De Maiziere und die Postkarte

sind wohl der Lacher des Wochenendes. Obwohl es ja nicht zum Lachen ist wenn ein Innenminister so wenig Kenntnis über die Materie hat und dann darüber öffentlich spricht.

Worüber rege ich mich eigentlich auf?

Zum ersten über die Bezeichnung „Reformpläne“ für die Ausführungen des US-amerikanischen Präsidenten. Dieser hat keine konkreten Maßnahmen angekündigt. Er will Merkels Handy nicht mehr abhören lassen – das wars im Grunde schon.

Obama sagte dazu:

„Solange ich Präsident der Vereinigten Staaten bin, muss sich die deutsche Kanzlerin darüber keine Sorgen machen“

Wenn das dem deutschen Innenminister genügt, dann ist er falsch auf seinem Platz. Was für Merkels Handy gilt muss auch für mein Handy gelten. Sonst läuft etwas falsch.

Sämtliche Ankündigungen Obamas werden ja schon wieder ad absurdum geführt durch diesen Satz aus dem gleichen Kommentar:

Die Überwachung von Staats- und Regierungschefs befreundeter Länder soll nur noch erlaubt sein, wenn die nationale Sicherheit der USA dies zwingend erforderlich macht.

Was für die nationale Sicherheit der USA zwingend erforderlich ist, wer entscheidet das?

Also wenn ein Anrufer für diese Sicherheit wichtig ist, dann kann auch Merkels Handy weiter abgehört werden. Aber egal.

Der Innenminister hat aber das Internet nicht verstanden, das ist sein Problem. Er führt aus:

„Und wir sind es auch heute. Man muss nicht sein Tagebuch ins Internet stellen. Eine E-Mail ist faktisch wie eine Postkarte.“

Hier irrt er nicht, hier sagt er wohl bewusst die Unwahrheit. „Ist faktisch“ bedeutet nicht, dass eine E-Mail vom Absender mit der Intention „Der Postbote kann ruhig sehen was ich schreibe“ abgeschickt wird. Das würde den Vergleich erlauben. Nein es ist eher vergleichbar mit der Betrachtung „Ich kann einen Brief wie eine Postkarte behandeln, schließlich kann ich ihn zerstörungsfrei über Wasserdampf öffnen.“ So handelten die Geheimdienste schon immer – bevorzugt die in Diktaturen.

Werter Herr de Maiziere, in einem älteren Artikel habe ich das mal thematisiert und bin zu folgendem Ergebnis gekommen:

„Hier vergleiche ich wieder mit dem analogen Leben. Die Email ist gleichzusetzen mit dem verschlossenen Briefumschlag, die Cloud und meine Datenspeicher mit dem angemieteten Lager und dem Aktenschrank und der Hangout mit dem Telefongespräch. Vernachlässigt man hier die Indiskretion der Teilnehmer am Hangout, dann erfordert die Informationsgewinnung aus diesen Teilen der Kommunikation ein aktives kriminelles Handeln.“

Und um gegen dieses aktive kriminelle Handeln vorzugehen sind Sie der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland.

Eine Anmerkung noch. Wenn der Innenminister gesagt hat:

“ Der Schutz des Internets – gegen wen auch immer – das ist unsere gemeinsame Aufgabe, und nicht nur die Fixierung auf die NSA“

meint er dann auch „dazu ist jedes Mittel recht.“?

Jedes Mittel ist dann die Kooperation mit NSA & Co., anlasslose Totalüberwachung und all die Phantasien eines Sicherheitsfanatikers.

Ich glaube, dass ich nicht der einzige bin der das nicht will.

Meine, Deine, unsere Privatsphäre

Mein letzter Artikel zum Thema brachte mindestens einen Widerspruch zustande. Mir wurde vorgeworfen ich würde Fragen der Moral und der Intimsphäre ins Spiel bringen. Außerdem wäre da eine Irritation weil einerseits die Mitglieder einer Familie, andererseits die Familie als Ganzes betrachtet würden.

Da sind wir schon mittendrin im Thema.

Der Begriff Privatsphäre ist wohl nicht so einfach zu fassen. Ich rekapituliere noch einmal meinen Ansatz.

„Privat ist das was ich nicht öffentlich machen will, nicht das was man nicht öffentlich machen kann.“

Privat bedeutet also abgegrenzt gegen die Öffentlichkeit. Ich, meine Frau und jedes meiner Kinder hat also eine Privatsphäre. Zusammen als Familie haben wir ebenfalls eine Privatsphäre. Jedes Familienmitglied hat auch das Recht Teile seines Lebens gegen die übrige Familie (in dem Falle auch Familie = Öffentlichkeit) abzugrenzen. Hier kommt durchaus eine Überschneidung mit der Intimsphäre aber keinesfalls eine Gleichsetzung mit derselben ins Spiel. Im Gegensatz zum komplizierten Bereich der Privatsphäre ist die Intimsphäre, zumindest in Deutschland, höchstrichterlich definiert und ins Gesetz gegossen. Laut Bundesgerichtshof beinhaltet sie die „innere Gedanken- und Gefühlswelt und den Sexualbereich“. Das ist eindeutig.

Nehmen wir also diesen Text dann ergibt sich folgendes Bild. Als Gedanke oder zu Papier (auch in virtueller Form auf meiner Festplatte) gehört er zu meiner Intimsphäre und weil ich ihn aktiv gegen die Öffentlichkeit durch Nichtveröffentlichung schütze zu meiner Privatsphäre. Beträfe dieser Text nun meine Familie und ich diskutiere ihn mit dieser, dann ist er nicht mehr intim, aber privat im Sinne der Privatsphäre der Familie gegenüber der Öffentlichkeit. Gleiches gilt für jeden anderen Personenkreis.

So weit so unklar.

Hier kommt nun die Verletzung der Privatsphäre ins Spiel und das Spiel mit der Angst beginnt.

Mit der Einführung eines Begriffs, nämlich legitimes Interesse der Öffentlichkeit an dem von mit abgegrenzten Bereich.

Erst mal zur Erklärung. Mit legitimem Interesse ist keinesfalls die Befriedigung der Neugier gemeint. Also nicht der Boulevardjournalismus, Papparazzi oder Ähnliches. Auch ein Pornostar, also jemand der Teile seines Intimbereichs (viele Teile) öffentlich macht, hat das Recht sowohl auf Intim- als auch Privatsphäre.

Was ist also legitimes Interesse der Öffentlichkeit?

Mein Kontostand und meine Spareinlagen gehen euch nichts an, den Staat in Form des Finanzamtes schon. Schließlich muss ich Steuern zahlen – so ist nun mal das Gesetz. Ohne Abstriche, aber auch ohne Erweiterungen. Mein Vermieter hat erst das Recht irgendetwas nachzufragen wenn ich meine Miete nicht bezahle – nicht vorher.

Die Einkünfte eines gewählten Politikers gehen die Gesellschaft sehr wohl etwas an. Er bekleidet ein öffentliches Amt und hat etwas versprochen, unter anderem Ehrlichkeit.

Das ist ein Unterschied, ein großer Unterschied, zwischen ihm und mir.

Wenn ich in meinem Keller an meinem Fahrrad bastle, dann geht das die Öffentlichkeit nichts an. Es sei denn ich halte das für so wichtig, dass ich es auf Twitter oder sonstwo poste.

Baue ich aber in meinem Keller eine Bombe, dann ist das Interesse der Öffentlichkeit gegeben.

Hier beginnt nun der Scheideweg zwischen Privatsphäre und deren Schutz und dem legitimen öffentlichen Interesse.

Wer es bis hier vermisst hat, der historische Exkurs.

Anfang des 13. Jahrhunderts zogen die Kreuzritter in die Albigenserkreuzzüge gegen die Katharer. Das Problem war, diese waren auch Christen – wie sollte man also die Ketzer eindeutig identifizieren.

Man behalf sich mit der Aufforderung Caedite eos. Novit enim Dominus qui sunt eius., zu Deutsch Tötet sie alle. Gott wird die Seinen erkennen.

Genau so zu verstehen ist die anlasslose Totalüberwachung. Überwacht alle – dann findet ihr die Verbrecher. Das Spiel mit der Angst beginnt mit der Rechtfertigung dieser Maßnahmen. Und es gibt Leute die fallen darauf rein. Sie sehen Überwachung als Prävention.

Also schaut auf meine Festplatte, auf mein Konto und in meinen Keller!

Macht öffentlich was ich für mich behalten will!

Muss ich damit einverstanden sein?

Nun wird natürlich der Staat in Form seiner ausführenden Organe behaupten, dass die Daten bei ihm sicher wären. Also alles oK?

Nein! Nein! Nein!

Der Staat und seine Organe sind eine Öffentlichkeit (s.o.) mit der ich meine Intim- und Privatsphäre nicht teilen will!

Das legitime Interesse der Öffentlichkeit rechtfertigt diesen Schritt nicht!

Nicht ohne Anlass.

Was ist (war) Privatsphäre?

Protest gegen massenhafte Verletzung der Privatsphäre in Deutschland!

Datenschützer schlagen Alarm!

Lieber bestraft werden als das zu dulden!

Missbrauch sensibler Informationen!

Und so weiter und so fort.

Der interessierte Leser weiß natürlich sofort, dass es hier nicht um den NSA & Co. Skandal geht. Nein die Rede ist hier vom Zensus 2011.

Was mich zu einer Frage animiert.

„Warum sieht der Normalbürger die Datenerhebung durch den Zensus kritischer als die Ausspähung durch Geheimdienste?“

Vielleicht weil er besser verstand, oder ihm einfacher vermittelt werden konnte, dass diese Daten ihn selbst betreffen.

Das aber nur zur Einleitung, es geht hier um die persönliche Bedeutung des Begriffs Privatsphäre. Und zwar um die historische Entwicklung. Ich will Euch nicht langweilen deshalb fange ich vor ca. 50 bis 100 Jahren an. Bei der kleinsten Zelle der Gesellschaft – der Familie.

Eine kleine Einfügung, das ist eine Beschreibung – keine Bewertung!

Viele von Euch können sich noch erinnern, dass Privatsphäre einfach definiert war. Der Brite sagt dazu „My home is my castle!“ – vulgo: „Was zu Hause passiert ist meine Sache.“

Aber wenn man historisch hinter die Kulissen schaut, dann sieht man die Bedeutung genauer.

Fangen wir mit dem Kind an. „Kinder haben einen Anspruch auf Privatsphäre“ ist eine relativ neue Forderung. Diese Forderung wäre unseren Eltern vielleicht absurd erschienen. Es war das Recht, sogar die Pflicht, der Eltern das Kind zu erziehen und jede Regung zu kontrollieren. Es gab für Kinder keine abgegrenzten (privaten) Bereiche – ihr Leben war für die Eltern „öffentlich“. Weiter darauf eingehen möchte ich nicht, ich verweise nur auf die Kontrolle der Sexualität am Beispiel des Kampfes gegen Onanie.

Die Frau, in ihrer Funktion als Ehefrau, hatte zwar Rechte gegenüber dem Kind. Unter Anderem das Recht einige Lebensbereiche diesem gegenüber abzugrenzen. Aber dem (Ehe)Mann, oder auch Familienvater, gegenüber hatte sie dieses Recht nicht. Angefangen von den Ausgaben für Haushalt und persönlichen Bedarf, ihrem Anteil an der Kindererziehung, die Aufnahme einer eigenen Berufstätigkeit und den damit verbundenen Einkünften und deren Verwendung bis zu ihrer Sexualität hatte sie Rechenschaft abzulegen und sie hatte ständig „verfügbar“ zu sein.

Das Recht auf Privatsphäre innerhalb der Familie hatte der Familienvater. Auffällig ist hier allerdings, dass er eigentlich sein öffentliches Leben abgrenzte. Beruf, Freundschaften, Liebschaften und Eskapaden, die sich im öffentlichen Raum abspielten waren gegenüber der Familie „Privatsache des Vaters“.

Nach außen hin war die Familie ein abgegrenzter (privater) Bereich. Ob sich dort nun Gewalt, Inzest, Vernachlässigung oder Anderes abspielte wurde erst öffentlich, wenn es zum Beispiel durch das Erfordernis ärztlicher Behandlung in die Öffentlichkeit kam.

Gleiches galt auch für abgeschlossene z.B. dörfliche Gemeinschaften und andere „gesellschaftliche Biotope“.

Im Großen und Ganzen ist dies die bürgerliche Auslegung von Privatsphäre in aller Kürze.

Hier kommt nun wieder der von @mspro gebrauchte Ausspruch:

“Überwachung ist nicht gleich Macht, sondern Macht macht Beobachtung zur Überwachung.”

ins Spiel. Zumindest was die Machtfrage betrifft, denn Eltern werden die Entwicklung ihrer Kinder immer beobachten. Im bürgerlichen Leben war es die Macht des Familienvaters. Nur als Anmerkung, das soll nicht bedeuten es wäre automatisch besser gewesen eine Familienmutter hätte die Macht gehabt.

Die alte Privatsphäre wurde aufgebrochen durch das Eindringen der Gesellschaft in diese. Rechte für Kinder und Frauen und die Möglichkeit diese Rechte auch geltend zu machen zerstörten diese Privatsphäre. Hoffentlich für immer.

Vielleicht liegt hier der Grund für die eingangs gestellte Frage nach der Betroffenheit des Bürgers. Das Eindringen der Gesellschaft und des Staates in die familiäre bürgerliche Privatsphäre war und ist direkt fühlbar. Die Beobachtung durch die Geheimdienste ist es nicht. Daran ändert auch das Gerede über die Stasi nichts. Die Meisten die heute darüber reden hatten während der DDR-Zeit wahrscheinlich nichts mit dieser zu tun.

Wir brauchen also eine neue, besser gesagt eine weiterentwickelte, Definition des Begriffs.

Wie wird diese aussehen?