Schuld der Banken, Schuld der Politik

The (American) Republic will endure until the day Congress discovers that it can bribe the public with the public’s money.

Die (amerikanische) Republik wird überleben bis zu dem Tag, an dem der Kongress die Entdeckung macht, dass er die Öffentlichkeit mit öffentlichen Geldern bestechen kann.

Das Zitat von Alexis de Tocqueville (zumindest ihm zugeschrieben) und seine freie Übersetzung beinhaltet ja schon eine Antwort auf die Frage, die Robert Leicht in der ZEIT ONLINE stellt.

Wenn man nun Kongress durch Regierung ersetzt, dann sind wir ja schon hier bei uns, deshalb habe ich auch das „amerikanisch“ eingeklammert.

In einem der vorherigen Artikel habe ich, nach Jakob Maurer, unter Anderem über Schutzziele und Sachziele geschrieben.

Dazu ist natürlich folgendes anzunehmen. Schutzziele der Politiker und Parteien sind der Erhalt der Macht durch Regierungsbeteiligung und die Wahl bzw. Wiederwahl in die Regierung.

Da haben sie nun schon lange bemerkt, dass sie den Wähler mit seinem eigenen Geld, etwas anderes sind öffentliche Gelder ja nicht, kaufen können.

Und wenn die Gelder nicht reichen?

Dann leiht man sie sich – bei Banken.

Wenn die Banken kein Geld mehr geben wollen, dann verspricht und gewährt man ihnen Vorteile.

Somit haben wir einen Teufelskreis.

Wer ist nun schuld an der Krise?

Die Politik, die Banken, wir alle?

Haben wir nicht bemerkt, dass unser Geld nicht ausreicht um uns zu bestechen?

Warum ticken Politiker so, wir anderen auch?

Wenn ich die Beiträge der letzten Tage und Wochen so ansehe, dann frage ich mich das immer wieder. Heute, bei der ersten Zigarette des Tages fiel mir eine Diskussion vom Februar 2010 ein. Damals verfasste ich am Folgetag einen Text und schickte ihn meinem Diskussionspartner. Der Text ist aber eine verkürzte Fassung eines Werkes von Jakob Maurer. Meine Einfügungen sind kursiv geschrieben.

Quelle: Jakob Maurer, Mobilität ohne Grenzen Campus Verlag ISBN 3-59336-040-3

Menschliches Verhalten in komplexen Problemsituationen

 Maurer geht davon aus, dass komplexe Systeme ein nichtlineares Verhalten zeigen,mit der Komplexität des Problems steigen die maximal möglichen Interaktionen zwischen den beteiligten nicht-linear an. Außerdem erhöht sich die zu verarbeitende Informationsmenge über das maximal erfassbare Maß (bezogen auf die Beteiligten) hinaus.

Daraus folgt:

Die Unübersichtlichkeit der Problemsituation führt bei den beteiligten Akteuren zur Verunsicherung – mit allen Konsequenzen nicht-rationalen Verhaltens, unzureichender Problemlösungen und dadurch der Verursachung neuer Schwierigkeiten.

 Ganz allgemein ist beim menschlichen Handeln zwischen Sachzielen und Schutzzielen zu unterscheiden. Während die Sachziele der konkreten Problembewältigung dienen, beziehen sich die Schutzziele ausschließlich auf die  Positionssicherung und das (Wohl-) Befinden der agierenden Person.In unübersichtlichen, komplexen Problemsituationen dominieren rasch Schutzziele, und Sachziele treten in den Hintergrund. Krasser: Wer Schutzziele verfolgt trägt nichts zu einer sachbezogenen Lösung bei.

Er führt das noch weiter aus und bezieht sich in der Folge auf eine Studie von Dietrich Dörner zum Verhalten von Personen in der Konfrontation mit komplexen Problemen.

 Diese interdisziplinären Forschungen haben ergeben, dass folgende Verhaltensweisen Anzeichen für eine Dominanz von Schutzzielen gegenüber Sachzielen sind:

–        Zieldiskussionen ohne die Erarbeitung von konkreten Maßnahmen. In derartigen Diskussionen wird nur darüber geredet, was alles schön, angenehm, gut und erstrebenswert sei, ohne sich der Mühe zu unterwerfen, Wege und Möglichkeiten zu entwickeln, wie diese Ziele auch erreicht werden können.

–        Formalismus und Methodismus, d.h. Die übermäßige Betonung formeller und methodischer Regeln. Gesetze, Verordnungen, Normen, Richtlinien werden ohne ausreichende Detailkenntnis und ohne Problemübersicht erlassen. Mit eingespielten, teilweise „modischen“ Methoden, deren Problemadäquanz nicht näher untersucht wird, gaukelt man sich selbst und anderen Genauigkeit und Zuverlässigkeit der getroffenen Aussagen und Empfehlungen vor. Nicht die Problemsituation und deren Lösung stehen im Vordergrund, sondern etablierte Verfahren, für welche die passenden Probleme gesucht werden. Die solchermaßen erarbeiteten Vorschläge durchlaufen über Jahre hinweg Genehmigungsverfahren, die zwar Zeit in Anspruch nehmen und Kosten verursachen, jedoch oftmals nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen.

–        Dem Formalismus und Methodismus nahe verwandt ist die in den letzten Jahren modisch gewordene Managementphilosophie der Reorganisation: Die Ursache bestehender Probleme wird hauptsächlich in der formellen Organisation gesehen und die Problemlösung in deren Umstrukturierung gesucht.

–        Ein weiteres Anzeichen von Dominanz von Schutzzielen ist die „Projektemacherei“. Davon lässt sich dann sprechen, wenn tendenziell kein Projekt zur Ausführung gebracht wird, sondern als Konzept in der Schwebe bleibt, und wenn mit allen Nachfolgeprojekten in gleicher Weise verfahren wird. Dieses Vorgehen ist hervorragend geeignet, alle beauftragten Experten und Gruppen miteinander zu konfrontieren, ohne selbst Stellung zu beziehen zu müssen. Fehlervermeidung geht vor Problemlösung, gestützt auf die Taktik des  divide et impera.

–        Sehr beliebt ist auch die Taktik des „Schwarzen Peters“. Hierbei trachten die Beteiligten danach, beim Auftreten von Schwierigkeiten sich selbst abzusichern, indem sie anderen Akteuren oder einem (leider unzweckmäßigen, aber unumstößlichen) Verfahren die Schuld anlasten. Je länger und je komplizierter ein Verfahren wird, desto schwieriger wird es herauszufinden, wer eigentlich für was zuständig und damit verantwortlich ist.

–        Ein weiteres Indiz für die Dominanz von Schutzzielen ist die Informationsverweigerung. Wer in verantwortlicher Funktion an der Lösung komplexer Probleme mitwirkt, wird in der Regel gleichsam unter einer Masse von Informationen begraben. Aber mehr Informationen heißt keinesfalls mehr Wissen. Zu einer adäquaten Problemsicht gehört es daher, die verfügbaren Informationen zu analysieren, kritisch zu bewerten, in Beziehung zu setzen etc. Neue Informationen könne jedoch vorgefasste Meinungen, Handlungsroutinen und vermeintliche Sicherheiten in Frage stellen und verunsichern. Informationsverweigerung wurzelt daher in der Angst oder der Bequemlichkeit, zu bewerten, zu lernen und seine (vorgefassten) Meinungen und eingespielten Routinen zu verlassen.

–        Typisch sind auch Fluchtreaktionen. Schwierige Probleme lassen sich nur mit Mühe, persönlichem Einsatz und nicht selten erst nach mehreren Versuchen überhaupt ausreichend definieren.Die Lösung dieser Probleme setzt noch mehr Einsatz und Mühen voraus. Derartige schwierige Probleme gleichen wilden Katzen. Sie beißen, schlagen zurück, entwinden sich den Händen, um dann in der Dunkelheit zu verschwinden. Nicht selten erscheinen sie wenig später wieder am Futternapf.

Er führt hier natürlich zwischen den einzelnen Punkten, teilweise etwas aus zum Vorhergesagten, das würde hier aber den Rahmen sprengen.

Interessant erscheint mir noch das nachfolgende Resümee.

 Schwierige Probleme wirklich anzupacken setzt die beteiligten Verantwortlichen vielfältigen Gefahren aus: darunter die Gefahr zu versagen, die eigene Position aufs Spiel zu setzen, die eigene Macht zu verlieren. Um diesen Gefahren zu entgehen und sich selbst zu schützen, ist es angezeigt, ständig von einer Aufgabe zur nächsten zu wechseln. Ein Problem, das gerade in aller Munde ist, wird skizzenhaft umrissen und solange oberflächlich diskutiert, bis sich, wenn es ernst zu werden droht, die Chance bietet, zum nächsten Problem zu flüchten. Mit der Fluchtreaktion eng verwandt ist der Aktionismus. Wenn es an der Zeit ist zu handeln, wird energisches Vorgehen vorgetäuscht, um Entscheidungen und Verantwortung auszuweichen. Es bleibt bei flüchtiger Vorgehensweise, geringem Kenntnisstand und schemenhaften Lösungsansätzen.

Je größer eine öffentliche oder private Organisation ist, desto bedeutsamer werden für ihre Manager die Schutzziele. Im Extrem kann durchaus mehr als die Hälfte der Kräfte eines mittleren und oberen Kaders für Schutzziele eingesetzt werden.

Abschließend noch :

 Vor mehr als 30 Jahren untersuchten einige amerikanische Wissenschaftler (z.B. Banfield) das tatsächliche Handeln der Führungspersonen großer Organisationen. Hier die etwas überspitzt dargestellten Ergebnisse.

Die Leitungen großer Organisationen neigen ausgesprochen dazu:

–        opportunistisch und kurzfristig zu entscheiden,

–        von Krise zu Krise zu improvisieren,

–        Krisen zu schaffen, wenn gerade keine zur Hand sind,

–        ihre Position zu halten und mehr Macht zu gewinnen,

–        die wichtigsten Entscheidungen dem Zufall und den äußeren Umständen zu überlassen,

–        Planung als taktische Mittel und zur Propaganda einzusetzen, um Scheinsicherheit zu erzeugen,

–        Absichten mehrdeutig zu formulieren, sie nach der jeweilig vorherrschenden Stimmung und nach kurzfristigen Vorteilen zu interpretieren,

–        wirkliche Alternativen kaum in Betracht zu ziehen,

–        davon auszugehen, dass nur geringe Änderungen des Bestehenden möglich seien,

–        sich ständig zu überlasten, um sich überwiegend unmittelbar anstehenden Problemen zu widmen,

–        längerfristige Aufgaben zu verdrängen, um in der ständigen, taktischen Auseinandersetzung innerhalb und außerhalb der eigenen Organisation zu bestehen,

–        laufend kurzfristig wirkende Belohnungen und Bestrafungen zu erfinden und einzusetzen, um die Organisation in Gang zu halten,

–        Angriffe von außen und innen abzuwehren und selbst anzugreifen,

–        Unterstützung zu suchen, aufzubauen, zu pflegen und zu „bezahlen“.

 Soweit mal zu dem von mir gestern angesprochenen Komplex.