Wer hat uns verraten? (2nd Edition)

Einleitend folgende Überlegung:

Sigmar Gabriel sprach vor kurzem der SPD die Regierungsfähigkeit nach 2017 ab.

Sigmar Gabriel drohte dem Parteikonvent* mit seinem Rücktritt, wenn dieser der Vorratsdatenspeicherung (VDS) nicht zustimme.

Der Parteikonvent stimmte der VDS zu, woraus folgender Schluss zulässig ist:

Die SPD will ihren Vorsitzenden behalten und stimmt somit seiner Beurteilung der Regierungsfähigkeit zu. Das Ziel für die Bundestagswahl 2017 wird auf den Eintritt in die nächste Große Koalition (GroKo) unter Führung der merkelschen CDU reduziert.

Daraus ergibt sich ein Legitimitätsproblem für die SPD. Warum soll der Wähler sein Kreuz bei SPD machen, wenn er am Ende Merkel wählt?

Das ist ein harter Schlag für die deutsche Sozialdemokratie und die Situation wurde von der Parteispitze bewusst herbeigeführt.

Geht man allerdings vom Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art. 21 aus, dann wird die Situation noch unübersichtlicher. Dort heißt es nämlich:

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.

Der Absatz bedeutet unter Anderem, dass die Zustimmung zur VDS nun Bestandteil der politischen Bildungsarbeit der SPD wird. Im Klartext heißt das:

Die deutsche Sozialdemokratie wird die anlasslose Totalüberwachung in ihren politischen Bildungskanon aufnehmen!

Einen weiteren Kommentar dazu erspare ich mir.

Zwei weitere beunruhigende Tatsachen noch am Rande.

1. Gestern und heute sprach ich das Thema SPD und VDS in meinem derzeitigen Mikrobiotop an. Das Ergebnis war leider das zu erwartende: Es interessierte niemanden! Daraus ergibt sich für mich ein Legitimitätsproblem. Wenn es niemanden interessiert, dann stehen wir wohl außerhalb der Gesellschaft mit unseren Forderungen.

2. Wir haben eine Regierung und ein Parlament, diese werden also der VDS zustimmen. Die einzige Hoffnung, dass die VDS abgelehnt wird liegt bei der zu erwartenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wird sie von diesem als verfassungswidrig (nicht verfassungsgemäß) abgelehnt, dann müssen wir konstatieren, dass Regierung und Parlament wieder einmal nicht im Sinne des Grundgesetzes gehandelt haben.

Da bleibt mir nur übrig dem geneigten Leser den Artikel 20 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland als Lektüre zu empfehlen. Natürlich mit besonderer Beachtung des Absatzes 4:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

*Wer nicht weiß was ein Parteikonvent der SPD ist, unter diesem Link Seite 36ff §28 findet ihr die Zusammensetzung des Gremiums.

BILD, oder der Drall in der Berichterstattung

Ich habe mir heute früh eine BILD gekauft um zu sehen, wie die Folgen der Anschläge von Paris dort verarbeitet wurden.

Nochmals der Hinweis: BILD bildet zwar nicht wirklich, aber Du weißt wenigstens was Dein Nachbar so liest und wo seine Argumente her kommen.

Bereits auf Seite 2, ich weiß zwar nicht ob das jemand außer mir gelesen hat, der tägliche BILD-Kommentar, diesmal von Ernst Elitz, mit der Kernaussage „Menschenschutz geht vor Datenschutz“. Im Klartext bedeutet das, wir brauchen Vorratsdatenspeicherung (VDS) und alle anderen Instrumente der anlasslosen Totalüberwachung. Warum wundert mich das nicht? Weil es wieder mal um das Supergrundrecht Sicherheit geht, wie zu erwarten war.

Im Kommentar wird auch schon auf den Justizminister Heiko Maas negativ hingewiesen, das Thema wird dann auf Seite 5 „GroKo-Zoff um Sicherheitsgesetze“ weiter ausgeführt. Thomas de Maiziere forderte die Wiedereinführung der VDS mit der Begründung „Der Anschlag von Paris unterstreicht hier die Dringlichkeit.“ Von Seiten der BILD natürlich kein Hinweis, dass Frankreich dieselbe hat.

Auch die Forderung nach Reisebeschränkungen für Dschihadisten, also nach dem eingeschränkt gültigen Personalausweis, wird wieder einmal erhoben.

Die Antwort von Heiko Maas geht da etwas unter, er spricht richtigerweise von der „Verfolgung mit der ganzen Härte des Rechtsstaates“ und weist (mit etwas anderer Wortwahl) darauf hin, dass schnelle Entscheidungen in einer emotional aufgeladenen Situation nicht zielführend sind.

Es ist alles drin im Artikel für eine sachliche Berichterstattung, aber durch die Reihenfolge und Ausführlichkeit der Argumentationen der Sicherheitsfanatiker, natürlich auch durch die Formulierung „Und was sagt der kritisierte Minister dazu?“ ist der Drall der Berichterstattung in Richtung CDU/CSU deutlich zu erkennen.

Das Interview mit Michael Flynn, dem besten Terrorexperten Amerikas (BILD), ist inhaltlich interessant, aber im Sinne des Dralls steht die letzte Frage im Vordergrund:

BILD: Welchen Effekt hatten die Snowden Enthüllungen für die Terror-Bekämpfung?

Flynn:Ganz offen, Das war ein Dämpfer für unsere Fähigkeit, Überwachung so zu betreiben, wie man es tun muss, um solche Anschläge zu verhindern, besonders in Europa.

Man könnte nun daraus schließen, dass der Sinn der Aussage ist: Wäre Snowden nicht gewesen, dann hätten wir den Anschlag verhindern können.

Genug aus der BILD zitiert, wenn mein Nachbar diese Argumente anbringt, dann weiß ich wenigstens woher er sie hat.Ob es sich lohnt ihm zu erklären, dass Frankreich die VDS hat oder ihn auf die vielen im Laufe der letzten Tage veröffentlichten Kenntnisse der Geheimdienste über die Täter (hier ist von mangelnden Fähigkeiten der Datenerfassung durch die Geheimdienste nichts zu spüren) hinzuweisen, weiß ich nicht.

Ich werde es aber versuchen.

P.S. Mein Nachbar ist natürlich eine fiktive Person die ich in einigen Artikeln benutze.

Michael Seemann ist mein Held!

Das ist zwar etwas ironisch, aber es ist schon was dran. Wer außer Michael Seemann, könnte in Kurzform (erstens, zweitens, drittens) präzise und lesbar zusammenfassen worum es bei dem Kampf für den Schutz der Privatsphäre nicht geht. Zumindest mir nicht.

Warum stimme ich ihm nicht zu?

„Für die überwachende Instanz ist es egal, ob sie mich wegen eines öffentlichen Tweets oder einer privaten E-Mail zur Verantwortung zieht. Mir übrigens auch.“ [1]

Mir hingegen ist es nicht egal, ob die Kenntnisse der Strafverfolgungsbehörden aus einem öffentlichen Tweet oder aus einer privaten E-Mail kommen. Schon gar nicht ist mir egal, wenn sie von meiner Festplatte kommen. Dort habe ich meine Gedanken skizziert. Gedanken, die ich nicht oder noch nicht mit der Öffentlichkeit teilen will. Genau so wenig ist es mit egal, wenn die Erkenntnisse aus einem Brief stammen, den ich jemandem geschickt habe. Dem Autor Michael Seemann, ist es gewiss auch nicht egal, wenn sein nächster Artikel vorzeitig bekannt wird.

Ich habe mich bereits zum Schutz der Privatsphäre im Social Media, im Speziellen, und im Net im Allgemeinen geäußert. Dort gibt es keinen Schutz. Was ich dort öffentlich mache, sei es auch anfangs für einen geschlossenen Empfängerkreis, ist öffentlich.

Michael Seemann schreibt:

„Gäbe es eine intakte Privatsphäre, könnte sie uns nur dann vor Unterdrückung bewahren, wenn wir unsere Eigenschaften und Meinungen in ihr verbergen. „ [1]

Und wenn ich das will?

Steht mir das nicht zu? Es geht ja nicht um Hautfarbe, sexuelle Orientierung und andere Eigenschaften, die Michael Seemann im Artikel beschreibt. Es geht um die generelle Frage; „Habe ich das Recht etwas für mich zu behalten?“ oder gibt es Jemanden der alles über mich wissen muss.

Bevor ein falscher Eindruck entsteht, Michael Seemann hat einen mir wichtigen Terminus vergessen. Dieser ist anlasslos. „Für mich behalten“ bedeutet keinen Freibrief für kriminelle Taten. Für die Verfolgung dieser ist aber immer die Verhältnismäßigkeit der Überwachung ausschlaggebend. Ein konkreter „Tatverdacht“ muss vorliegen. Dann gibt es auch kein Brief- oder Telefongeheimnis mehr.

Wenn Michael Seemann also schreibt;

„Statt die Privatsphäre gegen die Beobachtung zu verteidigen, sollten wir vielmehr gegen die Instanzen der Bestrafung kämpfen: Autoritäre Grenzkontrollen, rassistische Polizeianordnungen, homophobe Strukturen in der Gesellschaft, ungerechte Gesundheitssysteme und institutionelle Diskriminierung sind die eigentlichen Problemfelder der Überwachung.“ [1],

dann frage ich mich, ob es eigentlich Zufall ist, dass viele Aktivisten des Schutzes der Privatsphäre gleichzeitig gegen die von Michael Seemann aufgezählten Probleme ankämpfen und sich öffentlich positionieren?

Das ist kein Widerspruch, meine ich.

Zum Abschluss noch folgendes. Im Text wird oft das (verniedlichende) Wort „Beobachtung“ verwendet. So hier;

„Die Macht, mich zu bestrafen, wenn ich mich den Vorstellungen des Überwachers nicht gemäß verhalte, ist der entscheidende Unterschied zwischen Überwachung und einer einfachen Beobachtung.“ [1]

Wir leben alle in einem Staat. In diesem Staat gibt es ein „Machtgefüge“, ein „Regelwerk“ und ein „Bestrafungssystem“ für Regelverstöße.

Wenn der Staat, in der Form seiner Organe, mich also beobachtet – wo ist dann der Unterschied zur Überwachung? Das gilt nicht nur für den Staat. Auch meine Bank, mein Arbeitgeber, mein Vermieter und andere können mich disziplinieren.

Eines ist sicher, wir müssen anders über Überwachung reden. Vielleicht anders als Michael Seemann – wahrscheinlich auch anders als ich. Aber reden wir darüber.

Wir habe übrigens nur über die online Menschen geredet. Was ist mit denen, die offline sind und trotzdem überwacht werden?

P.S. Wer es nicht bemerkt hat, ich habe mich auf „drittens“ konzentriert. „Erstens und zweitens“ sind für mich nur der rhetorische Einstieg.