Missachtet, verrufen und verkannt – arbeiten im Callcenter

portrait-newxIch arbeite seit fast drei Jahren im Callcenter. Da hingekommen bin ich, wie die meisten der dort beschäftigten in meiner Altersklasse: Gute Ausbildung in Berufen, die nicht mehr gebraucht werden, Krankheit, Langzeitarbeitslosigkeit und Ähnliches waren für viele die Gründe. Ein Traumberuf war es wohl für kaum jemanden.

Woran liegt das?

Mein Selbsttest im erweiterten Bekanntenkreis zeigte die Absurdität der Situation.

Antwortete ich auf die Frage, was ich beruflich mache, mit „Ich mache technischen Support für einen Telekommunikationsanbieter“ war das eine interessante Tätigkeit. Sagte ich aber „Ich arbeite in einem Callcenter“, dann war ich der „arme Depp vom Dienst“. Witzig ist, dass ich in beiden Fällen die Wahrheit sagte.

Woher kommt die Missachtung dieser Tätigkeit?

Es liegt an einem, historisch gewachsenen Missverständnis des Begriffs Callcenter. Zusammenfassend gesagt, ist ein Callcenter ein „Telefon-Beratungszentrum“. Der Begriff sagt nichts weiter aus, schon gar nicht, ob es sich um eine Einrichtung eines Anbieters oder um einen externen Dienstleister handelt. Wie ich schon einmal beschrieben habe*, denkt aber jeder, der das Wort Callcenter hört, an unterbezahlte und schlecht ausgebildete Telefonisten, selbstverständlich bei einem externen Dienstleister.

Solche Callcenter gibt es, das bestreite ich nicht, aber nicht alle Callcenter sind so. In der Folge ist jetzt die Rede ausschließlich von externen Dienstleistern.

Ganz kurz ein historischer Rückblick: Mit dem Siegeszug des Telefons wurde dieses zur Erteilung und Annahme von Bestellungen und Aufträgen vermehrt genutzt. Rief man zuerst noch in der betreffenden Abteilung einer Firma an, so wurde mit wachsender Zahl an Telefonen der Bedarf an geschulten Mitarbeitern für Auftrags- und Bestellannahme und telefonischen Kundendienst immer größer. Es war also zwingend notwendig, dass Abteilungen oder Firmen für diese Dienstleistungen gegründet wurden. Zum Vergleich sei hier das Auto genannt. Als dieses noch ein teures Spielzeug bzw. in Firmen eine Ausnahme war, hatten diese einen angestellten Chauffeur, der gleichzeitig die Wartungs- und Reparaturaufgaben erledigte. Heute wundert sich niemand, dass Firmenfahrzeuge in Fachwerkstätten gebracht werden. Warum ist also das Callcenter als externer Dienstleister etwas anderes in der Sicht des Kunden?

Vielleicht liegt es daran, dass die ersten telefonischen Bestellannahmen mit Mitarbeitern besetzt wurden, die eine angenehme Telefonstimme hatten und nur nach einem bestimmten Schema Bestellungen annehmen konnten. Abweichungen waren nicht möglich – quasi ein McDonald’s Prinzip. Dort kann ich auch nichts anderes bestellen als das, was auf der Tafel abgebildet ist. Erlaubte Abweichungen sind nur „mit oder ohne Käse“. Möglicherweise hat der Kunde aber auch noch einen der ersten externen Dienstleister, das Adressen-Schreibbüro aus Falladas „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“, im Hinterkopf. Dort wurden Briefkuverts im Akkord adressiert. Enge, schlecht beleuchtete und stickige Räume mit Lärm von hunderten Schreibmaschinen bestimmten den Arbeitstag. Die Bezahlung war unter der Armutsgrenze und unterlag dem Ermessen des Chefs. Mit einem Wort ausgedrückt: Sklavenarbeit.

Natürlich gibt es noch den „Telefonisten“, sowohl im Inbound- als auch im Outbound-Bereich. (Für den Neuling hier eine Erklärung: outbound – das Callcenter ruft den Kunden an; inbound – der Kunde ruft das Callcenter an.) Diese „Telefonisten“ sind Callcenter-Agents, die, mit einem „wording“ (also einer Vorlage) ausgestattet, bei Kunden anrufen oder von ihnen angerufen werden, ihren Spruch aufsagen und versuchen etwas zu verkaufen, oder Informationen zu vermitteln und Ähnliches.

Genauso gibt es aber hoch spezialisierte, gut ausgebildete und mit modernsten technischen Mitteln ausgestattete Mitarbeiter, unter anderem im technischen Support, die nicht nur im Inbound-Bereich angesiedelt sind. Diese machen, obwohl bei externen Firmen beschäftigt, die gleiche Arbeit in der gleichen Qualität wie ihre Kollegen beim Auftraggeber.

Warum wird immer mehr ausgelagert und warum werden die Mitarbeiter der externen Dienstleister in der Regel schlechter bezahlt?

Zwei Punkte seien hier angesprochen. Zum Ersten liegt der Fokus bei der Firma, die ein Callcenter beauftragt, meist auf anderen Kompetenzen als auf der Gesprächsführung am Telefon. Diese kann durchaus als Kunst betrachtet werden, man muss sie lernen. In einem guten Callcenter werden Kommunikations-Profis ausgebildet.

Die geringere Bezahlung hat natürlich auch Gründe. Nicht unbedingt in erster Linie den gierigen kapitalistischen Callcenter-Besitzer. Den gibt es natürlich auch, aber die Älteren erinnern sich Anrufe bei Hotlines waren früher fast immer kostenpflichtig. Das heißt ein Callcenter trug sich durch die Einnahmen aus der Telefonie. Heute sind die meisten Service-Hotlines der großen Anbieter kostenlos. Das hat folgenden Effekt: Es wird schneller und öfter angerufen und daraus resultiert ein erhöhter Mitarbeiterbedarf. Die Kosten werden aus anderen Einnahmen des Auftraggebers beglichen. Das Callcenter als solches ist also am Firmenergebnis des Auftraggebers auf der Ausgabenseite angesiedelt. Es produziert Kosten.

Aber das Callcenter ist wichtig und wird weiterhin wichtig bleiben. Auch eine Verlagerung auf social media Kanäle ändert nichts daran. Es werden weiterhin Mitarbeiter benötigt die auf Twitter, Facebook und anderen Kanälen im Web tätig sind.

Was erwartet Mitarbeiter in einem Callcenter?

Als Erstes haben die Mitarbeiter fast unmenschliche Arbeitszeiten zu erwarten. Die Leute rufen an, wenn sie Zeit haben oder wenn ein Problem auftritt. Tag und Nacht, zu jeder Jahreszeit, unabhängig von Sonn- und Feiertagen. Im technischen Support, in der Reklamation und auch im Verkauf erwarten den Mitarbeiter aufgebrachte, genervte und meist hilflose Kunden, die vor einem Problem stehen.

Kann das Spaß machen?

Sehen wir es doch sportlich: Mitarbeiter werden, wenn sie es lange genug aushalten, zu Troubleshootern. Aufgebrachte Kunden beruhigen, ärgerlichen Kunden ein Lachen abringen – das macht Spaß und ist oft befriedigend. Probleme lösen oder die Lösung anstoßen macht auch Spaß. Kommt eine gute betriebliche Ausbildung, eine ausreichende technische Ausstattung und natürlich ein gutes Team dazu, dann ist es fast perfekt.

Wieviel verdient ein Callcenter-Agent?

Reich wird man nicht, aber man kann davon leben. Hier kommt nun aus meiner Erfahrung der für den Arbeitnehmer wichtigste Unterschied zwischen Callcentern zum Vorschein: Ein vernünftiges Grundgehalt mit festen Stundensätzen und einem geringen Anteil an „Sonderleistungen“, etwa Provisionen, Gratis-Kaffee und Ähnliches, kennzeichnet ein gutes Callcenter.

Gefährlich wird es, wenn „üblicherweise 8 Stunden“ Tagesarbeitszeit zugesagt werden, aber nur 6 Stunden im Vertrag stehen. Stundenlöhne, die an Provisionen gebunden sind, oder geringe Stundenlöhne mit dem Versprechen nach dem Motto: „durchschnittlich bekommt jeder Mitarbeiter monatlich xxx € Provision“ – wenn man das hört gibt’s nur eins: rennen, so schnell man kann.

Zurück zur Ausgangsfrage: Es gibt solche und solche Callcenter – findet man das richtige, dann hat man einen richtigen Beruf**.

P.S.: Dieser Artikel ist kein Loblied auf die Arbeit im Callcenter. Ich beabsichtige lediglich, mit einigen Klischees aufzuräumen. Es gibt nicht DAS Callcenter. Wie in jeder Branche gibt es „gute“ und „weniger gute“ Firmen. Der Beruf des Callcenter-Agents wird oft unterschätzt und missachtet, auch von den Mitarbeitern der Agentur für Arbeit. Mein Großvater hätte an deren Stelle gesagt: „Junge, lerne einen ordentlichen Beruf. Im Callcenter arbeiten kannst Du immer noch.“ Diese Meinung hindert Arbeitssuchende daran, sich selbst ein Bild vom Beruf des Callcenter-Agents zu machen.

* https://tom-coal.com/bin-ich-froh-dass-ich-nicht-wieder-nur-in-einem-callcenter-gelandet-bin/

** Zum Beruf Callcenter-Agent lesenswert http://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschafts-und-finanzportal/das-dargebotene-ohr-1.18257245

Ich vernachlässige mein Blog,

meinen einige Bekannte. Der Grund ist, dass ich in letzter Zeit weniger veröffentliche.

Zur Erklärung sei gesagt, dass einige meiner Beiträge anderswo erschienen sind.

Zu Piratenthemen habe ich für die Flaschenpost drei Beiträge geschrieben, die ich meinen Lesern hier vorstellen möchte.

Der letzte Beitrag sei hier zuerst genannt.

Am 12.06.2014 schrieb ich unter dem Teaser:

„In Deutschland unterliegen die Nachrichtendienste weitgehend der datenschutzrechtlichen Kontrolle, aber die Gesetze klammern den Bereich der Auslandsüberwachung weitgehend aus.“ sagte Peter Schaar am 11.12.2013 im Handelsblatt. Unser Gastautor Thomas Köhler hat den rechtsfreien Raum, bei der Echtzeit-Überwachung der sozialen Netzwerke, gesucht.

über meine Meinung zur Echtzeitüberwachung der sozialen Netzwerke durch den BND.

Dass Meckern nach der Wahl wenig hilfreich ist wissen alle. Einige Gedanken dazu habe ich am 01.06.2014 geäußert.

Der erste Artikel für die Flaschenpost war die Vorstellung „Meiner Netzpartei“ am 10.04.2014. Meine Meinung zur Piratenpartei mag einigen naiv erscheinen, aber sie ist wenigstens ehrlich.

Für die Zukunft werde ich im Blog auf diese Artikel hinweisen. Selbstverständlich schreibe ich auch hier weiter. Die Flaschenpost ist ab sofort im Blogroll zu finden.

Peter Tauber zitiert Jean-Luc Picard.

 

Peter Tauber schimpft in seinem Artikel auf Frank Schirrmacher und Martin Schulz.

Peter Tauber schreibt über Netzexperten und Kulturpessimisten.

Da stimme ich als Pirat doch mal ein.

Der „schwarze Peter“ hat eine größere Schnittmenge mit Frank Schirrmacher als ihm bewusst ist – oder als er zugibt. Beide wollen etwas retten: Frank Schirrmacher ein analoges Medium, die FAZ, und Peter Tauber die analoge Politik der CDU in der digitalen Welt.  Damit ist natürlich der Kulturpessimismus der FAZ erklärbar und auch die Erklärbär-Mentalität des Peter Tauber, der nicht müde wird zu betonen, warum man dem Internet einen „analogen Deckel“ verpassen muss.

Die einzige „Netzexpertin“ der CDU ist ja Angela Merkel, die ich für Ihre „Neuland-Erkenntnis“ bewundere. Ja, ihr Spötter aus meinen Kreisen, es war eine Sternstunde als sie das zugab.

Alle anderen behaupten ja, es gäbe so etwas wie „Netzexperten“. Den Nachweis dieses Expertentums bleiben sie uns aber schuldig.

Zurück zu Peter Tauber. Mein „Blogger-Kollege“ und überdies der Generalsekretär der CDU schreibt also über das Internet und wie es die Welt verändert. Recht hat er: Es hat die Welt verändert und wird sie weiter verändern.

Wenn auch über den Enzensberger-Umweg – Martin Schulz als „Maschinenstürmer“ zu bezeichnen, war eine gute Idee und sie zeigt genau den Punkt, an dem seine weitere Argumentation geradezu absurd wird.

Wie war denn das mit den Maschinenstürmern? Sie wehrten sich gegen die Mechanisierung der Produktionsarbeit, um ihren Status quo zu erhalten. Sie verloren den Kampf und aus der alten, noch feudal dominierten Gesellschaft entstand die bürgerliche Gesellschaft. Die Maschinenstürmer waren sich nicht bewusst, dass dies geschehen würde, und kämpften nicht gegen die gesellschaftliche Veränderung. Sie kämpften um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Die Mechanisierung setzte aber viel umfassendere Veränderungen in Gang. Heute nennen wir das „gesellschaftlichen Fortschritt“.

Unter diesem Gesichtspunkt müsste die Folge der „digitalen Revolution“ ebenfalls eine gesellschaftliche Veränderung sein.

Ob nun die Rede vom Staat (Rechtsstaat), von den „Säulen unserer Wirtschaft“, von den Steuereinnahmen oder auch der Arbeitswelt ist, die Argumentation von Peter Tauber erscheint als analoge Argumentation im digitalen Gewande.

Peter Tauber meint immer die „digitalisierte bürgerliche Gesellschaft“, nicht eine tatsächlich durch Fortschritt veränderte Gesellschaft.

Somit ist sein unvollständiges Picard-Zitat „der Erwerb von Reichtum (…) nicht mehr die treibende Kraft in unserem Leben“ zwar gut gemeint, aber als Antrieb für seinen Artikel ist diese Aussage nicht glaubhaft.

Ich weise darauf hin, dass „Raumschiff Enterprise“ eine US-amerikanische Weltsicht der 70er Jahre transportiert – den „american way of life“ – als Heilmittel für alle Galaxien. Die Zitate in seinem Artikel sind wohl mit Bedacht gewählt um dies zu verschleiern.

Wir Piraten betrachten das Internet und die digitale Revolution als Grundstein und Auslöser für gesellschaftliche Veränderungen, für gesellschaftlichen Fortschritt.

„Möge die Macht mit uns sein!“ [Meister Yoda, Star Wars]