Aus- und Weiterbildung im Callcenter

Gestern habe ich einen Artikel über die Generation Z im Callcenter gelesen. Diese Generation, in Deutschland besser als Millennials oder Generation Y bekannt, spielt zukünftig eine große Rolle für den Kundendienst und somit für die Call-Center-Branche.

In diesem Artikel steht folgendes:

Sie sind mit sofort verfügbarem und ständigem Zugang zu fast unbegrenzten Bildungs-Ressourcen aufgewachsen. [1]

Das gibt zu denken, denn es ist zu erwarten, dass Angehörige dieser Generation auch im Arbeitsleben diesen Zugang einfordern – in Form von Aus- und Weiterbildung. Wichtig ist das aber nicht nur für die Millennials.

Wie ist der aktuelle Stand?

In Deutschland gibt es seit 2006 für die Callcenter-Branche zwei Berufsabschlüsse mit den etwas sperrigen Namen Kaufmann/Frau für Dialogmarketing und Servicefachkraft für Dialogmarketing. Weiterbildend sind dann u.a. die Abschlüsse Fachwirt Call-Center und Betriebswirt Call-Center-Management möglich.

Soweit die Theorie, in der Praxis arbeiten in Callcentern, unter den verschiedensten Bezeichnungen, weiterhin Call-Center-AgentInnen, die als „angelernt“, also ohne Fachabschluss, betrachtet, behandelt und bezahlt werden. Der Anteil der MitarbeiterInnen mit o.g. Berufsabschlüssen tendiert in den Callcentern, die ich kenne, gegen Null, zumindest im AgentInnen-Bereich.

Wenn ich hier „unter den verschiedensten Bezeichnungen“ schreibe, meine ich damit, dass der Begriff „Call-Center-AgentIn“ einen schlechten Ruf hat. Deshalb werden „KundenberaterInnen“, „Contact-Center-MitarbeiterInnen“ und ähnliche Begriffe verwendet, um weitere MitarbeiterInnen zu gewinnen.

Zum Thema Rekrutierung im Callcenter empfehle ich den Artikel Wir nehmen, wen wir kriegen können!“ von Manfred Stockmann, soweit es den Bereich der Rekrutierung betrifft. Besonders beachtenswert finde ich den letzten Teil „Innere Einstellung“.

M. Stockmann betrachtet hier, aus Unternehmenssicht logisch, das Selbstverständnis des Unternehmens und die Ausstrahlung auf die Mitarbeiter.

Mein Ausgangspunkt ist als Call-Center-Agent und Betriebsrat jedoch ein anderer. Ich sehe hier den sozialen Stellenwert meiner Tätigkeit, meines Berufes. Den habe ich in einem älteren Artikel so beschrieben:

Antwortete ich auf die Frage, was ich beruflich mache, mit „Ich mache technischen Support für einen Telekommunikationsanbieter“ war das eine interessante Tätigkeit. Sagte ich aber „Ich arbeite in einem Callcenter“, dann war ich der „arme Depp vom Dienst“. Witzig ist, dass ich in beiden Fällen die Wahrheit sagte.

Ein Teil dieser negativen Meinung über meinen Beruf lässt sich auf den Status „angelernt“, ergo kein richtiger Beruf, zurückführen.

Es ist, meiner Meinung nach, wichtig die MitarbeiterInnen in Callcentern nicht nur anzulernen sondern sie während ihrer Tätigkeit ständig weiter zu qualifizieren.

Ich weiß, dass das in den meisten Callcentern schon so gemacht wird, frage mich aber:

  • Bekommen die MitarbeiterInnen einen lückenlosen Nachweis über die Qualifizierungen?
  • Warum wird die Aus- und Weiterbildung nicht nach außen kommuniziert?

Ohne einen Nachweis über Qualifizierungsmaßnahmen stehen MitarbeiterInnen, nach langjähriger Tätigkeit im Callcenter, weiterhin als an- oder ungelernte Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt.

Ohne die Kommunikation von Aus- und Weiterbildung und die Nachweise dieser wird das Berufsbild Call-Center-Agent weiterhin im Bereich der unqualifizierten Tätigkeit dahin dümpeln.

In unserem Unternehmen ist mit dem Nachweis des Einführungs-Lehrganges ein erster Schritt gemacht, ich hoffe, dass weitere folgen.

Die Rolle der Aus- und Weiterbildung ist auf Unternehmensseite bekannt, ich zitiere aus Veröffentlichungen unseres Unternehmens, die darauf schließen lassen.

Wie wird die Rolle von Beratern neu ausgerichtet, um anerkannte und geschätzte Arbeitsplätze zu schaffen?“ [2]

Um jedoch das Potential der Generation Z als Akteure des Wandels voll auszuschöpfen, zeigen diese Untersuchungen, dass es nach der Einstellung ein entscheidendes 500-Tage-Fenster gibt, um die neuen Bedürfnisse und Bestrebungen der neuen Mitarbeiter zu erfüllen. [3]

Wie einleitend geschrieben ist zu vermuten, dass gerade Bildung zu den Bedürfnissen der Millennials zählt.

Was ist da zu tun?

Eine Forderung nach durchgängiger Berufsausbildung für Call-Center-AgentInnen zu stellen, wäre meines Erachtens nach nicht zielführend. Dies würde Zugangsbeschränkungen mit sich bringen und die bereits im Job arbeitenden KollegInnen (diese wären ja weiter ungelernt) schlechter stellen.

Es bleibt also nur eine unternehmensbezogene Lösung.

Diese könnte wie folgt aussehen:

  1. Einführungslehrgang nach einem strukturierten Lehrplan für die konkrete Tätigkeit und Abschluss mit Zertifikat.
  2. Turnusmäßige Wiederholungs- bzw Auffrischungslehrgänge zu den wichtigsten Themen.
  3. Strukturierte Lehrgänge bei technischen/kaufmännischen Veränderungen bzw bei Wechsel der Tätigkeit, Abschluss mit Zertifikat.
  4. Unterstützung von MitarbeiterInnen beim freiwilligen Erwerb der Anerkennung des Berufsabschlusses zum Kaufmann/frau bzw Servicefachkraft für Dialogmarketing, gem. BbiG § 45 (2) [4], bei externen Bildungsträgern.

Das ist natürlich eine stark verkürzte Darstellung des Lösungsansatzes, dessen bin ich mir bewusst.

Es ergeben sich aber Vorteile für beide Seiten.

Die MitarbeiterInnen erhalten mit jedem Zertifikat nicht nur eine Bestätigung ihrer Lernleistung – sie erhalten auch einen Ausdruck der Wertschätzung durch das Unternehmen. Im Falle eines Wechsels zu einem anderen Unternehmen können sie nicht nur Beschäftigungszeiten, sie können auch Qualifizierungen nachweisen.

Das Unternehmen profitiert auch. Durch strukturierte und durchgängige Aus- und Weiterbildung werden sich die Leistungen der MitarbeiterInnen verbessern, somit ist auch eine Verbesserung der Kundenzufriedenheit zu erwarten.

Die Identifikation der MitarbeiterInnen mit ihrem Unternehmen und somit ihr Engagement für dieses wird sich ebenfalls verbessern.

Also eine win-win-Situation.

Wollen wir es versuchen?

 

Für Ungenauigkeiten der Übersetzung bin ich verantwortlich.

[1] „They’ve grown up with instant and continuous access to almost unlimited educational resources.“ aus „Generation Z – agents of change“

[2] „how do we re-focus the role of advisers creating jobs which are recognised and valued?“ aus „Why Germany is redy for transformational outsourcing

[3] „However, to fully capitalise on Generation Z as agents of change, this research indicates that there’s a crucial 500-day window after hiring in which to meet their new recruits’ immediate needs and aspirations.“ aus „Generation Z – agents of change“

[4] 2) Zur Abschlussprüfung ist auch zuzulassen, wer nachweist, dass er mindestens das Eineinhalbfache der Zeit, die als Ausbildungszeit vorgeschrieben ist, in dem Beruf tätig gewesen ist, in dem die Prüfung abgelegt werden soll. Als Zeiten der Berufstätigkeit gelten auch Ausbildungszeiten in einem anderen, einschlägigen Ausbildungsberuf. Vom Nachweis der Mindestzeit nach Satz 1 kann ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn durch Vorlage von Zeugnissen oder auf andere Weise glaubhaft gemacht wird, dass der Bewerber oder die Bewerberin die berufliche Handlungsfähigkeit erworben hat, die die Zulassung zur Prüfung rechtfertigt.  BbiG § 45 (2)

 

4 Antworten auf „Aus- und Weiterbildung im Callcenter“

  1. Guten Tag.
    Dieser Artikel spricht mir aus der Seele – allein fehlt mir der Glaube, dass sich in der Branche die Haltung zur Weiterbildung in absehbarer Zeit ändern nachhaltig wird. Auch wenn Sie mit den genannten unternehmensbezogenen Lösungsansätzen vollkommen recht haben. Als Weiterbildungsanbieter, der seit Jahren eng mit dem Deutschen Callcenter Verband kooperiert und regelmäßig Kontakt in die Branche hinein hat, stellen wir immer wieder fest, dass praktisch nur interne Maßnahmen – hier vor allem positionsbezogenen Anpassungsqualifizierungen und natürlich Produktschulungen – regelmäßig stattfinden. Eine kontinuierliche, nachhaltige MA-Entwicklung findet im Agent-Bereich praktisch nicht statt. Sicher ist die hohe Fluktuationsrate und das von Ihnen beschriebene Motivationsdefizit hierfür mitverantwortlich. Aber aus meiner Sicht nicht nur:

    So bieten wir beispielsweise eine Art „Einführungslehrgang“ an, der auf strukturierte Weise an die Arbeitsabläufe, Arbeitsplatzorganisation und vor allem Gesprächsführung / Lösungsorientierung / Kundenorientierung heranführt und gleichzeitig ein probates Mittel der Mitarbeiter-Vorauswahl darstellen könnte. Denn dieser Lehrgang wird für Arbeitssuchende durch die Bundesagentur für Arbeit finanziert. Beschrieben ist das Ganze hier: http://leo-seminare.de/recruiting-fuer-callcenter/

    Die bisherige Resonanz darauf seitens der Callcenter: Null.
    Und das, obwohl hier nicht nur keine oder sehr überschaubare Kosten entstehen und der Rekrutierungsprozess deutlich unterstützt wird.

    Ein wichtiger Aspekt ist das immer wieder genannten Weiterbildungshemmnis „Zeit“ – also die fehlende Möglichkeit, Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum aus der Arbeitsroutine herauszunehmen. Diesem sicherlich nachvollziehbaren Argument begegnen wir mit Angeboten wie Intervalltrainings und online-gestütztem, flexiblen Lernangeboten. Aber auch hier ist aber die Resonanz sehr verhalten. Obwohl sogar wertvolle IHK-Abschlüsse (Train the Trainer) online möglich sind.

    Woran liegt es? Ist es die von Herrn Stockmann in seinem Artikel genannte „Bastion der Ultra-Traditionalisten“? Wird der Aspekt der Mitarbeiterbindung über all der Fluktuation aus den Augen verloren? Spart man an den falschen Stellen? Oder wird den Mitarbeitern schlichtweg nicht die Wertschätzung entgegengebracht, die Sie verdienen?

    Leider fehlt mir auf diese Fragen eine Antwort. Aber vielleicht stoßen Sie mit Ihrem Artikel den einen oder anderen zum Nachdenken an. Und es verbessert sich etwas – zum Wohle der Mitarbeiter, aber auch der Unternehmen und dem Ansehen einer ganzen Branche.

    Herzliche Grüße aus Essen.

    Ulf Mayer, leo.Seminare

  2. Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort Herr Mayer,
    ich bin da, wie Sie, nicht sehr zuversichtlich, dass sich in kurzer Zeit etwas ändert. Aber wie sagt man doch „Steter Tropfen…“ und so setze ich immer mal wieder einen Gedankenansatz. Ich bin aber langfristig optimistisch. Die Branche ist schon jetzt „Recruiting-getrieben“ und wird es langfristig bleiben. Hier werden für die Unternehmen die Themen Bildung, soziales Engagement und andere eine wachsende Bedeutung bekommen. Als Betriebsrat in meinem Unternehmen hoffe ich, dass wir das schneller als andere bemerken und darauf reagieren 🙂 – schließlich kann ich den Ruf der Branche nicht retten, aber vielleicht kann ein Unternehmen für die Branche ein Signal setzen.
    Viele Grüße aus Leipzig

    Thomas Köhller

    1. Hallo Herr Köhller.
      Da wir auch einen Außenposten in Leipzig haben und ich immer mal wieder dort bin könnten wir uns ja einmal persönlich kennenlernen und gemeinsam etwas mit Wirkung nach innen und außen aushecken. Haben Sie Lust?

      Viele Grüße aus Essen

      Ulf Mayer

  3. Interessante Aspekte, Herr Köhller und Herr Mayer,
    ich habe gleichwohl vor über 15 Jahren während und kurz nach dem Studium verschiedentliche Call Center und auch ein Customer Care Center eines Großkonzerns von innen als Mitarbeiterin kennengelernt und damals war es auf jeden Fall auch so, dass diese Tätigkeit ausschliesslich ein Übergangsjob und ein Sprungbrett war.

    Das Ansehen des eigenen Tuns ward durchaus durch die Wertschätzung der Teamleiter und Kampagnenleiter ein wenig steuerbar – und – im Großkonzern auch durch das (callcenterüberdurchschnittliche) Gehalt, die Einbeziehung in größere Unternehmensfragen und -versammlungen – was bei weitem keine Selbstverständlichkeit darstellte.

    Ich denke, dass es möglicherweise auch sinnvoll sein könnte, mit einer Branchenkampagne die breitere Öffentlichkeit darüber in Kenntnis zu setzen, was Customer Care Agents eigentlich leisten müssen. Weil: diese Form der stets aufmerksamen Kommunikation am Fließband ist weit anstrengender als viele denken. Nicht zuletzt gibt es ja glücklicherweise inzwischen Reglementierungen von Kaltakquise – was allerdings auch noch nicht zu allen durchgedrungen ist. Und wo es nach wie vor vorkommt, dass sich so mancher damit brüstet, es dem ‚bösen Anrufer‘ doch mal so richtig gezeigt zu haben. An solchen Stellen mache ich mir heute noch die Mühe ein aufklärendes Gespräch zu führen – wissend, dass es auch nach wie vor schwarze Schafe gibt.

    Zusammengefasst kann, so denke ich, auch hier eine Veränderung nur sowohl durch innere als auch äußere Kommunikation geschehen.

    Was konkrete Anforderungen anbelangt, kann es durchaus mit digital basiertem Lernen gelingen auch kurze Zeitfenster zu nutzen. (Ich arbeite inzwischen für ein solches micro e-learning Unternehmen.)

    Darüber hinaus: mit digitaler Entwicklung Schritt zu halten, ist ja auch das Thema Chat/Chatbot sicherlich eines auf der Agenda moderner Kundenbetreuung – was dazu führen dürfte, dass sich auch Lerncurricula und die Arbeitsinhalte selbst auch schon wieder schneller erheblich verändern dürften, oder?

    Spannende Zeiten für jegliche Sparte der Kommunikationsbranche, nicht wahr?

    Freundlich grüßt,

    Claudia Saar

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