Mitte der Gesellschaft, oder „Wie erschafft man Randgruppen?“

Im Gegensatz zu der gefühlten Mehrheit im Twitter-, Facebook- oder sonstigem (a)Sozialen-Medien-Diskurs, betrachte ich die „Mitte der Gesellschaft“ weder als dumm, noch träge oder gar politisch uninteressiert. Die „Mitte der Gesellschaft“ ist nur nicht laut.

Um das mal klar zu stellen, an jedem Arbeitstag begebe ich mich in diese Mitte, das beginnt mit dem Fahrer, oder der Fahrerin meiner Straßenbahn und geht mit meinen Arbeitskollegen und Kolleginnen weiter.

Soll heißen: Die „Mitte der Gesellschaft“ besteht für mich aus den Menschen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten und denen zum großen Teil am Feierabend die Lust, die Zeit oder die Kraft fehlt, lauthals herum zu schreien. Meist fehlt nicht nur eines.

Ergo: Die „Mitte der Gesellschaft“ ist die Mehrheit der Gesellschaft.

Diese Mitte besteht aus den marxschen „produktiven Arbeitern“, gemäß der Definition:

Ein Schauspieler z.B., selbst ein Clown, ist hiernach ein produktiver Arbeiter, wenn er im Dienst eines Kapitalisten arbeitet (des entrepreneur), dem er mehr Arbeit zurueckgibt, als er in der Form des Salairs von ihm erhaelt.*

Ergo: Die Zahl der Proletarier ist größer als die Zahl der „Industriearbeiter“, die z.B. Martin Schulz als „Kernklientel der SPD“ bezeichnet.

Das ist natürlich nicht die gesamte „Mitte der Gesellschaft“, dieser Teil ist aber der, der dafür sorgt, dass eine Gesellschaft existieren kann. Dieser Teil schafft die materiellen Grundlagen der Gesellschaft und sichert ihr Fortbestehen. Nicht zu vergessen der Teil der unsere Kinder betreut, für unsere Gesundheit sorgt, Hilfsbedürftige pflegt und viele andere wichtige gesellschaftliche Aufgaben erledigt.

Ergänzen wir die „Mitte der Gesellschaft“ noch um die Menschen, die diese Arbeit geleistet haben, also Rentner und Pensionäre, um Menschen die sich in der Ausbildung befinden, um Abhängige dieser Mitte, also Kinder, Kranke und in irgendeiner Art Unselbstständige – also Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht für sich selbst sorgen können – und um Menschen, die unverschuldet oder auch verschuldet in Not gekommen sind, dann umfasst die „Mitte der Gesellschaft“ die gesamte Bevölkerung, mit Ausnahme der „Enterpreneure“.

Nach dieser Auflistung gäbe es keine Randgruppen außer diesen.

So weit so gut und leider falsch – hier ist eben der Fehler der Klassentheorie.

Gäbe es eine Arbeiterklasse und die bösen Kapitalisten, dann wäre eine Revolution angebracht. Die Arbeiterklasse würde die Kapitalisten enteignen –> würde das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln gemeinschaftlich verwalten –> die Früchte der gemeinsamen Arbeit würden allen zu Gute kommen –> Friede, Freude und Champagner für alle. Räte würden diesen Prozess lenken und überwachen, alle würden aus Überzeugung ihr Bestes geben und wer nicht überzeugt ist würde überzeugt werden. Wer sich nicht überzeugen lässt…

Hier höre ich mit der schönen(?) Utopie auf, das geht weiter mit selbsternannten Volks-Beglückern, mit Zwang und Ausstoßung von Andersdenkenden – von der Stammesgesellschaft bis zum „Real Existierenden Sozialismus“.

Ich konstatiere also für mich: Es gibt keine Klassenkämpfe, es gibt nur Verteilungskämpfe.

Aus diesen entstehen die heutigen Randgruppen. Es geht aber nicht um den Anteil, den diese erhalten – es geht um das Gefühl „Mir wird etwas vorenthalten!“ oder „Der/Die bekommt etwas was ihm/ihr nicht zusteht!“

Mit diesem Gefühl lässt sich gut Politik machen. Da unterscheiden sich rechts, links, konservativ oder liberal in keiner Weise, außer in dem Gefühl, welches sie bedienen.

Mit diesen Gefühlen wird dann (in bewährter Manier) der Schuldige, oder auch Feind, gesucht und bekämpft. Das kann der Ausländer (in verschiedenen Erscheinungsformen) sein, der Rentner – der ja vom „schwer Erarbeiteten der Jungen lebt“, die Frau – die sich koste es, was es wolle, emanzipieren will, die kinderreichen oder kinderarmen Paare oder wer auch immer. Obwohl, Ausländer geht immer gut. Besser ist nur noch ein Feind von außen, gegen den wir alle zusammenstehen müssen.

Noch besser ist nur ein richtig großes und schönes Polit-Theater – so mit der Bildung einer GroKo, den Rücktritten, Posten-Mauscheleien, Bekundungen und Widerrufen von Bekundungen. Leider ist das nur besser für die politischen Gegner – gut, dass diese sich auch gerade zerfleischen.

  • Die „Mitte der Gesellschaft“ reagiert dann mit Unverständnis – daraus folgt Zorn auf die Akteure und die Suche nach Protestformen.
  • Die „Mitte der Gesellschaft“ geht meist nicht auf die Straße – sie protestiert an den Wahlurnen, besonders beliebt mit Verweigerung.
  • Die „Mitte der Gesellschaft“ lässt damit zu, dass die Randgruppen bei Wahlen immer mehr Stimmen bekommen und somit über die Gesellschaft bestimmen.
  • Die „Mitte der Gesellschaft“ muss endlich aufwachen und für ihre Interessen kämpfen!

Wenn sie nur wüsste, welche das sind.

Sapere aude!

* Karl Marx, Theorien über den Mehrwert (MEW 26.1), zitiert nach: Marx über produktive und unproduktive Arbeit in der kapitalistischen Produktionsweise
Bildquelle: Geralt auf Pixabay

Wer hat uns verraten? (2nd Edition)

Einleitend folgende Überlegung:

Sigmar Gabriel sprach vor kurzem der SPD die Regierungsfähigkeit nach 2017 ab.

Sigmar Gabriel drohte dem Parteikonvent* mit seinem Rücktritt, wenn dieser der Vorratsdatenspeicherung (VDS) nicht zustimme.

Der Parteikonvent stimmte der VDS zu, woraus folgender Schluss zulässig ist:

Die SPD will ihren Vorsitzenden behalten und stimmt somit seiner Beurteilung der Regierungsfähigkeit zu. Das Ziel für die Bundestagswahl 2017 wird auf den Eintritt in die nächste Große Koalition (GroKo) unter Führung der merkelschen CDU reduziert.

Daraus ergibt sich ein Legitimitätsproblem für die SPD. Warum soll der Wähler sein Kreuz bei SPD machen, wenn er am Ende Merkel wählt?

Das ist ein harter Schlag für die deutsche Sozialdemokratie und die Situation wurde von der Parteispitze bewusst herbeigeführt.

Geht man allerdings vom Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art. 21 aus, dann wird die Situation noch unübersichtlicher. Dort heißt es nämlich:

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.

Der Absatz bedeutet unter Anderem, dass die Zustimmung zur VDS nun Bestandteil der politischen Bildungsarbeit der SPD wird. Im Klartext heißt das:

Die deutsche Sozialdemokratie wird die anlasslose Totalüberwachung in ihren politischen Bildungskanon aufnehmen!

Einen weiteren Kommentar dazu erspare ich mir.

Zwei weitere beunruhigende Tatsachen noch am Rande.

1. Gestern und heute sprach ich das Thema SPD und VDS in meinem derzeitigen Mikrobiotop an. Das Ergebnis war leider das zu erwartende: Es interessierte niemanden! Daraus ergibt sich für mich ein Legitimitätsproblem. Wenn es niemanden interessiert, dann stehen wir wohl außerhalb der Gesellschaft mit unseren Forderungen.

2. Wir haben eine Regierung und ein Parlament, diese werden also der VDS zustimmen. Die einzige Hoffnung, dass die VDS abgelehnt wird liegt bei der zu erwartenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wird sie von diesem als verfassungswidrig (nicht verfassungsgemäß) abgelehnt, dann müssen wir konstatieren, dass Regierung und Parlament wieder einmal nicht im Sinne des Grundgesetzes gehandelt haben.

Da bleibt mir nur übrig dem geneigten Leser den Artikel 20 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland als Lektüre zu empfehlen. Natürlich mit besonderer Beachtung des Absatzes 4:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

*Wer nicht weiß was ein Parteikonvent der SPD ist, unter diesem Link Seite 36ff §28 findet ihr die Zusammensetzung des Gremiums.

Was für ein Jahr – 2013 im Blog

Ehrlich gesagt, es ist der erste Jahresrückblick den ich hier schreibe.

Obwohl sich der tiefere Sinn eines Rückblicks mir nicht erschließt mache ich es einfach mal.

Bei der Durchsicht meiner Beiträge habe ich bemerkt, dass sich einige Themen durch das ganze Jahr ziehen. Manchmal hatte ich das schon vergessen. Also nehme ich mal als Sinn eines Jahresrückblicks die eigene Rück-Erinnerung. Außerdem kann ich euch damit belästigen. Das Blog ist für mich wahrscheinlich wichtiger als für euch. Ich merke, dass ich mich auch ohne Resonanz mit den Themen über die ich schreibe intensiv auseinandersetze.

Im Januar gab es da zum Beispiel einen Artikel zur Deutschen Sprache. Wie immer ging es um den politisch korrekten Sprachgebrauch. Änderungen in alter Literatur lehne ich nach wie vor ab. Den vorläufig letzten Artikel dazu schrieb ich im August, betreffs des Zigeunerschnitzels. Auch meine Diskussionen mit einem mir gut bekannten Kulturwissenschaftler zur Notwendigkeit dieser Themen änderten nicht wirklich grundlegend etwas an meiner Einstellung zum Thema. Ich begann auch Artikel zum Umgang mit Homosexualität zu schreiben. Nicht zu der sexuellen Orientierung als solcher sondern zu unserem Umgang mit Schwulen und Lesben. Das zog sich durch das ganze Jahr bis in den Dezember. Allerdings da nur in einem Nebensatz zur Zuverlässigkeit der SPD. Hier spielte natürlich auch die „Familien Konferenz“ des compact-Verlages im November eine Rolle.

Im Februar stellte selbst BILD fest, „Wir sind nicht mehr Papst“. Benedikt trat zurück und ich konnte die Aufregung nicht verstehen, begrüßte die Entscheidung aber. Wenn auch aus eigenen Gründen.

Die Beschäftigung mit der Biographie meines Vaters und dem Sprachmittlerberuf in der DDR zog sich durch das erste Halbjahr, aber im März war der 90. Geburtstag. Eigentlich sollte das Buch da fertig sein. Wird eben später.

Im April war Ruhe, es starb the witch und wie schon des Öfteren beschäftigte ich mich mit Europa und den Menschenrechten.

Der Wonnemonat Mai war ein fauler Monat, ja ja die Frühlingsgefühle, aber die lost generation ließ mich doch auf der Tastatur klimpern. Wie oft gegen die allgemeine Meinung.

Zur Jahresmitte, im Juni, ging es dann richtig los. Zwischen zwei Artikeln zur Demokratie geschah etwas Unglaubliches. Ein Mann veröffentlichte Dokumente der NSA die zeigten, dass wir alle überwacht werden. Und ich zweifelte seine Motive an. Auch heute kann ich mich nicht dafür entschuldigen. Wer konnte ahnen, dass die NSA so eine miese Datensicherheit hatte.

Im Juli 2013 schrieb ich über meine ungewollte berufliche Neuorientierung und begann mich mit der „Überwachungsthematik“ zu beschäftigen. Nach wie vor stehe ich dazu, dass wir eigentlich nicht davon überrascht sein dürften. Literatur und Fernsehen hatten uns ja schon darauf vorbereitet.

Ab August war Wahlkampf. Ich hatte mich bereits entschlossen wen ich wählen würde, äußerte mich aber noch nicht eindeutig. Natürlich stand das Thema Überwachung ganz vorn, aber auch zum Thema innerstädtische Verkehr musste ich meinen Senf dazu geben. Zum Jahresende kam ich nochmals darauf zurück. Am Ende des Monats konnte schon jeder lesen wen ich wählen würde. Und immer wieder die Frage der Demokratie und auch schon die „Asylproblematik“.

Der Wahlmonat September stand natürlich unter der Wahl-Thematik. Meine Vorstellung „Wir brauchen ein Parlament welches Monarchen gern verbieten würden“ sollte ausdrücken, dass bei der Wahl eben nicht eine Regierung sondern ein Parlament gewählt wird. Schade, hat nicht geklappt. Am Tag vor der Wahl habe ich dann auch endlich meinen Kandidaten aufgesucht. Ganz für mich habe ich dann die Wahl 5 Tage danach analysiert und musste feststellen, dass sich nichts geändert hat. Merkel blieb Kanzlerin „Weil sie eine gute Mutti ist“, wie ein Bekannter sagte. Die Wahlthemen der „Verlierer“ konnten einfach nicht ausreichend kommuniziert werden. Der Beginn der Verhandlungen zur Regierungsbildung sah schon wie das Ergebnis aus. Der Artikel „Wenn ein Hund gegen einen Hydranten pinkelt“ wurde missverstanden. Er sollte ausdrücken, dass nicht die Geheimdienste das Problem sind sondern die Regierungen. Was solls?

Zeitgleich mit meinem Mitgliedsantrag schrieb ich Anfang Oktober einen Abgesang auf die Piraten. Natürlich nur über das Anstimmen desselben durch die Medien. Als Tom Clancy starb, starb mit ihm ein Schriftsteller der schon lange über die neuen Formen der Überwachung geschrieben hatten. Allerdings stimmte er dieser zu. Seine Bücher waren eine Quelle für Informationen. Ich habe ihn des Öfteren zitiert. Ansonsten war der Oktober den Themen Umgang mit Anderen, Diskussionskultur und der Privatsphäre gewidmet. Natürlich auch dem Flüchtlingsdrama und der DDR-Vergangenheit. Auf den Brief an Angela Merkel habe ich natürlich keine Antwort bekommen. Schade eigentlich.

Über November und Dezember brauche ich nicht viel zu schreiben. Privatsphäre, GroKo, Mindestlohn, Hartz IV und eine persönliche Geschichte waren die Hauptthemen.

Wisst ihr was?

Ich freue mich auf 2014.

Aber nur wie Karl Valentin auf den Regen.

„Ich freu mich wenns regnet. Wenn ich mich nicht freue regnets ja auch.“

Also:

Ich freu mich, dass 2014 kommt. Wenn ich mich nicht freue kommt es auch!

Also, bis nächstes Jahr.