Herr Dr. Hans-Peter Uhl und der Beschützerinstinkt

Als ich gerade nach Hause kam lief der Stream bei Google+ über mit Angriffen auf o. g. Herrn. Eine kleine Verteidigung sei mir gestattet.

Also mal ehrlich, ich weiß gar nicht was es an der Rede von Herrn Dr. Hans-Peter Uhl auszusetzen gibt.

Er hat uns doch nun ganz deutlich klar gemacht worum es ihm geht. Er will uns schützen – und das ist gut so!

Besonders das Beispiel mit den ausländischen Internet-Kriminellen aus Bayern zeigt doch, dass das Internet streng überwacht werden muss. Hoppla, wie war das doch gleich? Die haben über das Internet Waren zu Schnäppchenpreisen angeboten, 20.000 Bundesbürger haben 40 Millionen Mark überwiesen – die sind sie jetzt los.

Das ist Schwerkriminalität, das kann man nicht dulden.

Soweit zu heute, aber was wird morgen. Erinnern wir uns, die Rentner in der Bundesrepublik werden per Post zu Kaffeefahrten eingeladen, dort werden sie dann zu Käufen von minderwertigen Waren gepresst. Also überwachen wir morgen die Post.

Übermorgen fällt uns dann ein, dass wir uns vor kriminellen Postsendungen oder Werbeanrufen aus dem Ausland schützen müssen. Die Post kontrollieren wir dann an der Grenze, am besten überwachen wir flächendeckend Auslandstelefonate.

Warum erinnert mich das an etwas? Woran nur? Vielleicht liegt es daran, dass ich aus Leipzig komme.

Was fällt einem Mann der wörtlich sagt „Das Land wird von Sicherheitsbehörden geleitet!“, dann erst nächste Woche ein?

Mal ehrlich, ich weiß nicht ob ich die Piraten wirklich in der Regierung sehen will, die Jungs und Mädels vom CCC wollen, glaube ich nicht dorthin.

Aber ich weiß, dass Kriminalität verfolgt werden muß – ich glaube das wissen alle.

Aber, Herr Dr. Uhl, so wie Sie das (scheinbar) wollen – so will ich das nicht.

P.S. Der Artikel zeigt natürlich nur eine mögliche Interpretation.

SPON Im Zweifel Links – Linksextremismus

Eigentlich wollte ich ja nie (wirklich) einen Kommentar zu einem SPON-Artikel von Jakob Augstein schreiben.
Es stört mich schon der Titel der Kolumne Im Zweifel links, der ist absurd. Wäre es doch wenigstens Im Zweifel – erst mal denken.
Aber da ja nun Jens Eckleben (Partei „Die Freiheit“)  schon, von seiner Warte aus, dazu geschrieben hat, lasse ich meinen Senf auch noch ab.
Der neue Artikel Moralischer Notstand – Debatte über Linksextremismus impliziert ja vom Titel her, dass es um „Linksextremismus“ geht. Weit gefehlt, es geht um Anarchismus. Anarchismus kennt aber nun nur ein Ziel, die Zerstörung der bestehenden Ordnung (Punkt aus). Ein wirkliches Ziel, eine Idee oder auch eine Vision ist ihm fremd. Da ist natürlich die Frage, wenn das links ist – warum sollte ich dann links sein?
Besonders gut gefällt mir der Teil:
„Der kommende Aufstand“, so hieß ein Manifest aus Frankreich, das seit ein paar Jahren dem linken, anarchistischen Denken neue Nahrung gibt. Es ist nicht das militaristische Denken der Rote Armee Fraktion, das voll von Selbstüberschätzung und bar jeden Mitleids war. Es ist das Denken einer verzweifelten Sehnsucht, deren Kraft in Anarchie mündet, wie wir es aus dem 1973 gedrehten Film „Themroc“ kennen. Da spielt Michel Piccoli einen Pariser Lohnempfänger, der kaputt macht, was ihn kaputt macht und sich auf den Weg in den menschlichen Urzustand begibt.
Ob nun „menschlicher Urzustand“ nach Hobbes oder „edler Wilder“ nach Rousseau, beide sind geprägt von Blut, Schweiß, Tränen und Scheisse.
Das will aber der Anarchist auch wieder nicht. Er will im Winter in seinem warmen Bett aufwachen und die „Erfolge“ seiner Tätigkeit im TV sehen.
Ergo – er weiß nicht was er will.

Und ob die brennenden Autos und die an den Gleisen liegenden Benzinflaschen die Initialzündung für einen von Jakob Augstein vorhergesagten Aufstand sind, das ist mehr als fraglich.

Warum ticken Politiker so, wir anderen auch?

Wenn ich die Beiträge der letzten Tage und Wochen so ansehe, dann frage ich mich das immer wieder. Heute, bei der ersten Zigarette des Tages fiel mir eine Diskussion vom Februar 2010 ein. Damals verfasste ich am Folgetag einen Text und schickte ihn meinem Diskussionspartner. Der Text ist aber eine verkürzte Fassung eines Werkes von Jakob Maurer. Meine Einfügungen sind kursiv geschrieben.

Quelle: Jakob Maurer, Mobilität ohne Grenzen Campus Verlag ISBN 3-59336-040-3

Menschliches Verhalten in komplexen Problemsituationen

 Maurer geht davon aus, dass komplexe Systeme ein nichtlineares Verhalten zeigen,mit der Komplexität des Problems steigen die maximal möglichen Interaktionen zwischen den beteiligten nicht-linear an. Außerdem erhöht sich die zu verarbeitende Informationsmenge über das maximal erfassbare Maß (bezogen auf die Beteiligten) hinaus.

Daraus folgt:

Die Unübersichtlichkeit der Problemsituation führt bei den beteiligten Akteuren zur Verunsicherung – mit allen Konsequenzen nicht-rationalen Verhaltens, unzureichender Problemlösungen und dadurch der Verursachung neuer Schwierigkeiten.

 Ganz allgemein ist beim menschlichen Handeln zwischen Sachzielen und Schutzzielen zu unterscheiden. Während die Sachziele der konkreten Problembewältigung dienen, beziehen sich die Schutzziele ausschließlich auf die  Positionssicherung und das (Wohl-) Befinden der agierenden Person.In unübersichtlichen, komplexen Problemsituationen dominieren rasch Schutzziele, und Sachziele treten in den Hintergrund. Krasser: Wer Schutzziele verfolgt trägt nichts zu einer sachbezogenen Lösung bei.

Er führt das noch weiter aus und bezieht sich in der Folge auf eine Studie von Dietrich Dörner zum Verhalten von Personen in der Konfrontation mit komplexen Problemen.

 Diese interdisziplinären Forschungen haben ergeben, dass folgende Verhaltensweisen Anzeichen für eine Dominanz von Schutzzielen gegenüber Sachzielen sind:

–        Zieldiskussionen ohne die Erarbeitung von konkreten Maßnahmen. In derartigen Diskussionen wird nur darüber geredet, was alles schön, angenehm, gut und erstrebenswert sei, ohne sich der Mühe zu unterwerfen, Wege und Möglichkeiten zu entwickeln, wie diese Ziele auch erreicht werden können.

–        Formalismus und Methodismus, d.h. Die übermäßige Betonung formeller und methodischer Regeln. Gesetze, Verordnungen, Normen, Richtlinien werden ohne ausreichende Detailkenntnis und ohne Problemübersicht erlassen. Mit eingespielten, teilweise „modischen“ Methoden, deren Problemadäquanz nicht näher untersucht wird, gaukelt man sich selbst und anderen Genauigkeit und Zuverlässigkeit der getroffenen Aussagen und Empfehlungen vor. Nicht die Problemsituation und deren Lösung stehen im Vordergrund, sondern etablierte Verfahren, für welche die passenden Probleme gesucht werden. Die solchermaßen erarbeiteten Vorschläge durchlaufen über Jahre hinweg Genehmigungsverfahren, die zwar Zeit in Anspruch nehmen und Kosten verursachen, jedoch oftmals nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen.

–        Dem Formalismus und Methodismus nahe verwandt ist die in den letzten Jahren modisch gewordene Managementphilosophie der Reorganisation: Die Ursache bestehender Probleme wird hauptsächlich in der formellen Organisation gesehen und die Problemlösung in deren Umstrukturierung gesucht.

–        Ein weiteres Anzeichen von Dominanz von Schutzzielen ist die „Projektemacherei“. Davon lässt sich dann sprechen, wenn tendenziell kein Projekt zur Ausführung gebracht wird, sondern als Konzept in der Schwebe bleibt, und wenn mit allen Nachfolgeprojekten in gleicher Weise verfahren wird. Dieses Vorgehen ist hervorragend geeignet, alle beauftragten Experten und Gruppen miteinander zu konfrontieren, ohne selbst Stellung zu beziehen zu müssen. Fehlervermeidung geht vor Problemlösung, gestützt auf die Taktik des  divide et impera.

–        Sehr beliebt ist auch die Taktik des „Schwarzen Peters“. Hierbei trachten die Beteiligten danach, beim Auftreten von Schwierigkeiten sich selbst abzusichern, indem sie anderen Akteuren oder einem (leider unzweckmäßigen, aber unumstößlichen) Verfahren die Schuld anlasten. Je länger und je komplizierter ein Verfahren wird, desto schwieriger wird es herauszufinden, wer eigentlich für was zuständig und damit verantwortlich ist.

–        Ein weiteres Indiz für die Dominanz von Schutzzielen ist die Informationsverweigerung. Wer in verantwortlicher Funktion an der Lösung komplexer Probleme mitwirkt, wird in der Regel gleichsam unter einer Masse von Informationen begraben. Aber mehr Informationen heißt keinesfalls mehr Wissen. Zu einer adäquaten Problemsicht gehört es daher, die verfügbaren Informationen zu analysieren, kritisch zu bewerten, in Beziehung zu setzen etc. Neue Informationen könne jedoch vorgefasste Meinungen, Handlungsroutinen und vermeintliche Sicherheiten in Frage stellen und verunsichern. Informationsverweigerung wurzelt daher in der Angst oder der Bequemlichkeit, zu bewerten, zu lernen und seine (vorgefassten) Meinungen und eingespielten Routinen zu verlassen.

–        Typisch sind auch Fluchtreaktionen. Schwierige Probleme lassen sich nur mit Mühe, persönlichem Einsatz und nicht selten erst nach mehreren Versuchen überhaupt ausreichend definieren.Die Lösung dieser Probleme setzt noch mehr Einsatz und Mühen voraus. Derartige schwierige Probleme gleichen wilden Katzen. Sie beißen, schlagen zurück, entwinden sich den Händen, um dann in der Dunkelheit zu verschwinden. Nicht selten erscheinen sie wenig später wieder am Futternapf.

Er führt hier natürlich zwischen den einzelnen Punkten, teilweise etwas aus zum Vorhergesagten, das würde hier aber den Rahmen sprengen.

Interessant erscheint mir noch das nachfolgende Resümee.

 Schwierige Probleme wirklich anzupacken setzt die beteiligten Verantwortlichen vielfältigen Gefahren aus: darunter die Gefahr zu versagen, die eigene Position aufs Spiel zu setzen, die eigene Macht zu verlieren. Um diesen Gefahren zu entgehen und sich selbst zu schützen, ist es angezeigt, ständig von einer Aufgabe zur nächsten zu wechseln. Ein Problem, das gerade in aller Munde ist, wird skizzenhaft umrissen und solange oberflächlich diskutiert, bis sich, wenn es ernst zu werden droht, die Chance bietet, zum nächsten Problem zu flüchten. Mit der Fluchtreaktion eng verwandt ist der Aktionismus. Wenn es an der Zeit ist zu handeln, wird energisches Vorgehen vorgetäuscht, um Entscheidungen und Verantwortung auszuweichen. Es bleibt bei flüchtiger Vorgehensweise, geringem Kenntnisstand und schemenhaften Lösungsansätzen.

Je größer eine öffentliche oder private Organisation ist, desto bedeutsamer werden für ihre Manager die Schutzziele. Im Extrem kann durchaus mehr als die Hälfte der Kräfte eines mittleren und oberen Kaders für Schutzziele eingesetzt werden.

Abschließend noch :

 Vor mehr als 30 Jahren untersuchten einige amerikanische Wissenschaftler (z.B. Banfield) das tatsächliche Handeln der Führungspersonen großer Organisationen. Hier die etwas überspitzt dargestellten Ergebnisse.

Die Leitungen großer Organisationen neigen ausgesprochen dazu:

–        opportunistisch und kurzfristig zu entscheiden,

–        von Krise zu Krise zu improvisieren,

–        Krisen zu schaffen, wenn gerade keine zur Hand sind,

–        ihre Position zu halten und mehr Macht zu gewinnen,

–        die wichtigsten Entscheidungen dem Zufall und den äußeren Umständen zu überlassen,

–        Planung als taktische Mittel und zur Propaganda einzusetzen, um Scheinsicherheit zu erzeugen,

–        Absichten mehrdeutig zu formulieren, sie nach der jeweilig vorherrschenden Stimmung und nach kurzfristigen Vorteilen zu interpretieren,

–        wirkliche Alternativen kaum in Betracht zu ziehen,

–        davon auszugehen, dass nur geringe Änderungen des Bestehenden möglich seien,

–        sich ständig zu überlasten, um sich überwiegend unmittelbar anstehenden Problemen zu widmen,

–        längerfristige Aufgaben zu verdrängen, um in der ständigen, taktischen Auseinandersetzung innerhalb und außerhalb der eigenen Organisation zu bestehen,

–        laufend kurzfristig wirkende Belohnungen und Bestrafungen zu erfinden und einzusetzen, um die Organisation in Gang zu halten,

–        Angriffe von außen und innen abzuwehren und selbst anzugreifen,

–        Unterstützung zu suchen, aufzubauen, zu pflegen und zu „bezahlen“.

 Soweit mal zu dem von mir gestern angesprochenen Komplex.