Wenn die Antwort Nationalismus ist,

dann war nicht die Frage falsch gestellt, sondern die anderen möglichen Antworten wurden nicht akzeptiert. Das liegt an der Fragmentierung der nicht-nationalistischen Antwortgeber. Es wird Zeit für eine Defragmentierung der Gesellschaft.

Begriffsbestimmungen

Nationalismus: Ich fasse unter dem, hier negativ konnotierten, Begriff Fremdenfeindlichkeit, Abschottung, falsch verstandene Leitkultur und vieles andere mehr zusammen.

Fragmentierung/Defragmentierung: Ihr erinnert euch, als unter MS-DOS und Windows 3-98 die Dateien auf den Festplatten nach längerem Gebrauch so stark fragmentiert waren, dass die langsamen Prozessoren Mühe hatten diese zu finden und zusammen zu führen. Die Festplatte wurde defragmentiert – d.h. die Dateien wurden zusammengeführt und der Rechner lief wieder schneller.

Fragmentierung der Gesellschaft

Eine Gesellschaft ist immer fragmentiert, in Besitzende und Besitzlose, Gebildete und weniger Gebildete, Stadt und Land, Konservative und Progressive, Nationalisten und Internationalisten und ähnliches. Das ist normal, wenn die einzelnen Teile sich nicht immer weiter aufspalten. Heute haben wir aber genau diese Fragmentierung auf der Seite der „gebildeten progressiven internationalistischen Stadtbevölkerung“. Das soll die Landbevölkerung nicht ausschließen, aber die Meinungsführer sitzen in den Städten.

Fragmente

Ich nehme hier mal als Beispiel den korrekten Sprachgebrauch, das heißt diskriminierungsfreie Sprache. Es ist unstrittig, dass im heutigen Sprachgebrauch diskriminierende Bezeichnungen wie „Neger“, „Zigeuner“ und ähnliche nichts mehr zu suchen haben. Bedeutet das aber auch: „Wir müssen die Literatur der Vergangenheit verbieten oder ändern!“ und „Wenn wir diese Worte vermeiden dann ist alles gut!“? Weiter geht es mit gender-gerechter Sprache, hier steht die Frage: „Ist die Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht, wenn wir sie korrekt und umfassend bezeichnen?“ Besonders schön für die LeserInnen ist der Streit um „Binnen-I“ (welches ich bevorzuge) oder den korrekten Einsatz des „Gender*“. Die aggressiven Vertreter einer diskriminierungsfreien Sprache fragmentieren das Thema akademisch weiter, bis zu dem Punkt an dem das berechtigte Anliegen nicht mehr erkennbar ist. Selbst interessierte BürgerInnen steigen dann aus und wenden ihnen den Rücken zu. Diese werden dann als konservativ (im Sinne von rückschrittlich) – im schlimmsten Falle als faschistisch beschimpft.

Identität

Viele kluge Menschen haben über Identität geschrieben, so in letzter Zeit Francis Fukuyama, dessen Identity ich inzwischen gelesen habe, Robert Pfaller in seinem taz-Interview und auch ich habe mich dazu geäußert (ohne das „klug“ für mich in Anspruch nehmen zu wollen). Trotzdem komme ich auf den eigenen Artikel zurück, ich zählte dort einige meiner möglichen Identitäten auf:

Mann; Europäer; Deutscher, Ex-DDR-Bürger; Leipziger (wohnhaft); Sachse (Geburt); österreichisch-böhmisch (Abstammung väterlich); brandenburgisch-thüringisch (Abstammung mütterlich); Weiß (angeblich wichtig); alt (selbsterklärend); heterosexuell (lebend); bisexuell (veranlagt); Ingenieur; Schlosser; Ex-Soldat; nicht-pazifistischer- Kriegsgegner; Russland Liebender; Bibliophiler; Prokrastinateur; technik-affiner Übertechnisierungs-Gegner; tierliebender Haustier-Gegner; Fleischesser, Blogger, Marx (Karl und Reinhard) Mögender, Kapitalismus-Kritiker; Real-Existierender-Sozialismus- Gegner; Ostalgie-Verweigerer; ex-katholischer Agnostiker; Religions-Interessierter; Call- Center-Agent; selbst Denkender, AufschreibenderMensch!

Ich habe für mich, wie in dem Artikel beschrieben, die Identität als Mensch und Arbeiter festgestellt. Leider ist das nicht so einfach zu verallgemeinern.

Linke Fragmentierung

Das nachfolgende Zitat stammt von Robert Merle. Das mag heute schon für manch eine/n ein Affront sein, schließlich war er, wenn auch eher links stehend, ein Macho reinsten Wassers. Kann so einer überhaupt etwas zum Diskurs beitragen?

Bekannter ist wohl der Streit zwischen der „Volksfront von Judäa“ und der „Judäischen Volksfront“ bei Mounty Python. Wenn wir uns also unter unter den angeblich die arbeitenden Menschen vertretenden Gruppen umsehen dann finden wir die „seltsamsten“ Grüppchen. Als Beispiel würde ich jetzt die „Binnen-I bevorzugenden vegan lebenden antikapitalistischen FeministInnen“ vs die „Gender* benutzenden fleischessenden sozialdemokratischen FrauenrechtlerInnen“ konstruieren. Aber egal worin sie sich unterscheiden, diese Gruppen kämpfen nicht in erster Linie um soziale Gerechtigkeit – sie kämpfen oft gegeneinander um die Deutungshoheit über Begriffe.

Nationalistische Defragmentierung

An dieser Schwachstelle der linken Bewegungen setzen Nationalisten an. Sie defragmentieren ihr Klientel mit der Aussage „Wir sind in erster Linie Deutsche“ (oder Briten, US-Amerikaner usw) und schaffen somit eine vermeintlich einigende Identität. Vermeintlich meine ich, weil diese Pseudo-Identität Unterschiede übertüncht. Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den ArbeiterInnen im Mindestlohnsektor und dem Vorstandsvorsitzenden eines DAX-Konzerns mit Millionengehalt? Beide eint, wenn sie per Definition Deutsche sind, nur die „Gnade der Geburt im gleichen Land“ und eine gemeinsame Muttersprache. Es klappt aber, weil die „Wanderprediger der reinen Lehre“ die linken Bewegungen immer weiter fragmentieren und somit die „einfache“ nationale Identität für viele Menschen wieder attraktiv wird.

Fazit

Den Kampf gegen Nationalismus gewinnen wir nicht, indem wir die linke Bewegung weiter aus wahltaktischen, parteipolitischen oder egomanischen Gründen fragmentieren. Wir brauchen einen linken Minimalkonsens und eine linke Identität die für Menschen attraktiv und glaubhaft ist. Wer sich jetzt an meinem Gebrauch des, bewusst eingesetzten, Begriffs Nationalismus stört – die/der bedient genau das was ich meine. Sie/Er will eine Grundsatzdiskussion über Worte.

Wie gehen wir das an?

P.S.: Einer der Gründe warum ich Pirat (also Mitglied der Piratenpartei) bin ist, dass sich dort Menschen treffen die zu vielen Dingen verschiedener Meinung sind, die sich auch mal lauthals streiten – im Großen und Ganzen aber ein gemeinsames (eher linkes) Ziel verfolgen.

Nachdem die „Wanderprediger“ weiter gezogen sind besteht wieder Hoffnung, dass wir es nicht erneut versemmeln.

Titel-Bild von Elivelton Nogueira Veto auf Pixabay

Bedingungen – Ausschlusskriterien

Eigentlich wollte ich den Artikel über Bedingungen und Ausschlusskriterien „Jesus und linke Gesinnung“ nennen, aber das wäre wohl missverständlich gewesen. Damit ist wohl erkennbar, worum es gehen soll und so beginne ich, wie schon oft, mit einem historischen Exkurs. Für die Wissenschaftler aller Coleur unter den Lesern sei gesagt: „Ich vereinfache gnadenlos – Das ist kein wissenschaftlicher Artikel!

Christen und Ausschlusskriterien

Lang ist es her, an die 2000 Jahre, da traten die ersten Christen in die Gesellschaft des römischen Reiches hinein. Ihr Glauben war einfach, denn Jesus (ihr Prophet) hatte gesagt:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. [Joh. 5.2]

An Jesus als den „Gesandten Gottes“ und also an Gott zu glauben, einige klare Regeln zu befolgen – das war einfach. Sie gründeten also Gemeinden, überzeugten andersgläubige Menschen, trotzten Verfolgung und Gefahren. Am Ende wurde das Christentum eine Herrschaftsreligion mit Bedingungen, wie der Einhaltung von Ritualen, dem Herrschaftsanspruch des Papstes und ähnlichem, was folglich zu Ausschlusskriterien führte. Der Glauben an Gott und den Gesandten reichte nicht mehr, wer z.B. nicht an die Jungfräulichkeit Mariens glaubte, war ausgeschlossen.
Genug mit dem Christentum – gehen wir zu den linken Ausschlusskriterien. Wenn ich hier von „Linken“ spreche, beschränkt sich das nicht auf die Partei dieses Namens.

Linke und Ausschlusskriterien

Das gleiche (zumindest ähnliche) Bild finden wir in der linken Bewegung, historisch gesehen: In der Arbeiterbewegung.
Zu Beginn war es einfach: Soziale Politik für die Unterdrückten stand der linken Bewegung im Sinn – die revolutionäre Erhebung der Unterdrückten als Ziel der Bewegung war nicht der allgemeine Konsens, es gab durchaus auch zu Beginn Strömungen, die den rein politischen Weg verfolgten.
Die erste Bedingung, die zu Ausschlusskriterien führte, war 1917 mit der siegreichen Revolution in Russland geschaffen. Wer nicht an das Vorbild der Sowjetunion und der KPdSU(B), die Unausweichlichkeit der (blutigen) Revolution und den Internationalismus glaubte – der konnte nicht (im Sinne der Kommunisten) links sein. Bestrebungen der Transformation der kapitalistischen Gesellschaft, einer nationalen parlamentarischen Arbeit – die erst die nationale Verbesserung der Lage der Arbeiter anstrebte und nicht die internationalistische Arbeit in den Vordergrund stellte – waren kleinbürgerlich revisionistisch, ihre Vertreter wurden als „nicht links“ betrachtet.
Die Spaltung in Kommunisten und Sozialdemokraten sowie der Sieg des Nationalsozialismus sind geschichtliche Fakten, die ich hier nicht näher erklären muss aber ich sehe im Ausschluss von Menschen aus der linken Bewegung durch die gestellten Bedingungen eine gewisse Kausalität.

Linke Ausschlusskriterien heute

Ich möchte diese Kriterien am Beispiel der Piratenpartei in Deutschland erläutern, nicht weil ich dieser schaden will (ich gehörte ihr an – bin aber ausgetreten als die Bedingungen zu rigide wurden). Sie bietet sich einfach als Beispiel an – andere linke Parteien kranken an den gleichen Symptomen, nicht zuletzt dadurch, dass die „Wanderprediger der Bedingungen“ zu diesen weiter gezogen sind.
Die Piratenpartei gründete sich (nach meinem Verständnis) als Partei von Menschen, welche die Freiheit des Internets verteidigen wollten. Die Freiheit des Internets bedeutet hier: „Freiheit der Kunst, Kultur und Bildung“. Freier Zugang zu den Inhalten für alle Menschen – möglichst kostenfrei oder zumindest für alle erschwinglich. Das ist durchaus ein linker Ansatz.
Was dann kam, habe ich 2012 beschrieben. Medien und andere Parteien suchten genüsslich nach Schwachstellen und fanden diese in „rechten Tendenzen“ einiger Mitglieder und Strömungen. Durch die Auseinandersetzung mit (vermeintlich) rechten Tendenzen, welche durch eine in der DNA der Piratenpartei eingeschriebene Öffentlichkeit des Streits noch weiter befeuert wurde, gewannen die „Wanderprediger der Bedingungen“ – besser „Wanderprediger der reinen linken Ideologie“ – an innerparteilicher Macht und versuchten die Piraten auf Linie zu bringen. Bedingungen wurden Antifaschismus (im Sinne der Antifa), Feminismus, gendergerechte Sprache, Kampf gegen Hartz IV, Kampf um das BGE und vieles andere mehr. Ich will die Wichtigkeit der einzelnen Themen nicht in Frage stellen, aber aus den Piraten wurde eine Partei, die zwar ein umfassendes Programm – aber keine Identität mehr hatte. Glücklicherweise arbeiten viele gute Menschen heute wieder an dieser – Viel Erfolg!
Die „Wanderprediger der Bedingungen“ sind weiter gezogen, sie nerven heute in anderen Parteien. Sie sind an sich auch nur ein Symptom – nicht die Ursache – der Probleme der linken Bewegungen.

Der Streit um Ausschlusskriterien

Wir haben uns daran gewöhnt, die SPD, die Linke und die Grünen als linkes Spektrum im Bundestag zu betrachten. Jede dieser Parteien hat ihre Bedingungen und Ausschlusskriterien für die Zugehörigkeit – das ist normal und auch gut.
Weniger gut ist, dass selbst für die Beschreibung „links“ Bedingungen gestellt werden – zumindest in den sozialen Medien. Diese sozialen Medien haben einen Stellenwert erreicht, der unangemessen ist – weil sich viel zu viele Menschen der Diskussion dort entziehen und sich auf das Konsumieren dieser Diskussionen beschränken. Außerdem ziehen die Thesen, die dort von einer überschaubaren Anzahl von Teilnehmern diskutiert werden, auch in die klassischen Medien fast ungefiltert ein.
Wenn man es richtig betrachtet, dann wird der vermeintliche gesellschaftliche Diskurs in den sozialen Medien von wenigen Menschen geführt. Besser gesagt, auf Grund der hohen Nutzerzahlen sozialer Medien wird diese Diskussion als gesellschaftlicher Diskurs wahrgenommen und hält sogar in die parlamentarische Arbeit Einzug.
Hier sind die linke Bewegung und somit auch die linken Parteien ins politische Hintertreffen geraten.
Wer nämlich nicht alle Bedingungen für „links“ erfüllt, wird in den sozialen Medien als „rechts“ abgestempelt. In den sozialen Medien wird nicht hinterfragt – es wird verurteilt.
Ein taugliches Beispiel (ohne Wertung) ist die Aussage von Sahra Wagenknecht zu „kriminellen Schlepperbanden“ – ich schrieb dazu. Statt nachzufragen wurde gehasst – ich kann das nicht anders ausdrücken. Die zur Linken gewechselten „Wanderprediger der Bedingungen“ standen dabei in vorderster Front. Ich habe im oben verlinkten Artikel geschildert, wie ich diese Aussage lesen kann – ob sie so gemeint war, weiß ich nicht und erwarte auch keine Antwort – aber eine Diskussion ist wesentlich besser als Hass und Ausschluss. Es gibt inzwischen so viele Bedingungen um „links“ zu sein, dass der politisch weniger interessierte Wähler sich oft nicht mehr mit „links“ identifizieren kann.

Fazit

Um wirklich linke Politik zu machen, benötigen wir eine Aussage, was „links“ ist – mit einem Minimum an Bedingungen und Ausschlusskriterien – um auch viele, die heute den (fast) bedingungslosen rechten Ideologen auf den Leim gehen, von dort zurückzuholen.
Wir brauchen nicht „einfache Antworten auf komplizierte Fragen“ – wir müssen überhaupt erst einmal Fragen zulassen und beantworten.
Meine Ausschlusskriterien sind einfach:

Es darf über alles gesprochen werden, was die Menschenrechte nicht verneint.
Die Menschenrechte für alle Menschen und überall sind der Minimalkonsens.

Die Bedingungen ergeben sich (für Deutschland) aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und für Linke steht die Verbesserung der sozialen Lage aller Menschen im Vordergrund.

Das wars dann schon, oder?

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