Sonntagsarbeit im Callcenter – ich bin enttäuscht!

Einleitend sei gesagt, dass ich nicht unbedingt Sonntags arbeiten will – ich bin schließlich am unteren Ende der Nahrungskette im Callcenter – aber ich sehe die Probleme, die mit einem Verbot der Sonntagsarbeit auf uns zukommen.

Umso mehr enttäuschen mich sowohl die Branchenvertreter als auch die Gewerkschaft ver.di.

Auch wenn der zuständigen ver.di Bundesfachgruppenleiter Ulrich Beiderwieden im Interview mit callcenterprofi.de den arbeitsfreien Sonntag als „soziale Errungenschaft, … Tag der Ruhe und Erholung“ deklarierte und als unverzichtbar bezeichnete, so ist für mich die Klage von ver.di Hessen gemeinsam mit der evangelischen Kirche Hessen-Nassau unverständlich.

Die soziale Errungenschaft der letzten Jahrzehnte war der arbeitsfreie Samstag – also die 40-Stunden-Woche. Die Gewerkschaften forderten ja „Samstags gehört Vati mir“. Der Sonntag ist ein arbeitsfreier Tag mit christlichem Hintergrund, fixiert im Grundgesetz und übernommen aus der Weimarer Reichs Verfassung von 1919. Es geht mir hier um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Kommt nun als nächstes die Forderung die Callcenter Samstags auch zu schließen?

Noch einmal kurz zum Ausgangspunkt: Am 26. November urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zur Sonntagsruhe in Hessen, ich schrieb darüber. Unter anderem für die Callcenter wurde mit diesem Urteil die Sonntagsarbeit verboten.

Im verlinkten Artikel äußerte ich mich noch verhalten optimistisch und schloss aus, dass die Arbeit ins Ausland verlagert wird. Ich gab allerdings zu bedenken:

Einige Mitarbeiter werden ihre Jobs verlieren, weil für eine 6-Tage-Woche ein anderer Personalschlüssel gilt als für eine 7-Tage-Woche.

Zu dem Zeitpunkt rechnete ich noch fest mit juristischen Reaktionen der Branchenvertreter, stellvertretend dem Call-Center-Verband (CCV). Eine kurze Erklärung zum CCV, dieser ist kein tariffähiger Arbeitgeberverband sondern ein Interessenverband und vertritt Unternehmen die ca. 35% der Callcenter-Arbeitsplätze repräsentieren.

Leider beschränkte sich die Reaktion der Verbandsmitglieder auf reine Schadensbegrenzung, die auf Kosten der Beschäftigten geht.

So bietet Gerald Schreiber, Geschäftsführer der davero gruppe, betroffenen Unternehmen „Hilfe vom Bosporus“ an. Er steht da nicht allein mit den Nearshore-Lösungen. Die wenigsten wissen ja, dass in der Türkei viele deutschsprachige Menschen leben. Einige Callcenter haben dort schon Niederlassungen, die außer dem Serviceangebot in türkischer Sprache für Deutschland  auch ganz normale Callcenter-Tätigkeiten für Deutschland anbieten.

Auch der Ausbau von Voice-Self-Services soll in Zukunft verstärkt werden. Es wird also verstärkt auf automatisierte Systeme gesetzt werden.

Die erste Lösung ist kurz- und mittelfristig durchsetzbar, bei Erfolg wird sie sich aber nicht auf die Sonntagsarbeit beschränken sondern komplett Arbeitsplätze aus Deutschland ins Ausland verlagern.

Die zweite Lösung ersetzt einfach Beschäftigte durch Maschinen, Ansätze werden bereits geprüft, das Urteil wird die Einführung der Systeme beschleunigen.

Einige Anmerkungen zur Branche erscheinen mir hier erforderlich.

Die Branche umfasst ca. 500.000 bis 600.000 Beschäftigte* und ist somit wohl die größte Branche in Deutschland ohne Tarifvertrag. Die Branche gliedert sich in inbound- und outbound-Bereiche, das Urteil gilt ausschließlich für den inbound-Bereich da die outbound-Telefonie zeitlich eingeschränkt und Sonntags komplett verboten ist. Als lesbare Zusammenfassung für Einsteiger empfehle ich einen älteren Artikel oder den Artikel Callcenter-Die Branche von Matze.

Wenn wir von dem Verbot der Sonntagsarbeit sprechen, geht es allein um Callcenter die der Kunde aus verschiedenen Gründen anrufen will oder muss. Wir reden von Kundenbedürfnissen und von den Bedürfnissen der Mitarbeiter.

Versteht also bitte meine Enttäuschung.

Die Gewerkschaft ver.di hat Teil an der Initialzündung für den Arbeitsplatzabbau in der Call-Center-Branche, wenn auch aus ehrenhaften Motiven, und die Unternehmervertretung reagiert indem sie genau dies forciert.

Der Kunde wird letztendlich nicht viel oder gar nichts davon bemerken, beide vorgenannten Lösungsansätze der Arbeitgeberseite zielen darauf hin.

Wir, die Beschäftigten der Branche, die ab 01.01.2015 erstmals durch die Einführung des Mindestlohnes aus dem Billiglohnsektor herauskommen, werden die Rechnung bezahlen.

Ein Lösungsansatz im Interesse aller wäre es, wenn die Unternehmer endlich einen tariffähigen Arbeitgeberverband gründen und in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, ob nun ver.di oder DPVKOM, einen Flächentarifvertrag, der auch die Sonntagsarbeit regelt, abschließen.

Damit ist aber eher nicht zu rechnen – ich werde nicht der Einzige sein der enttäuscht ist.

* Die Zahlen sind nicht eindeutig, da die verlinkte Statistik nur für 2013 gilt.

Google muss zerschlagen werden!

Das meint die EU-Kommission und reichte einen Entschließungsantrag ein. Diesen zu lesen ist eine Herausforderung für einen normalen Menschen, wichtig ist aber der Titel des Antrages:

„zur Stärkung der Verbraucherrechte im digitalen Binnenmarkt (2014/2973(RSP))“.

Ich will jetzt nicht den Nico Lumma machen, er hat das von seiner Warte aus schon durchaus satirisch beschrieben. Seinem Text kann man zustimmen, muss man aber nicht.

Mir geht es vielmehr um die Verbraucherrechte mit denen die EU-Kommission ihre Forderung begründet.

Nach ganz vielem ‚gestützt auf‘ und ‚unter Hinweis auf‘ kommt die Kommission dann gleich auf den Punkt:

A. in der Erwägung, dass der digitale Binnenmarkt ein Bereich des Fortschritts ist, in dem zwar Herausforderungen bestehen, jedoch Potenzial für hohe Effizienzgewinne vorhanden ist, die sich auf bis zu 260 Milliarden EUR im Jahr belaufen könnten und somit dazu beitragen, dass Europa die Krise überwindet; [1]

Vor den Verbraucherrechten kommt also erst mal das Geld.

Was lese ich denn nun über Google? Namentlich ist Google nicht genannt, aber hier ist die Forderung:

10. weist darauf hin, dass der Markt der Online-Suche von besonderer Bedeutung für die Wahrung der Wettbewerbsbedingungen im digitalen Binnenmarkt ist, da Suchmaschinen sich zu Gatekeepern entwickeln und über die Möglichkeit verfügen können, die bezogenen Informationen kommerziell weiter zu verwerten; fordert die Kommission daher auf, die Wettbewerbsregeln entschlossen durchzusetzen, die anhand der Beiträge sämtlicher einschlägiger Interessenträger erstellt wurden, und die gesamte Struktur des digitalen Binnenmarkts zu berücksichtigen, damit Lösungen ermittelt werden, die tatsächlich Verbrauchern, Internetnutzern und Online-Unternehmen zugutekommen; fordert die Kommission darüber hinaus auf, Vorschläge in Betracht zu ziehen, die darauf abzielen, Suchmaschinen von anderen kommerziellen Dienstleistungen abzukoppeln, da dies ein langfristiges Mittel sein kann, die vorstehend genannten Ziele zu erreichen; [1]

Also die Suchmaschine soll nichts anderes machen als eben suchen und Suchergebnisse ausgeben. Da hat die Kommission aber die Entwicklung des Internets verschlafen. Google war eine Suchmaschine als die EU-Wirtschaft noch dachte, dass mit dem Internet kein Geld zu verdienen ist. Heute ist Google ein Internetkonzern der eine Suchmaschine, als Gatekeeper für seine anderen Produkte, betreibt. Von diesem Konzern strikte Neutralität der Suchergebnisse zu verlangen ist absurd.

11. betont, dass bei der Nutzung von Suchmaschinen der Suchvorgang und die Suchergebnisse frei von Verzerrungen sein sollten, damit die Internetsuche frei von Diskriminierung bleibt, mehr Wettbewerb und Auswahl für Nutzer und Verbraucher sichergestellt werden sowie die Vielfalt an Informationsquellen erhalten bleibt; stellt daher fest, dass die Auflistung, Bewertung, Darbietung und Reihenfolge von Ergebnissen bei Suchmaschinen frei von Verzerrungen und transparent sein und dass Suchmaschinen bei verknüpften Dienstleistungen umfassende Transparenz gewährleisten müssen; fordert die Kommission auf, jeglichen Missbrauch bei der Vermarktung von verknüpften Dienstleistungen durch Suchmaschinenbetreiber zu unterbinden; [1]

Mehr Wettbewerb und Auswahl für Nutzer und Verbraucher wird sich mit einem Google Algorithmus nicht erreichen lassen. Das ist nicht im Sinne des Konzerns Google.

Die Konsequenz der EU-Kommission besteht nun darin zu fordern, dass Google zerschlagen werden muss. Ist das erforderlich?

Ich meine, dass der einfache Weg der Zerschlagung falsch ist und keinesfalls die Verbraucherrechte stärkt.

Wichtiger wäre mir die Bildung der Verbraucher, z.B. die Aufklärung wie eine kommerzielle Suchmaschine arbeitet und wie die Suchergebnisse zu bewerten sind.

Der Verbraucher muss in der Lage sein sich für eine Suchmaschine zu entscheiden, dafür kann die EU-Kommission viel tun. Zum Beispiel kann auf EU-Ebene die Entwicklung und den Betrieb einer nicht kommerziellen Suchmaschine gefördert werden.

Die Erwägung, dass in einigen Bereichen des digitalen Binnenmarkts aufgrund einer übermäßigen Marktkonzentration und marktbeherrschender Akteure Schwachstellen zu verzeichnen sind;[1] ist korrekt aber nicht das Verschulden von Google. Diese Konzentration ist dem Versagen der europäischen Wirtschaft geschuldet. Durch dieses Versagen konnte Google seine Marktmacht erringen.

Die Forderung nach der Zerschlagung von Google ist eine Kapitulation, nichts anderes.

[1] Entschließungsantrag 24.11.2014 eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Kommission gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung zur Stärkung der Verbraucherrechte im digitalen Binnenmarkt (2014/2973(RSP))

P.S. Ich bin kein Google-Fan. Zwar habe ich einen Account bei G+ und eine gmail-Adresse, diese nutze ich aber wenig. Es würde auch ganz ohne Google gehen, Suchmaschinen gibt es zur Genüge und ich bin ein mündiger Bürger.

 

Eine Polemik zum Callcenter

Mein Freund Matze hat eine kleine polemische Betrachtung zur Arbeit im Callcenter geschrieben. Diese möchte ich den Lesern meines Blogs nicht vorenthalten.

Service – Eine Polemik

Wenn ihr ihn braucht, muss er sofort verfügbar sein, er muss kompetent, umfassend, freundlich, geduldig und zu euren Gunsten erfolgen. Und vor allem: er darf nichts kosten, eigentlich solltet ihr sogar eine Gutschrift erhalten. Auerdem heißt Service natürlich, dass der Knecht euch, den Königen, alles möglich macht, sonst muss halt die nächsthöhere Instanz ran!

Weiter geht es in matze’s Blog

P.S. Kommentare bitte bei Matze.