Jammern nach Wahlen

und gegenseitige Schuldzuweisungen mögen ja Wege sein, um Frust abzubauen. Beide sind aber kontraproduktiv.

Es geht mir, wie nicht anders zu erwarten, um die Landtagswahl in Sachsen. Diese endete gestern mit einem desaströsen Ergebnis für uns, die Piraten.

Mancher mag sagen: „Ja, der Tom hat sich nicht am Wahlkampf beteiligt.“ Das stimmt insofern, als ich mich nicht an den Infoständen und ähnlichen Aktionen beteiligt habe. Lieber habe ich mit Menschen verschiedener Altersklassen gesprochen, ganz analog ohne Computer und Internet. Die meisten Gespräche führte ich mit Menschen, die jeden Morgen aufstehen und auf Arbeit gehen und für die am Ende des Geldes noch viel vom Monat übrig ist.

Die gute Nachricht zuerst: Die wissen nichts von unseren innerparteilichen Querelen – Die schlechte Nachricht: Die wissen meist nicht einmal, dass es uns noch gibt.

Jemand, mit dem ich über unserer linke Ausrichtung sprach, kommentierte: „Warum soll ich, wenn ich im linken Spektrum das Original Jule Nagel wählen kann, die Kopie Florian Unterburger wählen? Die Jule kenne ich wenigstens.“ Die Direktkandidatin Kathrin Weiss sei ihm kein Begriff, den Flo kenne er wenigstens von Plakaten. Für ihn sind wir „Linke mit Internetanschluss“. Für diese Sichtweise haben einige von uns viel getan.

Die Magnetschwebebahn und der Weltraumaufzug haben uns eher nicht geschadet. Beide wurden wie der Wombat zur Bundestagswahl 2013 als Würze im Wahlkampf betrachtet – und belächelt.

Mit den Themen Legalisierung von Drogen, Abschaffen des Sitzenbleibens, Kampf gegen TTIP, Kampf gegen Nazis, Asylpolitik, HARTZ-IV-Sanktionen und ähnlichen konnte ich auch niemanden überzeugen, ausgerechnet Piraten zu wählen. Das Angebot ist groß im linken Spektrum und selbst die Grünen haben sich dort nahtlos eingereiht.

Unsere vernachlässigten Kernthemen, etwa der Kampf gegen Überwachung, waren da schon interessanter. Schade, dass für viele aus meiner Altersklasse, aber auch für weitaus jüngere, das Internet entweder Neuland oder einfach ein Werkzeug ist, über welches man nicht weiter nachdenkt. Dort gibt es für uns Potential, dafür muss man diesen Menschen das Internet nahe bringen – nicht nur die Gefahren durch Überwachung und die Notwendigkeit von Verschlüsselung.

Beim Thema anlasslose Totalüberwachung haben wir die Altersklasse 50+ komplett verloren. Die kann sich noch an die Überwachung in der DDR erinnern. Die meisten fanden Überwachung scheiße, als sie jung waren. Heute wählen sie zu großen Teilen Sicherheits-Fanatiker-Parteien – ihre zukünftigen Überwacher. Das haben wir total vergeigt, wir haben nicht mit ihnen geredet.

Nicht unsere Themen sind schlecht. Wir haben es nicht geschafft, unsere Themen auf eine eigene Weise zu kommunizieren. Deshalb ist es uns nicht gelungen, uns in der Parteienlandschaft zu positionieren, in der alle Parteien des linken Spektrums mit diesen Themen Politik machen.

Wir brauchen Alleinstellungsmerkmale für die Bundestagswahl 2017, sozusagen „piratige Antworten“ auf die Fragen der Menschen. Dazu müssen wir erst einmal wieder zu den Menschen gehen und fragen, was ihre Probleme sind. Wäre nicht ein allgemeiner 6-Stunden-Arbeitstag bei vollem Lohn eine „piratige Antwort“ auf die Forderung nach Vollbeschäftigung?*

Anstatt zu sagen, es gebe keine kriminellen Ausländer, die Forderung nach absoluter Gleichbehandlung aller in Deutschland lebenden Menschen stellen – wäre das nicht „piratig“?

„PiratInnen an die Front!“ – natürlich an die Front des Internet. Wer, wenn nicht wir, kann SchülerInnen, ArbeiterInnen und auch RentnerInnen den Umgang mit Computern und dem Internet beibringen? – Den von Anfang an sicheren Umgang?

Es sind Vollis und Kernis** gefordert, um „piratige Antworten“ auf die Fragen von Fiskalpolitik, Bildungspolitik, Verteidigungspolitik, Verkehrspolitik und anderen Politikfeldern zu finden und zu formulieren. Wir brauchen konkrete Antworten. Aussagen wie „Will ich nicht, will ich anders!“ sind für eine ernsthafte politische Arbeit zu wenig.

Sprechen wir doch mal über WählerInnen außerhalb des Piratenkosmos.

Warum sollen die uns wählen – wenn sie uns nicht kennen?

Warum sollen die uns wählen – wenn wir ihre Probleme ignorieren?

Warum sollen die uns wählen – wenn wir Werktätige als konservative Mitte diffamieren?

Warum sollen die uns wählen – wenn wir selber nicht wissen, was wir wollen?

Kurz und knapp: Die Landtagswahl Sachsen 2014 haben wir vergeigt und nicht die WählerInnen. Die Bundestagswahl 2017 steht vor der Tür und der Wahlkampf beginnt jetzt. Wenn wir bis dahin kein piratiges Profil haben, dann wars das.

* Das sind Beispiele.
** „Kernis“: Piraten, die sich für eine Beschränkung auf Internet-Themen (Kernthemen) im Parteiprogramm einsetzen. „Vollis“: Piraten, die ein politisches Vollprogramm für die Piratenpartei wollen.

4 Antworten auf „Jammern nach Wahlen“

  1. „Beim Thema anlasslose Totalüberwachung haben wir die Altersklasse 50+ komplett verloren. Die kann sich noch an die Überwachung in der DDR erinnern. Die meisten fanden Überwachung scheiße, als sie jung waren. Heute wählen sie zu großen Teilen Sicherheits-Fanatiker-Parteien – ihre zukünftigen Überwacher. Das haben wir total vergeigt, wir haben nicht mit ihnen geredet.“
    Dies ist falsch und typisch piratige Arroganz. Das Internet und die entsprechende Technologie stammt von Leuten, die heute 50 und 60+ sind, die es aber zum Kotzen finden, wenn Piraten sie über das Internet aufklären wollen.

    1. Da rennt einer offene Türen ein. Ich gehöre selbst dieser Altersklasse an und bin nicht arrogant. Wir haben diese Altersklasse, abgesehen von den Menschen die sich mit dem Internet beschäftigen, trotzdem vergessen und verloren. Und nein, ich will niemanden über das Internet aufklären. Verrate mir doch mal bitte, wann sich die Piraten mal ernsthaft mit der Altersklasse 50+ beschäftigt haben. Ich bleibe dabei: „Wir haben nicht mit ihnen geredet:“

      1. Viele Piraten beschäftigten sich mit Senioren: „Glücklicherweise ist weder Alzheimer noch Demenz eine Krankheit der Jugend.“ ist ein klassisches Piraten-Zitat und offenbart eine gewisse Geisteshaltung.
        Unabhängig von der zumindest unzivilisierten Ausdrucksweise, die uns Alte abstößt, haben die Piraten programmatisch den Senioren nichts zu bieten (ausser weniger Geld für die Ärmsten durch MWSt-Erhöhung). Auch zur Teilnahme an Demos gegen Rechts oder Bürgerrechte rate ich allen Senioren in meinen Blogs und in unseren Seniorenheimen ab, sobald Piraten daran teilnehmen: Das Gewalt-Risiko ist zu hoch, selbst für Uralt-68er.

        1. Den Spruch und die Auslassungen zur unzivilisierten Ausdrucksweise kenne ich nur aus den „Rentner News“, nicht aus der Piratenpartei. Aber genug damit, wer sich auf alte Artikel von 2012 beruft und daraus Schlüsse zieht – der will einfach eine Gegnerschaft zu uns äußern. Damit kann ich leben.
          Programmatisch stehen zumindest bei den meisten Piraten Bürger- und Menschenrechte ganz oben auf der Agenda. Da gibt es auch mit Senioren Schnittstellen. Übrigens Ausgangspunkt war 50+, ich bin in der Altersklasse und kein Senior.
          Warum muss ich eigentlich einen „Uralt-68er“ erinnern, dass gerade diese die „Alten“ zum Teufel gewünscht haben?
          Das geht mir aber zu weit vom Thema weg, ich werde weitere sinnfreie Kommentare nicht mehr freigeben und kommentieren.

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