FakeNews ist? Soll er den offiziellen staatlichen Mitteilungen folgen und alles, was diesen nicht entspricht, löschen?

Was aber, wenn der Staat oder seine Organe selbst FakeNews produzieren? Ich denke da an die NAFRI (nordafrikanische Intensivtäter) in Köln, die sich dann als nicht-nordafrikanisch (von Intensivtätern keine Spur) herausstellten.

Oder wenn sich die Einmischung Putins in den US-Wahlkampf vielleicht als nicht zutreffend herausstellt? Eine Servernutzung im Internet ist ja kein eindeutiger Beweis für den Aufenthaltsort der Nutzer. Übrigens, warum reden alle über die Weitergabe der Mails von Hillary Clinton als Einmischung und nicht über den Wahrheitsgehalt der Inhalte?

Ich komme auf mein Lieblingsthema zurück:

Es hilft nur Bildung!

Nicht die Bildung im Sinne der politischen Konditionierung oder besser gesagt der Indoktrination, es geht mir um die Bildung im Sinne der Aufklärung – heute natürlich gepaart mit Medienkompetenz.

Eine FakeNews als solche erkennen ist nur ein Teil – wichtig ist zu erkennen, warum sie erstellt wurde. Dazu müssen wir die Menschen befähigen.

Die freiheitliche Zensur

Freiheit-luxemburgIm Internet, besonders in den sozialen Medien, herrscht absolute Meinungsfreiheit – so zumindest der allgemeine Wunsch der Nutzer. Menschen aller Coleur können sich frei äußern und müssen höchstens den Widerspruch der Andersdenkenden ertragen. Es findet keine Zensur statt!

Schön, wenn es so wäre.

Das freie Internet ist tot: Es herrscht eine Gruppenzensur, die letztendlich zur Selbstzensur führt. Wer in den sozialen Medien postet, bloggt oder online kommentiert, muss sich dieser Zensur beugen oder wird mit dem berüchtigten Shitstorm abgestraft. Aber das ist noch nicht alles.

Ein wenig Historie

Ich habe bis zu meinem 32. Lebensjahr in einem Staat gelebt, in dem alle Publikationen zensiert wurden. Das Credo dieser Zensur ist in einem Lied zu finden, welches ich allerdings nicht mehr singen musste. Die Kernpunkte lauteten:

1. Die Partei hat immer Recht!

2. Denn wer kämpft für das Recht, der hat immer recht!

Diese beiden Teile rechtfertigten die Zensur und alle Maßnahmen gegen Andersdenkende. Widerspruch oder gar Widerstand waren gefährlich und führten unter anderem zur sozialen Ausgrenzung. Abgesehen vom berühmten Rosa Luxemburg-Zitat zur Freiheit möchte ich hier Milan Kundera zitieren.

„Jede Unterdrückung von Meinungen, auch die gewaltsame Unterdrückung unrichtiger Meinungen, richtet sich im Endeffekt gegen die Wahrheit, weil die Wahrheit nur durch den Dialog der Anschauungen zu erlangen ist, die gleichberechtigt und frei sind. Jedweder Eingriff in die Freiheit des Gedanken und des Wortes, mag die Technologie und die Bezeichnung einer solchen Zensur noch so diskret sein, ist im zwanzigsten Jahrhundert ein Skandal und für unsere Anlauf nehmende Literatur eine Fessel.“ [1]

So sagte der Schriftsteller 1967 in Prag , auf dem IV. Kongress des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes. Wenn ich den Literaturbezug vernachlässige, dann ist Kunderas Meinung heute im einundzwanzigsten Jahrhundert so aktuell wie 1967.

Richtige und unrichtige Meinungen

Ob es den Menschen im Internet um Politik, Feminismus, Flüchtlinge, Terror, Veganismus, Religion, Ökologie oder andere Themen geht, es gibt immer mindestens zwei gegensätzliche Meinungen. Nach Kunderas Forderung wäre nun ein Dialog erforderlich um – was eigentlich zu erreichen?

Hier kommt meines Erachtens nach der erste Fehler, das Ziel des Dialogs, zu Tage:

Eine Meinung soll von allen als Wahrheit akzeptiert werden!

Da aber die eigene Meinung richtig ist, kann nur diese die Wahrheit sein. Daraus entsteht aber kein Dialog – es kommt zu Bekehrungsversuchen. Diese Stufe ist erreicht, wenn die eigene Meinung nicht einmal in Teilen zur Disposition steht, wobei diese oft nur ein Repetieren der Aussagen der gruppenspezifischen Meinungsführer ist. Die Form des Wahrheitsanspruchs ist dann ein Dogma, wie wir es aus der Religion kennen. Problematisch bei Dogmen ist, dass sie nicht nur wahr sind – sie sind auch immerwährend gültig. Die für mich beste Erklärung des Dogmas gibt der Mönch Jorge in „Der Name der Rose“.

“Es gibt keinen Fortschritt, es gibt keine epochale Revolution in der Geschichte des Wissens, es gibt nur fortdauernde und erhabene Rekapitulation.“[2]

Dogmen verhindern den Dialog und somit jeglichen Fortschritt.

Gewaltsame Unterdrückung von Meinungen

Gewalt definieren wir ja nicht mehr nur als körperliche Gewalt, sie hat viele Facetten. Der Shitstorm, das Mobbing und die neudeutsche „hatespeech“ haben eines gemeinsam: Sie sind Instrumente der Gewalt zur Diffamierung von Menschen. Ihre Anwendung soll zur sozialen Ausgrenzung führen. Dabei ist es egal, wer sie warum anwendet. Mit diesen Instrumenten wird ein Dialog verhindert und sie sagen mehr über den Anwender als über das Ziel aus. Ob nun körperliche Gewalt die Folge von diesen Instrumenten ist, darüber kann man sich streiten – es ist aber für diese Betrachtung unwichtig. Mir geht es allein um unsere Dialogunfähigkeit.

Freiwillig zensiert

So absurd es auch klingt, der Ruf nach Überwachung und Zensur wird lauter. Menschen, die für Meinungsfreiheit kämpfen und das Internet als den letzten Hort dieser sehen, fordern plötzlich Überwachung und Zensur. Natürlich unter anderem Namen und vielleicht ohne es zu bemerken (ich denke ja immer positiv).

Zur Erklärung sei gesagt, dass gerade betreffs Flüchtlingen und Terror die so genannte „hatespeech“ (deutsch Hassrede) in den sozialen Medien in einem unerträglichen Maß zunimmt. Als Beispiel, ohne Bezug zur Forderung nach Zensur, sei hier die „Hassparade“ von Enno Lenze aufgeführt. Es ist noch nicht einmal das Schlimmste was in den (a)sozialen Medien zu lesen ist.

Da niemandem einfällt, wie diese Unkultur beseitigt werden kann, wendet sich also ein Teil des Social-Media-Kindergartens an Erziehungsberechtigte wie Heiko Maas (Justizminister) und Manuela Schwesig (Familie und Soziales). Diese werden beauftragt, doch mal mit Mark Zuckerberg & Co. gemeinsam das Internet von diesen Auswüchsen zu befreien.

Es gibt jetzt Papiere, z.B. von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die Aufmerksamkeit aber auch Ablehnung finden – ein Beispiel ist die Bezeichnung „Social-Media-Stasi“ durch Don Alphonso. Bemerkenswert ist, dass hier letztgenannter als Hüter der Meinungsfreiheit auftritt. Auch daraus entwickelt sich kein Dialog, sondern nur gegenseitige Beschimpfungen am Rande der „hatespeech“ bzw. völlig sinnbefreite Nicht-Diskussionen.

Fazit

Das freie Internet ist tot, es ist wie Nietzsches Gott gestorben – die freiheitsliebenden User haben es mit dem Ruf nach Überwachung und Zensur getötet, weil sie nicht in der Lage waren, miteinander zu reden.

Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?[3]

Obwohl unnötig, eine Anmerkung zum Text. Ich meine: Wenn der Geist der Überwachung und Zensur einmal aus der Flasche ist und die Verantwortung für den Kampf gegen „hatespeech“ in die Hände des Staates gelegt wurde, dann gibt es keine Meinungsfreiheit mehr. Wie bei der Vorratsdatenspeicherung und anderen Instrumenten werden sich diese gegen jeden einsetzen lassen – und sie werden eingesetzt werden.

Bildquelle: https://twitter.com/Linksfraktion/status/554233656316006401

[1] Reden zum IV. Kongress des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes Prag, Juni 1967; Übers. Franz P. Künzel; Suhrkamp 1968

[2] Umberto Eco; Der Name der Rose; ISBN 3-353-00480-7; Verlag Vollk und Welt 1989; S 571

[3] Friedrich Nietzsche; Die fröhliche Wissenschaft; Aph. 125 – Der tolle Mensch

Die Stimme des Volkes

ist wohl eher nicht die Stimme Gottes (wenn es ihn denn gibt) im Sinne von „vox populi – vox Dei“. Eher trifft manchmal der AusspruchNec audiendi qui solent dicere, vox populi, vox dei, quum tumultuositas vulgi semper insaniae proxima sit.“ von Alkuin zu, der im Deutschen bedeutet:

Auf diejenigen muss man nicht hören, die zu sagen pflegen, ‚Volkes Stimme, Gottes Stimme‘, da die Lärmsucht des Pöbels immer dem Wahnsinn sehr nahe kommt.

So könnte ich argumentieren, wenn ich die Volksabstimmung über den BREXIT oder die Rufe der Menge „Führt die Todesstrafe ein!“ nach dem Putschversuch in der Türkei betrachte.

Es liegt mir aber fern, die Bürgerinnen und Bürger eines Landes, soweit sie einen repräsentativen Durchschnitt darstellen, mit dieser These zu beleidigen.

Es geht hier um zwei grundlegend verschiedene Betrachtungen. Hatten die Briten viele Monate Zeit sich eine Meinung zum EU-Verbleib zu bilden, so waren die Äußerungen der Erdogan-Anhänger aus der Situation direkt nach dem Putschversuch entstanden. Im Klartext, sie waren von Wut und Hass auf die Putschisten geprägt.

Trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten. Die Unterschiede überwiegen aber.

Der grundlegende Unterschied liegt in der Definition „Volkes Stimme“. In Großbritannien gab es eine Beteiligung von 72% der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger, von denen 51,9% für den Austritt aus der EU stimmten. Auch wenn es nicht wirklich die Mehrheit der gesamten Bevölkerung ist, persönlich betrachte ich die Nichtteilnahme an Wahlen und Abstimmungen als bewussten Verzicht auf mein Wahlrecht und somit Akzeptanz des Ergebnisses, kann man hier von „Volkes Stimme“ reden. Nicht zu vergleichen sind einige Tausend Demonstranten in der Türkei, die nach der Einführung der Todesstrafe schreien.

Auch wenn Herr Erdogan sagt:

„Ja, wir hören auf die Stimme des Volkes. Wir werden die Wiedereinführung der Todesstrafe juristisch prüfen lassen. Wir sind nicht rachsüchtig, aber alle wollen Gerechtigkeit“.

Hierbei handelt es sich nicht um „Das Volk“. Die Rufe kamen aus einer aufgeputschten Menge. Mit einigen Einheizern kann man, wie die Erfahrung lehrt, diese zum erwünschten Ergebnis leiten.

Um auch den Leser mit leitkulturellem Hintergrund des christlichen Abendlandes zu befriedigen, weise ich betreffend der Schwankungsbreite von „Volkes Stimme“ auf die christliche Mär der Osterzeit hin. Rief die Jerusalemer Bevölkerung am Palmensonntag dem Messias noch „Hosianna“ zu, so forderte sie am Karfreitag von Pilatus schon das berüchtigte „Kreuzige ihn!“.

Aber auch sonst ist die „vox populi“ im direkt demokratischen Prozess in Deutschland äußerst unzuverlässig. Wird ein Jugendlicher entführt, ich denke hier an den Fall Jakob Metzler und die Vorwürfe der Androhung von Gewalt gegen W. Daschner, so findet sich eine laute Stimme für die „Folter in Ausnahmefällen“. Es gibt auch in Deutschland Initiativen die „Todesstrafe für Kinderschänder“ fordern und seit dem Anwachsen der Flüchtlingszahlen gibt es schließlich PEGIDA & Co.

Laut ist die so genannte „Stimme des Volkes“ immer, aber drückt sie wirklich die Meinung der Menschen aus?

Ich meine, dass sie diese nicht ausdrückt. Sehen wir ab vom BREXIT, dann sehen wir überall laute Meinungsäußerungen einer Gruppe und eine schweigende oder höchstens flüsternde Mehrheit.

Was ich aber auch sehe sind Herrscher oder Politiker, die entweder diese lauten Stimmen zum eigenen Vorteil nutzen oder sie sogar fördern. Sei es aus Gründen des Machterhaltes in einer Diktatur oder aus wahltaktischen Gründen in einer Demokratie – wobei der Unterschied marginal ist was die Motivation betrifft.

Ich könnte hier noch lange über das Thema schwadronieren, ein taugliches Beispiel wären die Geschworenen-Gerichte in den USA – wo juristisch nicht gebildete Laien die „Stimme des Volkes“ darstellen und nicht über das Urteil, wohl aber über die Schuld des Angeklagten befinden. Die Fehlerquote dieser Urteile ist bekannt.

Ich bin ohne Einschränkungen für die Demokratie in der Form der „Herrschaft des Volkes“ in einer Republik (res publica – öffentliche Angelegenheit) und Formen der direkten Demokratie, wie Plebiszite.

Grundlage dafür muss aber eine wirkliche Meinungsbildung der Beteiligten sein, was natürlich schwer zu erreichen ist, da Interessengruppen hemmungslos beschönigen und lügen, um ihre Meinungen „unter’s Volk“ zu bringen. Eine andere Voraussetzung ist eine hohe Beteiligung an der Demokratie – nicht erst bei der Wahl oder der Abstimmung. Auch das ist schwierig, es geht oft um Themen, die nur Teile des Volkes betreffen. Aber letztendlich betreffen sie alle: Zum Beispiel könnte ja auch ich bei Vorliegen eines Verdachtes gefoltert werden, natürlich nur im Ausnahmefall.

So lange wir das nicht schaffen, werden wir nur eine „Demokratie der Schreihälse“ bekommen – also die negative Form der „vox populi“.